2. Eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels ist nur zulässig, wenn der Untergebrachte krankheitsbedingt zur Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig ist. Maßnahmen der Zwangsbehandlung dürfen nur als letztes Mittel und nur dann eingesetzt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg versprechen und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden sind, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Zum Schutz der Grundrechte des Untergebrachten sind besondere verfahrensmäßige Sicherungen geboten.
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3. Die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung bedürfen klarer und bestimmter gesetzlicher Regelung. Dies gilt auch für die Anforderungen an das Verfahren.
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Beschluss | |
des Zweiten Senats vom 23. März 2011
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-- 2 BvR 882/09 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn P . . . -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. David Schneider-Addae-Mensah, Heidenschanzweg 3, 77694 Kehl -- gegen a) den Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 18. März 2009 -- 1 Ws 365/08 (Vollz) --, b) den Beschluss des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 16. Oktober 2008 -- 2 StVK 255/06 --, c) die Ankündigung der Zwangsmedi ![]() ![]() | |
Entscheidungsformel:
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1. § 6 Absatz 1 Satz 2 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln (Maßregelvollzugsgesetz -- MVollzG --) vom 23. September 1986 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz, Seite 223), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz, Seite 571), ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
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2. Die Beschlüsse des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 16. Oktober 2008 -- 2 StVK 255/06 -- und des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 18. März 2009 -- 1 Ws 365/08 (Vollz) -- verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Landau in der Pfalz zurückverwiesen.
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3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
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4. Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe: | |
A. -- I. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln (Maßregelvollzugsgesetz -- MVollzG).
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§ 6 MVollzG Rh.-Pf. lautet wie folgt:
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§ 6 Zulässigkeit von Maßnahmen
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(1) Operative Eingriffe, Behandlungen und Untersuchungen, die mit einem wesentlichen gesundheitlichen Risiko oder einer Gefahr für das Leben des untergebrachten Patienten verbunden sind, sind nur mit seiner Einwilligung zulässig; sonstige operative Eingriffe, Behand ![]() ![]() | |
(2) Eine zwangsweise Ernährung des untergebrachten Patienten ist zulässig, wenn und solange Lebensgefahr oder eine schwerwiegende Gefahr für seine Gesundheit besteht, er ohne Bewußtsein ist, er aus anderen Gründen zur natürlichen Nahrungsaufnahme nicht in der Lage ist und keinen körperlichen Widerstand leistet oder er seinen Willen infolge Krankheit nicht frei bestimmen kann. Der untergebrachte Patient, der die Nahrungsaufnahme verweigert, ist über die Gefahren und Folgen seines Verhaltens zu belehren.
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(3) Zur zwangsweisen Durchführung von Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ist die Einrichtung nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des untergebrachten Patienten ausgegangen werden kann; dies gilt nicht bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen.
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(4) Ist der untergebrachte Patient nicht in der Lage, Grund, Bedeutung und Tragweite der Maßnahmen einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgebend. Besitzt der untergebrachte Patient zwar die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist er aber in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist neben seiner Einwilligung die seines gesetzlichen Vertreters erforderlich.
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(5) Die Maßnahmen müssen für den untergebrachten Patienten zumutbar sein und dürfen nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg stehen. Sie dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden. Die Leistung Erster Hilfe bleibt hiervon unberührt; der gesetzliche Vertreter des untergebrachten Patienten ist über den Vorfall, der die Leistung Erster Hilfe erforderlich machte, zu unterrichten.
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(6) Über eine gegen den Willen des untergebrachten Patienten durchgeführte Maßnahme sind die Aufsichtsbehörde und ein von der obersten Aufsichtsbehörde zu bestimmender Arzt sowie der gesetzliche Vertreter des untergebrachten Patienten zu unterrichten.
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Der Gesetz gewordenen Fassung von § 6 MVollzG Rh.-Pf. liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit des Landtags Rheinland-Pfalz (LTDrucks 10/2613) zu ![]() ![]() ![]() | |
1. Der Beschwerdeführer ist aufgrund Urteils des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) seit dem 16. Dezember 1999 im Pfalzklinikum Klingenmünster im Maßregelvollzug untergebracht. Er hatte aufgrund einer wahnhaften Störung im Zustand der Schuldunfähigkeit mit einer Weinflasche auf seine schlafende Ehefrau eingeschlagen und versucht, diese zu ersticken. Danach hatte er mit einer weiteren Weinflasche auf seine im Bett liegende Tochter eingeschlagen.
