BGer 9C_179/2021 | |||
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BGer 9C_179/2021 vom 08.07.2021 | |
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9C_179/2021 |
Urteil vom 8. Juli 2021 |
II. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Parrino, Präsident,
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Bundesrichterin Moser-Szeless,
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nebenamtliche Bundesrichterin Bechaalany,
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Gerichtsschreiberin Oswald.
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Verfahrensbeteiligte | |
Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Ergänzungsleistung zur AHV/IV
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(Berechnung des Leistungsanspruchs),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
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vom 16. Februar 2021 (EL 2019/21).
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Sachverhalt: | |
A.
| 1 |
Der 1962 geborene A.________ bezog ab dem 1. November 2013 Ergänzungsleistungen zu seiner Viertelsrente der Invalidenversicherung (IV-Grad von 47 %). Am 2. Juni 2015 forderte die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen (fortan: Ausgleichskasse) ihn auf, Nachweise einzureichen für die von ihm und seiner Ehefrau ab 1. Februar 2015 getätigten Arbeitsbemühungen. Seine Begründung für die unzureichenden bzw. nicht getätigten Arbeitsbemühungen akzeptierte sie für die Vergangenheit und verzichtete vorläufig auf die Anrechnung hypothetischer Erwerbseinkommen. Gleichzeitig teilte sie dem Versicherten mit zwei Schreiben vom 31. August 2015 (ihn selbst bzw. seine Ehefrau betreffend) mit, das Ehepaar habe sich weiterhin aktiv und gezielt um Stellen zu bemühen, wobei sie Mindestvorgaben machte.
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Die daraufhin vom Versicherten und seiner Ehefrau eingereichten Arbeitsbemühungen erachtete die Ausgleichskasse als ungenügend. Mit Verfügung vom 6. Februar 2016 verneinte sie unter Anrechnung von hypothetischen Erwerbseinkommen für den Versicherten sowie dessen Ehefrau einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen für den Zeitraum ab 1. März 2016. Das hiergegen geführte Einspracheverfahren sistierte die Ausgleichskasse bis zum Abschluss einer vom Versicherten im April 2016 verlangten Rentenrevision durch die IV-Stelle. Letztere traf erwerbliche und medizinische Abklärungen und wies das Gesuch um Rentenerhöhung am 9. März 2018 ab (bei einem Invaliditätsgrad von unverändert 47 % und im Umfang von 65 % zumutbarer adaptierter Tätigkeit). Ihre Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. In der Folge bestätigte die Ausgleichskasse mit Einspracheentscheid vom 19. März 2019 ihre Verfügung vom 6. Februar 2016.
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B.
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Die gegen den Einspracheentscheid vom 19. März 2019 gerichtete Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 16. Februar 2021 gut. Es hob den Einspracheentscheid auf und sprach dem Versicherten ab 1. März 2016 weiterhin eine monatliche Ergänzungsleistung von Fr. 2'976.- (inkl. Prämienpauschale Krankenversicherung) zu.
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C.
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Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es sei der vorinstanzliche Entscheid vom 16. Februar 2021 aufzuheben und ihr Einspracheentscheid vom 19. März 2019 zu bestätigen. Der Beschwerde sei ausserdem die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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A.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde und ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. Das kantonale Gericht hält an seiner Rechtsauffassung fest, ohne einen Antrag zu stellen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen: | |
1.
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Das kantonale Gericht hat die massgebenden Rechtsgrundlagen zur Anrechnung hypothetischer Erwerbseinkommen zunächst dem Grundsatz nach richtig dargestellt (vorinstanzliche Erwägungen 2.1 und 2.2). Darauf wird verwiesen.
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2.
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Strittig und zu beurteilen ist, ob das Versicherungsgericht Bundesrecht verletzt hat indem es erkannte, es sei weder dem Versicherten noch seiner Ehefrau ab dem 1. März 2016 ein hypothetisches Erwerbseinkommen anzurechnen.
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3.
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3.1. Hinsichtlich des Versicherten selber erwog die Vorinstanz im Wesentlichen, diesem sei es ab September 2015 bis mindestens zum Zeitpunkt des Verfügungserlasses am 6. Februar 2016 zwar objektiv möglich, aber nicht zumutbar gewesen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Aufgrund Verdachts auf eine axiale Spondyloarthritis habe er bei der IV-Stelle ein Rentenerhöhungsgesuch gestellt und sei von seinem Hausarzt voll arbeitsunfähig erachtet worden, worauf er habe vertrauen dürfen. In dieser Situation Arbeitsbemühungen zu verlangen, würde - so das kantonale Gericht - der "EL-spezifischen Schadenminderungspflicht" insofern die subjektive Komponente absprechen als einzig darauf abgestellt würde, ob ein EL-Bezüger bei rein objektiver Betrachtungsweise fähig sei, den EL-spezifischen Schaden durch die Erzielung eines Erwerbseinkommens zu mindern.
