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Informationen zum Dokument  BGer 8C_650/2021  Materielle Begründung
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BGer 8C_650/2021 vom 10.11.2021
 
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8C_650/2021
 
 
Urteil vom 10. November 2021
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
 
Gerichtsschreiberin Betschart.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch MLaw Artur Terekhov,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8, 8400 Winterthur,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Einstellung in der Anspruchsberechtigung),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. August 2021 (AL.2020.00313).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
A.________, geboren 1968, war seit 1. Februar 2019 bei der B.________ AG angestellt. Am 15. November 2019 kündigte er dieses Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist per 29. Februar 2020. Am 8. April 2020 meldete er sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Opfikon-Glattbrugg zur Arbeitsvermittlung an und beantragte am 21. April 2020 die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung ab 2. März 2020. Mit Verfügung vom 28. Mai 2020 stellte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich (Kasse) den Versicherten ab 1. März 2020 für die Dauer von 36 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein. Die hiergegen erhobene Einsprache wies die Kasse mit Entscheid vom 8. Oktober 2020 ab.
2
B.
3
Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 16. August 2021 ab.
4
C.
5
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und er sei für eine Dauer von drei Tagen, eventualiter für eine ermessensweise festzusetzende Dauer zwischen drei und 36 Tagen, in der Anspruchsberechtigung einzustellen.
6
 
Erwägungen:
 
1.
7
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 BGG), nur die in seinem Verfahren geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 145 V 57 E. 4.2). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
8
 
2.
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Einstellung in der Anspruchsberechtigung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für die Dauer von 36 Tagen bestätigte.
9
2.2. Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgebenden Rechtsgrundlagen hinsichtlich selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG; Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV) zutreffend wiedergegeben, worauf verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG).
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2.3. Hervorzuheben ist, dass die Einstellung in der Anspruchsberechtigung als versicherungsrechtliche Sanktion die angemessene Mitbeteiligung der versicherten Person am Schaden bezweckt, den diese durch ihr Verhalten der Arbeitslosenversicherung in schuldhafter Weise natürlich und adäquat kausal verursacht hat (Urteil 8C_690/2018 vom 20. Februar 2019 E. 5.4; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz. 828 S. 2511). Die Dauer der Einstellung ist mit der zweiten Teilrevision von 1995 zur Verstärkung der Missbrauchsbekämpfung verschärft worden. Dabei bemisst sie sich einzig nach dem Verschulden. Die verfügende Stelle hat die Pflicht, das Verhalten der versicherten Person unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls, d.h. der objektiven und subjektiven Gegebenheiten, zu würdigen und eine dem Verschulden angemessene Sanktion festzusetzen (BGE 130 V 125 E. 3.5; NUSSBAUMER, a.a.O, Rz. 861 f. S. 2523 f.).
11
Unter den Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG fallen Verhaltensweisen der versicherten Person, die kausal für den Eintritt der Arbeitslosigkeit sind und eine Verletzung der Pflicht, die Arbeitslosigkeit zu vermeiden, bedeuten (Urteil 8C_42/2014 vom 21. Mai 2014 E. 3.1, in: ARV 2014 S. 145). Er kann nur im Zusammenhang mit der Auflösung des früheren Arbeitsverhältnisses, nicht aber durch Nichtantritt einer neuen Stelle verwirklicht werden (Urteil 8C_872/2011 vom 6. Juni 2012 E. 3.1, in: ARV 2012 S. 294; NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 836 S. 2514 f., mit weiteren Hinweisen). Die selbstverschuldete Arbeitslosigkeit wird mithin nach der Vergangenheit beurteilt, d.h. nach den Umständen, die zur Auflösung des ehemaligen Arbeitsverhältnisses geführt haben (BARBARA KUPFER BUCHER, Fokus Arbeitslosenversicherung, Zürich 2016, S. 123).
12
Der Einstellungstatbestand des Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV erfasst auch Fälle, in denen eine versicherte Person nach der freiwilligen Stellenaufgabe in einer selbständigen Erwerbstätigkeit scheitert, unabhängig davon, welche Verantwortung sie für dieses Scheitern auch immer trägt (Urteil C 398/99 vom 20. Juli 2000 E. 2b; NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 838 S. 1516). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Situation von Arbeitnehmern, die gekündigt haben, um den Arbeitgeber zu wechseln, nicht vergleichbar mit derjenigen von Angestellten, deren Kündigung in der Absicht erging, eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Denn erstere können sich ohne Weiteres durch den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags vor der Kündigung der bisherigen Stelle absichern und so eine Arbeitslosigkeit vermeiden. Demgegenüber können sich letztere nicht auf eine gleichwertige Absicherung berufen, weil der Erfolg einer beabsichtigten selbständigen Erwerbstätigkeit von zahlreichen, nur schwer vorhersehbaren Umständen abhängt (vgl. Urteil C 398/99 vom 20. Juli 2000 E. 2b). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Gesetz für Selbständigerwerbende unter bestimmten Umständen eine Verlängerung der Rahmenfristen vorsieht (vgl. Art. 9a und 71d AVIG; NUSSBAUMER, a.a.O., N 106 ff. S. 2298 ff.).
13
 
3.
 
