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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
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StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3, §§ 252, 373 |
2. Strafsenat |
Urteil |
vom 3. November 2000 g.P. |
- 2 StR 354/00 - |
Landgericht Bonn![]() |
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I. | |
Das Landgericht K. hatte den Angeklagten mit rechtskräftigem Urteil vom 20. April 1994 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte die Taten in den Jahren 1988 bis 1990 in Estland und in Wipperfürth an seiner am 15. Juli 1977 geborenen Enkelin N. P. begangen. Die Verurteilung beruhte im wesentlichen auf den belastenden Angaben der Zeugin N. P.
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Am 13. Februar 1995 beantragte der Angeklagte die Wiederaufnahme des Verfahrens, weil N. P. ihre den Angeklagten belastende Aussage in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft K. vom 17. Dezember 1994 als falsch widerrufen hatte. Im Probationsverfahren wurde N. P. zu ihrem Widerruf am 16. Mai 1995 richterlich vernommen. Am 8. Februar 1996 verwarf das Landgericht B. den Wiederaufnahmeantrag als unbegründet. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten ordnete das Oberlandesgericht K. am 7. Mai 1996 die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung an.
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Mit Urteil vom 21. März 2000 hat das Landgericht B. das Urteil des Landgerichts K. aufgehoben und den Angeklagten - nach Fortfall der fortgesetzten Handlung - im wesentlichen wegen desselben Tatgeschehens wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in elf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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II. | |
Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, das Landgericht habe die Angaben der Enkelin des Angeklagten nicht verwerten dürfen, die diese gegenüber der früheren Sachverständigen und jetzigen Zeugin J. bei der Glaubwürdigkeitsprüfung gemacht hat, weil N. P. in der neuen Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe.
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2. Der Rüge liegen folgende Verfahrensvorgänge zu Grunde:
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Im Ermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft K. die Sachverständige J. mit einem Gutachten zur Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben von N. P. beauftragt. Bei der Exploration äußerte sich die Zeugin am 14. September 1993 ausführlich zum Tatgeschehen. Auch in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht K. machte N. P. ausführliche belastende Angaben zum Tatgeschehen, die das Landgericht in Übereinstimmung mit der damaligen Sachverständigen J. für glaubhaft erachtete und seinen Feststellungen zu Grunde legte.
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Zur Vorbereitung der Entscheidung im Probationsverfahren beauftragte das Landgericht die Sachverständige J. mit einem ergänzenden Gutachten zur Glaubhaftigkeit des Aussagewiderrufs. Auch bei der hierzu erfolgten Exploration äußerte sich N. P. am 8. Dezember 1995.
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Wegen Bedenken der Verteidigung gegen die Unbefangenheit der Sachverständigen J. beauftragte das Landgericht B. zur Vorbereitung der erneuten Hauptverhandlung im Wiederaufnahmeverfahren die Sachverständige M. mit der Erstattung eines weiteren Glaubhaftigkeitsgutachtens. Diese Sachverständige wurde in der Hauptverhandlung gehört. Ihr stand die Zeugin N. P. jedoch nicht mehr zu einer Exploration zur Verfügung.
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In der abgebrochenen Hauptverhandlung vom 7. Oktober 1997 machte N. P. nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zunächst Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen und zur Vernehmungsfähigkeit und verweigerte schließlich weitere Angaben. Auch in der neu anberaumten Hauptverhandlung am 14. März 2000 machte sie nach Belehrung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebraucht. Die Strafkammer hat in der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Hauptverhandlung u.a. den Vorsitzenden und den Berichterstatter der Strafkammer des Landgerichts K., vor der N. P. nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht ausgesagt hatte, und die frühere Sachverständige J. als Zeugen dazu vernommen, was N. P. ihnen gegenüber zum Tatgeschehen ausgesagt hat, und die Sachverständige M. gehört. ![]() | 10 |
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3. Das angefochtene Urteil stützt sich somit bei seiner Beweiswürdigung auf die Ausführungen der Zeugin und früheren Sachverständigen J. zu den Angaben, die N. P. ihr gegenüber bei der Exploration am 14. September 1993 insbesondere zum Tatgeschehen gemacht hat. Darin liegt ein Verstoß gegen § 252 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO.
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a) Seit der Entscheidung BGHSt 2, 99 ist es ständige Rechtsprechung und einhellige Meinung im Schrifttum, daß § 252 StPO nicht nur ein Verlesungs-, sondern ein Verwertungsverbot enthält, das nach der berechtigten Zeugnisverweigerung auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen, ausschließt (vgl. BGHSt 45, 203 [205] m.w.N.). Mitteilungen eines gemäß § 52 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen gegenüber einem Sachverständigen über Zusatztatsachen (vgl. hierzu BGHSt 18, 107 [108]), zu denen regelmäßig auch die Tatschilderung eines auf seine Glaubwürdigkeit zu begutachtenden Zeugen gehört (BGH NStZ 1997, 95 = StV 1996, 522), stehen einer Aussage im Sinne des § 252 StPO gleich. Soweit die Rechtsprechung ausnahmsweise die Vernehmung der Richter zuläßt, die an der früheren Vernehmung mitgewirkt haben (BGHSt 2, 99; 27, 231), kann diese Ausnahme auf die Befragung durch den ![]() ![]() | 13 |
Da sich die Enkelin des Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung berechtigt auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) berief, waren ihre Angaben zum Tatgeschehen, die sie gegenüber der früheren Sachverständigen J. gemacht hat, nicht verwertbar.
