Beschluss | |
des Ersten Senats vom 3. Juli 2003
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-- 1 BvR 238/01 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
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der Rechtsanwälte 1. V. ..., 2. A. ..., 3. M. ... -- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Gerhard Volz und Koll., Meersburger Straße 3, 88213 Ravensburg --, gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. November 2000 -- AnwZ (B) 3/00 --.
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Entscheidungsformel:
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1. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. November 2000 -- AnwZ (B) 3/00 -- verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Das Verfahren wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
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2. § 3 Absatz 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte vom 29. November 1996 (BRAK-Mitteilungen 1996 Seite 241) ist mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig. Dies gilt auch für inhaltsgleiche Fassungen dieser Vorschrift in späteren Bekanntmachungen.
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3. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die ihnen im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe: | |
A. | |
Mit der Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer, die gemeinsam eine Anwaltskanzlei betreiben, gegen die von der zuständigen Rechtsanwaltskammer ausgesprochene und vom Bundesgerichtshof in der angegriffenen Entscheidung bestätigte Verpflichtung zur Niederlegung von Mandaten, nachdem sie einen Rechtsanwalt angestellt haben, der zuvor bei einer anderen Kanzlei beschäftigt war, die in Bezug auf diese Mandate die Gegenseite vertritt. ![]() | |
Die Mandatsniederlegung soll der Vermeidung einer widerstreitenden Interessenvertretung dienen. Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen ist in § 43 a der Bundesrechtsanwaltsordnung (im Folgenden: BRAO), eingefügt durch Gesetz vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278), geregelt und in § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte vom 29. November 1996 (BRAK- Mitt. 1996, S. 241; im Folgenden: BORA) näher ausgestaltet. Die Vorschriften lauten:
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§ 43 a BRAO
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
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(1) bis (3) ...
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(4) Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.
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(5) und (6) ...
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§ 3 BORA
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Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit
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(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er, gleich in welcher Funktion, eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befaßt war.
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(2) Das Verbot gilt auch, wenn ein anderer Rechtsanwalt oder Angehöriger eines anderen Berufes im Sinne des § 59 a Bundesrechtsanwaltsordnung, mit dem der Rechtsanwalt in Sozietät, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) oder in Bürogemeinschaft verbunden ist oder war, in derselben Rechtssache, gleich in welcher Funktion, im widerstreitenden Interesse berät, vertritt, bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise beruflich befaßt ist oder war.
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(3) Wer erkennt, daß er entgegen den Absätzen 1 oder 2 tätig ist, hat unverzüglich davon seinen Mandanten zu unterrichten und alle Mandate in derselben Rechtssache zu beenden.
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Diese Regelung entspricht weitgehend den früheren Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts, die durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1987 (BVerfGE 76, 171) als eine nicht ![]() ![]() | |
Dem Erlass von § 3 BORA gingen längere kontroverse Diskussionen, insbesondere im Hinblick auf die Stellung der freien Mitarbeiter und der angestellten Rechtsanwälte, voraus (vgl. Protokoll über die 3. Sitzung der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer vom 20. bis 21. April 1996, S. 23 ff.). In der Folgezeit wurde eine Änderung oder Ergänzung der Vorschrift erörtert (vgl. Protokoll über die 5. Sitzung der Satzungsversammlung vom 28. bis 29. November 1996, S. 7; Protokoll über die 6. Sitzung der Satzungsversammlung vom 5. bis 6. November 1998, S. 23 ff.) und schließlich eine Änderung des § 3 BORA beschlossen; ein neuer Absatz 3 wurde eingefügt, der bisherige Absatz 3 wurde Absatz 4 (vgl. Protokoll über die 7. Sitzung der Satzungsversammlung vom ![]() ![]() | |
Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit
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(1) und (2) ...
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(3) Die Verbote der Abs. 1 und 2 gelten nicht, wenn eine Verbindung zur gemeinsamen Berufsausübung beendet ist und der Rechtsanwalt während der Zeit gemeinsamer Berufsausübung weder Sozius war noch wie ein solcher nach außen hervorgetreten ist und auch selbst mit der Rechtssache nicht befaßt war.
