BGer 1B_142/2021 | |||
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BGer 1B_142/2021 vom 15.04.2021 |
1B_142/2021 |
Urteil vom 15. April 2021 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
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Bundesrichter Haag, Müller,
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Gerichtsschreiber Härri.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Stephan A. Buchli,
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gegen
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Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, Abteilung qualifizierte Wirtschaftsdelikte und internationale Rechtshilfe, Weststrasse 70, Postfach 9717, 8036 Zürich.
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Gegenstand
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Untersuchungshaft,
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 16. Februar 2021 (UB210026-O/U/GRO).
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Sachverhalt: | |
A. Die Staatsanwaltschaft III der Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen den italienischen Staatsangehörigen A.________ wegen des Verdachts insbesondere des gewerbsmässigen Betrugs. Sie wirft ihm vor, er habe wertlose Aktien zu einem Fantasiepreis an zahlreiche Investoren verkaufen lassen.
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B. Am 26. Februar 2019 nahm die Polizei A.________ fest. Anschliessend versetzte ihn das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich in Untersuchungshaft. Diese verlängerte es in der Folge mehrmals, letztmals am 19. Januar 2021 bis zum 19. April 2021.
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Die von A.________ gegen diese letzte Haftverlängerung erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) mit Beschluss vom 16. Februar 2021 ab. Es bejahte nebst dem dringenden Tatverdacht Fluchtgefahr. Ebenso wäre seines Erachtens wohl Kollusionsgefahr anzunehmen gewesen. Mildere Ersatzmassnahmen anstelle der Haft erachtete es als untauglich. Deren Dauer beurteilte es als verhältnismässig.
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C. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben. Er sei, eventualiter unter Anordnung von Ersatzmassnahmen, umgehend aus der Haft zu entlassen. Subeventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen.
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D. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen. A.________ hat repliziert.
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Erwägungen: | |
1. Gegen den angefochtenen Beschluss ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Der angefochtene Beschluss stellt einen Zwischenentscheid dar, der dem Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verursachen kann. Die Beschwerde ist daher auch insoweit zulässig. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind grundsätzlich ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist - unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - einzutreten.
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2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihren Entscheid ungenügend begründet und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.
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Der Einwand ist unbegründet. Die Vorinstanz legt einlässlich und nachvollziehbar dar, weshalb sie die Untersuchungshaft als zulässig ansieht. Der Beschwerdeführer war denn auch ohne Weiteres in der Lage, ihren Entscheid sachgerecht anzufechten. Die Vorinstanz musste sich nicht mit jedem tatsächlichen und rechtlichen Einwand im Einzelnen auseinandersetzten. Wenn sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränkt hat, ist das nicht zu beanstanden (BGE 143 III 65 E. 5.2; 139 IV 179 E. 2.2; je mit Hinweisen). Dasselbe gilt, soweit sie zur Begründung auf einen von ihr in der vorliegenden Angelegenheit gefällten früheren Haftentscheid verweist. Ein derartiger Verweis ist zulässig (BGE 123 I 31 E. 2; Urteil 1B_45/2021 vom 2. März 2021 E. 2.2 mit Hinweisen).
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3. Soweit der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz sei in Willkür verfallen und habe insbesondere den Sachverhalt offensichtlich unrichtig bzw. unvollständig festgestellt, beschränkt er sich auf appellatorische Kritik. Darauf ist nicht einzutreten (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
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4.
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4.1. Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungshaft zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie (a) sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht, oder (b) Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (...).
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Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Er macht geltend, es fehle an der Fluchtgefahr.
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4.2. Ob Fluchtgefahr besteht, ist nach der Rechtsprechung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände zu beurteilen. Zu berücksichtigen sind insbesondere der Charakter des Beschuldigten, seine moralische Integrität, seine finanziellen Mittel, seine Verbindungen zur Schweiz, seine Beziehungen zum Ausland und die Höhe der ihm drohenden Strafe. Die Umstände müssen die Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen (BGE 145 IV 503 E. 2.2 mit Hinweisen).
