![]() | |
Die Bundesregierung kann gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anrufen, um eine Entscheidung darüber zu erreichen, ob ein Land außerhalb der Ausführung von Bundesgesetzen sich dem Grundgesetz gemäß verhalten hat.
| |
2. Die wahlberechtigten Bürger der Gemeinde, die sich an der amtlich angeordneten Volksbefragung beteiligen, nehmen teil an der Willensbildung der Gebietskörperschaft Gemeinde; sie betätigen sich dabei im status activus; ihre Stimmabgabe gehört nicht in den Bereich des Gesellschaftlichen.
| |
3. Die Gemeinde ist als hoheitlich handelnde Gebietskörperschaft, soweit ihr nicht Auftragsangelegenheiten vom Staat zugewiesen worden sind, von Rechts wegen darauf beschränkt, sich mit Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zu befassen. Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises sind nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche ![]() ![]() | |
4. Hoheitliche Maßnahmen einer Gemeinde reichen, auch wenn sie unter Mißachtung der der Gemeinde gezogenen rechtlichen Grenzen beschlossen und durchgeführt werden, im allgemeinen nicht in den Raum des bundesstaatlichen Verfassungslebens. Dagegen ist die amtliche örtliche Volksbefragung als bewußt gehandhabtes Mittel, den Gemeindewillen gegen den verfassungsmäßig gebildeten Bundesstaatswillen einzusetzen und eine Änderung bestimmter politischer Entscheidungen auf dem Gebiete des Verteidigungswesens zu erzwingen, ein Tatbestand des Bundesverfassungsrechts.
| |
5. Was nach Landesrecht im Verhältnis zur Gemeinde eine im Ermessen der Landesregierung liegenden Befugnis ist, kann nach Bundesverfassungsrecht im Verhältnis zum Bund Pflicht des Landes werden.
| |
6. Im Bundesstaat haben Bund und Länder die gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates. Soweit der Bund dafür nicht unmittelbar Sorge tragen kann, sondern auf die Mitwirkung des Landes angewiesen ist, ist das Land zu dieser Mitwirkung verpflichtet.
| |
7. Der für Bund und Länder gleicherweise geltende Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens hat die Funktion, die aufeinander angewiesenen "Teile" des Bundesstaats, Bund und Länder, stärker unter der gemeinsamen Verfassungsrechtsordnung aneinander zu binden, aber nicht die Aufgabe, das bundesstaatliche Gefüge zu lockern. Deshalb kann sich kein Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten mit der Behauptung oder mit dem Nachweis entziehen, daß auch der andere Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei.
| |
Urteil | |
des Zweiten Senats vom 30. Juli 1958
| |
-- 2 BvG 1/58 -- | |
in dem Verfassungsrechtsstreit über die Frage, ob das Land Hessen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten verletzt, indem die Landesregierung es unterläßt, die Beschlüsse hessischer Gemeinden zur Durchführung von Volksbefragungen über Atomwaffen aufzuheben, - Antragsteller: für die Bundesrepublik Deutschland die Bundesregierung; Antragsgegner: für das Land Hessen die Hessische Landesregierung.
| |
Entscheidungsformel:
| |
Das Land Hessen hat gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens verstoßen, indem die Hessische Landesregierung es unterlassen hat, durch den Minister des Innern die Beschlüsse hessischer Gemeinden über die Durchführung amtlicher Befragungen der wahlberechtigten Gemeindebürger über Atomwaffen in der Bundesrepublik aufzuheben oder aufheben zu lassen.
| |
Gründe: | |
A. -- I. | |
Die Sozialdemokratische Partei hält die von der Bundesregierung eingeschlagene und von der Mehrheit des Bundestags gebilligte Politik, die für den Fall des Scheiterns einer allgemeinen und kontrollierten Abrüstung, insbesondere eines allgemeinen und durch ausreichende Garantien gesicherten internationalen Verbots von Atomwaffen, eine Ausrüstung der Bundeswehr mit solchen Waffen im Rahmen des Atlantischen Verteidigungsbündnisses als unvermeidbar ins Auge faßt, für falsch und bekämpft sie leidenschaftlich. Im Zuge dieser politischen Auseinandersetzungen forderte die Sozialdemokratische Partei u. a. die Durchführung einer Volksbefragung über Atomwaffen. Zunächst brachte die Fraktion der SPD im Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bun ![]() ![]() | |
"1. 'Sind Sie damit einverstanden, daß deutsche Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet werden?'