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(4) ...
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II.
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1. Die Beschwerdeführer betreiben als Gesellschafter bürgerlichen Rechts in der Stadt R. eine Anwaltskanzlei. Ab 1. Oktober 1999 wurde Rechtsanwalt Dr. L. angestellt und auch im Briefkopf neben den drei Sozien genannt. Zuvor war Dr. L. in der ebenfalls in R. ansässigen Sozietät W. D. & M. als angestellter Rechtsanwalt beschäftigt und auf dem Briefbogen erwähnt. Im Zeitpunkt des Wechsels bearbeiteten die beiden Kanzleien neun Fälle, in denen sie als Auftragnehmer jeweils die gegnerischen Parteien vertraten. Rechtsanwalt Dr. L. hat in der abgebenden Kanzlei keines dieser Mandate vor seinem Wechsel selbst bearbeitet. In der aufnehmenden Kanzlei wurde durch interne Weisungen sichergestellt, dass er mit diesen Rechtssachen nicht befasst wird. Das Gebühreninteresse der Beschwerdeführer belief sich für diese Mandate auf knapp 85.000 DM.
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Im Anschluss an ein Belehrungsschreiben stellte die zuständige Rechtsanwaltskammer fest, dass die Fortführung der Mandate, bei denen die abgebende Kanzlei auf der Gegenseite stehe, gegen § 3 BORA verstoße, und verpflichtete die Beschwerdeführer, die Mandatsniederlegungen schriftlich zu bestätigen. Die Beschwerdeführer stellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der Anwaltsgerichtshof setzte zunächst durch einstweilige Anordnung den Vollzug der Verpflichtung aus und hob sodann die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer auf. Nach seiner Auffassung stellt § 3 Abs. 2 und 3 BORA keine geeignete Rechtsgrundlage für einen Eingriff in die ![]() ![]() | |
Der Bundesgerichtshof hob mit dem angegriffenen Beschluss die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs auf und bestätigte die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer (NJW 2001, S. 1572). Zur Begründung führte er aus, die Verpflichtung zur Niederlegung der Mandate ergebe sich unmittelbar aus § 43 a Abs. 4 BRAO. In diesem Sinne sei auch § 3 Abs. 2 und 3 BORA auszulegen. Jeder Rechtsanwalt einer Sozietät handele regelmäßig namens der Sozietät, auch wenn er das Mandat nicht persönlich bearbeite. Die Vertretung im Sinne des § 43 a Abs. 4 BRAO sei im weitesten Sinne zu verstehen und setze ein Bearbeiten nicht voraus. Das gelte auch für den so genannten Außensozius, weil er den Auftraggebern in gleicher Weise wie die Sozien hafte. In Ansehung des Schutzzwecks von § 43 a Abs. 4 BRAO gelte nichts anderes. Die Erstreckung des für einen Rechtsanwalt geltenden Tätigkeitsverbots auf alle Sozien, auch die Scheinsozien, sei von jeher anerkannt und beuge dem berechtigten Misstrauen der Mandanten vor. Zwar werde hierdurch die Möglichkeit eines Kanzleiwechsels erschwert; der Schutz des Vertrauens der Mandanten in die Unabhängigkeit ihres Rechtsanwalts und in die Integrität der Rechtspflege habe indessen Vorrang. ![]() | |
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3. Der Antrag der Beschwerdeführer, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs auszusetzen, hatte Erfolg, nachdem die von dem Wechsel betroffenen Mandanten beider Kanzleien keine widerstreitenden Interessen gesehen und sich mit der Fortführung der Mandate ausdrücklich einverstanden erklärt hatten (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1562). Inzwischen sind die vom Tätigkeitsverbot erfassten Streitigkeiten abgeschlossen.