3.1. In Würdigung der Akten stellte die Vorinstanz für das Bundesgericht zunächst verbindlich fest, dass der Beschwerdeführer das Arbeitsverhältnis mit der B.________ AG am 15. November 2019 per 29. Februar 2020 kündigte, ohne dass er zu diesem Zeitpunkt eine andere Stelle in Aussicht hatte. Eine Unzumutbarkeit des Verbleibens an der bisherigen Arbeitsstelle bis zum Auffinden einer neuen Stelle (vgl. Art. 44 Abs. 1 lit b AVIV) lasse sich den Akten nicht entnehmen und werde vom Beschwerdeführer auch ausdrücklich nicht geltend gemacht. Somit erfülle er den Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit des Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG, was er im Grundsatz anerkenne.
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3.2. Zur Dauer der verfügten Einstellung hielt das kantonale Gericht fest, dass der Beschwerdeführer das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, um sich eine selbständige Erwerbstätigkeit im Bereich der Tiefdruckformherstellung für eine internationale Kundschaft aufzubauen, die eine Reisetätigkeit beinhaltet hätte. In diesem Zusammenhang habe er, eigenen Angaben zufolge, diverse Vorkehrungen getroffen, wobei er die Firmengründung infolge der Coronasituation einstweilen "auf Eis" gelegt habe. Zwar seien die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen im Kündigungszeitpunkt unbestrittenermassen nicht vorhersehbar gewesen und hätten den Beschwerdeführer dann auch an der Umsetzung seiner beruflichen Pläne gehindert. Massgebend seien indes die Umstände und Beweggründe des Beschwerdeführers, die zur Kündigung ohne Zusage einer neuen Arbeitsstelle geführt hätten. Hingegen sei nicht entscheidend, ob die Gründe für die eingetretene Arbeitslosigkeit vorhersehbar gewesen seien, bezweckten die gesetzlichen Bestimmungen doch die Vermeidung des Risikos, das sich aus einer Kündigung ohne vorgängige Zusicherung einer neuen Arbeitsstelle ergebe. Die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit berge ein erhöhtes Risiko, bei fehlenden Einnahmen arbeitslos zu werden, zumal das Einkommen von Selbständigerwerbenden unmittelbar von der Auftragslage abhänge und damit diversen externen, wenig kalkulierbaren Einflüssen unterworfen sei. Auch habe dem Beschwerdeführer bewusst sein müssen, dass er ab diesem Zeitpunkt das Unternehmerrisiko trägt. Folglich habe er keine entschuldbaren Gründe für die Kündigung aufzuzeigen vermocht. Da die Sanktion mit 36 Tagen im unteren Bereich des Verschuldens angesetzt worden sei und keine weiteren verschuldensmindernden Umstände vorlägen, bestehe kein Anlass, in das Ermessen der Beschwerdegegnerin einzugreifen und die Dauer der Sanktion zu korrigieren.
15
 
4.
 
4.1. Was der Beschwerdeführer in weitgehender Wiederholung des bereits vorinstanzlich Vorgebrachten dagegen einwendet, vermag die zutreffende Würdigung der konkreten Umstände und die überzeugende Begründung des kantonalen Gerichts nicht infrage zu stellen. Die Vorinstanz hat weder Recht verletzt noch den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt. Mit den bereits im kantonalen Verfahren erhobenen Einwendungen hat sie sich auseinandergesetzt und namentlich dargelegt, dass es für das Verschulden auf die Umstände und Beweggründe im Zeitpunkt der Kündigung ankommt. Zu ergänzen bleibt, dass jedenfalls für diesen Zeitpunkt die behauptete konkrete Geschäftsplanung oder Geschäftsaufbautätigkeit nicht substanziiert dargetan ist (vgl. Urteil C 398/99 vom 20. Juli 2000 E. 2c; zur Substanziierungslast vgl. BGE 144 III 519 E. 5.2.1.1). So verweist der Beschwerdeführer lediglich auf nicht weiter spezifizierte Vorbereitungshandlungen während der laufenden Kündigungsfrist, zudem hat er gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen mit der Firmengründung bis nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses mit der B.________ AG zugewartet (und sie dann aufgrund der Pandemie weiter aufgeschoben).
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4.2. Der Beschwerdeführer macht ausserdem geltend, dass er seine frühere Anstellung auch aufgrund des Arbeitsklimas gekündigt habe. So habe sich sein Aufgabenheft vom ursprünglichen Pflichtenheft weg entwickelt, sei die Sozialkompetenz des Vorgesetzten zweifelhaft gewesen und sei eine Änderung der Unternehmensstrategie zulasten von Mitarbeitenden und Kunden erfolgt. Dies biete zwar keinen Anlass, von einer eigentlichen Unzumutbarkeit der Stelle auszugehen. Allerdings lasse es sein Verschulden nicht mehr als schwer, sondern lediglich als mittelschwer oder leicht erscheinen, weshalb die Sanktion entsprechend herabzusetzen sei. Abgesehen davon, dass er im vorinstanzlichen Verfahren ausdrücklich darauf verzichtet hatte, sich auf die Verhältnisse am früheren Arbeitsplatz (und deren Unzumutbarkeit) zu berufen (s. vorne E. 3.1), lassen sich seiner Schilderung keine besonderen Umstände entnehmen, die ein Abweichen vom Regelfall des schweren Verschuldens nach Art. 45 Abs. 4 lit. a AVIV rechtfertigen würden. Damit hat es mit dem vorinstanzlichen Urteil sein Bewenden.
17
5.
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Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG - ohne Durchführung eines Schriftenwechsels und mit summarischer Begründung - erledigt wird.
19
6.
20
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
21
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 10. November 2021
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Betschart
 
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