| |
2. 'Sind Sie damit einverstanden, daß in Deutschland Abschußvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?'"
| |
Auf die Durchführung der Volksbefragung sollten Art. 38 GG und das Bundeswahlgesetz sinngemäß angewendet werden. Nachdem der Antrag der SPD im Bundestag keine Aussicht auf Annahme hatte, wurden ähnliche Gesetzesentwürfe in den Landtagen mehrerer Länder eingebracht und von den Fraktionen der SPD unterstützt; nur in den Ländern Hamburg und Bremen ergingen bisher Landes- Volksbefragungsgesetze. Da der Antrag der hessischen SPD im Landtag nicht sofort zum Erfolg führte, haben einige hessische Gemeinden, darunter Frankfurt/M., Darmstadt, Kassel, Offenbach und einige weitere Gemeinden durch ihre zuständigen Organe beschlossen, die wahlberechtigten Gemeindebürger amtlich in dem für Wahlen vorgeschriebenen Verfahren zu befragen, ob sie der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen zustimmen. Der auf einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP ergangene Beschluß der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt/M. vom 10. April 1958, dem der Magistrat der Stadt beigetreten ist, lautet: "Der Magistrat wird beauftragt, in Frankfurt/M. eine Volksbefragung über die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik durchzuführen. Die Volksbefragung soll organisatorisch in gleicher Weise durchgeführt werden wie allgemeine Wahlen. Bei der Befragung ist folgende Frage zur Entscheidung zu stellen: ,Sollen auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschußbasen eingerichtet werden?'. Die Volksbefragung ist sofort vorzubereiten. Die Volksbefragung für das Gebiet der Stadt Frankfurt/M. entfällt, wenn eine gleiche Befragung im Lande Hessen stattfindet."
| |
Die Bundesregierung hat durch Schreiben des Bundeskanzlers vom 2. Mai 1958 die Hessische Landesregierung darauf hingewiesen, daß sie die Beschlüsse der hessischen Gemeinden für grundgesetzwidrig halte, und die Landesregierung ersucht, die Beschlüsse durch den Hessischen Minister des Innern aufzuheben und die auf Grund dieser Beschlüsse getroffenen Maßnahmen rückgängig machen zu lassen; falls dies nicht geschehe, werde die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht anrufen. Die Hessische Landesregierung hat durch Schreiben des Hessischen Ministerpräsidenten vom 13. Mai 1958 geantwortet, nach ihrer Auffassung stünden die beanstandeten Beschlüsse der hessischen Gemeinden mit der Rechtsordnung in Einklang, sie sehe sich deshalb außerstande, dem Ersuchen der Bundesregierung zu entsprechen.
| |
III.
| |
Daraufhin hat die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt, zu erkennen:
| |
"Das Land Hessen verletzt die ihm nach der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes obliegende Pflicht zur Bundestreue, indem die Landesregierung es unterläßt, die Beschlüsse der Vertretungskörperschaften hessischer Gemeinden zur Durchführung von Volksbefragungen über Atomwaffen in der Bundesrepublik aufzuheben."
| |
Zur Begründung führt die Bundesregierung aus: Die Gemeinden müßten sich ebenso wie die Länder an die Kompetenzverteilung im Bundesstaat halten. Mit ihren Beschlüssen hätten sie in den Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes eingegriffen. Da dem Bund eine Aufsicht über die Gemeinden nicht zustehe, sei das Land dem Bund gegenüber verpflichtet, im Wege seiner Gemeindeaufsicht dafür zu sorgen, daß die Gemeinden das Grundgesetz beachten.
| |
Die Hessische Landesregierung hat beantragt, den Antrag der Bundesregierung zurückzuweisen.
| |
![]() ![]() ![]() ![]() | |
IV.
| |
Der Bundestag hat am 13. Juni 1958 beschlossen, sich in diesem Verfahren gegenüber dem Bundesverfassungsgericht im Sinne des Antrags der Bundesregierung und seiner Begründung zu äußern. Dementsprechend hat sich in der mündlichen Verhandlung als Bevollmächtigter des Bundestags der Bundestagsabgeordnete Rechtsanwalt Hoogen den Ausführungen der Bundesregierung angeschlossen.