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Wie die Beschwerdeführerin richtig geltend macht, verletzt die Vorinstanz damit Bundesrecht. Die EL-Organe und Sozialversicherungsgerichte haben in Bezug auf die invaliditätsbedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung zu übernehmen (BGE 141 V 343 E. 5.7; BGE 140 V 267 E. 5.1). Diese ermittelte hier einen unveränderten Invaliditätsgrad von 47 % bei einer Arbeitsfähigkeit in adaptierter Tätigkeit von 65 %. Die Ausgleichskasse macht zu Recht - unter Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (SVR 2019 EL Nr. 15 S. 37, Urteil 9C_653/2018 vom 26. Juli 2019 E. 5.1; Urteil 9C_251/2019 vom 9. Januar 2020 E. 7.2 und 7.3.2) - geltend, dass es sich bei der hiervon abweichenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Hausarztes nicht um einen invaliditätsfremden Grund handelt, der die gesetzliche Vermutung der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit umzustossen vermag und es mit der Schadenminderungspflicht nicht vereinbar ist, während eines laufenden Rentenrevisionsverfahrens die allenfalls verbleibende Restarbeitsfähigkeit nicht zu verwerten. Darauf kann verwiesen werden, zumal das Zeugnis des Hausarztes vom 15. Februar 2016 lediglich eine neue Verdachtsdiagnose erwähnt. Dem Versicherten musste mithin bekannt sein, dass die Sachlage (noch) nicht klar und ein Vertrauen in die Arbeitsfähigkeitsbescheinigung des Hausarztes demnach nicht angebracht war.
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3.2. Bezüglich der Ehefrau des Versicherten erwog das Versicherungsgericht, es sei einerseits fraglich, ob von dieser als Hilfsarbeiterin überhaupt Bewerbungen mit individuell auf die jeweilige Stelle zugeschnittenen, fehlerfreien Motivationsschreiben verlangt werden könnten. Entscheidend sei indes, dass die Ausgleichskasse ihr nie Gelegenheit gegeben habe, die geltend gemachten qualitativen Mängel ihrer Bewerbungen zu beheben. Mithin habe sie das Mahn- und Bedenkzeitverfahren, das einer Leistungskürzung notwendigerweise vorausgehen müsse, nicht korrekt durchgeführt. Schon aus diesem Grund seien die Arbeitsbemühungen der Ehefrau ab November 2015 als genügend anzusehen, so dass ein hypothetisches Erwerbseinkommen per 31. Dezember 2015 nicht mehr hätte angerechnet werden dürfen.
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Mit der Beschwerdeführerin - die auch hier zutreffend auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung verweist (zit. Urteil 9C_251/2019 E. 8.2 mit Hinweisen) - fehlt einer Anwendung von Art. 21 Abs. 4 ATSG auf die Ergänzungsleistungen jeglicher sachliche Zusammenhang. Darauf wird verwiesen.
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3.3. Die Ausgleichskasse bestreitet, dass der Versicherte und seine Ehefrau den Nachweis erbracht hätten, trotz ausreichender Arbeitsbemühungen keine Stelle finden zu können. Eine konkrete Würdigung der erfolgten Arbeitsbemühungen unter diesem Blickwinkel fehlt im vorinstanzlichen Entscheid. Die Vorinstanz wirft darin lediglich am Rande die Frage nach dem Genügen der Arbeitsbemühungen der Ehefrau des Versicherten auf. Die Sache ist demnach dem Versicherungsgericht zurückzuweisen, damit es das Versäumte nachhole. Dessen Entscheid vom 16. Februar 2021 ist aufzuheben.
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3.4. Die Beschwerde ist offensichtlich begründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. b BGG erledigt wird.
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4.
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Hinsichtlich der Prozesskosten gilt die Rückweisung der Sache zu neuem Entscheid (mit noch offenem Ausgang) praxisgemäss als volles Obsiegen der beschwerdeführenden Partei, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 132 V 215 E. 6.1; Urteil 8C_68/2021 vom 6. Mai 2021 E. 7.1). Der Beschwerdegegner hat daher im vorliegenden Verfahren die Gerichtskosten zu tragen; indes kann seinem Gesuch um Befreiung von den Gerichtskosten stattgegeben werden. Es wird jedoch ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn er später dazu in der Lage ist.
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5.
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Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch der Ausgleichskasse um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 16. Februar 2021 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
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2.
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Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden ihm auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung II, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 8. Juli 2021
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Parrino
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Die Gerichtsschreiberin: Oswald
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