BGer 1B_478/2021 | |||
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BGer 1B_478/2021 vom 28.09.2021 | |
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1B_478/2021 |
Urteil vom 28. September 2021 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichter Haag, Müller,
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Gerichtsschreiberin Sauthier.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________, z.Zt. Strafanstalt U.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7000 Chur.
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Gegenstand
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Haftentlassung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, I. Strafkammer, vom 19. Mai 2021
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(SK1 20 12).
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Sachverhalt: |
A. | |
Das Regionalgericht Plessur sprach A.________ in dessen Abwesenheit mit Urteil vom 18. Juli 2018 der versuchten vorsätzlichen Tötung, der einfachen Körperverletzung, der Drohung, der Freiheitsberaubung, des mehrfachen Diebstahls sowie des mehrfachen Hausfriedensbruchs schuldig und verurteile ihn zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten. Das Urteil wurde im Amtsblatt des Kantons Graubünden publiziert. Am 29. April 2019 wurde A.________ aufgrund der zufolge des Abwesenheitsurteils vom 18. Juli 2018 erfolgten internationalen Ausschreibung in Deutschland festgenommen und an die Schweiz ausgeliefert. Seit dem 16. August 2019 befindet sich A.________ in der Schweiz in Haft.
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Auf Gesuch von A.________ fand am 28. Januar 2020 vor dem Regionalgericht eine neue Beurteilung der ihm vorgeworfenen Straftaten in seiner Anwesenheit statt. Anlässlich dieser Verhandlung wurde die Verurteilung von A.________ zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten bestätigt. Dagegen erhob A.________ Berufung an das Kantonsgericht Graubünden. Dieses trat mit Entscheid vom 19. Mai 2021 nicht auf das von A.________ anlässlich der mündlichen Hauptverhandlung vom 18. Mai 2021 gestellte Haftentlassungsgesuch ein. Zur Begründung führte es aus, A.________ befinde sich nicht in Sicherheitshaft, sondern seit seiner Auslieferung im Strafvollzug. Aus einer nicht angeordneten Haft könne er nicht entlassen werden. Im Übrigen stellte es (zusammengefasst) fest, dass das Urteil des Regionalgerichts Plessur vom 28. Januar 2020 insofern in Rechtskraft erwachsen sei, als das Gesuch von A.________ um Neubeurteilung gutgeheissen und das Strafverfahren in Bezug auf den Vorwurf der mehrfachen Beschimpfung eingestellt wurde. Sodann sprach es A.________ vom Vorwurf der Drohung frei, erklärte ihn schuldig der versuchten Tötung, der einfachen Körperverletzung, der Freiheitsberaubung, des Diebstahls und des Hausfriedensbruchs und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten.
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B. | |
Gegen das Berufungsurteil - inklusive Nichteintreten auf das Haftentlassungsgesuch - gelangte A.________ mit Beschwerde vom 19. August 2021 an das Bundesgericht. Er beantragt unter anderem, er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen (Ziffer 7 des Rechtsbegehrens). Soweit die Beschwerdeschrift sich (in der Hauptsache) gegen den materiellen Endentscheid in Strafsachen des Kantonsgerichts richtet, ist bei der dafür zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts ein separates Beschwerdeverfahren in Strafsachen hängig (Verfahren 6B_915/2021).
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Die Staatsanwaltschaft nimmt Stellung und führt aus, sie teile die Auffassung der Vorinstanz, wonach sich der Beschwerdeführer im Strafvollzug und nicht in strafprozessualer Haft befinde. Seine Beschwerde sei allenfalls als Gesuch um Entlassung aus dem Strafvollzug entgegenzunehmen. Die Entscheidkompetenz hierfür läge ihrer Ansicht nach beim zuständigen Amt für Justizvollzug des Kantons Graubünden. Es erscheine daher fraglich, ob die Voraussetzungen vorliegen, um auf die Beschwerde bezogen auf den Punkt der beantragten Haftentlassung eintreten zu können. Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer lässt, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, ausführen, er ersuche um Weiterleitung des Haftentlassungsgesuchs an die zuständige Stelle, sofern auf das Gesuch nicht eingetreten werde. Er halte dennoch vollumfänglich an sämtlichen gestellten Begehren fest und ersuche um antragsgemässe Entscheidung. Mit Eingabe vom 15. September 2021 nimmt der Beschwerdeführer persönlich Stellung und moniert, dass niemand wisse, welchen Haftstatus er habe und wer für seine Entlassung zuständig sei. Er verlange die sofortige Haftentlassung.