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b) Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 1957 (BGHSt 11, 97) rechtfertigt keine andere Beurteilung. In dieser Entscheidung hatte der 4. Strafsenat in einem unverbindlichen Hinweis an den neuen Tatrichter Äußerungen eines richterlich über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrten Zeugen gegenüber dem Sachverständigen trotz inzwischen erklärter Zeugnisverweigerung bei der Erstattung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens auch in Bezug auf die "Anklagetatsachen" für verwertbar erachtet. Der 4. Strafsenat hat jedoch in seinem bereits genannten späteren Urteil BGHSt 13, 1, in dem er erstmals die Vernehmung des Gutachters über Zusatztatsachen nach der Zeugnisverweigerung des Untersuchten weder als Sachverständiger noch als Zeuge für zulässig erachtete, selbst darauf hingewiesen, daß sich die zugrundeliegenden Fragestellungen unterschieden: In BGHSt 11, 97 sei es um die Frage gegangen, ob die von einem über sein Aussageverweigerungsrecht belehrten Zeugen gegenüber dem Sachverständigen gemachten Angaben auch dann der Begutachtung über seine Glaubwürdigkeit zugrundegelegt werden dürften, wenn der Zeuge nachträglich seine Aussage verweigert. Davon sei die in BGHSt 13, 1 entschiedene ![]() ![]() | 15 |
Deshalb läßt sich auch mit dem Beschluß des 1. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (StV 1995, 564 = NJW 1998, 838 m. krit. Anm. von Wohlers StV 1996, 192; Eisenberg/Kopatsch NStZ 1997, 297; Schmidt-Recla NJW 1998, 800), der sich auf BGHSt 11, 97 beruft und mit dem das angefochtene Urteil die Verwertbarkeit der Äußerungen N. P.s gegenüber der Zeugin J. zu rechtfertigen versucht, die Verwertbarkeit der Angaben zum Tatgeschehen nicht begründen. Zudem ging es in der Entscheidung des 1. Strafsenats nicht um die Verwertung von Zusatztatsachen zum Tatgeschehen, sondern um Angaben des Vaters zur Persönlichkeit und zum Lebenslauf des Beschuldigten, die bei einem Gutachten über seine Schuldfähigkeit verwendet wurden.
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c) Der Senat hat ferner erwogen, ob wegen der besonderen Verfahrenskonstellation im Wiederaufnahmeverfahren eine Einschränkung des Verwertungsverbots für die von der Zeugin J. berichteten Zusatztatsachen zum Tatgeschehen gerechtfertigt ist. Hierfür könnte sprechen, daß auf Grund der belastenden Angaben der Enkelin des Angeklagten zum Tatgeschehen bereits ein rechtskräftiges Urteil des Landgerichts K. bestand, das erst im Wieder ![]() ![]() | 17 |
aa) Der Bundesgerichtshof hat seit BGHSt 2, 99 daran festgehalten, daß eine Ausnahme von dem Verwertungsverbot des § 252 StPO nur für solche Angaben gerechtfertigt ist, die nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht vor einem Richter gemacht wurden. Nur der Richter selbst kann dann im Falle einer Zeugnisverweigerung als Zeuge über den Aussageinhalt vernommen werden. Zu Recht hat das Landgericht B. daher in der erneuten Hauptverhandlung den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts W. und zwei Richter der erkennenden Strafkammer des Landgerichts K. als Zeugen vernommen. Eine Vernehmung des Sachverständigen als Zeugen zu Zusatztatsachen ist hingegen seit BGHSt 13, 1 in ständiger Rechtsprechung für ausgeschlossen erachtet worden (vgl. oben II 3 a). Der wesentliche Grund für die unterschiedliche Behandlung von richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen wird nach der neueren Rechtsprechung darin gesehen, daß schon das Gesetz - wie aus § 251 Abs. 1 und 2 StPO zu entnehmen - richterlichen Vernehmungen ganz allgemein höheres Vertrauen entgegenbringt. Dieser Grund ist auch nach Einführung der Belehrungspflicht für Polizeibeamte und Staatsanwälte durch § 161a Abs. 1 und § 163a Abs. 5 StPO nicht entfallen (BGHSt 45, 342 [345 f.]; 36, 384 [386]; 21, 218 [219]). Für diese Unterscheidung ist es aber ohne Bedeutung, ob sich das Verfahren in der ersten Instanz oder im Wiederaufnahmeverfahren befindet.
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bb) Im übrigen wird der Umfang des Verwertungsverbots des § 252 StPO aus Sinn und Zweck der Norm und durch eine Abwägung zwischen den gegenläufigen Belangen, einerseits den durch das Zeugnisverweigerungsrecht geschützten Interessen an einer Nichtverwertung, andererseits der für weitestgehende Verwertung sprechenden Pflicht zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren bestimmt (BGHSt 2, 99 [105]; 45, 342 [345]). Es sind aber keine durchgreifenden Gründe dafür erkennbar, diese Belange deshalb ![]() ![]() | 19 |
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