| |
1. Die Bundesregierung hat nach ihrem Antrag und der zu ihm gegebenen Begründung beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsstreitigkeit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG anhängig gemacht: Sie hat behauptet, zwischen dem Bund und dem Land Hessen bestehe eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob das Land Hessen nach dem Grundgesetz die Pflicht habe, gegen einige hessische Gemeinden im Aufsichtswege einzuschreiten. Sie hat dazu weiter behauptet, die hessischen Gemeinden hätten im Widerspruch zur grundgesetzlichen Ordnung in ausschließliche Kompetenzen des Bundes eingegriffen; sie selbst könne mangels einer Zuständigkeit des Bundes zur Aufsicht über die Gemeinden dagegen nichts tun; die Landesregierung, die dazu nach hessischem Recht imstande sei, sei nach dem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz bundesfreundlichen Verhaltens dem Bund gegenüber verpflichtet, den durch die Beschlüsse der Gemeinden geschaffenen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Von diesen Rechtsbehauptungen, die in sich widerspruchsfrei eine nach dem Grundgesetz mögliche Begründung für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Wege des Verfassungsstreits ![]() ![]() ![]() ![]() | |
2. Die Bundesregierung konnte das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Fall auch anrufen, ohne vorher den Bundesrat nach Art. 84 Abs. 4 GG mit der Angelegenheit befaßt zu haben. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Frage im Konkordatsstreit (BVerfGE 6, 309 [329]) ausgeführt: "Der Bundesrat ist nur für die Rüge von Mängeln bei der verwaltungsmäßigen (im Urteil hervorgehoben) Ausführung eines Bundesgesetzes zwischengeschaltet. Im übrigen ist die unmittelbare Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zulässig. Das ergibt sich aus der ![]() ![]() ![]() ![]() | |
1. Die hessischen Gemeinden sind in Übereinstimmung mit dem gemein-deutschen Verfassungsrecht Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 2 hess. GO), deren Gebiet und damit auch deren Bestand an Gemeindebürgern durch Eingriff des Staates bestimmt werden (§§ 15 ff., 8 hess. GO). § 1 Abs. 1 hess. GO bezeichnet sie als "die Grundlage des demokratischen Staates". Sie sind "in ihrem Gebiet . . . ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung" (§ 2 Satz 1 a.a.O.; ähnlich Art. 137 Abs. 1 Satz 1 der hessischen Verfassung); sie besitzen als solche, unbeschadet ihrer "Autonomie", vom Staat, dem sie eingegliedert sind, abgeleitete Hoheitsmacht (so Entscheidung des hess. Staatsgerichtshofs vom 7. November 1952 - P.St. 107 -). Ihre hoheitlichen Äußerungen sind Ausfluß von öffentlicher Gewalt, Staatsgewalt im weiteren Sinn. Sie wird - ähnlich wie im Staat - ausgeübt durch die nach dem hessischen Gemeinderecht zuständigen Organe der Gemeinde: "Die von den Bürgern gewählte Gemeindevertretung ist das oberste Organ der Gemeinde" (§ 9 Abs. 1 Satz 1 hess. GO). An weiteren Gemeindeorganen kennt die hessische Gemeindeordnung den Gemeindevorstand (Magistrat oder Bürgermeister; § 9 Abs. 2 a.a.O.) und die Gemeindeversammlung (§ 9 Abs. 3 a.a.O.); außerdem nehmen die Bürger der Gemeinde (die "Bürgerschaft", § 1 Abs. 1 a.a.O.) nach näherer Maßgabe der §§ 30 ff. hess. GO "durch die Wahl der Gemeindevertreter an der Verwaltung der Gemeinde teil" (§ 29 Satz 1 hess. GO). Der Staat hat die Gemeinde verfaßt und mit Organen versehen, damit sie ihre vom Staat anerkannten oder gestellten Aufgaben der lokalen öffentlichen Verwaltung erfüllen kann.