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Erwägungen: |
1. | |
Im vorliegenden Verfahren 1B_478/2021 ist einzig die vom Beschwerdeführer beantragte Haftentlassung zu prüfen. Die Vorinstanz ist als Berufungsinstanz (und damit kantonal letztinstanzlich) nicht darauf eingetreten. Damit ist die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gegeben (vgl. Art. 80 Abs. 2 BGG). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind grundsätzlich erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Über die in der Beschwerdeschrift aufgeworfenen materiellstrafrechtlichen Fragen ist im separaten Verfahren 6B_915/2021 zu entscheiden.
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2. | |
Streitgegenstand ist vorliegend einzig, ob die Vorinstanz zu Recht auf das bei ihr eingereichte Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten ist.
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2.1. Die Vorinstanz hat ihr Nichteintreten damit begründet, dass das Abwesenheitsurteil vom 18. Juli 2018 in Rechtskraft erwachsen sei. Ein Abwesenheitsurteil werde unter den üblichen Voraussetzungen formell und materiell rechtskräftig. Dies sei gemäss Art. 437 Abs. 1 lit. a StPO insbesondere nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist der Fall. Das Gesuch um neue Beurteilung eines Abwesenheitsurteils gemäss Art. 368 StPO sei ein blosser Rechtsbehelf und damit kein ordentliches Rechtsmittel. Erst mit Rechtskraft des neuen Urteils falle das Abwesenheitsurteil dahin (Art. 370 Abs. 2 StPO). Aufgrund der aufschiebenden Wirkung seiner Berufung gegen das "Neubeurteilungsurteil" vom 28. Januar 2020 bestehe das Abwesenheitsurteil nach wie vor fort, sei rechtskräftig und damit grundsätzlich auch vollstreckbar, zumal die Vorinstanz dem Gesuch um Neubeurteilung keine aufschiebende Wirkung gemäss Art. 369 Abs. 3 StPO gewährt habe. Als Konsequenz daraus folge, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Auslieferung an die Schweizer Behörden am 16. August 2019 und seiner Überführung in die Justizvollzugsanstalt im ordentlichen Strafvollzug und nicht in Sicherheitshaft befinde. Aus einer nicht angeordneten Haft gemäss Art. 231 StPO könne er auch nicht gestützt auf Art. 233 StPO entlassen werden. Selbst wenn das Gesuch um bedingte Entlassung gemäss Art. 86 StGB entgegenzunehmen wäre, bliebe das Ergebnis gleich. Diesfalls läge die Entscheidkompetenz nicht beim Berufungsgericht, sondern beim Amt für Justizvollzug (Art. 4 Abs. 1 lit. h i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung vom 19.Dezember 2017 über den Justizvollzug im Kanton Graubünden [Justizvollzugsverordnung, JVV; BR 350.510]).
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2.2. Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, beim Verfahren um neue Beurteilung handle es sich zwar formal gesehen um einen Rechtsbehelf, nach historischer und praktischer Auslegung zeitige dies jedoch für das Urteil nicht die Folge, dass es materiell in Rechtskraft erwachse. Vielmehr befasse sich das Gericht ja gerade mit der materiellen Neubeurteilung und entsprechend könne er sich nicht im ordentlichen Strafvollzug befinden, sondern im vorzeitigen Strafvollzug. Dabei gälten die gesetzlichen Haftgründe nach den Bestimmungen über die Anordnung von Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft. Er sei jedenfalls aus der Haft zu entlassen. Die bedingte Entlassung gemäss Art. 86 StGB stelle die Regel dar. Da ohnehin eine wesentlich tiefere Strafe hätte ausgefällt werden müssen, habe er sein ganzes Strafmass zum jetzigen Zeitpunkt bereits verbüsst. Zudem liege eine massive Verletzung des Beschleunigungsgebots vor.