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4. Das Bundesministerium der Justiz sowie der Präsident des Bundesgerichtshofs haben von einer Äußerung in der Sache abgesehen. Zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen haben die Bundesrechtsanwaltskammer, die Bundesnotarkammer, der Deutsche Richterbund, der Deutsche AnwaltVerein und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein sowie die Beklagte des Ausgangsverfahrens.
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a) Bundesrechtsanwaltskammer und Bundesnotarkammer halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Auslegung von § 43 a Abs. 4 BRAO durch den Bundesgerichtshof sei nicht zu beanstanden. Letztlich könne nicht ausgeschlossen werden, dass sowohl zwischen den Rechtsanwälten der abgebenden Kanzlei als auch zwischen den Rechtsanwälten der aufnehmenden Kanzlei ein Transfer sensiblen Wissens bezüglich der betroffenen Mandate erfolgt sei oder noch stattfinde. Neben den haftungsrechtlichen Pro ![]() ![]() | |
b) Dem schließt sich die Beklagte des Ausgangsverfahrens an. Trotz teilweise geänderter Verhältnisse seien die früheren Argumente weiterhin tragfähig. Zur Vermeidung des bösen Scheins sei die Pflicht zur Niederlegung der Mandate im vorliegenden Fall zu Recht bejaht worden. In der anwaltlichen Praxis gebe es einen Wissenstransfer durch wechselseitige Vertretung, durch Beratung mit Kollegen, durch Kanzleikonferenzen und gemeinsame Veranstaltungen, so dass der Schutz der Vertrauenserwartung des Mandanten nahezu bei jedem Sozietätswechsel berührt sei.
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c) Diese Auffassung teilt auch der Deutsche Richterbund, der allerdings die erhebliche Erschwerung eines Wechsels zwischen Sozietäten bei einer Prüfung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG für problematisch hält. Auf eine konkrete Betrachtungsweise, insbeson ![]() ![]() | |
d) Demgegenüber halten der Deutsche AnwaltVerein und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein die Verfassungsbeschwerde für begründet. Abweichend von anderen Normen verpflichte § 43 a Abs. 4 BRAO nur den Anwalt selbst, nicht aber die Sozietät als Ganzes. Mit dem Wortlaut dieser Vorschrift sei die Auslegung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne die Rechtsetzungskompetenz für Vertretungsverbote durch Sozietätswechsler nicht auf den Satzunggeber übertragen werden, da neben den Interessen der Rechtsanwälte, die selbst empfindlich in ihrer Berufsausübungsfreiheit betroffen seien, auch Mandanteninteressen und das Vertrauen in die Anwaltschaft insgesamt berührt würden. Das im Wege der Auslegung erweiterte Verbot sei jedenfalls unverhältnismäßig. Insbesondere werde die Berufsausübung junger Anwälte übermäßig behindert. Sowohl große überörtliche Sozietäten als auch kleinere Sozietäten in mittelgroßen Städten hätten häufig in gleichen Sachen Mandanten auf verschiedenen Seiten. Für junge Anwälte sei ein Sozietätswechsel für das Fortkommen von großer Bedeutung. Führe der Wechsel zur Notwendigkeit der Niederlegung von Mandaten mit erheblichen Gebührenaufkommen, würde ein solcher Wechsel sehr erschwert. Die jungen Anwälte würden faktisch an die erste anstellende Sozietät gebunden. Mit der entsprechenden Zustimmung der Mandanten könne ein Vertrauensverlust ausgeschlossen werden; ein allgemeiner Ansehensverlust für die Anwaltschaft sei nicht nachvollziehbar, zumal es primär auf die Wahrung der Verschwiegenheitspflicht ankomme. Im Übrigen sei zu beachten, dass es auch legitime Interessen der Mandanten an der Fortführung der Mandate durch den Anwalt ihres Vertrauens gebe.