| |
![]() ![]() | |
2. Gehört demnach die Stimmabgabe der wahlberechtigten Gemeindebürger nicht in den Bereich des Gesellschaftlichen, ist sie mehr und etwas anderes als nur Faktor im Prozeß der Bildung der öffentlichen Meinung und mehr und etwas anderes als nur ein Stück "Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes", so muß sich die gemeindliche Volksbefragung als organschaftliches Handeln ebenso wie die ihrer Durchführung zugrunde liegende Entschließung der Verfassungsorgane der Gemeinden im Rahmen der gemeindlichen Zuständigkeit halten. Die Gemeinden sind Gebietskörperschaften mit dem Recht "freier Selbstverwaltung" (§ 1 Abs. 1 Satz 2 hess. GO) "in ihrem Gebiet" (§ 2 Satz 1 a.a.O.), in "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" (§ 5 Abs. 1 Satz 1 a.a.O.); "das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten wird den Gemeinden ... vom Staat gewährleistet" (Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Hessische Verfassung). "Die Aufsicht des Staates schützt die Gemeinden in ihren Rechten und sichert die Erfüllung ihrer Pflichten" (§ 11 hess. GO); "die Aufsicht des Staates beschränkt sich darauf, daß ihre Verwaltung in Einklang mit den Gesetzen geführt wird" (Art. 137 Abs. 3 Satz 2 Hessische Verfassung). Demnach besitzen zwar ![]() ![]() | |
Im vorliegenden Fall befassen sich die gemeindlichen Beschlüsse allgemein und grundsätzlich mit der Frage der Ausrü ![]() ![]() | |
3. Hoheitliche Maßnahmen einer Gemeinde reichen, auch wenn sie unter Mißachtung der der Gemeinde gezogenen rechtlichen Grenzen beschlossen und durchgeführt werden, im allgemeinen nicht in den Raum des bundesstaatlichen Verfassungslebens. Sollte also eine einzelne Gemeinde einmal die dargelegten Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten haben oder überschreiten, so liegt darin allein noch kein "Einbruch" in eine ausschließliche Bundeskompetenz. Ganz anders liegen die Dinge hier: Die politischen Zusammenhänge lassen erkennen, daß die hessischen (und andere) Gemeinden nicht als einzelne und von sich aus die Durchführung der Volksbefragung beschlossen haben; sie ordneten sich vielmehr - und weitere würden sich dem anschließen, falls die Befragungen vom Bundesverfassungsgericht als rechtlich zulässig anerkannt würden - einer umfassenden Aktion ein, die sich über das ganze Bundesgebiet hinweg erstrecken soll: Die Gemeinden wollen, was auf dem Wege einer Befragung des Bundesvolkes nicht erreichbar ist und in den Ländern politisch nur teilweise durchsetzbar ist, für ihren Teil ergänzen und ersetzen; die von ihnen angeordneten amtlichen Befragungen sollen zusammen mit den in einzelnen Ländern beabsichtigten amtlichen Befra ![]() ![]() ![]() ![]() | |
4. Die Staatsaufsicht über die Gemeinden steht ausschließlich dem Land zu. Dem Bund fehlt nach der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ein unmittelbares Recht zum Durchgriff gegen die Gemeinden; es gibt keine Bundeskommunalaufsicht. Nach hessischem Landesrecht obliegt die Staatsaufsicht über die Gemeinden dem Hessischen Minister des Innern und den ihm nachgeordneten Staatsbehörden. Sie ist in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde reine Rechtsaufsicht, d. h. der Staat wacht darüber, daß sich die Gemeinden im Rahmen des geltenden Rechts halten (vgl. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 Hessische Verfassung); dazu gehört auch die Beachtung des Bundesrechts und des Bundesverfassungsrechts. Die Rechtsaufsicht ist so zu handhaben, daß die Entschlußkraft und die Verantwortungsfreudigkeit der Gemeinde nicht beeinträchtigt werden; dem entspricht es, daß die Staatsaufsichtsbehörden in Hessen nicht verpflichtet sind, in jedem Falle einzuschreiten, in dem sich die Gemeinde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht in Einklang mit den Gesetzen hält; sie "kann" Maßnahmen der Gemeinden, die mit dem Recht in Widerspruch stehen, beanstanden und Beschlüsse, die dem Recht widersprechen, aufheben (§ 138 hess. GO), hat also einen Ermessensspielraum. Ob die Staatsaufsichtsbehörde im vorliegenden Fall von diesem im hessischen Landesrecht begründeten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat, bedarf hier keiner Entscheidung.
| |
Der bisher dargelegten Rechtslage hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der hessischen Staatsaufsichtsbehörde und der hessi ![]() ![]() | |
a) Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten hat das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtslehre aus dem Wesen des Bundesstaates entwickelt (vgl. BVerfGE 1, 117 [131]; 1, 299 [315 f.]). Durch diesen Grundsatz wird dem Bund und den Ländern in erster Linie eine Schranke beim Gebrauchmachen von ihren Zuständigkeiten gezogen (BVerfGE 4, 115 [140]); derselbe Grundsatz begründet aber unter Umständen auch Hilfs- und Mitwirkungspflichten des Bundes oder der Länder, die als Schranke ihrer Freiheit innerhalb ihrer Zuständigkeiten begriffen werden können. So hat das Bundesverfassungsgericht in den zitierten Entscheidungen aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens eine Pflicht der finanzstärkeren Länder abgeleitet, den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten, und eine Pflicht der Länder, sich in einem Falle, in dem die Verteilung von Bundesmitteln auf die Länder der Zustimmung aller Länder bedurfte, über die Verteilung zu ![]() ![]() | |
b) Jedenfalls gilt dies dann, wenn es sich um eine empfindliche, schwerwiegende Störung der grundgesetzlichen Ordnung handelt. In diesem Zusammenhang bedarf es noch einmal des Hinweises auf das von der Opposition im Bundestag gesteuerte einheitliche Vorgehen der Gemeinden, auf den Zweck der Volksbefragungsaktion und auf den Übergriff und Eingriff der Gemeinden in die Entscheidungsfreiheit der zuständigen Verfassungsorgane des Bundes auf dem Gebiet des Verteidigungswesens. Die Bundesregierung hat die hessische Landesregierung durch Schreiben vom 2. Mai 1958 förmlich ersucht, im Wege der Staatsaufsicht gegen die Gemeinden einzuschreiten. Ein solches Ersuchen stellt sich nicht als eine Mängelrüge im Zuge der Bundesaufsicht dar; es ist vielmehr in Fällen der vorliegenden Art, in denen zunächst Zweifel obwalten können, ob sich ein Teil auf die Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten berufen wird, eine sachliche Voraussetzung für die Geltendmachung einer Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren, gleichgültig, ob die Verletzung vom Bund oder vom Land begangen ist.
| |
Bedarf es zur Begründung der aus dem Grundsatz der Bundestreue zu entwickelnden Pflicht der Landesaufsichtsbehörde zum Einschreiten gegen eine Gemeinde der Feststellung, daß ihr Verhalten in empfindlicher Weise die Verfassungsordnung des Grundgesetzes stört, so kann - von anderen Überlegungen abgesehen - aus der Tatsache, daß vor einigen Jahren in einzelnen Gemeinden der Bundesrepublik im Rahmen einer von der Europa-Union ausgehenden Initiative eine Befragung der Bürger über ihre Einstellung zum "Europagedanken" stattgefunden hat, für die Entscheidung dieses Verfahrens nichts hergeleitet werden.
| |
![]() ![]() | |
d) Die Feststellung der Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten setzt auch nicht den Nachweis einer "Treulosigkeit" oder der Böswilligkeit des Landes voraus. Sie impliziert überhaupt keinen "Vorwurf". Es geht ausschließlich um die Klärung eines objektiven Begriffs des Verfassungsrechts und, darauf aufbauend, um die Beurteilung eines Sachverhalts, bei dem vorausgesetzt werden kann, daß die daran Beteiligten in der Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit ihrer Handlungsweise gehandelt haben.
| |
e) Das Land Hessen hat schließlich vorgetragen, es könne die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten überhaupt nur verletzt haben, wenn es den wirklichen Bundesinteressen zuwidergehandelt hätte. Darüber aber, ob die Politik der Bundesregierung in der Frage der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr den wohlverstandenen Interessen der Bundesrepublik entspreche oder nicht, herrsche gerade Streit, ein Streit, der nicht justiziabel sei. Folglich könne auch nicht festgestellt werden, daß das Land sei ![]() ![]() | |
III.
| |
Demnach hat das Land Hessen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens verletzt, indem die hessische Landesregierung es bisher unterlassen hat, durch den Minister des Innern im Wege der Staatsaufsicht den grundgesetzwidrigen Zustand innerhalb der Gemeinden, die eine amtliche Volksbefragung ihrer Bürgerschaft über Atomwaffen beschlossen haben, zu beseitigen. Aus dieser Entscheidung folgt, daß nicht nur die hessische Landesregierung, sondern jede Landesregierung verpflichtet ist, auch in Zukunft Beschlüsse der Gemeinden, die eine amtliche Befragung der Bürger über die atomare Ausrüstung der Bundeswehr, über die Lagerung von atomaren Sprengkörpern oder über die Errichtung von Abschußanlagen für atomare Sprengkörper in der Bundesrepublik anordnen, zu beanstanden und aufzuheben oder aufheben zu lassen und die Durchführung der Volksbefragungen zu unterbinden oder unterbinden zu lassen. ![]() |