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2.3. Das im Abwesenheitsverfahren gefällte Urteil erwächst nach den allgemeinen Regeln in Rechtskraft (vgl. Art. 437 ff. StPO). Indes handelt es sich dabei um eine resolutiv bedingte Rechtskraft (vgl. BGE 122 IV 344 E. 3a: "auflösend bedingt"). Die endgültige Rechtskraft tritt demnach grundsätzlich erst ein, wenn die verurteilte Person keine neue Beurteilung verlangt oder diese durch das Gericht abgelehnt wurde (vgl. DONATSCH/SCHWARZENEGGER/WOHLERS, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 besondere Verfahrensarten, S. 326 f.; PAREIN/PAREIN-REYMOND/THALMANN, in: commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 13 zu Art. 367 StPO). Erst wenn das Abwesenheitsurteil endgültig in Rechtskraft erwachsen ist, ist es vollstreckbar (vgl. THOMAS MAURER, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 367 StPO). Nach anderer Auffassung von SCHMID/JOSITSCH (Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, N. 1407) ist das Abwesenheitsurteil nach Ablauf der Berufungsfrist, d.h. 10 Tage nach Eröffnung, vollstreckbar. In diese Richtung geht auch SARAH SUMMERS (Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 11 zu Art. 369 StPO), wenn sie ausführt, dass sich im Verfahren des Gesuchs um Wiederaufnahme und der neuen Hauptverhandlung die Frage des Aufschubs der Vollstreckung während der Verfahrensdauer stelle.
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Das Gericht, welches auf das Gesuch um neue Beurteilung eintritt, fällt ein neues Urteil. Erst mit Rechtskraft des neuen Urteils fällt das Abwesenheitsurteil dahin (Art. 370 Abs. 2 StPO). Das Gesuch um neue Beurteilung ist dabei aber blosser Rechtsbehelf und kein ordentliches Rechtsmittel (vgl. Urteil 6B_438/2017 vom 24. August 2017 E. 3.3.3; THOMAS MAURER, a.a.O., N. 13 zu Art. 369 StPO; PAREIN/PAREIN-REYMOND/THALMANN, a.a.O., N. 5c zu Art. 369 StPO).
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3. | |
3.1. Die vorinstanzliche Auffassung, wonach sich der Beschwerdeführer seit seiner Auslieferung am 16. August 2019 im Strafvollzug befinde, wird unter anderem von einer Erklärung des Regionalgerichts vom 15. Mai 2019 gestützt. Darin erklärte das Regionalgericht auf Aufforderung des Amts für Justizvollzug im Hinblick auf die Auslieferung des Beschwerdeführers (insb. Art. 3 Abs. 1 des zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978 [SR 0.353.12]), das Abwesenheitsurteil vom 18. Juli 2018 sei rechtskräftig und vollstreckbar. Weiter kann den Akten entnommen werden, dass das Amt für Justizvollzug ebenfalls davon ausgeht, der Beschwerdeführer befinde sich im Strafvollzug, weil das Abwesenheitsurteil rechtskräftig und vollstreckbar sei. Dies zeigt sich u.a. in dessen Verfügung vom 6. Dezember 2019, wo das Amt den Antrag des Beschwerdeführers auf "Urlaub" abgewiesen hatte. Demnach findet die Auffassung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer befinde sich seit seiner Verhaftung im Strafvollzug, durchaus eine Grundlage in den Akten.
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Da der Beschwerdeführer gegen das Abwesenheitsurteil kein ordentliches Rechtsmittel ergriffen hat, kann insoweit von einem grundsätzlich rechtskräftigen Urteil gesprochen werden. Der Beschwerdeführer stellte aber am 23. August 2019 ein Gesuch um Wiederaufnahme, welches gutgeheissen wurde. Die Rechtskraft des Abwesenheitsurteils gilt daher aufgrund dieses vom Beschwerdeführer erhobenen Rechtsbehelfs nur resolutiv. Folglich ist das Urteil (noch) nicht vollstreckbar (vgl. E. 2.3 hiervor) und es kann - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - kein ordentlicher Strafvollzug vorliegen. Daran ändert auch nichts, dass das Regionalgericht dem Gesuch um Neubeurteilung mit Urteil vom 28. Januar 2020 keine aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 369 Abs. 3 StPO gewährt hatte (Ziffer 7 des Dispositivs).
