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Informationen zum Dokument  BGer 9C_666/2020  Materielle Begründung
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BGer 9C_666/2020 vom 13.04.2021
 
 
9C_666/2020
 
 
Urteil vom 13. April 2021
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin N. Möckli.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Advokat Pascal Riedo,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Progrès Versicherungen AG,
 
Recht & Compliance, Postfach, 8081 Zürich
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Krankenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 30. Juli 2020 (730 19 57 / 185).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Bei der 1992 geborenen, bei der Progrès Versicherungen AG obligatorisch krankenpflegeversicherten A.________ wurden ein zirkulär offener Biss, eine beginnende Arthrose des Kiefergelenks links und eine Diskusluxation das linke Kiefergelenk betreffend diagnostiziert. Der behandelnde Arzt Prof. Dr. med. Dr. med. dent. B.________, Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Spital C.________, stellte am 2. März 2018 bei der Progrès Versicherungen AG ein Gesuch um Kostenübernahme für eine bimaxilläre Umstellungsosteotomie nach kieferorthopädischer Vorbehandlung. Nach Rücksprache mit dem Vertrauensarzt Dr. med. Dr. med. dent. D.________, Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, lehnte die Progrès Versicherungen AG eine Kostenübernahme ab (Verfügung vom 22. August 2018, Einsprachentscheid vom 17. Januar 2019). Am   26. März 2019 unterzog sich die Versicherte dieser Operation.
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B. Gegen den Einspracheentscheid vom 17. Januar 2019 erhob A.________ Beschwerde. Diese wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 30. Juli 2020 ab, nachdem es bei  Dr. med. Dr. med. dent. E.________, Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, ein Gerichtsgutachten eingeholt hatte (Expertise vom 12. Oktober 2019, Ergänzung vom 22. März 2020).
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 30. Juli 2020 sei aufzuheben und es sei die Progrès Versicherungen AG zu verpflichten, die Kosten der kieferorthopädischen/-chirurgischen Behandlung zu übernehmen. Eventualiter sei die Angelegenheit zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
1. Auch wenn die Beschwerdeführerin die Operation mittlerweile hat durchführen lassen, hat sie weiterhin ein aktuelles und praktisches Interesse an der Kostenübernahme durch die Beschwerdegegnerin. Das schutzwürdige Interesse an der Aufhebung respektive Abänderung des angefochtenen Entscheides besteht nach wie vor (Art. 89 Abs. 1 BGG; Urteil 9C_246/2020 vom 4. März 2021 E. 1). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist einzutreten.
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2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
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3. 
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3.1. Strittig ist, ob die Kosten für die kieferorthopädische Vorbehandlung mit anschliessender bimaxillärer Umstellungsosteotomie von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind.
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3.2. Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Grundlagen über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für ärztliche (Art. 25 ff. KVG) und zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit   Art. 33 lit. d KVV [SR 832.102] sowie Art. 17 - 19a der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung [Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31]) sowie die diesbezügliche Rechtsprechung, insbesondere zur Abgrenzung der zahnärztlichen von der ärztlichen Behandlung (BGE 128 V 143 E. 4b und c S. 145 f.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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4. 
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4.1. Die Vorinstanz stellte fest, bei der Beschwerdeführerin bestehe bzw. habe ein zirkulär offener Biss (Dysgnathie), eine leichte Kiefergelenksarthrose links und eine Diskusluxation am linken Kiefergelenk bestanden. Die kieferorthopädische Vorbehandlung mit anschiessend bimaxillärer Umstellungsosteotomie diene der Einstellung des Bisses und Verbesserung der Kaufunktion, aber nicht der Entlastung der Kiefergelenke und Kiefermuskeln. Es liege daher eine zahnärztliche Behandlung vor. Mangels Krankheitswert der Kiefergelenksarthrose und ausgewiesener Wirksamkeit der Behandlung hinsichtlich der Diskusluxation sei die Beschwerdegegnerin nicht leistungspflichtig.
