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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Brian Valerius, A. Tschentscher | |||
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StGB §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) |
2. Strafsenat |
Urteil |
vom 15. Oktober 2003 g.B.-D. |
- 2 StR 283/03 - |
Landgericht Kassel |
Aus den Gründen: | |
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
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Nach den Feststellungen war der obdachlose Angeklagte in die Jagdhütte des B.-D. eingedrungen und hatte dort übernachtet. Als B.-D. am nächsten Morgen die Hütte aufsuchte und die Tür öffnete, sprühte ihm der in der Hütte befindliche Angeklagte eine Flüssigkeit ins Gesicht, versetzte ihm einen Faustschlag, wodurch ![]() ![]() | 2 |
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Das Landgericht hat die für die Erfüllung des Raubtatbestands erforderliche finale Verknüpfung zwischen Nötigungshandlung und Wegnahme im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung nicht näher begründet. Die Ausführungen zur Strafzumessung, bei der das Landgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, daß er "innerhalb des schweren Raubs sogar (ein) gesteigertes Maß an Gewalt einsetzte und seinem Opfer gleich mehrere Schläge unter Einsatz von zwei verschiedenen gefährlichen Werkzeugen versetzte", lassen aber besorgen, daß das Landgericht der Auffassung war, auch diese Schläge hätten dazu gedient, die Wegnahme zu ermöglichen. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu den Feststellungen, nach denen der Angeklagte den Geschädigten zunächst nur deshalb angegriffen hatte, um aus der Hütte zu entfliehen, und den Wegnahmeentschluß möglicherweise erst gefaßt hat, als er den Geschädigten niedergeschlagen, an den Händen gefesselt und in die Hütte geschoben hatte. Wann der Angeklagte sich zur Wegnahme des Landrovers (und der anderen Sachen) entschlossen hat, ist jedoch für die rechtliche Einordnung von Bedeutung. Denn während der Angeklagte sich des schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (ggfs. auch nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buch ![]() ![]() | 4 |
Soweit davon auszugehen ist, daß der Geschädigte durch die massiven Mißhandlungen eingeschüchtert war und bei Widerstand weitere Gewaltanwendung erwartete, käme zwar auch eine konkludente Drohung des Angeklagten als Nötigungsmittel der Wegnahme in Betracht, wenn der Angeklagte diese Situation bewußt ausgenutzt hätte, um den Geschädigten zu veranlassen, die Wegnahme zu dulden. Die Annahme eines schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzte aber voraus, daß damit zugleich konkludent die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs angedroht worden wäre. Das ist hier nicht naheliegend, nachdem der Geschädigte keinen Widerstand mehr leistete, die Situation sich beruhigt und der Angeklagte auch nicht etwa erneut den Stein oder ein anderes gefährliches Werkzeug ergriffen hatte. Auch insoweit kann der Senat ausschließen, daß in einer erneuten Hauptverhandlung noch weitergehende Feststellungen in diese Richtung getroffen werden können.
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Eine Verurteilung wegen schweren Raubs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB scheidet danach aus. ![]() | 6 |
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a) Für die zweite Alternative (der Angeklagte hatte den Geschädigten nur deshalb gefesselt, um sich einen Fluchtvorsprung zu sichern, erst danach entschloß er sich, den Landrover und weitere Sachen des Geschädigten mitzunehmen) bedarf allerdings die Frage, ob von Gewalt als Nötigungsmittel der Wegnahme auszugehen ist, näherer Erörterung:
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Bei einem Motivwechsel nach einer zunächst mit anderer Zielsetzung begangenen Nötigung, kommt ein Schuldspruch wegen Raubs nicht in Betracht, wenn es nur gelegentlich der Nötigungshandlung zur Wegnahme kommt oder die Wegnahme der Nötigung nur zeitlich nachfolgt, ohne daß eine finale Verknüpfung besteht (BGH NStZ-RR 2002, 304, 305 m.w.N.). Hingegen ist auch bei einer zunächst mit anderer Zielrichtung erfolgten Nötigung, die der Täter zur Wegnahme ausnutzt, der Raubtatbestand erfüllt, wenn die Gewalt noch andauert oder als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und dieses dazu veranlaßt, die Wegnahmehandlung zu dulden (BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3).