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Die im Berufungsurteil vertretene Auffassung der Vorinstanz widerspricht sodann ihren eigenen Ausführungen in der den Beschwerdeführer betreffenden Verfügung vom 16. Dezember 2020. Damals ging sie ebenfalls noch von einer strafprozessualen Haft, namentlich von Sicherheitshaft, aus (vgl. S. 4 ff.) und stützte sich auf Art. 233 StPO, dessen Anwendbarkeit sie nun verneinte. In dieser vor Bundesgericht angefochtenen und geschützten Verfügung (Urteil 1B_666/2020 vom 19. Januar 2021) wies sie den Antrag des Beschwerdeführers auf Haftentlassung mit dem Argument ab, es bestünde Fluchtgefahr und die Voraussetzungen der Sicherheitshaft seien weiterhin gegeben. Dieser Rechtsauffassung war und ist zuzustimmen. Wieso demgegenüber nunmehr von Strafvollzug die Rede ist und das Amt für Justizvollzug über das Haftentlassungsgesuch entscheiden solle, erschliesst sich nach dem Gesagten nicht.
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Diese Ausführungen stehen denn auch im Widerspruch zu Art. 369 Abs. 3 StPO, welcher im Zusammenhang mit der Neubeurteilung ausdrücklich von Sicherheitshaft spricht. Haftentlassungsgesuche während des Verfahrens um Neubeurteilung sind folglich im erstinstanzlichen Verfahren nach Art. 230 StPO und im Berufungsverfahren nach Art. 233 StPO zu behandeln. Insofern hielt das Regionalgericht betreffend ein Haftentlassungsgesuch während des erstinstanzlichen Verfahrens um Neubeurteilung zu Recht fest, gemäss Art. 369 Abs. 3 StPO habe es über Entlassungsgesuche zu entscheiden (vgl. Verfügung vom 28. November 2019).
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Diese Ausführungen sowie der Umstand, dass eine tatsächliche Vollstreckungsanordnung des Freiheitsentzugs, jedenfalls soweit ersichtlich, nicht aktenkundig ist, sprechen gegen die Annahme der Vorinstanz, der Beschwerdeführer befinde sich im ordentlichen Strafvollzug und sie könne nicht auf dessen Haftentlassungsgesuch eintreten. Die Vorinstanz wäre vielmehr gestützt auf Art. 369 Abs. 3 i.V.m. Art. 233 StPO verpflichtet gewesen, das anlässlich der Hauptverhandlung gestellte Haftentlassungsgesuch zu prüfen. Ihr Nichteintreten verletzt Bundesrecht.
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3.2. Nachdem feststeht, dass der Beschwerdeführer sich nicht im ordentlichen Strafvollzug befindet, könnte sich die Frage stellen, ob er sich allenfalls - wie von ihm in seiner Beschwerde vorgebracht - im
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Gemäss Art. 236 Abs. 1 StPO kann die Verfahrensleitung der beschuldigten Person bewilligen, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehende Massnahmen vorzeitig anzutreten, sofern der Stand des Verfahrens es erlaubt. Erforderlich dafür ist ein Gesuch der beschuldigten Person. Dass der Beschwerdeführer ein Gesuch gestellt hätte, macht er jedoch weder geltend, noch befindet sich ein solches - soweit ersichtlich - in den Akten. Letzteren kann lediglich ein vom Beschwerdeführer unterschriebenes Schreiben des Amts für Justizvollzug vom 19. August 2019 entnommen werden mit dem Titel "Orientierung und Bestätigung". Darin wird festgehalten, der Beschwerdeführer nehme zur Kenntnis, dass er aufgrund eines Abwesenheitsurteils in Deutschland festgenommen und am 16. August 2019 in die Justizvollzugsanstalt, zum Vollzugeiner Freiheitsstrafe von 48 Monaten (...), überführt worden sei. Ob daraus ein allfälliges Gesuch um vorzeitigen Strafvollzug abgeleitet werden kann, erscheint allerdings fraglich.
