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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
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StGB § 24 |
4. Strafsenat |
Urteil |
vom 10. April 1986 g.D. |
- 4 StR 89/86 - |
Landgericht Marburg |
Aus den Gründen: | |
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und mit fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und gegen ihn eine Maßnahme nach § 69 StGB verhängt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. ![]() | 1 |
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2. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß der voll schuldfähige Angeklagte im ersten Teil dieses Geschehens durch seinen Versuch, D . zu überfahren, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 StGB) begangen und zugleich den Tatbestand des versuchten Totschlags (§§ 212, 22 StGB) erfüllt hat. Ohne Rechtsfehler nimmt der Tatrichter darüber hinaus an, daß die beim Versuch, D. zu töten, verursachte Verletzung von E.B. als tateinheitlich ![]() ![]() | 3 |
3. Zutreffend hat die Strafkammer dargelegt, daß der mit dem Würgen des Opfers D. beginnende zweite Teil des Geschehens als gefährliche Körperverletzung (§ 223a StGB) in der Form einer das Leben gefährdenden Behandlung strafbar ist. Von einem darin möglicherweise liegenden Tötungsversuch ist der Angeklagte, wie die Strafkammer ohne jede nähere Begründung meint, strafbefreiend zurückgetreten. Kommt aber ein solcher Rücktritt tatsächlich in Betracht, dann hätte sich das Landgericht mit der naheliegenden Frage auseinandersetzen müssen, ob sich dieser Rücktritt nicht auch auf den vorausgegangen Tötungsversuch durch Überfahren erstreckt hat. Eine solche Erörterung wäre bei dem vorliegenden Geschehensablauf nur dann entbehrlich gewesen, wenn dieser Tötungsversuch rechtlich als fehlgeschlagen aufzufassen wäre. Dann hätte der folgende Angriff ohne weitere Darlegungen als neue Tat (gefährliche Körperverletzung oder Tötungsversuch) gewertet werden können. Insoweit ist aber die Urteilsbegründung unzureichend. Die bloße Feststellung, der Angeklagte sei aufgrund eines neu gefaßten Entschlusses tätig geworden, entbehrt der tatsächlichen Grundlage; sie versteht sich bei dem vorliegenden Geschehen nicht von selbst. Der Angeklagte kann durchaus in Fortsetzung seines einmal gefaßten Tötungsvorsatzes gehandelt haben, nachdem sein erster Tötungsversuch gescheitert war. Dazu ist folgendes auszuführen: ![]() | 4 |
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b) Fehlgeschlagen ist ein Versuch jedenfalls dann, wenn es dem Täter, was er weiß, tatsächlich unmöglich ist, im unmittelbaren Fortgang des Geschehens den Erfolg noch herbeizuführen. Entsprechendes gilt, wenn objektiv die Möglichkeit der Vollendung der Tat noch gegeben wäre, der Täter die Mittel, die er dazu benötigt, aber nicht kennt oder nicht verwenden kann, etwa weil er sie objektiv nicht beherrscht oder subjektiv zu ihrer Anwendung nicht in der Lage ist. Die Frage, wie zu entscheiden ![]() ![]() | 6 |
c) Die Strafkammer hat sich mit der Frage, ob die gegen das Opfer gerichteten Handlungen des Angeklagten, nämlich ein Tötungsversuch durch Überfahren und der anschließende körperliche Angriff bei fortbestehendem Tötungsvorsatz, als einheitlicher Lebensvorgang angesehen werden können, nicht befaßt. Sie wäre zu bejahen, wenn der Angeklagte den Entschluß, den Zeugen zu töten, nach dem Scheitern des Versuchs, ihn zu überfahren, nicht aufgegeben, sondern ohne zeitliche Zäsur zum Mittel des Würgens gegriffen hätte. Eine solche Sachverhaltsgestaltung liegt nach den Feststellungen nicht fern. Denn der Angeklagte hat sich sofort auf das Opfer gestürzt, als er erkannt hatte, daß sein ursprüngliches Vorhaben, ihn durch Überfahren zu töten, gescheitert war. Er hat dabei nach den Feststellungen zumindest in der Absicht gehandelt, ihn jetzt körperlich fühlbar zu züchtigen. Diese Feststellung ("zumindest") schließt nicht zweifelsfrei (in dubio pro reo) aus, daß er in Fortsetzung seines ursprünglichen Tötungsvorhabens, - also nicht mit Körperverletzungs-, sondern mit Tötungsvorsatz ![]() ![]() | 7 |
Aber auch dann, wenn der Angeklagte tatsächlich bei Beginn des Würgens nicht mehr mit Tötungsvorsatz, sondern nur noch mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt haben sollte, ist ein strafbefreiender Rücktritt vom Tötungsversuch nicht von vornherein auszuschließen, wenn der Angeklagte sofort nach dem Scheitern seines Versuchs, sein Opfer durch Überfahren zu töten, die Möglichkeit der Fortsetzung seines Tötungsversuchs mit anderen Mitteln (durch Würgen) erkannt, diese auch für realisierbar gehalten, aber auf die Verwirklichung freiwillig verzichtet und sich stattdessen dazu entschlossen hat, sein Opfer nur noch körperlich zu verletzen.
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Anders wäre es allerdings, wenn der Angeklagte nach dem Scheitern seines ursprünglichen Tötungsplanes die Möglichkeit der Fortsetzung mit anderen Mitteln entweder gar nicht erkannt oder die Realisierung für unmöglich gehalten haben sollte, etwa weil er sich nicht in der Lage sah, einen Menschen durch Erwürgen zu töten. In diesem Fall wäre der ursprüngliche Tötungsversuch fehlgeschlagen, der anschließende Angriff wäre darin als neue Tat zu behandeln, selbst wenn sich der Angeklagte in seinein Verlauf doch wieder zur Tötung entschlossen hätte.
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d) Entscheidend kommt es deshalb auf die Vorstellungen und Möglichkeiten des Angeklagten in dem Zeitpunkt an, in dem er erkannt hatte, daß sein Versuch, sein Opfer durch Überfahren zu töten, gescheitert war. Dazu und zu den weiteren Rücktrittsvoraussetzungen des § 24 StGB fehlen bisher ausreichende Feststellungen. Deshalb ist das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben. ![]() | 10 |
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