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Von Ende Dezember 1999 bis Ende Februar 2000 wurde der Beschwerdeführer mit einem atypischen Neuroleptikum behandelt. Die weitere Behandlung verweigerte der Beschwerdeführer wegen der Nebenwirkungen. Im Rahmen der jährlichen Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung stellte die externe Sachverständige Prof. Dr. N. im Jahre 2005 fest, dass die für die Anlasstat ursächliche paranoide Psychose fortbestehe. Die einzige Chance, den psychischen Zustand zu verbessern, liege in einer medikamentösen Behandlung mit Neuroleptika. Von Februar bis Ende November 2006 stand der Beschwerdeführer unter Betreuung für den Bereich der Gesundheitsfürsorge. Eine vom damaligen Betreuer beantragte und vom Vormundschaftsgericht erteilte Genehmigung für die Behandlung des Beschwerdeführers mit Neuroleptika hob das Landgericht auf mit der Begründung, die Behandlung sei, da keine Gefahr eines schweren und länger dauernden Schadens mit ihr verbunden sei, nicht gemäß § 1904 BGB genehmigungsbedürftig. Das Vormundschaftsgericht lehnte mit entsprechender Begründung die Erteilung der Genehmigung ab.
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2. Mit angegriffenem Schreiben vom 28. September 2006 kündigte daraufhin die Klinik dem Beschwerdeführer die Behandlung "mit einem geeigneten Neuroleptikum, das eventuell auch gegen Ihren Willen intramuskulär gespritzt wird", an. Während der Verabreichung müssten in regelmäßigen Abständen Blutentnahmen durchgeführt werden, da die Medikamente unter Umständen zu Blutbildveränderungen führen oder auch den Stoffwechsel der Leber beeinträchtigen könnten. In der Verabreichung von Medikamenten bestehe die einzige Möglichkeit, die wahn ![]() ![]() | |
3. a) Der Beschwerdeführer legte "Beschwerde" ein und beantragte eine externe fachärztliche Begutachtung. Die angedrohte Behandlung sei mit einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit verbunden und deshalb nicht gegen seinen Willen zulässig. Die Gefahr ergebe sich schon aus der von der Klinik selbst angeführten Möglichkeit von Blutbildveränderungen und Funktionsbeeinträchtigungen der Leber. Darüber hinaus wirkten die Medikamente persönlichkeitsverändernd. Dass das Vormundschaftsgericht das Vorliegen eines schweren und länger andauernden gesundheitlichen Schadens verneint habe, stehe dem nicht entgegen, denn die Voraussetzungen des § 1904 BGB und des § 6 MVollzG Rh.-Pf. seien nicht gleichbedeutend. Ärztliche Eingriffe dürften zudem, auch wenn sie nicht mit einer erheblichen Gesundheitsgefahr verbunden seien, gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 MVollzG Rh.-Pf. nur bei Lebensgefahr oder schwerwiegender Gesundheitsgefahr für den Untergebrachten oder für Dritte gegen seinen Willen vorgenommen werden. Hieran fehle es. Eine Zwangsmedikation missachte ferner den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Schon die Geeignetheit der Behandlung sei -- eine psychische Erkrankung unterstellt -- zweifelhaft. Bereits in der Vergangenheit habe eine solche Behandlung nicht angeschlagen. Die Behandlung sei auch nicht erforderlich; der Beschwerdeführer nehme an Therapiesitzungen teil, halte sein Umfeld sauber und verhalte sich erstaunlich diszipliniert.
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b) Die Klinik wies in ihrer Stellungnahme vom 2. November 2006 darauf hin, dass die frühere Behandlungsdauer mit dem Medikament Zyprexa zu kurz gewesen sei, um eine wesentliche Besserung der Symptomatik zu erreichen. Eine Mindestbehandlungsdauer von sechs Monaten sei erforderlich. Bei dem Beschwerdeführer bestehe keine Krankheitseinsicht; er halte in unkorri ![]() ![]() | |
c) Das Landgericht legte die Beschwerde als Antrag gemäß § 138 Abs. 3, § 109 Abs. 1 StVollzG aus und wies mit angegriffenem Beschluss vom 16. Oktober 2008 den Antrag mit der Maßgabe zurück, dass eine zwangsweise medikamentöse Therapie mittels atypischer Neuroleptika für einen Zeitraum von sechs Monaten zulässig sei.
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Die Zwangsbehandlung eines nach § 63 StGB Untergebrachten stelle einen massiven Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Ihre Zulässigkeit richte sich nach § 6 MVollzG Rh.-Pf.