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Indessen würde die Annahme eines vorzeitigen Strafvollzugs ohnehin nichts an der Tatsache ändern, dass sich der Beschwerdeführer noch in strafprozessualer Haft befindet und die Vorinstanz zur Prüfung des Haftentlassungsgesuchs zuständig ist. Denn der vorzeitige Strafvollzug bezieht sich allein auf den Vollzug der Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Rechtstitel für den damit verbundenen Freiheitsentzug ist nicht die zu erwartende Freiheitsstrafe, sondern die strafprozessuale Haft. Der vorzeitige Straf- oder Massnahmenantritt stellt seiner Natur nach eine strafprozessuale Zwangsmassnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug dar. Für eine Fortdauer der strafprozessualen Haft in den Modalitäten des vorzeitigen Strafvollzugs muss weiterhin mindestens ein besonderer Haftgrund (analog zu Art. 221 StPO; BGE 133 I 270 E. 3.2.1) vorliegen. Sodann muss der vorzeitige Strafvollzug verhältnismässig sein. Der vorzeitige Strafantritt betrifft nur das Vollzugsregime. Die strafprozessuale Haft wird nicht wie üblich in einer Haftanstalt vollzogen, die diesem Zweck vorbehalten ist (vgl. Art. 234 Abs. 1 StPO). Mit dem vorzeitigen Antritt der Strafe ändern sich allein die Vollzugsmodalitäten, indem das Regime der Vollzugsanstalt zur Anwendung gelangt. Dies ändert aber nichts daran, dass es sich beim vorzeitigen Strafantritt um nichts anderes als um eine Variante der strafprozessualen Haft handelt (zum Ganzen: BGE 143 IV 160 E. 2.1). Somit bleibt es bei der festgestellten Bundesrechtsverletzung durch die Vorinstanz.
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4. | |
4.1. Das Bundesgericht kann nur in Ausnahmefällen selber Haftgründe substituieren. Zudem muss bei einer Substitution von Haftgründen das rechtliche Gehör des Inhaftierten gewahrt bleiben. Vorliegend ist es indes im Interesse des Beschwerdeführers, dass das Bundesgericht selbst über dessen Haftentlassungsgesuch bzw. eine allfällige Weiterführung der Sicherheitshaft entscheidet.
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4.2. Nach Art. 221 Abs. 1 StPO ist Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig (allgemeiner Haftgrund) und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (lit. a; besonderer Haftgrund der Fluchtgefahr). Anstelle der Haft sind eine oder mehrere mildere Massnahmen anzuordnen, wenn diese den gleichen Zweck erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO). Auch sonst muss die Haft verhältnismässig sein (Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO). Insbesondere darf sie nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (Art. 212 Abs. 3 StPO).
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4.3. Die Umstände, die zur Bejahung der Sicherheitshaft bei der letzten Beurteilung durch das Bundesgericht am 19. Januar 2021 (1B_666/2020) geführt haben, haben sich nicht wesentlich verändert.
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4.3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen des dringenden Tatverdachts im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StPO grundsätzlich nicht, sondern zieht einzig die rechtliche Qualifikation als versuchte Tötung in Zweifel. Damit hat sich das Bundesgericht bereits im Urteil 1B_666/2020 in E. 2.3 auseinandergesetzt. Darauf kann verwiesen werden. Ausserdem hat sich mit der zweitinstanzlichen Verurteilung der dringende Tatverdacht noch zusätzlich erhärtet.
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Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang eine Verletzung seiner Unschuldsvermutung geltend macht, da die Haft unter anderem damit begründet worden sei, dass er wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt worden sei, kann ihm nicht gefolgt werden. Dass er erst- und zweitinstanzlich u.a. wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt wurde, ist eine Tatsache. Diese darf bei der Begründung der Sicherheitshaft berücksichtigt werden. Darin liegt entgegen seiner Ansicht keine Verletzung der Unschuldsvermutung.
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4.3.2. Sodann sprechen die Umstände im vorliegenden Fall weiterhin für Fluchtgefahr (Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO). Diesbezüglich kann grundsätzlich auf E. 3 im den Beschwerdeführer betreffenden Urteil 1B_666/2020 verwiesen werden. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Wahrscheinlichkeit einer Flucht in der Regel zwar mit zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer graduell abnimmt, da sich auch die Länge des allenfalls noch zu absolvierenden Strafvollzugs mit der bereits geleisteten prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe anzurechnen wäre (vgl. Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (BGE 143 IV 160 E. 4.3 mit Hinweis). Die Vorinstanz bestätigte indes die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten. Der Beschwerdeführer, der seit knapp 29 Monaten in Haft ist, muss folglich im für ihn schlechtesten Fall noch immer mit ungefähr 19 Monaten Freiheitsentzug rechnen. Dies könnte ihn durchaus veranlassen, sich der weiteren Strafverfolgung zu entziehen. Dabei gilt es insbesondere auch seine Vorgeschichte (Absetzen ins Ausland vor der Hauptverhandlung, unentschuldigtes Fernbleiben, internationale Ausschreibung zur Verhaftung) zu berücksichtigen. Demzufolge ist trotz der zunehmenden Haftdauer nach wie vor von einer Fluchtwahrscheinlichkeit auszugehen.