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4.2. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen im Wesentlichen vor, es sei nicht nur die Dysgnathie, sondern auch die Osteoarthrose und anteriore Diskusluxation des linken Kiefergelenks zu behandeln gewesen. Es handle sich um eine ärztliche Behandlung. Selbst wenn eine zahnärztliche Behandlung angenommen würde, bestehe eine Kostenübernahmepflicht. Denn aufgrund der im Gutachten beschriebenen Beschwerden könne der Kiefergelenksarthrose der Krankheitswert nicht ohne Weiteres abgesprochen werden. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Behandlung verweist die Beschwerdeführerin auf das Gutachten vom 12. Oktober 2019, wonach die Mehrzahl der Publikationen auf eine klare Besserung der Kiefergelenksproblematiken nach orthognather Chirurgie hindeuten würden. Indem die Vorinstanz von dem durch sie als beweiskräftig angesehenen Gutachten ohne triftige Gründe abgewichen sei, habe sie Bundesrecht verletzt.
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5. 
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5.1. Die bimaxilläre Umstellungsosteotomie setzt unbestrittenermassen am Kiefer, d.h. ausserhalb des Kausystems an. Gemäss dem Gerichtsgutachten des Dr. med. Dr. med. dent. E.________ vom 12. Oktober 2019 war der Hauptgrund für diese Behandlung die Stabilisierung des Bisses. Er legte dar, die in den Akten (vor der Operation am 26. März 2019) ausgewiesene eingeschränkte Kaufunktion liege nicht mehr vor. Auch Prof. Dr. med. Dr. med. dent. B.________ nannte im Kostengutsprachegesuch vom 2. März 2018, mit der vorgesehenen Massnahme solle die Zahnstellung (Malokklusion) korrigiert sowie eine Weiterentwicklung der bereits ausgeprägten Zahnschäden vermieden werden. Es ist somit nicht bundesrechtswidrig, dass das kantonale Gericht zum Schluss gekommen ist, die vorgesehene Behandlung habe bezweckt, den Fehlbiss zu korrigieren und die Kaufunktion zu verbessern.
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5.2. Der Gutachter legte aber auch dar, die Okklusionsverbesserung allein könne zu einer Verringerung der Kiefergelenksbeschwerden führen. Vergleichbares erwähnte auch schon Prof. Dr. med. Dr. med. dent. B.________ im Kostengutsprachegesuch, indem er ausführte, die vorgesehenen Massnahmen würden die Kiefergelenke, welche bereits strukturelle Veränderungen aufweisten, markant entlasten. Entgegen dem vorinstanzlichen Entscheid kann daher mit Verweis auf das Kostengutsprachegesuch nicht begründet werden, die therapeutische Zielsetzung umfasse die Entlastung der Kiefergelenke und Kiefermuskeln nicht.
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5.3. Zu beachten ist jedoch, dass nach den Angaben im Gutachten Kiefergelenksbeschwerden grundsätzlich konservativ behandelt werden. Dies ist mit Blick auf die Ausführungen der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft (SSO; A tlas der Erkrankungen mit Auswirkungen auf das Kausystem, 3. Aufl. 2018, S. 50 und 52) nachvollziehbar. Die diesbezüglichen vorinstanzlichen Feststellungen werden von der Beschwerdeführerin denn auch nicht beanstandet. Der Gutachter hielt weiter fest, eine chirurgische Behandlung müsse möglich sein, sofern Kiefergelenksbeschwerden bei Vorliegen einer Dysgnathie nach einer adäquaten konservativen Therapie weiter bestehen. Diese Subsidiarität der operativen Behandlung leuchtet mit Blick auf Art. 56 Abs. 1 KVG ein, wonach Leistungen auf das erforderliche Mass beschränkt sind und solchen, die darüber hinausgehen, die Vergütung zu verweigern ist (Urteil 9C_41/2020 vom 17. Juni 2020 E. 3.2).