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Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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Die angegriffene Entscheidung bestätigt eine gegen die Beschwerdeführer gerichtete Verfügung der Rechtsanwaltskammer. Ob eine solche Verfügung schon deshalb rechtswidrig sein könnte, weil es der Rechtsanwaltskammer an einer Rechtsgrundlage fehlt, Berufspflichtverletzungen mit dem Erlass von Ge- und Verboten zu begegnen (vgl. BGH, MDR 2003, S. 418 mit ablehnender Anmerkung von Hartung), bedarf vorliegend keiner Vertiefung. Denn die an die Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung der Rechtsanwaltskammer, die Mandate niederzulegen, findet der Sache nach im Gesetz keine der Verfassung entsprechende Grundlage. Die dem § 43 a Abs. 4 BRAO durch den Bundesgerichtshof gegebene Auslegung verletzt die Beschwerdeführer in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (I.). Die vom Bundesgerichtshof bestätigend herangezogene Vorschrift des § 3 Abs. 2 BORA ist aus diesem Grund nichtig (II.); hingegen ermöglicht § 43 a Abs. 4 BRAO eine der Verfassung entsprechende Auslegung und Anwendung.
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I.
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1. Die Vertretung von Mandanten ist ein wesentlicher Teil der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten anwaltlichen Berufsausübung.
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Anwälte streiten berufsmäßig für die Interessen ihrer Mandanten, die ihrerseits frei sind, den ihnen zusagenden Rechtsvertreter zu wählen und zu mandatieren. Das personale Vertrags- und Vertrauensverhältnis betrifft einen Beruf, der staatliche Kontrolle und Bevormundung prinzipiell ausschließt (vgl. BVerfGE 34, 293 [302]) und unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen überantwortet ist, soweit sie nicht durch verfassungsgemäße Regelungen beschränkt ist (vgl. BVerfGE 50, 16 [29]). Ihre eigenständige und unabhängige Funktion in der Durchsetzung des Rechts nehmen die Rechtsanwälte gerade in Bezug auf ihre jeweiligen Mandanten wahr. ![]() | |
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2. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführer in Gestalt der Verpflichtung zur Beendigung eines Mandats darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen (vgl. § 3 Abs. 2 BRAO), das den Anforderungen von Art. 12 Abs. 1 GG genügt.
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a) An einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung der Pflicht zur Mandatsbeendigung für Sozietäten fehlt es. § 43 a Abs. 4 BRAO bezieht sich auf den Einzelanwalt, der in derselben Sache nicht Parteien mit gegenläufigem Interesse vertreten darf. Die Wortfassung ist von besonderer Bedeutung, weil dasselbe Gesetz an anderer Stelle die Erstreckung von Verboten auf die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen Rechtsanwälte im Wortlaut vorsieht (§ 45 Abs. 3 und § 46 Abs. 3 BRAO).
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b) Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung bedeutet allerdings nicht notwendig, dass eine die Berufsausübung einschränkende Ver ![]() ![]() | |
Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes jedoch die Bedeutung des betroffenen Grundrechts und den Umfang seines Schutzbereichs zu beachten. Sie müssen eine unverhältnismäßige Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit vermeiden. Die Gerichte sind, wenn sie Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für geboten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 GG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (vgl. BVerfGE 54, 224 [235]; 97, 12 [27]).
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3. Dem wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, die Rechtsanwälte oder Anwaltssozietäten zur Beendigung eines Mandats verpflichtet, obwohl diese zuvor selbst die widerstreitenden Interessen auf der Gegenseite nicht vertreten haben und sie auch nicht zu vertreten beabsichtigen. Eine solche Berufsausübungseinschränkung, die damit begründet wird, dass sich die Rechtsanwälte zur Berufsausübung mit einem Anwalt verbinden, der zuvor auf der Gegenseite angestellt war, kann vor Art. 12 Abs. 1 GG nur Bestand haben, wenn das Verbot durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und der Eingriff nicht weiter geht, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 54, 301 [313]). Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 101, 331 [347]).
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aa) Es ist hier nicht darüber zu entscheiden, welche Folgerungen zu ziehen wären, wenn der die Sozietät wechselnde Rechtsanwalt das "widerstreitende" Mandat selbst betreut, es gar in die aufnehmende Kanzlei einbringt. Nicht zu behandeln sind auch Fälle, in denen der bekannt gewordene Sozietätswechsel die Mandanten in ihrem Vertrauen tatsächlich erschüttert, so dass sie das Mandatsverhältnis zur abgebenden oder zur aufnehmenden Kanzlei von sich aus beenden. Des Weiteren steht hier nicht zur Entscheidung, wie zu verfahren ist, wenn durch den Sozietätswechsel die Verschwiegenheitspflicht des § 43 a Abs. 2 BRAO gefährdet oder verletzt würde. Dafür bieten die Ausgangsverfahren keine Anhaltspunkte.
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bb) Wenn die vom Sozietätswechsel betroffenen Mandanten beider Seiten das Vertrauensverhältnis zu ihren jeweiligen Rechtsanwälten nicht als gestört ansehen und mit einer Fortführung der eigenen ebenso wie der gegnerischen Mandate einverstanden sind, können der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit und der Erhalt des konkreten Vertrauensverhältnisses zum Mandanten nicht als Gemeinwohlgründe angeführt werden.
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b) § 43 a Abs. 4 BRAO dient aber nicht nur dem Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant und der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, sondern darüber hinaus dem Gemeinwohl in Gestalt der Rechtspflege, die auf eine Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen ist (vgl. BTDrucks 12/4993, S. 27), also darauf, dass ein Anwalt nur einer Seite dient. Alle diese Belange treten nebeneinander und bedingen einander.
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aa) Als unabhängige Organe der Rechtspflege und als berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden haben Anwälte die Aufgabe, sachgerechte Konfliktlösungen herbeizuführen, vor Gericht zugunsten ihrer Mandanten den Kampf um das Recht zu führen und dabei zugleich staatliche Stellen möglichst vor Fehlentscheidungen zu Lasten ihrer Mandanten zu bewahren (vgl. BVerfGE 76, 171 [192]). Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Man ![]() ![]() | |
Dies bedeutet indessen nicht, dass die Definition, was den Interessen des eigenen Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege dient, abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hiervon betroffenen Mandanten vorgenommen werden darf. Kann sich durch einen Sozietätswechsel bei generalisierender Betrachtung eine Gefahr für die Verschwiegenheit und die geradlinige Interessenvertretung ergeben, kommt die Einschätzung, ob eine Rechtsbeeinträchtigung konkret droht, in erster Linie den Mandanten beider Kanzleien zu, die deshalb wahrheitsgemäß und umfassend zu informieren sind. Daneben liegt es in der gesetzesgeleiteten verantwortlichen Einschätzung der betroffenen Rechtsanwälte, ob die Konfliktsituation oder doch jedenfalls das Ziel der Vermeidung zukünftiger Störungen des Vertrauensverhältnisses eine Mandatsniederlegung gebietet (vgl. das in der Stellungnahme der Deutschen Delegation beim Rat der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft erwähnte Institut der delicatesse im französischen Recht, das den Grad an eigenverantwortlicher Selbsteinschätzung des Rechtsanwalts umschreibt). Ein verantwortlicher Umgang mit einer solchen Situation kann von einem Rechtsanwalt ebenso erwartet werden wie von einem Richter bei der Offenlegung von Gründen zur Selbstablehnung (vgl. § 19 Abs. 3 BVerfGG und hierzu BVerfGE 46, 34 [41 f.]).
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Soweit die Bundesnotarkammer in ihrer Stellungnahme davon ausgeht, das wirtschaftliche Interesse eines Rechtsanwalts, ein Mandat fortzuführen, nehme ihm die nötige Unabhängigkeit und Unparteilichkeit für ein am Maßstab des § 43 a Abs. 4 BRAO ausgerichtetes gesetzeskonformes Handeln, entspricht dies nicht der gesetzgeberischen Einschätzung. Der Gesetzgeber bezeichnet die Rechtsan ![]() ![]() | |
bb) In tatsächlicher Hinsicht können die Fallgestaltungen, auf die sich die Verbotsnorm des § 43 a Abs. 4 BRAO bezieht, sehr vielseitig sein (vgl. hierzu Zuck, NJW 1999, S. 263 [265]; Henssler, NJW 2001, S. 1521 [1525 f.]; Müller, AnwBl 2001, S. 491 [493]; Schlosser, NJW 2002, S. 1376 [1379 f.]). So kann die Arbeitsteilung in der abgebenden Kanzlei durch räumliche Trennung (bei überörtlichen Sozietäten und bei Bürogemeinschaften), durch organisatorische Vorkehrungen (chinese wall), durch Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses (Sozius, Angestellter oder freier Mitarbeiter), durch die schiere Größe oder die fachliche Abschottung der verschiedenen Bereiche einer Kanzlei (beispielsweise Baurecht, Familienrecht, Patentrecht) gewährleisten, dass die Verschwiegenheitspflicht schon deshalb nicht gefährdet ist, weil es für den wechselnden Anwalt nichts zu verschweigen gibt.
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Die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit und das Vertrauen der Mandanten in die Verschwiegenheit des einzelnen Anwalts kommen erst zur Geltung, wenn der Rechtsanwalt über geheimhaltungsbedürftige Informationen verfügt. Diese können dem Rechtsanwalt die innere Unabhängigkeit nehmen oder den Mandanten verunsichern und deshalb zur Beendigung des Mandats durch Auftragnehmer oder Auftraggeber führen. Möglicherweise hält aber ein Mandant der abgebenden Kanzlei solche Kenntnisse über Sachverhalt und Rahmenbedingungen oder von Einzelproblemen im konkreten Fall für unschädlich, sofern der wechselnde Rechtsanwalt in der aufnehmenden Kanzlei von jeder Rechtsbesorgung (im Sinne von beraten, unterstützen, vertreten) fern gehalten wird. Auf die Verschwiegenheit ihrer Anwälte sind Mandanten bei einem Sozie ![]() ![]() | |
cc) Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43 a Abs. 4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird. Soweit die vom Kanzleiwechsel unterrichteten und beiderseits betroffenen Mandanten einen solchen Widerstreit nicht befürchten und Vertrauen in die getroffenen Vorkehrungen sowie die Verschwiegenheit ihrer Anwälte zeigen, besteht im Interesse der Rechtspflege nur Anlass zum Eingreifen, wenn hierfür sonstige Indizien sprechen, die den Mandanten verborgen geblieben oder von ihnen unzutreffend eingeschätzt worden sind. Die Rechtsanwaltskammern sind insoweit berechtigt und verpflichtet, allen Hinweisen nachzugehen. Eine Vermutung oder einen Anschein pflichtwidrigen Verhaltens dürfen sie indessen ihren Maßnahmen nicht zugrunde legen. Die Bundesrechtsanwaltsordnung knüpft an solche abstrakten Gefährdungen der Rechtspflege nur in Ausnahmefällen an (vgl. § 7 Nr. 9 und 10). Dem entspricht die Fassung von § 43 a Abs. 4 BRAO nicht.
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c) Diesen Grundsätzen wird die an § 3 Abs. 2 BORA ausgerichtete Auslegung von § 43 a Abs. 4 BRAO durch den Bundesgerichtshof nicht gerecht. Sie beschränkt die Freiheit der Berufsausübung in der aufnehmenden Kanzlei über das zum Schutz der betroffenen Rechtsgüter erforderliche Maß hinaus, weil sie die Möglichkeit verstellt, den Besonderheiten des jeweiligen Falles Rechnung zu tragen. § 43 a Abs. 4 BRAO gebietet eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung aller Belange unter besonderer Berücksichtigung der konkreten Mandanteninteressen.
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II.
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§ 3 Abs. 2 BORA, der keinen Raum für eine Einzelabwägung lässt, ist aus diesem Grund in der ursprünglichen wie in der Fassung späterer Bekanntmachungen mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Die Vorschrift vernachlässigt nicht nur die Interessen der Mandanten; sie berücksichtigt -- soweit die Befugnis zur Ausge ![]() ![]() | |
1. a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt jede berufliche Tätigkeit, gleichgültig ob sie selbständig oder unselbständig ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 7, 377 [398 f.]; 54, 301 [322]). Zur Berufsausübung gehört das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 80, 269 [278]), aber auch das Recht, einen Arbeitsplatz nach eigener Wahl anzunehmen, beizubehalten oder aufzugeben (vgl. BVerfGE 85, 360 [372 f.]; 97, 169 [175]). Ein Eingriff liegt auch vor, wenn die wirtschaftlichen Folgen von Rechtsnormen die Eingehung von Arbeitsverhältnissen wesentlich erschweren.
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b) Die Möglichkeit des Sozietätswechsels ist für die Anwaltschaft zunehmend von Bedeutung.
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Der Beruf des Rechtsanwalts wird nicht mehr fast ausschließlich allein in eigener Kanzlei oder gemeinsam mit nur wenigen selbständigen Partnern ausgeübt (vgl. Busse, NJW 1999, S. 3017). Etwa 7.000 Rechtsanwälte arbeiten in großen Sozietäten mit 30 bis 500 Rechtsanwälten zusammen; fast 20.000 Rechtsanwälte gehen in Sozietäten mit 4 bis 30 Rechtsanwälten ihrem Beruf nach (vgl. Heussen, Anwalt 2003, Heft 5, S. 16 f.). Viele von ihnen arbeiten im Angestelltenverhältnis oder sie sind freie Mitarbeiter (vgl. Huff, Anwalt 2002, Heft 11, S. 8 ff.). Mittlere Kanzleien gehen überörtliche Sozietäten ein oder benennen feste Kooperationspartner in anderen Regionen oder im europäischen Ausland. In welchem Maße einem jungen Berufseinsteiger Gelegenheit zur Spezialisierung in einer größeren Kanzlei geboten wird und in welchem Umfang er mit sonstigen Mandaten in der Kanzlei in Berührung kommt, hängt von der jeweiligen Kanzleiorganisation ab.
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Zugleich hat die Spezialisierung unter den Rechtsanwälten zugenommen. Etwa 14 vom Hundert führen eine Fachanwaltsbezeichnung; andere zeigen durch die Wahl von Tätigkeitsschwerpunkten an, welche Ausschnitte des Rechts sie mit Vorzug bearbeiten (vgl. BRAK-Mitt. 2002, S. 122). Selbst für hochspezialisierte Rechtsanwälte etwa im Recht der Gentechnologie, im Kartell- und Vergabe ![]() ![]() | |
Ein Kanzleiwechsel ist keine Seltenheit mehr. Das Bild der ein Berufsleben lang andauernden Zusammenarbeit weniger Rechtsanwälte ist stark von Verhältnissen geprägt, die der Vergangenheit angehören. Nicht nur angestellte Rechtsanwälte, sondern auch Sozien suchen inzwischen vermehrt durch Kanzleiwechsel ihre Einkommens- oder Karrierechancen zu verbessern (vgl. Huff, Anwalt 2002, Heft 11, S. 8 [9]; vgl. auch K. Westerwelle, Rechtsanwaltssozietäten und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 1997, S. 130). Die Möglichkeit der Mobilität hat demnach für den Einzelnen an Gewicht gewonnen.
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2. Schon wenn sich durch den Vertragsschluss die Partner selbst wechselseitig in ihrer beruflichen Handlungsfreiheit beschränken, indem sie einem der Vertragschließenden den Arbeitsplatzwechsel erheblich erschweren (Konkurrenzklauseln), sind die Rechtsfolgen anhand des Maßstabs des Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen (vgl. BVerfGE 81, 242). Von vergleichbarem Gewicht ist eine Satzungsregelung wie § 3 Abs. 2 BORA, die unabhängig von eigener Einflussnahme durch die Handelnden den Berufswechsel erschwert, weil der aufnehmenden Kanzlei grundsätzlich die Mandatsniederlegung und damit der Verzicht auf Einnahmen zugemutet wird. Die hiermit verbundenen Beeinträchtigungen der Berufsausübungsfreiheit dürfen nicht weiter gehen als vom Eingriffszweck her unumgänglich.
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3. § 3 Abs. 2 BORA beschränkt die Nachteile für die aufnehmende Sozietät nicht auf das zum Schutz von Gemeinwohlinteressen erforderliche Minimum. Die Vorschrift enthält keine Regeln, die eine Prüfung im Einzelfall ermöglichen, ob Sicherungen zur Wahrung des Vertrauens in die Beachtung der Verschwiegenheitspflicht bestehen. ![]() | |
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Wie oben dargelegt ist das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, geeignet und erforderlich, im Interesse von Mandanten und Rechtspflege die mit dem Gesetz bezweckten Ziele zu erreichen. In welchem Ausmaß das Verbot aber auf Dritte zu erstrecken ist, mit denen der tatsächlich mandatierte Rechtsanwalt zusammenarbeitet oder zusammengearbeitet hat, muss unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit austariert werden. Die für die Außenhaftung und für die Außenvollmacht entwickelten Grundsätze der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, die Mandanten und Rechtsverkehr eine erleichterte Zurechnung ermöglichen (vgl. BGHZ 56, 355), können insofern nicht maßgeblich sein. Denn der Schutzzweck des § 43 a Abs. 4 BRAO ist -- wie unter I. dargelegt -- ein anderer. Auch aus der Berufsordnung, die es in § 8 gestattet, freie Mitarbeiter durch Aufnahme in den Briefkopf zu Außensozien zu machen, lassen sich keine Abwägungskriterien gewinnen. Diese Regelung dient der Selbstdarstellung der abgebenden Kanzlei und hat nicht den Interessenwiderstreit nach einem Sozietätswechsel im Blick. Für die hier zu beurteilende Frage ist demgegenüber entscheidend, welcher Informationsfluss zwischen Rechtsanwälten stattfindet, die lediglich in Bürogemeinschaft verbunden sind. Das hängt aber von der Organisation und der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Anwälten ab.
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Undifferenziert an diese formalen Außenbeziehungen ein Mobilitätshindernis zu knüpfen, weil beim Wechsel in eine andere Kanzlei ![]() ![]() | |
Im Ergebnis folgt daraus eine unverhältnismäßige Erschwerung des Kanzleiwechsels, weil die aufnehmende Kanzlei finanzielle Einbußen nur dann in Kauf nehmen wird, wenn sie ein ganz besonderes Interesse an der Hinzugewinnung der neuen Arbeitskraft hat. Noch gravierender sind die Auswirkungen, wenn der Sozietätswechsel nicht freiwillig und langfristig geplant erfolgt, weil es unvorhergesehen zu einer Trennung der Sozien, zu einer Auflösung oder Abspaltung von Kanzleien oder zu wirtschaftlichen Engpässen bei der abgebenden Kanzlei kommt. In derartigen Fällen kann die Berufsausübungsregelung eine Zeit lang Folgen haben, die einer Berufswahlregelung nahe kommen. Bis zur Abwicklung der Altmandate wird sich insbesondere dann selten eine aufnehmende Kanzlei finden, wenn der Kreis der denkbaren Sozien oder Arbeitgeber durch einen hohen Spezialisierungsgrad eng gezogen ist. Solche einschneidenden Folgen für die Berufsausübung verlangen ausreichend gewichtige Interessen auf Seiten der Mandanten oder der Rechtspflege, die nach den Ausführungen oben unter B. I. nicht ausnahmslos und ohne Rücksicht auf typisierbare Fallvarianten unterstellt werden dürfen.
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III.
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