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4.3. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschwerdeführer vor, über mehrere Jahre hinweg zwecks Finanzierung seines gehobenen Lebensstils zahlreiche Kleinanleger zum Kauf wertloser Aktien veranlasst zu haben. Der mutmassliche Deliktsbetrag beläuft sich auf insgesamt rund 15 Millionen Euro und ist damit ausserordentlich hoch. Art. 146 Abs. 2 StGB droht für gewerbsmässigen Betrug Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren an. Wie die Staatsanwaltschaft in der Vernehmlassung darlegt, wird sie voraussichtlich eine Strafe im oberen Drittel des Strafrahmens beantragen. Ob dies angemessen ist, ist hier nicht zu beurteilen. Es genügt die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen eine empfindliche Freiheitsstrafe droht, welche die Dauer der bisher erstandenen Untersuchungshaft von etwas mehr als zwei Jahren deutlich übersteigt. Entsprechend besteht ein erheblicher Fluchtanreiz.
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Der Beschwerdeführer ist italienischer Staatsangehöriger. Er war international als Geschäftsmann tätig und lebte vor seiner Verhaftung mehrere Jahre sowohl in Spanien als auch den Vereinigten Arabischen Emiraten. Seinen Lohn liess er sich in diese beiden Länder auszahlen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gründete er eine Gesellschaft, was zur Erteilung der dortigen Aufenthaltsbewilligung führte. Auch in Italien ist er Inhaber einer Gesellschaft. In Wien hat er sodann zwei Eigentumswohnungen. Seine geschäftliche Tätigkeit ist nicht ortsgebunden. Er kann sie überall ausüben und braucht dafür nur ein Telefon sowie einen Internetanschluss. Bei einer Flucht in sein Heimatland hätte er keine Überstellung an die schweizerischen Behörden zu befürchten, da Italien unstreitig keine eigenen Staatsangehörigen hierher ausliefert.
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Zwar ist der Beschwerdeführer in der Schweiz aufgewachsen. Verwurzelt ist er hier jedoch nicht. Der Mietvertrag für eine von ihm in der Schweiz bei seinen hiesigen Aufenthalten genutzte Wohnung wurde aufgelöst. Er hat hier kein Vermögen, sondern Schulden im Betrag von ca. Fr. 60'000.-- bis 70'000.--. Von seiner Ehefrau lebte er getrennt und die Ehe steht vor der Scheidung. Zwar hat er mit der Ehefrau eine gemeinsame Tochter. Das Zivilgericht beabsichtigt, die Obhut über die Tochter zwischen der Ehefrau und dem Beschwerdeführer zu teilen. Es forderte ihn auf, dafür Wohnsitz in der Schweiz zu nehmen. Dies tat er jedoch nicht.
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Würdigt man dies gesamthaft, bestehen erhebliche Anhaltspunkte für Fluchtgefahr. Wenn die Vorinstanz diesen Haftgrund bejaht hat, verletzt das daher kein Bundesrecht.
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4.4. Da ein einziger Haftgrund genügt, kann offenbleiben, ob zusätzlich Kollusionsgefahr gegeben sei.
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5. Die Fluchtgefahr ist als ausgeprägt einzustufen. Mildere Ersatzmassnahmen nach Art. 237 StPO, welche sie hinreichend bannen könnten, sind nicht erkennbar. Die vom Beschwerdeführer angeregte Ausweis- und Schriftensperre ist bei ausländischen Staatsangehörigen kaum wirksam, da die schweizerischen Behörden den ausländischen nicht verbieten können, dem Beschuldigten neue Reisepapiere auszustellen (Urteil 1B_181/2013 vom 4. Juni 2013 E. 3.3.2). Im Übrigen finden im Schengenraum grundsätzlich keine Personenkontrollen statt, weshalb insoweit die Grenze auch ohne Ausweispapiere leicht überschritten werden kann (BGE 145 IV 503 E. 3.2). Mit einer elektronischen Fussfessel kann die Flucht derzeit nur im Nachhinein festgestellt werden (BGE 145 IV 503 E. 3.3, Urteil 1B_574/2020 vom 3. Dezember 2020 E. 6.2). Die elektronische Fussfessel ist hier ebenfalls als ungenügend anzusehen, zumal der Beschwerdeführer nicht darlegt und nicht ersichtlich ist, wo er in der Schweiz in Hausarrest gesetzt werden könnte. Seine hier von ihm früher genutzte Wohnung steht ihm, wie dargelegt, nicht mehr zur Verfügung.
