BGer 6B_958/2020 | |||
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BGer 6B_958/2020 vom 22.03.2021 |
6B_958/2020 |
Urteil vom 22. März 2021 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichterin van de Graaf,
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Bundesrichter Hurni,
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Gerichtsschreiberin Schär.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Yetkin Geçer,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
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Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Einstellung (aussergewöhnlicher Todesfall),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 16. Juni 2020 (SBK.2020.74/va).
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Sachverhalt: | |
A. Am 16. August 2019 erlitt der bei der Firma C.________AG angestellte B.A.________ in deren Produktionshalle in U.________ ein tödliches Schädel-Hirn-Trauma. Zwischen zwei Transportwagen stehend befestigte B.A.________ zwei Armierungsbündel an einem von ihm ferngesteuerten Hallenkran, um sie weiter zu transportieren. Beim Anheben der Last wurde B.A.________ infolge Schrägzugs von der sich pendelnden Last erfasst und zur Seite auf einen der beiden Transportwagen geschleudert, wobei der Kopf auf eine der Rungen des Transportwagens gedrückt wurde. B.A.________ erlag noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen.
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B. Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten stellte das von ihr eröffnete Strafverfahren betreffend aussergewöhnlicher Todesfall mit Verfügung vom 21. Februar 2020 ein. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau genehmigte die Einstellungsverfügung am 26. Februar 2020.
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C. Die von A.A.________, der Ehefrau von B.A.________, gegen die Einstellungsverfügung erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am 16. Juni 2020 ab.
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D. A.A.________ führt Beschwerde ans Bundesgericht mit den Anträgen, den Entscheid des Obergerichts Aargau aufzuheben, die Untersuchung nicht einzustellen und die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
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Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau und die Vorinstanz verzichten unter Verweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen: | |
1. Die Beschwerdeführerin erhebt Beschwerde an die Erste öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts. Die Geschäftsverteilung zwischen den verschiedenen Abteilungen des Bundesgerichts richtet sich gemäss Art. 22 BGG nach dem Reglement für das Bundesgericht vom 20. November 2006 (BGerR; SR 173.110.131). Die Erste öffentlich-rechtliche Abteilung ist zuständig für Beschwerden in Strafsachen gegen strafprozessuale Zwischenentscheide (vgl. Art. 29 Abs. 3 BGerR), während die Strafrechtliche Abteilung nach Art. 33 BGerR für die Beschwerden in Strafsachen sowie die Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und die subsidiären Verfassungsbeschwerden in Strafsachen betreffend: (lit. a) materielles Strafrecht (einschliesslich Straf- und Massnahmenvollzug); (lit. b) Strafprozessrecht (ohne die Beschwerden gegen strafprozessuale Zwischenentscheide); (lit. c) strafprozessuale Beschwerden gegen Endentscheide (einschliesslich Nichtanhandnahmeverfügungen und Verfahrenseinstellungen) zuständig ist. Zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts, der das Verfahren in der Hauptsache (Einstellung des Strafverfahrens) abschliesst, ist die Strafrechtliche Abteilung zuständig.
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2. | |
2.1. Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme am Verfahren erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerde zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). In erster Linie geht es um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung gemäss Art. 41 ff. OR, die üblicherweise vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden müssen. Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat die Privatklägerschaft nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden eine Zivilforderung geltend gemacht. Selbst wenn sie bereits adhäsionsweise privatrechtliche Ansprüche geltend gemacht hat (vgl. Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO), werden in der Einstellungsverfügung keine Zivilklagen behandelt (Art. 320 Abs. 3 Satz 1 StPO). In jedem Fall muss die Privatklägerschaft im Verfahren vor Bundesgericht darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann. Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderungen es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen; Urteil 6B_1062/2019 vom 4. Februar 2021 E. 2.1).
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2.2. Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Nach Art. 115 Abs. 1 StPO gilt als geschädigte Person die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist. Gemäss Art. 116 StPO gilt als Opfer die geschädigte Person, die durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Abs. 1). Als Angehörige des Opfers gelten seine Ehegattin oder sein Ehegatte, seine Kinder und Eltern sowie die Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen (Abs. 2). Art. 1 Abs. 2 des Opferhilfegesetzes (OHG; SR 312.5) umschreibt den Begriff des Angehörigen gleich. Machen die Angehörigen des Opfers Zivilansprüche geltend, so stehen ihnen gemäss Art. 117 Abs. 3 StPO die gleichen Rechte zu wie dem Opfer.
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2.3. Die Beschwerdeführerin ist als Ehefrau des Verstorbenen eine Angehörige im Sinne von Art. 116 Abs. 2 StPO resp. Art. 1 Abs. 2 OHG. Sie hat im Vorverfahren ausdrücklich erklärt, sich in der Strafuntersuchung im Todesfall ihres Ehemannes als Privatklägerin zu konstituieren. Auch wenn die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift nicht darlegt, ob und welche Zivilansprüche sie im Strafverfahren geltend machen möchte, ist vorliegend ohne Weiteres ersichtlich, dass sich der angefochtene Entscheid auf allfällige Schadenersatz- und/oder Genugtuungsansprüche auswirken kann. Die Beschwerdeführerin ist somit zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert.
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3. | |
3.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 319 StPO, des Grundsatzes "in dubio pro duriore", des rechtlichen Gehörs, des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 6 StPO sowie des Willkürverbots. Gestützt auf die Akten sei nicht erstellt, wann und ob B.A.________ einen Sicherheits- und Unfallverhütungskurs erhalten habe. Auch werde nicht in Erwägung gezogen, dass B.A.________ am Unfalltag und zum Unfallzeitpunkt übermüdet gewesen sein könnte. Sie habe die Beschwerdegegnerin wie auch die Vorinstanz um verschiedene Beweisabnahmen ersucht, so um die Edition des Arbeitszeitkontos des Verstorbenen sowie die Befragung der bei der C.________AG für die Schulung des Verstorbenen und die Gewährleistung der Arbeitssicherheit verantwortlichen Personen. Mangels entsprechender Beweisabnahmen sei eine allfällige Mitverantwortung der Entscheidungsträger der Arbeitgeberin nicht überprüfbar und es sei einfach zu behaupten, die Voraussetzungen von Art. 319 StPO seien gegeben. Gestützt auf den SUVA-Bericht, gemäss welchem die festgestellten Abläufe bzw. die Unfallursache "höchstwahrscheinlich" auf einer Fehlmanipulation durch B.A.________ beruhten, unterlasse es die Beschwerdegegnerin, zu untersuchen, ob die Arbeitgeberin ihrer Verantwortung in Bezug auf die Betriebssicherheit und Unfallverhütung durch Vornahme der nötigen Aufsicht und Kontrolle ihrer Mitarbeiter nachgekommen sei. Dieser Umstand sei im Unfallgutachten nicht untersucht worden. Die von ihr (der Beschwerdeführerin) aufgeworfenen Fragen zur Sicherheitskultur bei der C.________AG sowie zur Aufsicht und Kontrolle durch die Arbeitgeberin habe die Vorinstanz in einer vorweggenommenen Beweiswürdigung willkürlich ausser Acht gelassen.
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3.2. Den Feststellungen der Vorinstanz zufolge konnten sowohl ein technischer Defekt am Hallenkran oder dessen Fernbedienung als auch ein aktives Zutun eines Dritten als Unfallursache ausgeschlossen werden. Daraus zieht die Vorinstanz den Schluss, dass es letztlich aufgrund eines (objektiv betrachtet) fehlerhaften Verhaltens von B.A.________ zum tödlichen Unfall gekommen sein müsse.
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Die Vorinstanz stützt sich im Wesentlichen auf den Unfallrapport der SUVA vom 29. August 2019. Der Unfallablauf sei in diesem überzeugend als Folge einer Fehlmanipulation des im Gefahrenbereich stehenden B.A.________ dargestellt worden. Die auch in den Strafakten dokumentierte Ausbildung von B.A.________ am Hallenkran und in Sicherheitsbelangen sei im Unfallrapport nicht beanstandet worden. Weiter sei festgehalten worden, dass bei der Kranüberprüfung keine Mängel festgestellt worden seien. Dem Unfallrapport sei auch zu entnehmen, dass die Firma C.________AG für Sicherheitsbelange die Dienste von ASA-Spezialist D.________ bzw. der von ihm gegründeten Einzelunternehmung D.________ in Anspruch genommen habe. Dieser sei Organisator der Information "Arbeitssicherheit" vom 1. Dezember 2011 und der Ausbildung vom 21. März 2015 am Hallenkran gewesen. Weiter sei er auch für die Freigabe der Weisung Nr. 04- 13 verantwortlich gewesen. Diese offensichtlich enge und auch langjährige Zusammenarbeit lasse ohne Weiteres darauf schliessen, dass die Firma C.________AG die Sicherheit der Mitarbeitenden ernst genommen habe. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass im Unfallrapport der SUVA diesbezüglich keinerlei Beanstandungen gemacht worden seien und der Unfall gerade nicht als Folge eines laschen Umgangs mit Sicherheitsbestimmungen dargestellt worden sei. In diesem Zusammenhang sei auch auf das Formular "K - F4 Mitarbeitergespräch" vom 18. Januar 2013 hinzuweisen, in welchem vermerkt worden sei, dass B.A.________ immer einen Gehörschutz, Handschuhe und Stahlkappenschuhe getragen habe. Dies lasse ebenfalls darauf schliessen, dass auf die Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen Wert gelegt worden sei. Der Hallenkran sei von der SUVA bereits am 16. August 2019 vorbehältlich einer Überprüfung durch einen Servicetechniker wieder freigegeben worden, was bei konkreten Hinweisen auf eine fehlende Sicherheitskultur kaum der Fall gewesen wäre. Vor dem Hintergrund des Unfallrapports der SUVA sei deshalb nicht zu beanstanden, wenn die Beschwerdegegnerin der Frage, ob eine fehlende Sicherheitskultur eine Mitursache des Unfalls gewesen sein könne, nicht weiter nachgegangen sei.
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3.3. | |
3.3.1. Eine Verfahrenseinstellung hat nach Art. 319 Abs. 1 lit. a und b StPO unter anderem zu erfolgen, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt, oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist.
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Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Das Verfahren darf grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen eingestellt werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Falls sich die Wahrscheinlichkeiten eines Freispruchs oder einer Verurteilung in etwa die Waage halten, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei der Beurteilung dieser Fragen verfügen die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz über einen gewissen Spielraum, innerhalb dessen das Bundesgericht nur zurückhaltend überprüft (BGE 146 IV 68 E. 2.1; 143 IV 241 E. 2.2.1 und E. 2.3.3; 138 IV 186 E. 4.1; 138 IV 86 E. 4.1.1 f.).
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Wie die Beweise nach dem Grundsatz in "dubio pro duriore" zu würdigen sind und ob die Vorinstanz gestützt darauf einen hinreichenden Tatverdacht verneinen durfte, prüft das Bundesgericht nur auf Willkür. Es prüft aber im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Einstellung nicht, wie beispielsweise bei einem Schuldspruch, ob die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen willkürlich sind (Art. 97 Abs. 1 BGG), sondern ob die Vorinstanz willkürlich von einer "klaren Beweislage" ausging oder gewisse Tatsachen willkürlich für "klar erstellt" annahm. Dies ist der Fall, wenn offensichtlich nicht gesagt werden kann, es liege ein klarer Sachverhalt vor, beziehungsweise ein solcher Schluss schlechterdings unhaltbar ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.2 f.; Urteil 6B_1254/2020 vom 20. Januar 2021 E. 4).
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3.3.2. Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 117 StGB). Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB). Das Mass der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt richtet sich, wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 145 IV 154 E. 2.1; 143 IV 138 E. 2.1; 135 IV 56 E. 2.1). Fehlen solche, kann sich der Vorwurf der Fahrlässigkeit auf allgemein anerkannte Verhaltensregeln privater oder halbprivater Vereinigungen (BGE 127 IV 62 E. 2d mit Hinweis) oder auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie den allgemeinen Gefahrensatz stützen (BGE 135 IV 56 E. 2.1).
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Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist zu fragen, ob der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen bzw. erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens wesentlich zu begünstigen (BGE 142 IV 237 E. 1.5.2; 138 IV 57 E. 4.1.3; 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen). Die Adäquanz ist zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers bzw. eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten der beschuldigten Person - in den Hintergrund drängen (BGE 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen). Das Verhalten eines Dritten vermag den Kausalzusammenhang nur zu unterbrechen, wenn diese Zusatzursache derart ausserhalb des normalen Geschehens liegt, derart unsinnig ist, dass damit nicht zu rechnen war (BGE 142 IV 237 E. 1.5.2).
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Die Straftat kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen (Art. 11 StGB) begangen werden. Voraussetzung ist in diesem Fall eine Rechtspflicht zur Vornahme der unterlassenen Handlung (Garantenstellung) sowie die Möglichkeit, diese Handlung vorzunehmen. Ein sog. unechtes Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn im Gesetz wenigstens die Herbeiführung des Erfolgs durch Tun ausdrücklich mit Strafe bedroht wird, der Beschuldigte durch sein Tun den Erfolg tatsächlich hätte abwenden können (Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts) und infolge seiner Garantenstellung dazu auch verpflichtet war, so dass die Unterlassung der Erfolgsherbeiführung durch aktives Tun als gleichwertig erscheint. Für die Annahme einer Garantenstellung genügt nicht jede, sondern nur eine qualifizierte Rechtspflicht (BGE 141 IV 249 E. 1.1 mit Hinweisen). Für die Frage der Vermeidbarkeit wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 140 II 7 E. 3.4; 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen).
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3.3.3. Die Pflichten zum Schutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz bzw. zur Unfallverhütung ergeben sich unter anderem aus Art. 328 Abs. 2 OR, Art. 82 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) sowie der Verordnung vom 19. Dezember 1983 über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV; SR 832.30). Nach Art. 328 Abs. 2 OR hat die Arbeitgeberin die zum Schutz von Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers notwendigen Massnahmen zu treffen. Hierzu gehört auch, dass sie vom Arbeitnehmer die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften verlangt und dies in angemessener Weise kontrolliert und notfalls durchsetzt (vgl. Art. 6 Abs. 3 VUV; Urteil 6B_1334/2019 vom 27. März 2020 E. 2.4.3).
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Regel 4 der sieben lebenswichtigen Regeln für Metallbauer der SUVA zur Bedienung von Industriekranen enthält nicht nur die für den Umgang mit Industriekranen einzuhaltenden Sicherheitsregeln, sondern beschreibt auch, was Inhalt der Kontrolle des Vorgesetzten des Kranführers sein soll. So soll kontrolliert werden, dass Krane und Anschlagsmittel nach Vorgaben des Betriebs und der Hersteller eingesetzt werden, sich die Mitarbeiter beim Arbeiten mit Kranen sicherheitsgerecht verhalten und Krane nur von berechtigten Personen bedient werden.
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3.4. Gestützt auf den Unfallrapport der SUVA und die von der C.________AG eingereichten Unterlagen durfte die Vorinstanz zwar willkürfrei davon ausgehen, dass eine Fehlmanipulation von B.A.________ an der Fernbedienung des Hallenkrans das Unfallgeschehen ausgelöst hatte und B.A.________ in Sicherheitsbelangen im Jahre 2011 und in der Handhabung des Hallenkrans im Jahre 2015 instruiert worden war. Indessen verletzt sie Bundesrecht und verfällt in Willkür, wenn sie gestützt auf die erwähnten Dokumente eine Untersuchung der bei der C.________AG gelebten Sicherheitskultur als nicht erforderlich bezeichnet. Dem Arbeitgeber obliegt nicht nur die Ausbildung und Instruktion des Arbeitnehmers, sondern auch die Überwachung und Kontrolle der Einhaltung der für die Arbeitsplatzsicherheit wesentlichen Regeln (vgl. E. 3.3.3). Das Strafrecht kennt keine Schuldkompensation (BGE 106 IV 58 E. 1; Urteil 6B_274/2019 vom 28. Februar 2020 E. 2.6). Das Fehlverhalten von B.A.________ schliesst deshalb eine Mitverantwortung der bei der C.________AG für die Einhaltung und Kontrolle der Sicherheitsvorschriften verantwortlichen Personen nicht aus. Aus dem von der Beschwerdegegnerin beigezogenen Unfallrapport der SUVA und den von der C.________AG eingereichten Dokumenten ergibt sich weder, wer bei der C.________AG in Bezug auf die Betriebssicherheit und Unfallverhütung die Verantwortung getragen hat, noch ob die betreffenden Personen dieser Verantwortung durch Vornahme der nötigen Aufsicht und Kontrolle ihrer Mitarbeiter nachgekommen sind. Aus dem Stillschweigen des Unfallrapports der SUVA zur Sicherheitskultur der C.________AG zu schliessen, Letzterer sei hinsichtlich Überwachung und Kontrolle der Einhaltung der für die betriebliche Sicherheit erforderlichen Vorschriften keine Pflichtverletzung vorzuwerfen, greift zu kurz. Gegenstand des Unfallrapports der SUVA war die Abklärung der (unmittelbaren) Unfallursache, hingegen nicht die Untersuchung der Einhaltung der der C.________AG obliegenden Kontroll- und Überwachungspflichten. Ebenso wenig kann aus der Zusammenarbeit der C.________AG mit dem ASA-Spezialisten D.________ bei der Information zur Arbeitssicherheit im Jahre 2011, beim eintägigen Kurs zur Handhabung des Hallenkrans im Jahre 2015 sowie bei der Erstellung der Weisung Nr. 04-13 vom 4. Juli 2013 betreffend zwingend einzuhaltender Arbeitssicherheitsbestimmungen (für welche kein Visum von B.A.________ dokumentiert ist) abgeleitet werden, die für die Betriebssicherheit verantwortlichen Personen bei der C.________AG seien ihren Überwachungs- und Kontrollpflichten nachgekommen, insbesondere als nach 2015 keine weitere Zusammenarbeit mit D.________ oder seiner Unternehmung dokumentiert ist. Allein der Umstand, dass B.A.________ an den beiden mehrere Jahre zurückliegenden Veranstaltungen teilgenommen hat und entsprechend in der Handhabung des Hallenkrans und der dabei einzuhaltenden Sicherheitsregeln instruiert worden ist, genügt zur Einhaltung der Überwachungs- und Kontrollpflicht grundsätzlich nicht (vgl. Urteil 6B_ 1334/2019 vom 27. März 2020 E. 2.5.2). Aus dem vorinstanzlichen Entscheid geht nicht hervor, in welchem Umfang B.A.________ nach seiner mehrere Jahre zurückliegenden, eintägigen Instruktion in der Handhabung des Hallenkrans für diese Tätigkeit eingesetzt wurde, ob er die erforderliche Erfahrung für diese Tätigkeit aufwies und ob sein Wissen zwischendurch aufgefrischt worden ist. Vor dem Hintergrund, dass sich B.A.________ gemäss Unfallrapport der SUVA im Gefahrenbereich aufgehalten hat, und unter Berücksichtigung von Regel 4 der sieben lebenswichtigen Regeln für Metallbauer, welche unter anderem auch Verhaltensregeln beim Transport von Lasten enthält, welche der Verhinderung von Unfällen mit pendelnden Lasten dienen, drängt sich die Frage auf, weshalb sich B.A.________ in diesem Gefahrenbereich aufgehalten und ob die Arbeitgeberin die notwendigen Unfallverhütungsmassnahmen getroffen hat. Die Untersuchung der Beschwerdegegnerin ist somit entgegen der Ansicht der Vorinstanz hinsichtlich der Pflichten der Arbeitgeberin, für die Kontrolle und Durchsetzung der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften besorgt zu sein, unvollständig, und die Vorinstanz verletzt Bundesrecht, wenn sie von einem klaren Fall von Straflosigkeit ausgeht. Inwiefern eine allfällige Übermüdung von B.A.________ zum Unfallgeschehen beigetragen haben könnte, ist in der weiteren Untersuchung zu klären. Ob B.A.________ ein derart schweres Selbstverschulden vorzuwerfen ist, dass jegliches Drittverschulden in den Hintergrund gedrängt und zur Unterbrechung des diesbezüglichen Kausalverlaufs führen würde, kann gestützt auf den aktuellen Stand der Abklärungen nicht zweifellos beantwortet werden.
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4. Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz sowie zur Fortführung der Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.
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Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Aargau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 16. Juni 2020 aufgehoben und die Sache an das Obergericht zur Neuregelung der Kosten- sowie Entschädigungsfolgen und an die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten zur Fortführung der Strafuntersuchung zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Der Kanton Aargau hat der Beschwerdeführerin eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 22. März 2021
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Schär
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