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Das Einwilligungserfordernis des § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. für Behandlungsmaßnahmen mit wesentlichem gesundheitlichen Risiko oder Lebensgefahr sei hier nicht einschlägig. Zutreffende Diagnose und fachgerechte Medikation vorausgesetzt, sei die Behandlung mit Neuroleptika generell nicht mit einer Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit verbunden. Auch nach Einschätzung der behandelnden Fachärzte bestehe lediglich eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt schwerwiegender und länger dauernder Schäden.
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Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 MVollzG Rh.-Pf. seien Maßnahmen ohne jede Einwilligung nur bei -- hier nicht vorliegender -- besonderer Gefahrenlage erlaubt. Rechtsgrundlage für die Zwangsbehandlung der Anlasserkrankung sei deshalb § 6 Abs. 1 ![]() ![]() | |
Die Behandlung sei aber nach den ärztlichen Darlegungen nur für eine Dauer von sechs Monaten gerechtfertigt; danach müsse gegebenenfalls ein externer Sachverständiger hinzugezogen werden. In jedem Fall bedürfe die neue Entschließung über die Erfor ![]() ![]() | |
4. a) Mit der Rechtsbeschwerde (§§ 116 ff. StVollzG) rügte der Beschwerdeführer erneut, § 6 MVollzG Rh.-Pf. erlaube die angekündigte Behandlung nicht. Dieser fehle die notwendige Rechtsgrundlage. Die Strafvollstreckungskammer habe die Unverhältnismäßigkeit der Zwangsbehandlung verkannt. Hinsichtlich der -- sehr wohl auch bei atypischen Neuroleptika bestehenden -- Gefahr schwerer Nebenwirkungen habe sie den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Vernachlässigt worden sei das Risiko, dass sich durch die Behandlung ein psychischer Defekt erst bilde oder verstärke.
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b) Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 18. März 2009 die Rechtsbeschwerde als unbegründet. Die rechtlichen Grundlagen der Zwangsbehandlung seien von der Strafvollstreckungskammer zutreffend dargelegt worden. Mit § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. habe der Landesgesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien sicherstellen wollen, dass während der Vollziehung einer Maßregel der Besserung und Sicherung der Patient nicht nur verwahrt, sondern auch, wenn notwendig gegen seinen Willen, behandelt werde, um einerseits den Untergebrachten zu befähigen, ein in der Gemeinschaft eingegliedertes Leben zu führen, und andererseits die Allgemeinheit vor weiteren rechtswidrigen Taten zu schützen. Damit diene die Behandlung dem Ziel der Wiederherstellung der psychischen Gesundheit und damit auch der Beendigung der Unterbringung. Dass die Zwangsbehandlung nicht schrankenlos möglich, sondern nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beschränken sei, ergebe sich aus § 6 Abs. 5 MVollzG Rh.-Pf. Die im Falle des Beschwerdeführers vorgesehene Gabe atypischer Neuroleptika diene, wie es § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. voraussetze, dem Vollzugsziel. Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer seien auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Behandlung zu einer Persönlichkeitsveränderung im Kernbereich führen könnte, wie sie nach den ausdrücklichen Bestimmungen verschiedener Landesgesetze einer Zwangsbehandlung entgegen ![]() ![]() | |
III.
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Mit der Verfassungsbeschwerde, die sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts sowie gegen die Ankündigung der Zwangsmedikation seitens der Klinik richtet, rügt der Beschwerdeführer, seine Rechte aus Art. 2 Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 EMRK sowie sein Recht auf ein faires Verfahren seien verletzt.
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Schon die Androhung der Zwangsmedikation stelle einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Für den Eingriff fehle es an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. § 6 MVollzG Rh.-Pf. erlaube die Zwangsmedikation bei schweren physischen und psychischen Eingriffen nur mit Einwilligung des Betroffenen. Um eine im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. gefährliche Behandlung, die nicht ohne Einwilligung vorgenommen werden dürfe, handele es sich angesichts der unterschiedlichen Wirkungen unterschiedlicher Neuroleptika schon deshalb, weil das konkret einzusetzende Medikament nicht angegeben und die Behandlung auch sonst nicht näher konkretisiert worden sei. Denn von diesbezüglicher Konkretisierung hingen Eingriffsintensität und Verhältnismäßigkeit ab. Mit erheblichen gesundheitlichen Auswirkungen sei auch bei Beschränkung der Medikation auf atypische Neuroleptika zu rechnen. Der gegenwärtige Stand der Wissenschaft erlaube keine zuverlässigen Aussagen über die Wirkungsweise und die Nebenwirkungen typischer wie atypischer Neuroleptika. