BGer 1B_269/2021 | |||
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BGer 1B_269/2021 vom 12.08.2021 | |
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1B_269/2021 |
Urteil vom 12. August 2021 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichterin Jametti,
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Bundesrichter Haag,
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Gerichtsschreiber König.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Fäh,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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B.________, c/o Obergericht des Kantons Glarus, Spielhof 6, 8750 Glarus,
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Beschwerdegegner,
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Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus, Postgasse 29, 8750 Glarus.
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Gegenstand
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Strafverfahren; Ausstand,
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Glarus vom 27. April 2021 (OG.2021.00033).
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Sachverhalt: | |
A.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus wirft A.________ vor, am 25. September 2018 eine versuchte vorsätzliche Tötung und einen qualifizierten Raub begangen zu haben. Wegen Beteiligung an dieser versuchten vorsätzlichen Tötung und Begünstigung leitete sie zudem gegen C.________ ein Strafverfahren ein.
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Mit Schreiben vom 17. Juli 2020 teilte die Staatsanwaltschaft C.________ mit, er sei nicht zusammen mit A.________ angeklagt worden, weil er gemäss aktuellem Ermittlungsstand formell nicht als Mittäter einzustufen sei. Hiergegen erhob C.________ Beschwerde beim Obergericht des Kantons Glarus mit dem Antrag, die vorgenommene Trennung in je ein Verfahren gegen ihn und ein solches gegen A.________ aufzuheben. Das Obergericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 25. August 2020 ab. Am entsprechenden Beschwerdeverfahren hatte unter anderem der Obergerichtsschreiber, B.________, mitgewirkt.
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Nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft sprach das Kantonsgericht Glarus A.________ mit Urteil vom 2. September 2020 vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung und des qualifizierten Raubes frei. Gegen dieses Urteil erhoben A.________, die Staatsanwaltschaft sowie ein Privatkläger (D.________) Berufung.
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Am 6. April 2021 verlangte der Rechtsvertreter A.________s den Ausstand von Obergerichtsschreiber B.________ im Berufungsverfahren. Das Obergericht wies das Ausstandsgesuch mit Beschluss vom 27. April 2021 ab, soweit es darauf eintrat.
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B. | |
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 21. Mai 2021 beantragt A.________, den Beschluss des Obergerichts vom 27. April 2021 aufzuheben und Obergerichtsschreiber B.________ im Berufungsverfahren in den Ausstand zu versetzen.
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Der Beschwerdegegner und die Staatsanwaltschaft haben auf Stellungnahmen verzichtet. Das Obergericht liess sich vernehmen, ohne einen Antrag zu stellen.
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Erwägungen: |
1. | |
Angefochten ist ein selbstständig eröffneter, kantonal letztinstanzlicher Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren in einer Strafsache (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 und Art. 92 BGG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2. | |
2.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird.
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2.2. Die genannte verfassungs- bzw. konventionsrechtliche Garantie wird unter anderem in Art. 56 StPO konkretisiert (BGE 144 I 234 E. 5.2; 138 I 425 E. 4.2.1).
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2.3. Der in Art. 56 lit. b StPO vorgesehene Ausstandsgrund der Vorbefassung setzt voraus, dass die in der Strafbehörde tätige Person bereits in einem früheren Stadium des Verfahrens in einer anderen Stellung mit der gleichen Strafsache befasst war. Massgeblich für die Annahme einer ausstandsbegründenden Vorbefassung ist, ob die beiden Behörden, in denen jemand in der gleichen Sache tätig war, in aufeinanderfolgenden und organisatorisch getrennten Funktionen der Rechtsprechung gehandelt haben (Urteil 1B_93/2017 vom 18. Mai 2017 E. 2.3.1). Aus diesem Grund sieht Art. 21 Abs. 2 StPO ausdrücklich vor, dass die Person, die als Mitglied der Beschwerdeinstanz tätig geworden ist, im gleichen Fall nicht als Mitglied des Berufungsgerichts wirken kann (Urteil 1B_348/2015 vom 17. Februar 2016 E. 3). Diese Bestimmung verpflichtet Bund und Kantone dazu, eine strikte Trennung zwischen den Funktionen als Mitglied der Beschwerdeinstanz und als Mitglied des Berufungsgerichts auf geeignete Weise, wenn auch nur gerichtsintern, umzusetzen (Urteil 6B_427/2012 vom 18. April 2013 E. 2.2 mit Hinweis auf Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts [nachfolgend: Botschaft StPO], BBl 2006 1085 ff., 1140; vgl. dazu auch MARC HENZELIN/SONJA MAEDER, in: Yvan Jeanneret et al. [Hrsg.], Commentaire Romand Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 10 zu Art. 21 StPO).
