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Informationen zum Dokument  BGer 2C_751/2021  Materielle Begründung
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BGer 2C_751/2021 vom 27.09.2021
 
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2C_751/2021
 
 
Urteil vom 27. September 2021
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Hartmann,
 
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Advokat Valentin Brunner,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Thurgau,
 
Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Aufenthaltsbewilligung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
 
vom 7. Juli 2021 (VG.2021.17/E).
 
 
Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. A.________ (geb. 1973) ist vietnamesische Staatsangehörige. Sie kam am 9. Mai 2019 zwecks Vorbereitung der Ehe mit dem Schweizerbürger B.________ (geb. 1948) in die Schweiz. Die Heirat fand am 31. Mai 2019 statt. Am 12. Juli 2019 wurde ihr die Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem Gatten mit Gültigkeit bis 8. Mai 2020 erteilt. Am 19. Juli 2019 verstarb B.________ an Krebs.
 
1.2. Das Migrationsamt des Kantons Thurgau widerrief gestützt hierauf am 10. Dezember 2019 die Aufenthaltsbewilligung von A.________. Die hiergegen gerichteten kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. A.________ beantragt vor Bundesgericht, das entsprechende Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 7. Juli 2021 aufzuheben und ihr die Aufenthaltsbewilligung im Rahmen eines nachehelichen Härtefalls zu belassen (Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG; SR 142.20). Es wurden keine Instruktionsmassnahmen getroffen.
 
 
2.
 
Die Vorinstanz gibt die bundesgerichtliche Praxis bezüglich des Bestehens eines nachehelichen Härtefalls im Falle des Todes des schweizerischen Ehegatten zutreffend wieder:
 
2.1. Die Anwendung von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG setzt voraus, dass die Ehegemeinschaft eine gewisse Dauer aufweist. Dies ergibt sich daraus, dass der nacheheliche Härtefall an den abgeleiteten Anwesenheitsanspruch nach Art. 42 Abs. 1 AIG bzw. Art. 43 Abs. 1 AIG anknüpft. Nach der Rechtsprechung ist der Härtefall gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG für Situationen gedacht, in denen die Voraussetzungen der Litera a nicht erfüllt sind, sei es, dass der Aufenthalt während der Ehe von kürzerer Dauer war oder dass die Integration nicht fortgeschritten ist oder es an beidem fehlt (BGE 137 II 345 E. 3.2.1 S. 348, 1 E. 4.1 S. 7).
 
2.2. Die Rechtsprechung gemäss BGE 138 II 393 ff., wonach der Tod des Ehegatten eine widerlegbare Vermutung für einen nachehelichen Härtefall begründet, beruht darauf, dass durch den Tod ein in der Schweiz aufgebautes Eheleben zerstört wird. Der Härtefall ist darin zu erblicken, dass der überlebende Ehegatte jenes Leben aufgeben muss, welches er zusammen mit dem verstorbenen Partner in der Schweiz geführt hat (vgl. BGE 138 II 393 E. 3.1, 3.3 und 3.4). Die Ehe muss deshalb eine gewisse zeitliche Dauer aufweisen und von einer einen Härtefall rechtfertigenden inhaltlichen Relevanz sein (vgl. das Urteil 2C_669/2012 vom 5. Mai 2013 E. 3.4). Die Vermutung des Bestehens eines nachehelichen Härtefalls beim Ableben des Ehegatten ist gestützt auf die konkreten Umstände jeweils im Einzelfall zu verifizieren; dabei ist zu berücksichtigen, welche Konsequenzen der Tod auf das Privat- und Familienleben des überlebenden Gatten hat, insbesondere, ob er gestützt auf das bisherige Eheleben hier derart integriert erscheint, dass es sich rechtfertigt, bei der Beendigung der Anwesenheit von einem Härtefall auszugehen (vgl. das Urteil 2C_110/2020 vom 9. Juni 2020 E. 4.2).
 
3.
 
