des Ersten Senats vom 29. November 1961auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 1961 | |
- 1 BvR 760/57 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Universitätsbuchhändlers Herbert G..., gegen § 3 des Gesetzes über den Ladenschluß vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 17. Juli 1957 (BGBl. I S. 722) und des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 14. November 1960 (BGBl. I S. 845).
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Entscheidungsformel:
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Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe: | |
1. Der Beschwerdeführer, Inhaber einer Universitätsbuchhandlung, beantragt, § 3 des Gesetzes über den Ladenschluß (LSchG) vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 17. Juli 1957 (BGBl. I S. 722) und des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 14. November 1960 (BGBl. I S. 845) für nichtig zu erklären. § 3 LSchG lautet:
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"Allgemeine Ladenschlußzeiten
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Verkaufsstellen müssen, vorbehaltlich der Vorschriften der §§ 4 bis 16, zu folgenden Zeiten für den geschäftlichen Verkehr mit den Kunden geschlossen sein: 1. an Sonn- und Feiertagen, 2. montags bis freitags bis sieben Uhr und ab achtzehn Uhr dreißig Minuten, 3. sonnabends bis sieben Uhr und ab vierzehn Uhr, am ersten Sonnabend im Monat oder, wenn dieser Tag auf einen Feiertag fällt, am zweiten Sonnabend im Monat sowie an den vier aufeinanderfolgenden Sonnabenden vor dem 24. Dezember ab achtzehn Uhr, 4. am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt, ab vierzehn Uhr. Die beim Ladenschluß anwesenden Kunden dürfen noch bedient werden." | |
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß er durch die Ladenschlußregelung, insbesondere den frühen Ladenschluß am Samstagnachmittag, in seiner Berufsfreiheit und außerdem in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs. 1 GG verletzt werde. Das Ladenschlußgesetz sei wegen Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 2 GG nichtig. Dem Bundesgesetzgeber habe die Zuständigkeit zum Erlaß dieses der Materie nach zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes gehörenden Gesetzes gefehlt weil ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG nicht bestehe. Davon abgesehen sei das Gesetz jedenfalls deshalb verfassungswidrig, weil es keine überzeugenden Gründe für die Notwendigkeit eines Eingreifens des Gesetzgebers gebe. Schließlich gehe die Bestimmung über den frühen Ladenschluß an Samstagen über das für den Beschwerdeführer zumutbare Maß von Beschränkungen seiner Berufsausübung hinaus. Die Ladenöffnungszeiten deckten sich weitgehend mit den Arbeitszeiten seiner Kundschaft, die gerade noch Gelegenheit zur Beschaffung von Gütern des täglichen Bedarfs habe, dagegen nicht mehr zum Einkauf von Büchern. Zu deren Auswahl gehöre Zeit; der Kunde wolle beraten und über Neuerscheinungen unterrichtet werden. Muße hierzu habe der Käuferkreis des Beschwerdeführers nur an den Samstagnachmittagen. Zur Unterstützung seiner Auffassung hat der Beschwerdeführer ein Gutachten von Prof. Dr. Maunz vorgelegt, das Eingriffe in die Berufsfreiheit nur für zulässig hält, wenn das Grundrecht durch sie nicht stärker eingeschränkt werde, als es der sachliche Anlaß und Grund, der zu dem Eingriff geführt habe, zwingend gebiete. Es gebe noch andere Möglichkeiten, den Arbeitszeitschutz der Angestellten des Einzelhandels sicherzustellen als ein gesetzlich vorgeschriebenes freies Wochenende. Man könnte an das System eines "rollenden freien Halbtags" denken und zwar in verschiedenen Kombinationen nach der Zahl der Beschäftigten, der Branchenzugehörigkeit und den Wünschen der Betriebsangehörigen, eventuell an Ladenöffnung am Samstagnachmittag unter Einstellung von Aushilfspersonal. Der Eingriff in die Berufsfreiheit sei somit nicht zwingend geboten, die Anordnung des frühen Samstagladenschlusses daher keine zulässige Regelung der Berufsausübung.
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Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
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Der Richter Dr. Heiland ist vor der Beschlußfassung verstorben.
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a) Wenn der Beschwerdeführer die Nichtigkeit des Ladenschlußgesetzes wegen fehlender Zuständigkeit des Bundes nach Art. 72 Abs. 2 GG geltend macht, so rügt er damit die Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit, denn die Berufsausübung kann nur durch verfassungsgemäße Gesetze geregelt werden. Das Ladenschlußgesetz verstößt jedoch nicht gegen Art. 72 Abs. 2 GG. Die durch das Gesetz geregelte Materie gehört zu den Gegenständen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 11 (Gewerberecht) und Nr. 12 GG (Arbeitsschutz). Der Bundesgesetzgeber hatte somit bei Erlaß des Ladenschlußgesetzes das Bedürfnis zum Erlaß einer bundesgesetzlichen Regelung gemäß Art. 72 Abs. 2 GG zu prüfen. Seine Entscheidung, die zur Bejahung des Bedürfnisses nach einer Regelung durch den Bund statt durch die Länder führte, ist, wie das Gericht in seinem Urteil vom heutigen Tage im Verfahren 1 BvR 758/57 des näheren dargelegt hat, der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob der Bundesgesetzgeber die in Art. 72 Abs. 2 GG verwendeten Begriffe im Prinzip zutreffend ausgelegt und sich in dem dadurch bezeichneten Rahmen gehalten hat. In dieser Beziehung bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
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b) § 3 LSchG regelt nicht die Berufswahl, sondern die Berufsausübung. Solche Regelungen sind nicht nur dann verfassungsmäßig, wenn sie "zum Schutze eines für die Gemeinschaft unentbehrlichen Rechtsgutes zwingend erforderlich" sind, wie das vom Beschwerdeführer vorgelegte Gutachten annimmt. Dem Gesetzgeber steht hier vielmehr eine wesentlich größere Freiheit der Gestaltung zu als bei Eingriffen in die Berufswahl. Es genügt zur Legitimation einer gesetzlichen Regelung, daß vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie zweckmäßig erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 7, 377 [4051 406]).
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Der Einwand des Beschwerdeführers, eine gesetzliche Regelung des Ladenschlusses sei "überflüssig", greift nicht durch. Der Ladenschluß an Sonn- und Feiertagen wurde reichsrechtlich durch das Gesetz betreffend Abänderung der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 (RGBl. S. 261), das sog. Arbeiterschutzgesetz, eingeführt. Zur Sicherung einer ausreichenden Nachtruhe verfügte das Gesetz betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900 (RGBl. S. 321) den werktäglichen Ladenschluß von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens. Die Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten vom 18. März 1919 (RGBl. S. 315) schrieb einen werktäglichen Ladenschluß von 7 Uhr abends bis 7 Uhr (bei Lebensmittelgeschäften 5 Uhr) morgens vor. Diese Ladenschlußzeiten haben die Arbeitszeitordnungen vom 26. Juli 1934 (RGBl. I S. 803) und 30. April 1938 (RGBl. I S. 447) beibehalten. Neben der Festsetzung der Arbeitszeit durch Gesetze und Tarifverträge verlor zwar die Ladenschlußregelung als Arbeitszeitschutz an Bedeutung; dafür trat der Gedanke der Wettbewerbsneutralität stärker in den Vordergrund, der von Anfang an zur Einbeziehung auch der ohne Personal arbeitenden Ladeninhaber in die Ladenschlußregelung geführt hatte (vgl. BVerfGE 1, 283 [297]). Wenn aber der Bundesgesetzgeber eine gesetzliche Regelung der Ladenschlußzeiten auch heute für erforderlich hält, um einen wirksamen Arbeitszeitschutz der Angestellten des Einzelhandels sicherzustellen und - auch aus Gründen der Wettbewerbsneutralität - diese Regelung auf alle Verkaufsstellen erstreckt, dann vermögen solche Gründe sozial- und wirtschaftspolitischer Zweckmäßigkeit einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung zu rechtfertigen. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die vom Gesetzgeber gewählte Regelung die einzig mögliche ist. Vielmehr genügt es, daß sie eine von mehreren Möglichkeiten zur Erreichung seiner Ziele darstellt; unter ihnen konnte der Gesetzgeber nach seinem Ermessen wählen, vorausgesetzt, daß er insbesondere das Verbot des Übermaßes beachtete (vgl. BVerfGE 7, 377 [406]). Er durfte dabei Möglichkeiten beiseite lassen, die er für schwer durchführbar halten oder von denen er Nachteile in anderer Hinsicht befürchten konnte. So aber liegt es hier.
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c) Um des vom Gesetz verfolgten Zweckes willen ist den Ladeninhabern eine solche Beschränkung der freien Berufsausübung auch zuzumuten. Das Ladenschlußgesetz bringt zwar gegenüber § 22 der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 eine weitere Verkürzung der Ladenöffnungszeiten. Diese fällt jedoch kaum ins Gewicht, da in dem gleichen Zeitraum die Arbeitszeiten in noch stärkerem Maße verkürzt wurden. Offenbar fühlt sich der Beschwerdeführer - obwohl sich sein Antrag gegen § 3 LSchG insgesamt richtet- nicht durch die Verlegung des abendlichen Ladenschlusses an den ersten fünf Wochentagen von 19 auf 18.30 Uhr beschwert, sondern durch den frühen Ladenschluß an den Samstagen, also durch die für ihn ungünstige Verteilung der Ladenöffnungszeiten. Es ist aber gerade der Hauptzweck des Ladenschlußgesetzes, den Ladenangestellten die Vorteile eines zusammenhängenden freien Wochenendes zu verschaffen, das eine breite Schicht der anderen Arbeitnehmer und die meisten Beamten bereits genießen. Dabei stand der Gesetzgeber vor der Aufgabe, den entgegenstehenden Interessen der Ladeninhaber und der Käufer gerecht zu werden. Dies wollte er dadurch erreichen, daß er den Angestellten zumutet, an einem Samstag im Monat auf das freie Wochenende zu verzichten, den Käufern, ihre Kaufgewohnheiten zu ändern, und daß er die Ladeninhaber in ihren Umsatzmöglichkeiten beschränkt.
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Der Einwand des Beschwerdeführers, daß er als Buchhändler von dem allgemeinen Ladenschluß stärker betroffen sei als der Handel mit lebensnotwendigen Dingen, die Regelung zwar für andere Geschäftszweige erträglich, aber gerade für den seinen unzumutbar hart sei, dringt demgegenüber nicht durch. Es mag zutreffen, daß bei einer starken Verminderung der Einkaufszeit die Käufer zunächst den lebenswichtigen Bedarf decken und nur den Rest der Zeit zum Einkauf von Büchern und anderen Dingen des gehobenen Bedarfs verwenden werden. Aber solche Schwierigkeiten bestehen nicht allgemein, sondern nur für eine Schicht in abhängiger Stellung, die ihre Arbeitszeit nicht selbst einteilen kann und deshalb auf den Samstagnachmittag als Einkaufszeit angewiesen ist. Diese Schicht, die zum Teil auch als regelmäßige Käuferin von Büchern in Betracht kommt, wird immer schmaler, je mehr Betriebe und Behörden den Samstag arbeitsfrei halten. Dies wird zur Folge haben, daß sich der Umsatz in steigendem Maße vom Samstagnachmittag auf den Samstagvormittag verlagert. Soweit Betriebe und Behörden am Samstag als Arbeitstag festhalten, bürgert sich die Gewährung eines arbeitsfreien Nachmittags an einem anderen Wochentag ein. Wenn angesichts dieser Entwicklung der Gesetzgeber den Ladenschluß an einem Samstag im Monat auf 18 Uhr festsetzt, hat er auch auf die Interessen des Buchhandels ausreichende Rücksicht genommen.
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d) Die Einbeziehung des Buchhandels in die allgemeine Ladenschlußregelung verletzt auch nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn der Gesetzgeber verschiedene Lebenssachverhalte vorfindet, hat zunächst er zu beurteilen, ob die vorgegebenen Unterschiede so erheblich sind, daß sie auch verschiedene Rechtsfolgen verlangen. Die vom Beschwerdeführer behauptete stärkere Belastung des Buchhandels durch das Ladenschlußgesetz gegenüber dem Handel mit lebensnotwendigen Gütern ist nicht so bedeutsam, daß sie der Gesetzgeber berücksichtigen mußte, zumal Ausnahmevorschriften für den Buchhandel allein zu neuen Schwierigkeiten, Überschneidungen und Ungereimtheiten führen würden. Bücher werden auch in Warenhäusern, Schreibwarengeschäften und Kiosken angeboten, der Fachbuchhandel selbst vertreibt auch andere Artikel wie Zeitschriften und ähnliches. Die gleiche Ausnahme, die der Beschwerdeführer für den Buchhandel erstrebt, könnten auch andere Geschäftszweige für Güter des gehobenen Bedarfs (etwa Musikhandlungen, Schallplattengeschäfte, Kunsthandlungen) für sich in Anspruch nehmen. Wenn der Gesetzgeber angesichts solcher Abgrenzungsschwierigkeiten das allen Betrieben des Einzelhandels Gemeinsame als ausschlaggebend ansah und der Verschiedenheit der Geschäftszweige kein Gewicht beimaß, so hat er die Grenzen seiner ihm im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG zustehenden gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.
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