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5.4. Gemäss den Ausführungen des Gutachters wurde vorliegend die Richtigstellung der Okklusion vor der Behandlung des Kiefergelenks angegangen. Die Indikation der Operation ist daher in der Behandlung des Kauapparates zu sehen. Von Seiten der Kiefergelenksbeschwerden war hingegen eine Operation - unabhängig der wissenschaftlichen Evidenz der Behandlungsmethode - (noch) nicht angezeigt. Die kieferorthopädische Vorbehandlung mit anschliessender bimaxillärer Umstellungsosteotomie ist daher hier als zahnärztliche Behandlung zu qualifizieren.
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6. 
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6.1. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt die Kosten der zahnärztlichen Behandlung, wenn diese durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems bedingt ist (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG). In Art. 17 KLV werden die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung unter diesem Titel zu übernehmenden Erkrankungen abschliessend aufgezählt (vgl. BGE 128 V 135 E. 2c  S. 136, insb. mit Hinweis auf BGE 124 V 185), dazu gehören insbesondere Erkrankungen des Kiefergelenks und des Bewegungsapparates im Sinne einer Kiefergelenksarthrose oder einer Kondylus- und Diskusluxation (Art. 17 lit. d Ziff. 1 und 3 KLV). Die zahnärztliche Behandlung einerseits und die Erkrankungen andererseits haben, wie das Wort "bedingt" anzeigt, in einer Wechselwirkung zu stehen. Die von der sozialen Krankenversicherung zu übernehmenden zahnärztlichen Behandlungen müssen die Folge und die bestimmten Erkrankungen die Ursache sein (vgl. BGE 128 V 143 E. 4a S. 145; 128 V 135 E. 5 S. 139).
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6.2. Dr. med. Dr. med. dent. E.________ äusserte sich im Gutachten vom 12. Oktober 2019 lediglich in allgemeiner Weise zur Ursache des anterioren offenen Bisses und der dadurch bedingten Einschränkung der Kaufähigkeit. In seiner Ergänzung vom 22. März 2020 präzisierte er, dass bei der Beschwerdeführerin kein infantiles Schluckmuster im Sinne von Art. 17 lit. f Ziff. 2 KLV zur Dysgnathie geführt habe. Entsprechend verneinte die Vorinstanz eine Leistungspflicht nach Art. 17 lit. f KLV, was in der Beschwerde nicht weiter gerügt wird. Aus den übrigen Akten ergibt sich im Übrigen (Art. 105 Abs. 2 BGG), dass der Fehlbiss bei der Beschwerdeführerin nicht auf die Erkrankungen am Kiefergelenk zurückzuführen ist. So legte Prof. Dr. med. Dr. med. dent. B.________ im Bericht vom 19. September 2018 dar, es gebe Fälle, bei denen durch eine eigenständige Erkrankung des Kiefergelenks ein Höhenverlust im Bereich des Unterkiefers eintrete, der aufgrund einer Zerstörung von Knochensubstanz im Bereich des Kieferköpfchens zu einem offenen Biss führe. Eine solche Situation liege bei der Beschwerdeführerin jedoch nicht vor und das Kiefergelenk sei als Ursache für den offenen Biss als nicht relevant anzusehen. Der Vertrauensarzt der Beschwerdegegnerin Dr. med. Dr. med. dent. D.________ führte zudem aus, dass auch kein direkter Zusammenhang zwischen dem offenen Biss und der Diskusluxation links im Sinne von Art. 17  lit. d Ziff. 3 KLV bestehe, sondern es sich bei letzterem um eine eigenständige Erkrankung des Kiefergelenks handle (Stellungnahmen vom 13. Juni 2018 und 11. August 2018). Die Arthrose und die Diskusluxation des Kiefergelenks sind somit nicht ursächlich für die Schädigungen, die mit der zahnärztlichen Behandlung (Korrektur des Fehlbisses) angegangen wurden. Die Beschwerdegegnerin ist daher nicht nach Art. 17 lit. d KLV leistungspflichtig.
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6.3. Nach dem Gesagten verletzt der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis kein Bundesrecht, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
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7. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 13. April 2021
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli
 
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