BGer 2C_396/2021 | |||
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BGer 2C_396/2021 vom 27.05.2021 | |
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2C_396/2021 |
Urteil vom 27. Mai 2021 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Seiler, Präsident,
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Bundesrichterin Aubry Girardin,
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Bundesrichter Hänni,
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Gerichtsschreiber Hugi Yar.
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Verfahrensbeteiligte | |
1. A.________,
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2. B.________,
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Beschwerdeführer, beide vertreten durch
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Rechtsanwältin Magda Zihlmann,
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gegen
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Migrationsamt des Kantons Zürich,
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Berninastrasse 45, 8090 Zürich,
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Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, 8090 Zürich.
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Gegenstand
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Aufenthaltsbewilligung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 18. März 2021 (VB.2020.00416).
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Sachverhalt: | |
A.
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B.________ (geb. 1962) ist Bürgerin von Bosnien-Herzegowina mit Niederlassungsbewilligung in der Schweiz. Sie ersuchte am 11. Oktober 2019 darum, ihren im Kosovo lebenden Vater A.________ (geb. 1935; Staatsangehöriger von Montenegro) in die Schweiz nachziehen zu können.
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B.
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Das Migrationsamt des Kantons Zürich lehnte das Familiennachzugsgesuch am 4. Dezember 2019 ab. Die hiergegen gerichteten kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Entscheid der Sicherheitsdirektion vom 13. Mai 2020 und Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2021).
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C.
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A.________ und B.________ beantragen vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. März 2021 aufzuheben und die beantragte Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Es wurden keine Instruktionsmassnahmen getroffen.
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Erwägungen: |
1. | |
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten genügt ein potenzielles Recht, das in vertretbarer Weise geltend gemacht werden kann (BGE 139 I 330 E. 1.1).
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1.2. Drittstaatsangehörige haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Familiennachzug, wenn sie nicht Teil der Kernfamilie bilden, deren schweizerische oder niedergelassene Mitglieder ihnen ein entsprechendes Recht verschaffen (Art. 42 ff. AIG). Der Beschwerdeführer macht geltend, gestützt auf Art. 8 EMRK über einen Anspruch auf Familiennachzug zu seiner hier niederlassungsberechtigten Tochter zu verfügen, da er in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dieser stehe (vgl. das Urteil 2C_546/2013 vom 5. Dezember 2013 E. 1.1.2). Ob dies der Fall ist, bildet eine Frage der materiellen Beurteilung und keine solche des Eintretens (BGE 139 I 330 E. 1.1). Da auch alle übrigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich an die Hand zu nehmen (Art. 42, 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d, 89 Abs. 1, 100 Abs. 1 BGG; vgl. das Urteil 2C_867/2016 vom 30. März 2017 E. 1).
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1.3. Ob die kantonalen Behörden den Familiennachzug in Anwendung von Art. 28 AIG hätten bewilligen müssen, kann das Bundesgericht indessen nicht prüfen, da sich seine Zuständigkeit auf
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2. | |
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG); es prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die vorgebrachten Argumente, falls weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2; 136 II 304 E. 2.5). Das Bundesgericht ist an den Sachverhalt gebunden, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser erweise sich in einem entscheidwesentlichen Punkt als offensichtlich falsch oder unvollständig (BGE 142 I 135 E. 1.6; 133 II 249 E. 1.4.3).
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2.2. Inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung und die Sachverhaltsfeststellung klarerweise unhaltbar sein sollen, muss in der Beschwerdeschrift detailliert aufgezeigt werden (BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen; 134 II 244 E. 2.2). Es genügt dabei nicht, lediglich einzelne Elemente aufzugreifen, die anders als im angefochtenen Entscheid hätten gewichtet werden können, und dem Bundesgericht in appellatorischer Kritik diesbezüglich bloss die eigene Auffassung zu unterbreiten, ohne darzutun, dass und inwiefern der Sachverhalt in Verletzung von Art. 9 BV festgestellt worden ist bzw. die Beweiswürdigung sich als offensichtlich fehlerhaft erweist (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3; 116 Ia 85 E. 2b). Soweit die Ausführungen der Beschwerdeführer diesen Vorgaben nicht genügen, ist darauf nicht weiter einzugehen.
