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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
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5. Strafsenat |
Urteil |
vom 10. November 1954 g.H. |
- 5 StR 476/54 - |
I. Schwurgericht Hamburg |
Aus den Gründen: | |
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes und wegen Mordes an seiner zur Zeit der Taten ungefähr 19 Monate alten ehelichen Tochter Jutta zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
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Das Schwurgericht hat die äußeren und inneren Voraussetzungen des versuchten Mordes und des Mordes in rechtlich einwandfreier Weise festgestellt. (Wird ausgeführt.)
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Der Strafausspruch gibt ebenfalls zu keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken Anlaß.
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Das Schwurgericht hat trotz Annahme erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit (erheblich vermindertes Hemmungsvermögen infolge Schwachsinns) von der im § 51 Abs. 2 StGB vorgesehenen Strafmilderungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Zu Unrecht meint die Revision, daß es sich dabei von rechtsirrigen Erwägungen habe leiten lassen.
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§ 51 Abs 2 StGB schreibt Strafmilderung wegen erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit nicht zwingend vor. Er überläßt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, ob er die Strafe mildern will oder nicht. Dies hindert das Revisionsgericht allerdings nicht, die vom Tatrichter getroffene Entscheidung daraufhin zu prüfen, ob sie auf rechtsirrigen Erwägungen beruht.
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Das Reichsgericht hat zwar die Auffassung vertreten, daß das Ermessen des Tatrichters bei jener Entscheidung uneingeschränkt sei (vgl RGSt 71, 179; 74, 217; RG DR 1942, 329). Der Senat kann dieser Auffassung jedoch nicht zustimmen. Sie wird dem Sinn der Vorschrift nicht gerecht.
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Die Bestimmung des § 51 Abs. 2, daß bei erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit des Täters die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs (§ 44 Abs. 1 und 2 ![]() ![]() | 8 |
Die Vorschrift des § 51 Abs. 2 StGB beruht auf dem Gedanken, daß die Strafe schuldangemessen sein soll, daß aber erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat vermindert (vgl. hierzu BGH NJW 1953, 1760 und RGSt 69, 314 [317]), so daß die Mindeststrafe oder absolut bestimmte Strafe, die das Gesetz für den Regelfall vorsieht, bei erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit des Täters möglicherweise das schuldangemessene Strafmaß übersteigt. Hieraus folgt, daß die ![]() ![]() | 9 |
Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils kann hiernach aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Die Urteilsgründe ergeben klar, daß das Schwurgericht für den vom Angeklagten verübten Mord trotz der erheblich verminderten Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten mit Rücksicht auf andere schulderhöhende Umstände lebenslanges Zuchthaus als schuldangemessene Strafe erachtet hat. Das Schwurgericht hat ausweislich der Urteilsgründe diese schulderhöhenden Umstände darin gefunden, daß der Angeklagte sein eigenes Kind ermordet hat, daß er seine Mordabsichten mit unmenschlicher Beharrlichkeit verfolgte, daß er das Kind tötete, als es schlief, daß er mit ansehen konnte, wie sich das Kind unter dem Stromstoß aufbäumte und tot in sich zusammensank, und daß er es danach fertigbrachte, umsichtig die Spuren der Tat zu beseitigen und ![]() ![]() | 10 |
Es kann auch nicht aus Rechtsgründen beanstandet werden, daß im Urteil zusätzlich gesagt ist, das Gericht habe sich bei seiner Entscheidung auch von dem Gedanken der allgemeinen Abschreckung leiten lassen. Welche Strafe schuldangemessen ist, kann nicht genau bestimmt werden. Es besteht hier ein Spielraum, der nach unten durch die schon schuldangemessene Strafe und nach oben durch die noch schuldangemessene Strafe begrenzt, wird. Der Tatrichter darf die obere Grenze nicht überschreiten. Er darf also nicht eine Strafe verhängen, die nach Höhe oder Art so schwer ist, daß sie von ihm selbst nicht mehr als schuldangemessen empfunden wird. Er darf aber nach seinem Ermessen darüber entscheiden, wie hoch er innerhalb dieses Spielraumes greifen soll. Wo das Gesetz, wie hier, für den Regelfall allein lebenslanges Zuchthaus androht , können bei erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit des Täters diese Strafe und eine zeitige Zuchthausstrafe zugleich innerhalb des Spielraumes liegen. Es kann durchaus sein, daß für denselben Mord eines erheblich vermindert zurechnungsfähigen Täters, zwar schon eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren schuldangemessen erscheint, daß aber auch lebenslanges Zuchthaus noch als schuldangemessen angesehen werden kann. Wenn der Tatrichter in einem solchen Falle von den verschiedenen schuldangemessenen Strafen, zwischen denen er wählen kann, aus dem Gedanken allgemeiner Abschreckung die schwerste Strafe wählt, so bedeutet das keinen Rechtsirrtum. So liegt es aber hier.
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Die zusätzlichen Ausführungen des Urteils über die Notwendigkeit einer allgemeinen Abschreckung besagen nicht, daß das Schwurgericht lebenslanges Zuchthaus nicht als schuldangemessene Strafe erachtet, sondern sie schließlich nur deshalb verhängt hätte, weil der Gedanke der allgemeinen Abschreckung dies erfordere. Das Urteil ergibt vielmehr klar, daß das Schwurgericht lebenslanges Zuchthaus als eine Strafe erachtet hat, die dem Schuldgehalte der Tat entspricht. Die zusätzlichen ![]() ![]() ![]() | 12 |
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