BGer 1B_206/2021 | |||
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BGer 1B_206/2021 vom 18.05.2021 |
1B_206/2021 |
Urteil vom 18. Mai 2021 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
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Bundesrichter Müller, Merz,
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Gerichtsschreiber Dold.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Diego Reto Gfeller,
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gegen
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Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
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Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich.
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Gegenstand
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Haftentlassung,
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Beschwerde gegen die Präsidialverfügung
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des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer,
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vom 31. März 2021 (SB190142-O/Z1).
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Sachverhalt: | |
A. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat führte gegen A.________ eine Strafuntersuchung. Am 28. April 2016 wurde er festgenommen und in Untersuchungshaft gesetzt. Am 19. Januar 2018 wurde ihm der vorzeitige Strafvollzug bewilligt. Mit Urteil vom 18. Dezember 2018 verurteilte ihn das Bezirksgericht Zürich wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren, unter Anrechnung von 631 Tagen Untersuchungshaft, und zu einer Geldstrafe. Dagegen erhob er Berufung. Mit Urteil vom 6. Oktober 2020 bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich im Wesentlichen die erstinstanzlich ausgefällte Strafe. Gegen dieses Urteil hat A.________ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht erhoben (Verfahren 6B_1416/2020). Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
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Am 22. März 2021 ersuchte A.________ um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug. Das Obergericht wies das Gesuch mit Präsidialverfügung vom 31. März 2021 ab.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 26. April 2021 beantragt A.________ im Wesentlichen, die Präsidialverfügung des Obergerichts sei aufzuheben und er selbst sei unter Anordnung von Ersatzmassnahmen aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen. Eventualiter sei er in den offenen Strafvollzug zu versetzen, subeventualiter unter Anordnung von Ersatzmassnahmen.
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Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet, die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen.
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Erwägungen: | |
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass (vgl. das ebenfalls den Beschwerdeführer betreffende Urteil 1B_264/2020 vom 17. Juni 2020 E. 1 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
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2. Der Beschwerdeführer befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Dies hindert ihn nicht daran, ein Gesuch um Haftentlassung zu stellen. Auf Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug hin ist zu prüfen, ob die Haftvoraussetzungen gegeben sind (BGE 143 IV 160 E. 2.3; 139 IV 191 E. 4.1 f.; 117 Ia 72 E. 1d; je mit Hinweisen).
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Nach Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Abs. 1 lit. a). An ihrer Stelle sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 ff. StPO).
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Das Obergericht bejahte den dringenden Tatverdacht. Zudem ging es von Fluchtgefahr aus. Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Hingegen ist er der Auffassung, es gebe keine Fluchtgefahr. Auch habe das Obergericht die Begründungspflicht verletzt, indem es die Möglichkeit der bedingten Entlassung ohne Weiteres unberücksichtigt gelassen habe. Weshalb eine Kombination von Ersatzmassnahmen nicht ausreichen sollte, werde im angefochtenen Entscheid ebenfalls nicht dargelegt. Indem sich das Obergericht auf den Standpunkt stelle, eine vom Gesetzgeber explizit vorgesehene Ersatzmassnahme sei per se untauglich, verletze sie den Grundsatz der Gewaltenteilung.
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3. Die Rüge der Verletzung der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV) ist unbegründet. Das Obergericht legte dar, weshalb im vorliegenden Fall die Möglichkeit der bedingten Entlassung nicht zu berücksichtigen sei. Auch legte es dar, weshalb es Ersatzmassnahmen im vorliegenden Fall als unzureichend erachtet. Dass es sich auf den Standpunkt stellte, Ersatzmassnahmen seien generell untauglich, trifft nicht zu. Seine Ausführungen erlaubten es dem Beschwerdeführer, den angefochtenen Entscheid sachgerecht anzufechten. Eine Verletzung der Begründungspflicht ist somit zu verneinen (vgl. BGE 143 III 65 E. 5.2 mit Hinweisen).
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4. | |
4.1. Die Annahme von Fluchtgefahr setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus, dass die beschuldigte Person sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entziehen könnte. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der drohenden Strafe ist zwar ein Indiz für Fluchtgefahr, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland. Selbst bei einer befürchteten Reise in ein Land, welches die beschuldigte Person grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt in der Regel mit zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer ab, da sich auch die Dauer des allenfalls noch zu verbüssenden strafrechtlichen Freiheitsentzugs mit der bereits geleisteten prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe anzurechnen wäre (Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (zum Ganzen: BGE 145 IV 503 E. 2.2; 143 IV 160 E. 4.3; je mit Hinweisen).
