BGer 1B_322/2021 | |||
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BGer 1B_322/2021 vom 22.12.2021 | |
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1B_322/2021 |
Urteil vom 22. Dezember 2021 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag,
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Gerichtsschreiberin Sauthier.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Simon Bächtold,
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gegen
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Statthalteramt Bezirk Pfäffikon,
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Hörnlistrasse 71, 8330 Pfäffikon.
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Gegenstand
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Strafverfahren; Entsiegelung,
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Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts
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Pfäffikon, Zwangsmassnahmengericht, vom 7. Mai 2021
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(GT210003).
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Sachverhalt: | |
A.
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Die Eidgenössische Zollverwaltung kontrollierte am 17. November 2020 ein an A.________ adressiertes Luftpolstercouvert. Dieses stammte aus den Niederlanden und enthielt zwei Vakuumbeutel mit der Aufschrift "High Hawaiians". Darin befanden sich zu den Halluzinogenen gehörende psilocybinhaltige Pilze (2 x 22g). Bereits am 16. Oktober 2020 hatte die Eidgenössische Zollverwaltung eine auf A.________ adressierte Postsendung mit 15 g Psilocybinpilzen inkl. Kulturen sicherstellen lassen. Auf Antrag des Statthalteramts des Bezirks Pfäffikon führte die Kantonspolizei Zürich am 23. Februar 2021 eine Durchsuchung am Wohnort von A.________ durch und stellte diverse Datenträger bzw. Geräte sicher. Mit Schreiben vom 24. Februar 2021 verlangte A.________ die Siegelung sämtlicher anlässlich der Hausdurchsuchung sichergestellten Datenträger bzw. Geräte.
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Mit Eingabe vom 10. März 2021 beantragte das Statthalteramt die Entsiegelung und Durchsuchung der am 26. Februar 2021 versiegelten Gegenstände. In seiner Stellungnahme vom 29. März 2021 hielt A.________ fest, er wolle nur das neue Mobiltelefon, den Laptop und die kleine externe Festplatte gesiegelt wissen. Das Bezirksgericht Pfäffikon, Zwangsmassnahmengericht, hiess das Entsiegelungsgesuch am 7. Mai 2021 gut, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist. Es verfügte, dass das neue Mobiltelefon, der Laptop und die kleine externe Festplatte nach Eintritt der Rechtskraft entsiegelt werden (Dispositiv-Ziffer 1). Weiter hielt es fest, dass folgende Daten ausgesondert werden: Auf dem Mobiltelefon in den Apps "Fotos/Video" und "WhatsApp Bilder/Video" sowie auf dem Laptop und der externen Festplatte in den Ordnern "Bilder/Fotos": Fotos und kurze Videos, die den Gesuchsgegner und teilweise auch Dritte nackt zeigen". In WhatsApp: Chatverläufe mit neuen Bekanntschaften, die intime Nachrichten und Medien enthalten. In den E-Mails die E-Mail-Kommunikation über "...".ch mit mindestens einer Bekannten, die mindestens ein intimes Foto von ihm selber enthält (Dispositiv-Ziffer 2). Die Entsiegelung und Durchsuchung überliess es der Gesuchstellerin (Dispositiv-Ziffer 3).
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B.
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Mit Eingabe vom 9. Juni 2021 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. Mai 2021 sei aufzuheben. Das Ersuchen des Statthalteramts vom 10. März 2021 um Entsiegelung und Durchsuchung sei abzuweisen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, verbunden mit der Weisung, die Triage der auszusondernden Daten selbst vorzunehmen, allenfalls unter Beizug von Fachpersonen, die von den Strafverfolgungsbehörden unabhängig seien.
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Das Statthalteramt nahm Stellung und verwies auf die Ausführungen im Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 7. Mai 2021.
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Erwägungen: | |
1.
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Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Entsiegelung von Daten, die in einem Strafverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid. Der Beschwerdeführer ist Inhaber der sichergestellten Datenträger sowie der vom angefochtenen Entsiegelungsentscheid betroffenen Daten. Er macht geltend, dass der angefochtene Entscheid zu einem Eingriff in rechtlich geschützte Geheimnisse (Intimsphäre und Patientenunterlagen) führen würde, der auch durch einen Endentscheid nicht mehr korrigiert werden könnte. Damit ist er zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 BGG) und es droht ihm gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ein nicht wieder gut zu machender Nachteil rechtlicher Natur (vgl. BGE 143 IV 462 E. 1; Urteil 1B_394/2017 vom 17. Januar 2018 E. 1, nicht publ. in: BGE 144 IV 74; je mit Hinweisen). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind grundsätzlich erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass.