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Eine gleiche Sache ist anzunehmen bei Identität der betroffenen Parteien, des Verfahrens und der zur Beantwortung stehenden Streitfragen (BGE 143 IV 69 E. 3.1 mit Hinweisen). Dies gilt nicht nur im Zusammenhang mit Art. 56 lit. b StPO, sondern auch im Kontext von Art. 21 Abs. 2 StPO (vgl. Urteil 1B_348/2015 vom 17. Februar 2016 E. 3) :
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Zwar erweitert Art. 21 Abs. 2 StPO gemäss einer Lehrmeinung die allgemeinen Ausstandsvorschriften von Art. 56 StPO (in diesem Sinne DANIEL KIPFER, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 1 zu Art. 21 StPO; a.M. ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 4 zu Art. 21 StPO). Auch läge eine solche Erweiterung in der Tat vor, wenn die Rechtsprechung, wonach die Mitwirkung einer als Mitglied des Berufungsgerichts eingesetzten Gerichtsperson im Revisionsverfahren in der gleichen Sache mit Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist (vgl. BGE 114 Ia 50 E. 3d; Urteile 6B_1114/2017 vom 7. Dezember 2017 E. 2.2; 5A_570/2007 vom 26. Februar 2008 E. 3.1), analog auf die Mitwirkung eines Mitgliedes der Beschwerdeinstanz als Mitglied des im gleichen Fall angerufenen Berufungsgerichts anzuwenden wäre (vgl. dazu Botschaft StPO, BBl 2006 1140; HENZELIN/MAEDER, a.a.O., N. 10 zu Art. 21 StPO). Es bestehen aber keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei Art. 21 Abs. 2 StPO ein anderer Begriff der gleichen Strafsache bzw. des gleichen Falles zu Grunde zu legen wäre als bei Art. 56 lit. b StPO.
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2.4. Gemäss Art. 56 lit. f StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen als den in Art. 56 lit. a-e StPO genannten Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Art. 56 lit. f StPO stellt eine Auffangklausel dar. Entscheidendes Kriterium ist, ob das Verfahren in Bezug auf den konkreten Sachverhalt und die konkret zu entscheidenden Rechtsfragen als offen und nicht vorbestimmt erscheint (BGE 114 Ia 50 E. 3d; Urteil 1B_93/2017 vom 18. Mai 2017 E. 2.4.1).
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3.
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3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege ein Anwendungsfall von Art. 56 lit. b bzw. Art. 21 Abs. 2 StPO vor. Der Beschwerdegegner habe bereits im Beschwerdeverfahren betreffend die Verfahrenstrennung als Obergerichtsschreiber mitgewirkt. Deshalb könne er aufgrund Vorbefassung nicht mehr am Berufungsverfahren teilnehmen. Sinngemäss bringt der Beschwerdeführer auch vor, es bestehe im Sinne von Art. 56 lit. f StPO der Anschein der Befangenheit, weil er im obergerichtlichen Beschluss betreffend die Verfahrenstrennung 32 Mal im Zusammenhang mit der angeblich vorsätzlichen Tötung erwähnt worden sei.
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3.2. Im Beschwerdeverfahren betreffend die Zulässigkeit der Verfahrenstrennung, in welchem der Beschwerdegegner mitwirkte, waren nicht die gleichen Streitfragen zu klären, wie sie sich im vorliegenden, den Beschwerdeführer betreffenden Berufungsverfahren stellen. So war im ersteren Verfahren nicht über die Strafbarkeit des Beschwerdeführers zu befinden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass sich der Beschwerdegegner in diesem Verfahren diesbezüglich bereits präjudizierend geäussert hätte (vgl. zu präjudizierenden Äusserungen bei sachkonnexen Parallelverfahren gegen mehrere Beschuldigte BGE 115 Ia 34 E. 2c/cc; Urteile 1B_75/2020 vom 10. Dezember 2020 E. 2.2; 1B_150/2017 vom 4. Oktober 2017 E. 4.3; KELLER, a.a.O., N. 33a zu Art. 56 StPO). Auch wenn der Beschwerdeführer im Beschluss des Obergerichts vom 25. August 2020 mehrfach im Zusammenhang mit der angeblichen versuchten vorsätzlichen Tötung erwähnt worden ist, lässt sich daraus nicht schliessen, dass sich der Beschwerdegegner hinsichtlich der strafrechtlichen Beurteilung des Beschwerdeführers bereits im Beschwerdeverfahren festgelegt hätte und damit der Ausgang des Berufungsverfahrens nicht mehr als offen erscheint.
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Vor diesem Hintergrund begründet die Beteiligung des Beschwerdegegners am Beschwerdeverfahren betreffend die Verfahrenstrennung von vornherein keinen Ausstandsgrund im Sinne von Art. 56 lit. b bzw. Art. 21 Abs. 2 StPO oder Art. 56 lit. f StPO.
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3.3. Nicht näher eingegangen werden muss unter diesen Umständen im Übrigen auf die Frage, ob der Ausstand verspätet geltend gemacht wurde (vgl. dazu Art. 58 Abs. 1 StPO sowie BGE 143 V 66 E. 4.3 mit Hinweisen).
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4. | |
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen.
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Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da die Beschwerde aussichtslos ist, ist das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 12. August 2021
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Chaix
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Der Gerichtsschreiber: König
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