Die Vorinstanz hat den Sachverhalt korrekt unter diese Praxis subsumiert:
 
3.1. Die Ehe der Beschwerdeführerin dauerte vom 31. Mai bis zum 19. Juli 2019 und damit rund sieben Wochen. Die Aufenthaltsbewilligung wurde ihr am 12. Juli 2019 erteilt; ihr Ehegatte verstarb am 19. Juli 2019. Die Beschwerdeführerin hält sich erst seit dem 9. Mai 2019 in der Schweiz auf. Ihr Gatte befand sich unmittelbar vor der Heirat wegen seines Krebsleidens vom 18. April bis 8. Mai 2019 in einer Klinik; die Beschwerdeführerin war bei ihrer Einreise über den Gesundheitszustand ihres künftigen Gatten informiert, auch wenn sein Ableben schneller erfolgte als erwartet. Der Schluss des Verwaltungsgerichts, dass in Würdigung aller Umstände (Kenntnis der Krebskrankheit, nur relativ oberflächliche Bekanntschaft vor der Heirat [drei Ferienbesuche seit 16. September 2017], sprachlich eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten und nur siebenwöchige Ehedauer) nicht davon gesprochen werden könne, es sei mit dem Tod des Ehemanns ein in der Schweiz aufgebautes, existenzprägendes Eheleben zerstört worden, ist nicht zu beanstanden, auch wenn in der Zeit der sieben Wochen ein normales bzw. durch die Krebserkrankung "speziell intensives Eheleben" geführt worden sein sollte, wie die Beschwerdeführerin geltend macht.
 
3.2. Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, das geeignet wäre, die entsprechende vorinstanzliche Beweiswürdigung als offensichtlich unhaltbar, d.h. willkürlich, erscheinen zu lassen (vgl. zur entsprechenden Begründungspflicht: Urteil 2C_178/2021 vom 26. August 2021 E. 1 mit Hinweisen); es genügt hierfür weder der Hinweis darauf, dass sich die Eheleute bereits zuvor gekannt hätten und die Beschwerdeführerin mit Familienmitgliedern in Kontakt stehe bzw. sie Freunde des Gatten kenne, noch der Umstand, dass sie seit dem 1. Februar 2021 einer Arbeitstätigkeit nachgeht. Soweit die Beschwerdeführerin Fotos von sich mit dem verstorbenen Gatten zu den Akten gibt, sind diese bestenfalls geeignet, zu belegen, dass zwischen ihr und ihrem Ehemann eine eheliche Beziehung bestand, indessen nicht deren Relevanz im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens eines nachehelichen Härtefalls.
 
3.3. Die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Rahmen von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG ist schliesslich auch verhältnismässig: Die Beschwerdeführerin ist erst im Alter von 45 Jahren in die Schweiz gekommen und in ihrer Heimat sozialisiert worden; sie ist mit den dortigen gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen noch bestens vertraut. Nachdem sie in Vietnam über Familienangehörige verfügt, ist es ihr - nach dem nur kurzen Aufenthalt in der Schweiz - zumutbar, sich in ihrer Heimat wieder eine Existenz aufzubauen; sie hat dort bereits für ihre Schwester als Fischverkäuferin gearbeitet. Weitergehende besondere Beziehungen zur Schweiz werden weder rechtsgenügend begründet geltend gemacht, noch sind solche ersichtlich. Warum - wie die Beschwerdeführerin einwendet - dem Umstand, dass sie aus Südostasien stammt, im Rahmen der Anwendung von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG eine besondere Bedeutung zukommen müsste, ist nicht ersichtlich. Der angefochtene Entscheid verletzt weder Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG noch Art. 8 EMRK.
 
 
4.
 
4.1. Die Beschwerde erweist sich damit als offensichtlich unbegründet und kann im Verfahren nach Art. 109 BGG mit summarischer Begründung unter ergänzendem Verweis auf die Ausführungen im vorinstanzlichen Entscheid abgewiesen werden (vgl. Art. 109 Abs. 3 BGG). Mit dem vorliegenden Urteil wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
 
4.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Kosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. September 2021
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
 
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