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2. | |
2.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die beantragte Entsiegelung seiner Datenträger sei ungerechtfertigt und unverhältnismässig. Er habe die Bestellung der psilocybinhaltigen Pilze zum Eigenkonsum längst eingeräumt. Ihm würde zudem lediglich eine Übertretung im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes vorgeworfen. Weiter sei er auch nicht vorbestraft. Es sei unklar, weshalb davon ausgegangen würde, auf den Datenträgern befänden sich Informationen zur Bestellung und zum Konsum der Pilze. Diese seien sodann vom Zoll sichergestellt worden. Weshalb die angeblich auf den Datenträgern befindlichen Informationen vorliegend relevant, d.h. zur Beweisführung geeignet und erforderlich sein sollen, sei nicht ersichtlich. Betreffend allfälliger weitergehender Straftaten läge keinerlei Tatverdacht vor. Schliesslich seien auch anlässlich der Hausdurchsuchung keine weiteren Betäubungsmittel aufgefunden worden. Das Statthalteramt beabsichtige eine unzulässige "fishing expedition".
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2.2. Nach Art. 246 StPO dürfen unter anderem Datenträger und Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen. Bei Einwänden des Inhabers oder der Inhaberin wegen möglicher Beschlagnahmeverbote sind die sichergestellten Datenträger bzw. Informationsspeicher zu versiegeln.
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Wie bei anderen Zwangsmassnahmen bildet unter anderem ein hinreichender Tatverdacht Voraussetzung der Sicherstellung und in der Folge der Entsiegelung (Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO). Im Gegensatz zu Zwangsmassnahmen wie z.B. der Untersuchungshaft oder der Telefonüberwachungen beschränkt die StPO die Hausdurchsuchung, die vorläufige Sicherstellung von Aufzeichnungen und Gegenständen sowie deren Entsiegelung (und Freigabe zur Durchsuchung seitens der Staatsanwaltschaft) nicht auf die Untersuchung von Vergehen oder Verbrechen (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 244, 246, 248 und 263 StPO). In begründeten Fällen und im Rahmen des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes (Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2 StPO) kann eine Entsiegelung daher grundsätzlich auch zur Untersuchung von Übertretungen zulässig erscheinen (vgl. Urteile 1B_251/2016 vom 9. Mai 2017 E. 5.4; 1B_216/2013 vom 18. Dezember 2013 E. 3.5 mit Hinweis).
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Bei der Sicherstellung von Objekten und Vermögenswerten im Strafverfahren muss der Nachweis strafbarer Handlungen noch nicht vorliegen. Es muss immerhin aufgrund einer vorläufigen Einschätzung von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Strafhandlungen, der Massgeblichkeit der fraglichen Unterlagen und Objekte sowie der rechtlichen Bedeutung derselben ausgegangen werden können; gleichzeitig darf es dabei für die Zulässigkeit der Sicherstellung oder Entsiegelung auch sein Bewenden haben (vgl. Urteil 1B_439/2020 vom 21. Januar 2021 E. 7 mit Hinweis).
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2.3. Der hinreichende Tatverdacht gemäss Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO ist vorliegend grundsätzlich unbestritten. Der Beschwerdeführer ist geständig, Psilocybinpilze bestellt zu haben. Seine Behauptung, er habe nicht gewusst, dass es sich dabei um verbotene Betäubungsmittel handle, ändert am Tatverdacht nichts. Fraglich ist demgegenüber, ob die Entsiegelung vorliegend auch verhältnismässig ist. Die Vorinstanz hielt diesbezüglich einzig fest, auch wenn dem Beschwerdeführer kein schwerer Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen werde, könne nicht zum Vornherein von einem leichten Fall ausgegangen werden. Ebensowenig sei die Unverhältnismässigkeit (einer Beschlagnahme) mit dem Hinweis dargetan, der dem Beschwerdeführer vorgeworfene Straftatbestand stelle bloss eine Übertretung dar. Mit Blick auf die Verhältnismässigkeit stünde einer Entsiegelung grundsätzlich nichts entgegen.