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6.
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6.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Dauer der Untersuchungshaft sei nicht mehr verhältnismässig.
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6.2. Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Nach Art. 212 Abs. 3 StPO dürfen deshalb Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe, wobei nach ständiger Praxis bereits zu vermeiden ist, dass die Haftdauer in grosse Nähe zur zu erwartenden Freiheitsstrafe rückt (BGE 145 IV 179 E. 3.1 mit Hinweisen). Bei der Prüfung der zulässigen Haftdauer ist die Möglichkeit der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug gemäss Art. 86 StGB grundsätzlich ausser Acht zu lassen (BGE 145 IV 179 E. 3.4; 143 IV 160 E. 4.2; je mit Hinweisen).
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6.3. Wie dargelegt, muss der Beschwerdeführer mit einer Freiheitsstrafe rechnen, welche die Dauer der bisher erstandenen Haft deutlich übersteigt. Die Haft ist daher nach wie vor verhältnismässig. Dass hier Umstände gegeben seien, die es nahelegen könnten, ausnahmsweise die Möglichkeit der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug zu berücksichtigen, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist nicht ersichtlich.
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Soweit der Beschwerdeführer der Staatsanwaltschaft eine Missachtung des Beschleunigungsgebots vorwirft, kann er daraus im vorliegenden Zusammenhang nichts herleiten. Nach der Rechtsprechung ist die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der gebotenen Beschleunigung geführt, im Haftprüfungsverfahren nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen (BGE 140 IV 74 E. 3.2; 137 IV 92 E. 3.1; 128 I 149 E. 2.2.1; je mit Hinweisen). Eine besonders schwer wiegende Verfahrensverzögerung macht der Beschwerdeführer nicht substanziiert geltend und ist nicht auszumachen. Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft nicht gewillt oder in der Lage wäre, das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen. Eine Haftentlassung kommt daher auch insoweit nicht in Betracht. Ob überhaupt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegt, wird gegebenenfalls das Sachgericht zu beurteilen haben.
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7. | |
7.1. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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7.2. Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gemäss Art. 64 BGG. Danach befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten (...), sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Abs. 1). Wenn es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, bestellt das Bundesgericht der Partei einen Anwalt oder eine Anwältin. Der Anwalt oder die Anwältin hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung aus der Gerichtskasse, soweit der Aufwand für die Vertretung nicht aus einer zugesprochenen Parteientschädigung gedeckt werden kann (Abs. 2).
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Nach der Rechtsprechung obliegt es grundsätzlich dem Gesuchsteller, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzulegen und soweit wie möglich zu belegen. Dabei dürfen umso höhere Anforderungen an eine umfassende und klare Darstellung der finanziellen Situation gestellt werden, je komplexer die finanziellen Verhältnisse sind. Kommt der Gesuchsteller seinen Obliegenheiten nicht nach, ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (BGE 125 IV 161 E. 4a mit Hinweisen).
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Wie dargelegt, war der Beschwerdeführer lange international als Geschäftsmann tätig. Im Ausland gehören ihm Gesellschaften und Wohnungen. Seine Vermögensverhältnisse sind unübersichtlich. Er hätte sich daher nach der dargelegten Rechtsprechung eingehend dazu äussern müssen. Das tut er nicht. Er begnügt sich mit dem Hinweis, er habe während der Haft kein Einkommen erzielen und daher kein Vermögen äufnen können. Damit begründet er seine Bedürftigkeit nicht hinreichend. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann schon deshalb nicht bewilligt werden. Ob die weitere Voraussetzung der mangelnden Aussichtslosigkeit der Beschwerde erfüllt gewesen wäre, kann offenbleiben.
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Der Beschwerdeführer trägt damit die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft III und dem Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 15. April 2021
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Kneubühler
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Der Gerichtsschreiber: Härri
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