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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Brian Valerius, A. Tschentscher | |||
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2. Trotz willkürlicher Verweisung verbleibt die Sache bei dem höheren Gericht, wenn dessen sachliche Zuständigkeit tatsächlich gegeben ist. |
StPO § 270 Abs. 1 |
4. Strafsenat |
Urteil |
vom 22. April 1999 g.C. |
- 4 StR 19/99 - |
Landgericht Münster |
Aus den Gründen: | |
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen verkauften der Angeklagte und sein gesondert verfolgter Mittäter an fünf kurz aufeinanderfolgenden Tagen in einer Vielzahl von Einzelfällen Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 44% an Endverbraucher; die gesamte zum Verkauf bestimmte Menge belief sich auf mindestens 25 g Kokain. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und - in der Gegenerklärung zum Antrag des Generalbundesanwalts nach § 349 Abs. 2 StPO - das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung einwendet, hat keinen Erfolg.
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Das vom Angeklagten behauptete Verfahrenshindernis besteht nicht. Der Angeklagte war zunächst wegen Banden ![]() ![]() | 2 |
1. Die Revision geht zutreffend davon aus, daß der Senat die von ihr nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist aufgeworfene Frage, ob das Amtsgericht das Verfahren wirksam an das Landgericht verwiesen hat, von Amts wegen zu prüfen hat (vgl. BGHSt 6, 109, 113; BGH bei Dallinger MDR 1966, 894; bei Kusch NStZ 1992, 29; ebenso Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 270 Rdn. 11; vgl. auch BGHSt 18, 290, 294: Grundlage des weiteren Verfahrens). § 270 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO, auf den der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts gestützt ist, regelt, wie zu verfahren ist, wenn sich die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit nach Beginn der Hauptverhandlung ändert. Die sachliche Zuständigkeit ist, wie der Senat wiederholt entschieden hat, nach § 6 StPO als Prozeßvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (BGHSt 40, 120, 122 = JZ 1995, 261 m. krit. Anm. Engelhardt = JR 1995, 255 m. zust. Anm. Sowada; BGHSt 44, 34, 36 = JR 1998, 467 m. zust. Anm. Dietmeier; BGHR StPO § 269 Unzuständigkeit 4; BGH, Beschlüsse vom 3. August 1995 - 4 StR 420/95 - und vom 16. April 1996 - 4 StR 80/96; ebenso Kuckein in KK 4. Aufl. § 338 Rdn. 66; a.A. - jeweils obiter dicta - BGHSt 43, 53, 56 = JZ 1998, 627 m. abl. Anm. Bernsmann; BGH NJW 1993, 1607). Dies umfaßt die Frage, ob die Sache beim Landgericht prozeßordnungsgemäß anhängig geworden ist (vgl. BGHR StPO § 4 Verbindung 3; § 270 Abs. 1 Wirksamkeit 1; vgl. auch BGHSt 44, 121).
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2. Der auf § 270 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO gestützte Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts, das nach Beginn der Hauptverhandlung die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Münster für begründet hielt, ist wirksam.
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a) Allerdings begegnet das Verfahren des Schöffengerichts wegen des aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Verbots willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (vgl. ![]() ![]() | 5 |
b) Hieraus kann allerdings nicht die Folgerung gezogen werden, der Verweisungsbeschluß sei deswegen nichtig.