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4.2. Das Bundesgericht hat sich im hängigen Strafverfahren mit der vom Beschwerdeführer ausgehenden Fluchtgefahr bereits im Urteil 1B_264/2020 vom 17. Juni 2020 ausführlich auseinandergesetzt (a.a.O., E. 5 und 6). Es berücksichtigte, dass der Beschwerdeführer aufgrund der (damals) erstinstanzlichen Verurteilung im für ihn schlechtesten Fall mit weiteren knapp sieben Jahren Freiheitsentzug rechnen müsse. Dabei handle es sich um eine Haftdauer, die bei entsprechender Gelegenheit zu einem Untertauchen motivieren könnte. Die Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe (Art. 86 StGB) sei im Haftprüfungsverfahren grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, es sei denn, es gebe konkrete Anhaltspunkte für eine in hohem Masse wahrscheinliche bedingte Entlassung, was jedoch zeitlich noch zu weit entfernt sei, als dass sich das ausreichend beurteilen liesse. Gestützt auf die weiteren Feststellungen des Obergerichts kam es zum Schluss, dass eine erhebliche Fluchtgefahr bestehe: Das Obergericht hatte dargelegt, dass der Beschwerdeführer vor seiner Verhaftung einen regen Auslandskontakt, insbesondere nach Spanien und Brasilien, gepflegt und im Ausland auch über Vermögen verfügt habe sowie geschäftlich tätig gewesen sei. Eine Lebenspartnerin in der Schweiz habe er nicht, wohl aber eine Freundin in Brasilien. Über eine Ausbildung verfüge er nicht, auch wenn er ein konkretes Jobangebot habe. Er müsse jedoch mit einer Ersatzforderung des Kantons Zürich im Betrag von einer Million Franken für unrechtmässig erlangten Vermögensvorteil rechnen.
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Insgesamt erachtete das Bundesgericht die Fluchtgefahr für zu hoch, als dass sie mit Ersatzmassnahmen - ob einzeln oder in Kombination - hätte gebannt werden können. Es wies jedoch darauf hin, dass dem Beschleunigungsgebot besondere Beachtung zu schenken und weitere Verzögerungen zu vermeiden seien.
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4.3. Soweit der Beschwerdeführer Umstände geltend macht, mit denen sich das Bundesgericht bereits auseinandergesetzt hat, kann auf diese Erwägungen verwiesen werden. Dies betrifft insbesondere die von ihm wiederum vorgebrachte Möglichkeit der bedingten Entlassung. Das mittlerweile ergangene Berufungsurteil sieht, gleich wie das erstinstanzliche Urteil, eine Freiheitsstrafe von 11 Jahren vor. Dies bedeutet, dass der Beschwerdeführer zum heutigen Zeitpunkt immerhin noch mit einem Freiheitsentzug von sechs Jahren rechnen muss und die Haftdauer erst in über zwei Jahren zwei Drittel der drohenden Freiheitsstrafe erreicht haben wird.
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Zur Entwicklung des Verfahrens seit der letzten Beurteilung durch das Bundesgericht macht der Beschwerdeführer geltend, die Beziehung zu seiner Freundin in Brasilien gehöre der Vergangenheit an; sie habe geheiratet und ein Kind bekommen. Abgesehen davon, dass diese Behauptung ein Novum darstellt, das im bundesgerichtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG), wird sie nicht weiter belegt. Auch beim Schreiben des Gefängnisseelsorgers vom 24. April 2021, das der Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren eingereicht hat, handelt es sich um ein solches Novum. Im Übrigen würde es an der Einschätzung der Fluchtgefahr nichts Entscheidendes ändern, selbst wenn es berücksichtigt werden könnte. Schliesslich erweist sich auch der Vorwurf, das Obergericht habe in willkürlicher Weise festgestellt, dass er ein Restaurant bzw. einen Club in Brasilien betrieben habe, als unbegründet (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG). Aus der Stelle im Berufungsurteil, auf die der Beschwerdeführer diesbezüglich verweist, geht jedenfalls nichts dergleichen hervor.
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Insgesamt ist die Bejahung der Fluchtgefahr durch das Obergericht auch ein Jahr nach der letzten Beurteilung durch das Bundesgericht nicht zu beanstanden. Ersatzmassnahmen erscheinen nach wie vor unzureichend, auch in der vom Beschwerdeführer vorgeschlagenen Kombination (Ausweis- und Schriftensperre, Meldepflicht und Electronic Monitoring). Hieraus ergibt sich weiter, dass der vom Beschwerdeführer eventualiter beantragte offene Strafvollzug wegen der bestehenden Fluchtgefahr nicht in Frage kommt (vgl. Art. 236 Abs. 4 StPO, wonach die beschuldigte Person im vorzeitigen Strafvollzug nur insofern dem Vollzugsregime untersteht, als der Zweck der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht; vgl. dazu auch BGE 133 I 270 E. 3.3.2).
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5. Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
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Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG; vgl. Urteil 1B_264/2020 vom 17. Juni 2020 E. 7).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
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2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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2.2. Rechtsanwalt Dr. Diego Reto Gfeller wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt.
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3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 18. Mai 2021
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Kneubühler
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Der Gerichtsschreiber: Dold
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