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2.4. Es trifft zu, dass eine Entsiegelung grundsätzlich auch bei Übertretungen nicht ausgeschlossen ist (vgl. E. 2.2 hiervor). Je geringfügiger ein Gesetzesverstoss ist, desto eher droht eine Zwangsmassnahme indes unverhältnismässig im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO zu sein.
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Das Statthalteramt hat in seinem Antrag auf Entsiegelung und Durchsuchung ausgeführt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer noch weitere Bestellungen der verbotenen Psilocybinpilze getätigt habe. Zur Begründung verwies es auf die Einvernahme des Beschwerdeführers zum Vorfall vom 16. Oktober 2020 und den Umstand, dass er damals verschwiegen habe, am 17. November 2020 erneut Psilocybinpilze bestellt zu haben. Einzig aus diesem Umstand lassen sich allerdings keine konkreten Anhaltspunkte ableiten, der nicht vorbestrafte Beschwerdeführer könnte weitere (noch) nicht bekannte Bestellungen aufgegeben haben, wofür sich Hinweise auf den beschlagnahmten Datenträgern befänden. Dies gilt im Übrigen umso mehr, als der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren schliesslich beide Bestellungen eingestanden hat. Andere Anhaltspunkte zeigt das Statthalteramt nicht auf. Solche sind auch nicht ersichtlich. Denn anlässlich der Hausdurchsuchung konnten ebenfalls keine weiteren Betäubungsmittel vorgefunden werden. Einzig die unspezifische Vermutung, auf den Datenträgern könnten sich Hinweise auf allfällige weitere Bestellungen von psilocybinhaltigen Pilzen befinden, reicht nicht aus, um den vorliegenden Eingriff in die Privatsphäre des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Dem Beschwerdeführer ist insofern zuzustimmen, dass es nicht angeht, wenn die kantonalen Behörden ohne konkreten Verdacht und einzig auf "Gut Glück" seine Datenträger entsiegle.
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Schliesslich ist die Auswertung der Daten auf den Datenträgern des Beschwerdeführers zur Klärung des vorliegenden Sachverhalts ohnehin nicht notwendig. Die Bestellungen der Pilze sind vom Beschwerdeführer eingestanden. Zudem wurden sie am Zoll sichergestellt und stehen für die Beweisführung zur Verfügung. Das Statthalteramt verfügt damit bereits über die wesentlichen und für das Verfahren notwendigen Informationen. Die Übertretungen rechtfertigen unter diesen Umständen den erheblichen Eingriff in die persönliche Freiheit bzw. den Schutz der Privatsphäre des Beschwerdeführers nicht. Die Entsiegelung erweist sich als unverhältnismässig, weshalb der Antrag des Statthalteramts abzuweisen ist.
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Im Übrigen wäre die Delegation der "Entsiegelung und Durchsuchung" an das Statthalteramt ohnehin nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Die Triage hat durch eine richterliche Behörde und nicht durch eine Strafverfolgungsbehörde zu erfolgen (BGE 142 IV 372 E. 3.1; 141 IV 77 E. 5.5.1 f.; je mit Hinweisen). Beim Statthalteramt handelt es sich vorliegend aber um die für die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Übertretungen zuständige Strafverfolgungsbehörde (vgl. § 86 Abs. 1 lit. b Ziff. 1. i.V.m. § 89 Abs. 1 des Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess des Kantons Zürich [GOG; LS 211.1]). Auch aus diesem Grund wäre die Beschwerde folglich gutzuheissen.
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3.
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Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als begründet und ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und das Entsiegelungsgesuch des Statthalteramts ist abzuweisen.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Bezirks Pfäffikon vom 7. Mai 2021 wird aufgehoben. Das Ersuchen des Statthalteramts des Bezirks Pfäffikon vom 10. März 2021 um Entsiegelung und Durchsuchung wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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3.
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Der Kanton Zürich hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Simon Bächtold, mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Statthalteramt Bezirk Pfäffikon und dem Bezirksgericht Pfäffikon, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 22. Dezember 2021
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Chaix
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Die Gerichtsschreiberin: Sauthier
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