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4.3.3. Wie bereits im Verfahren 1B_666/2020 macht der Beschwerdeführer erneut geltend, die Haftdauer sei unverhältnismässig. Allerdings erweist sich auch dieses Vorbringen als unbegründet. Die Vorinstanz hat, wie erwähnt, die erstinstanzlich ausgesprochene Freiheitsstrafe von 48 Monaten bestätigt. Dieser Entscheid über das Strafmass stellt ein wichtiges Indiz für die mutmassliche Dauer der tatsächlich zu verbüssenden Strafe dar. Der Beschwerdeführer befindet sich zum jetzigen Zeitpunkt seit rund 29 Monaten in Haft. Damit rückt die Haft indes noch nicht in eine derart grosse Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion (vgl. BGE 145 IV 179 E. 3.4). Somit droht ihm noch keine Überhaft. Anhaltspunkte, dass ausnahmsweise die Möglichkeit einer bedingten Entlassung zu berücksichtigen wären, sind ebenfalls keine ersichtlich (vgl. BGE 143 IV 160 E. 4.2), zumal die Verurteilung unter anderem wegen versuchter Tötung, mithin einem schwerwiegenden Delikt, zweitinstanzlich bestätigt wurde. Dies wäre bei der Beurteilung einer allfälligen vorzeitigen Entlassung ebenfalls zu berücksichtigen.
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4.3.4. Schliesslich kann dem Beschwerdeführer auch nicht gefolgt werden, wenn er abermals eine Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend macht. Wie vom Bundesgericht im Urteil 1B_666/2020 gefordert (vgl. E. 5.3), hat die Vorinstanz die Berufungsverhandlung in den ersten Monaten dieses Jahres bzw. jedenfalls gerade noch in der ersten Hälfte von 2021 durchgeführt. Damit hat sie dem Beschleunigungsgebot Rechnung getragen.
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4.4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts erfolgt mangels Verweises in den Art. 231 f. StPO auf Art. 227 Abs. 7 StPO keine periodische Überprüfung der Sicherheitshaft, sobald das Berufungsgericht mit der Sache befasst ist. Die beschuldigte Person kann gestützt auf Art. 233 StPO aber jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen (BGE 139 IV 186 E. 2.2.3; Urteil 1B_353/2021 vom 12. Juli 2021 E. 4.4.5; je mit Hinweisen). Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts, das sich nicht als Haftgericht sieht, bleibt die Verfahrensleitung des Berufungsgerichts (über das Berufungsurteil hinaus) auch während des Verfahrens vor Bundesgericht bzw. bis zur Rechtskraft seines Urteils (Art. 61 BGG i.V.m. Art. 437 Abs. 3 StPO) für die erstinstanzliche Behandlung von Haftentlassungsgesuchen zuständig (Urteile 1B_323/2020 vom 8. Juli 2020 E. 1; 1B_53/2018 vom 15. Februar 2018 E. 1; je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall ist das Berufungsurteil noch nicht rechtskräftig, das Verfahren ist bei der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts noch hängig (6B_915/2021). Zukünftige Haftentlassungsgesuche sind demgemäss bei der Vorinstanz zu stellen, welche diese nach dem Gesagten zu prüfen hat.
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5. | |
Demzufolge erweist sich die Beschwerde insofern als begründet, als die Vorinstanz zu Unrecht davon ausging, der Beschwerdeführer befinde sich im ordentlichen Strafvollzug, und sie auf sein Haftentlassungsgesuch nicht eingetreten ist. Indessen dringt der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf Haftentlassung nicht durch. Insoweit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen.
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Aufgrund des Verfahrensfehlers der Vorinstanz rechtfertigt es sich vorliegend, auf eine Kostenerhebung zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Graubünden hat dem Beschwerdeführer in Bezug auf dessen teilweises Obsiegeneine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Es wird festgestellt, dass das Kantonsgericht Graubünden auf das Haftentlassungsgesuch vom 18. Mai 2021 hätte eintreten müssen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Der Kanton Graubünden hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
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4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und dem Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 28. September 2021
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Chaix
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Die Gerichtsschreiberin: Sauthier
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