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3. | |
3.1. Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantiert grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufenthalt in einem Konventionsstaat (BGE 137 I 247 E. 4.1.1; Urteil des EGMR
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3.2. Im Unterschied zu den Mitgliedern der Kernfamilie, welche aufgrund eines gemeinsamen Lebensplans (Ehe bzw. Kindsverhältnis) grundsätzlich zusammengehören und demzufolge gestützt auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK einen Anspruch auf Zusammenführung (landesrechtlich umgesetzt in Art. 42 ff. AuG) geltend machen können, muss beim erweiterten Familienbegriff eine besonders enge Beziehung
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3.3. Der erweiterte Familienbegriff im Sinn von Art. 8 Ziff. 1 EMRK ist auf die Situation zugeschnitten, dass durch die Wegweisung einer ausländischen Person, welche in qualifizierter Weise von hier ansässigen nahen Verwandten abhängig ist, das Familienleben vereitelt würde. Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern wird praxisgemäss nicht leichthin angenommen. Allein das Vorliegen eines Pflege- und Betreuungsbedürfnisses reicht hierzu noch nicht aus; erforderlich ist zusätzlich, dass die betreffende Pflege und Betreuung unabdingbar von den in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Angehörigen erbracht werden muss (vgl. die Urteile 2C_757/2019 vom 21. April 2020 E. 2.2.1; 2C_401/2017 vom 26. März 2018 E. 5.3.1; 2C_5/2017 E. 2; 2C_546/2013 vom 5. Dezember 2013 E. 4.1). Die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern fällt nur unter den Schutz von Art. 8 Ziff. 1 EMRK wenn sie
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4. | |
4.1. Die Vorinstanz hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung zutreffend wiedergegeben. Auch ihre Subsumption ist nicht zu beanstanden: Der Beschwerdeführer hat nach dem Tod seiner Gattin im September 2016 weiter in seinem Haus im Kosovo gelebt. In der Folge hat er dieses verkauft und gewünscht, bei seiner Familie in der Schweiz verbleiben zu können. Nach der Abweisung des Nachzugsgesuchs ist er mit einem Tourismusvisum in die Schweiz gekommen, die er seither nicht mehr verlassen hat. Zuvor kam es nur zu punktuellen Kontakten; es bestanden keine über die üblichen Beziehungen von Eltern zu ihren volljährigen Kindern hinausgehenden Bindungen. Die potentielle Abhängigkeit von seiner hiesigen Familie trat erst mit dem Verkauf des Hauses und den altersbedingten gesundheitlichen Problemen ein, wobei der Beschwerdeführer wissen musste, dass er grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Familiennachzug hatte. Er hat mit seiner Einreise als Tourist ein "Fait accompli" geschaffen, woraus er heute nichts zu seinen Gunsten ableiten kann.
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4.2. Die von den Beschwerdeführern geltend gemachte "rapide" Verschlechterung des Gesundheitszustands seit dem Aufenthalt in der Schweiz ist erst nachträglich eingetreten. Zwar soll der Beschwerdeführer an einer Herzinsuffizienz leiden und Diabetes haben, dies ändert indessen nichts daran, dass er auch in der Heimat behandelt werden könnte; soweit er heute einen Pflegefall bildet und Hilfe beim Anziehen, bei der Körperpflege, beim Essen, Gehen, der Einnahme seiner Medikamente, beim Hinsetzen, Aufstehen sowie Hinlegen braucht, ist nicht nachgewiesen, dass im Heimatland tatsächlich keine (Betreuungs-) Lösung gefunden werden konnte. Die Hilfsbedürftigkeit des Beschwerdeführers ist alters- und krankheitsbedingt und nicht personenspezifisch ausgerichtet; dass sich die Söhne und Töchter nicht selber um ihren Vater kümmern können, ist Folge davon, dass sie die Heimat verlassen haben, um in der Schweiz zu leben. Es besteht gestützt auf Art. 8 EMRK (bzw. Art. 12 BV) keine Verpflichtung der Signatarstaaten, dafür zu sorgen, dass Eltern oder Schwiegereltern ihren Lebensabend - ohne bisherige Beziehung zum Land und die nötigen finanziellen Mittel (vgl. Art. 28 AIG) - bei ihren erwachsenen Kindern verbringen können.
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4.3. Der allgemeine Hinweis der Beschwerdeführer darauf, dass es nach der heimatlichen Kultur an den Kindern sei, für die betagten Eltern zu sorgen und es kaum entsprechende Dienstleistungsangebote gebe, genügt nicht, um dem Beschwerdeführer 1 in der Schweiz ein Anwesenheitsrecht zu verschaffen: Die entsprechenden kulturellen Unterschiede verpflichten die Schweiz nicht, ihr Einwanderungssystem den Bräuchen im Heimatland anzupassen. Die Beschwerdeführer haben nicht nachgewiesen, dass sie sich überhaupt
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4.4. Zwar kennt das hier nicht anwendbare Freizügigkeitsabkommen (FZA) die Möglichkeit, Eltern oder Schwiegereltern nachziehen zu können; aber auch dies ist nicht bedingungslos möglich: Erforderlich ist, dass Unterhaltsleistungen erbracht wurden (Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA; vgl. das Urteil 2C_757/2019 vom 21. April 2020 E. 4). Die Anerkennung eines Nachzugsanspruchs für betagte Eltern von Drittstaatsangehörigen käme faktisch einer Einwanderung in das hiesige Pflege- und Sozialversicherungssystem gleich und entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers, welcher den Familiennachzug auf die Kernfamilie beschränkt und allfällige Ausnahmen als Ermessensbewilligungen ausgestaltet hat, wobei auch diese nicht voraussetzungslos zu erteilen sind (vorbestehender enger Kontakt zu Land und Leuten, genügende finanzielle Mittel für die Dauer des Aufenthalts usw.). Die Beschwerdeführer bringen nichts vor, das es rechtfertigen würde, die im Urteil 2C_757/2019 vom 21. April 2020 bestätigte bundesgerichtliche Praxis zu ändern, wonach vorab im Heimatland nach Pflegealternativen - allenfalls auch durch Dritte - zu suchen ist und entsprechende (erfolglose) Bemühungen im Einzelfall zu belegen sind, was die Beschwerdeführer nicht tun (zu den Voraussetzungen einer Praxisänderung: BGE 141 II 297 E. 5.5.1 mit Hinweisen).
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5. | |
5.1. Zusammengefasst ergibt sich, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten abzuweisen ist. Dies kann im Verfahren nach Art. 109 BGG geschehen. Ergänzend wird zur Begründung auf die Darlegungen im angefochtenen Entscheid verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).
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5.2. Die unterliegenden Beschwerdeführer haben die Gerichtskosten unter solidarischer Haftbarkeit zu tragen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 27. Mai 2021
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Seiler
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Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
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