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aa) Ein Verweisungsbeschluß ist vielmehr grundsätzlich wirksam und bindend, auch wenn er unvollständig, formell fehlerhaft oder sachlich falsch ist (BGHSt 27, 99, 103; BGH ![]() ![]() | 7 |
bb) Der gegenteiligen Meinung (OLG Karlsruhe NStZ 1990, 100; OLG Koblenz NStE Nr. 5 zu § 270; OLG Hamm MDR 1993, 1002; OLG Frankfurt StV 1996, 533; OLG Naumburg JMBl Sachsen-Anhalt 1996, 229, 230; OLG Düsseldorf StraFo 1997, 115, 116; 1998, 274, 275; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 270 Rdn. 37; Schlüchter a.a.O. Rdn. 28; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 270 Rdn. 26; vgl. auch BGHSt 45, 26, wo aber die Frage einer Transportwirkung offenbleibt) liegt die Annahme zugrunde, gerichtliche Entscheidungen könnten in seltenen Ausnahmefällen nichtig sein (vgl. BVerfG NJW 1985, 125 f.; BGHSt 33, 126, 127; BGH NStZ 1984, 279). Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die dagegen bestehenden Bedenken (vgl. Sarstedt JR 1955, 351 f.; Grünwald ZStW 76, 250; Meyer-Goßner JR 1981, 379 f.; Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Einl. Abschn. J Rdn. 116 ff. und Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. Einl. Rdn. 105, jeweils m.w.N.) - etwa das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit, das den Eintritt der Rechtskraft nach Ausschöpfung der formalisierten Rechtsbehelfe der Strafprozeßordnung (einschließlich § 458 StPO) fordert; die Funktion des Wiederaufnahmeverfahrens zur Beseitigung von (denkbaren) Fehlentscheidungen; die mögliche Beeinträchtigung der Schutzfunktion des Grundsatzes ne bis in idem; der Schutz der Verfassungsbeschwerde und das Fehlen praktikabler Abgrenzungskriterien - nicht von vornherein die Unbeachtlichkeit von Strafurteilen oder anderen instanzabschließenden Entscheidungen ausschließen.
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cc) Jedenfalls bei der gerichtlichen Zwischenentscheidung nach § 270 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO erscheint es verfehlt, deren Nichtigkeit anzunehmen (vgl. auch BGHSt 29, 351, 355 ![]() ![]() | 9 |
dd) Die Annahme seiner Unwirksamkeit erscheint zudem entbehrlich: Entweder führt die Entscheidung infolge ihrer Fehlerhaftigkeit den gewünschten Erfolg nicht herbei - etwa eine "Verweisung gemäß § 270 StPO" außerhalb der Hauptverhandlung (BGHSt 44, 121) - oder sie kann - bei fehlerhafter Beurteilung der Zuständigkeit - korrigiert werden: Dies kann, abgesehen von dem Fall der Zuständigkeitsbestimmung analog §§ 14, 19 StPO, durch Weiterverweisung, Vorlage oder Abgabe der beim höheren Gericht rechtshängig gewordenen Sache gemäß den §§ 225 a, 270 StPO (vgl. auch BGHSt 21, 268, 270) geschehen, aber auch durch Zurückverweisung an das zuvor mit der Sache befaßte Gericht (Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 270 Rdn. 20). Falls dieses an seiner Meinung festhält, entsteht der vom 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs erörterte negative Kompetenzkonflikt, da die Zurückverweisung - wie der 3. Strafsenat in BGHSt 45, 26, 30 zutreffend ausführt - im Gegensatz zum Verweisungsbeschluß (mangels gesetzlicher Grundlage) keine bindende Wirkung hat.
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ee) § 269 StPO steht einer Zurückverweisung nicht entgegen (so auch BGHSt 45, 26; a.A. Gollwitzer JR 1991, 37, 39; vgl. auch RGSt 62, 265, 271; OLG Stuttgart NStZ 1995, 248, 249), denn § 270 StPO enthält insoweit eine Sonderregelung ![]() ![]() | 11 |
Eine der Hilfserwägung in der bei Pfeiffer NStZ 1981, 296 f. mitgeteilten Entscheidung etwa zugrundeliegende gegenteilige Rechtsauffassung gibt der Senat auf. Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs steht nicht entgegen. Die Unwirksamkeit eines Beschlusses nach § 270 StPO wurde nur bei einer Verweisung außerhalb der Hauptverhandlung angenommen (BGHSt 6, 109, 110, 113; vgl. BGHSt 18, 290), wohl auch in dem Beschl. BGHSt 45, 26; in dem aber lediglich die Verneinung einer Bindungswirkung infolge von Willkür entscheidungstragend war.
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c) Eine willkürliche Verweisung durch das Amtsgericht Münster ließe somit nicht die Transport-, sondern nur die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfallen. Das Landgericht durfte und mußte daher prüfen, ob es sachlich zuständig war, da in diesem Fall eine Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht nicht in Betracht kam (vgl. oben 2 b dd). Das war hier zu bejahen, da das Amtsgericht die Sache ![]() ![]() ![]() | 13 |
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