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Ob bei einem Motivwechsel nach einer ohne Wegnahmevorsatz erfolgten Fesselung (oder anderen Freiheitsberaubung) eine fortdauernde Gewalt zum Zwecke der Wegnahme ausgeübt wird, wenn der Täter das gefesselte Tatopfer bestiehlt oder ob in einem solchen Fall lediglich die andauernden faktischen Wirkungen der zuvor ohne Wegnahmevorsatz verübten Gewalt ausgenützt werden, ist in der Literatur streitig. Daß von einer zum Zwecke der Wegnahme eingesetzten andauernden Gewalt auszugehen ist, ist von Eser (NJW 1965, 377 und in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 249 Rdn. 9) schon früh vertreten worden. Danach ist Nötigungsmittel der Wegnahme nicht die positive Herbeiführung der Gewaltsituation, sondern deren auf Ingerenz beruhende ![]() ![]() | 10 |
Dagegen wird insbesondere eingewandt, daß damit die Trennung zwischen finalem Gewalteinsatz und bloßer Ausnutzung der Zwangslage des Opfers verwischt werde (so Küper JZ 1981, 568, 571; Herdegen in LK 11. Aufl. § 249 Rdn. 16; Günther in SK-StGB § 249 Rdn. 34), daß schon der Begriff der Gewalt kein Unterlassen beschreiben könne (Joerden JuS 85, 20; Herdegen a.a.O.), daß die Unterlassungskonstruktion nicht der finalen Struktur des Raubtatbestands entspreche (Küper a.a.O.; Rengier, StGB BT/I 6. Aufl. § 7 Rdn. 16; Krey, StGB BT Bd. 2 13. Aufl. Rdn. 193) und daß das Unterlassen der Beseitigung der Zwangslage nicht der Gewaltanwendung durch positives Tun entspreche (Wessels/Hillenkamp, StGB BT/2 26. Aufl. § 7 Rdn. 333, 337; Otto JZ 1985, 21 f.; MünchKommStGB/Sander § 249 Rdn. 32).
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Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 32, 88 die Verurteilung von zwei Tätern, die, um ihre Hotelrechnung nicht bezahlen zu müssen, den Hotelportier in ihrem Zimmer gefesselt und eingeschlossen und beim Verlassen des Hotels aus der Kasse der unbesetzten Rezeption Geld entnommen hatten, wegen Diebstahls gebilligt. Bei der Wegnahme sei die Nötigungshandlung gegenüber dem Portier abgeschlossen gewesen, lediglich die Nötigungswirkungen hätten fortgedauert. Demgegenüber ist im Rahmen des § 177 StGB, der im Hinblick auf das Erfordernis der Finalität zwischen Nötigungsmittel und erstrebtem Verhalten der Tatbestandsstruktur des § 249 StGB vergleichbar ist, das bewußte Ausnutzen einer aus anderen Gründen andauernden Freiheitsberaubung zur Erzwingung der Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen ohne weiteres als Gewaltanwendung angesehen worden (vgl. BGH NStZ 1999, 83). ![]() | 12 |
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Dies unterscheidet den Sachverhalt von der in BGHSt 32, 88 wiedergegebenen Fallgestaltung.
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b) Mit der Verwendung des am Tatort aufgefundenen Stricks zur Fesselung des Geschädigten hat der Angeklagte zwar - im konkreten Fall - kein gefährliches Werkzeug verwendet (BGH, Beschl. vom 4. September 1998 - 2 StR 390/98 - und vom 4. März 1999 - 4 StR 2/99), wohl aber den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. 1 b) StGB erfüllt. Dies gilt nicht nur, wenn der Täter bereits bei der Fesselung mit Wegnahmevorsatz gehandelt hat, sondern auch dann, wenn er den Wegnahmevorsatz erst später gefaßt und die durch die Fesselung bewirkte, schon bestehende Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt hat, da gerade durch den Einsatz des Stricks zur Fesselung eine fortdauernde Zwangslage geschaffen wurde. ![]() | 15 |
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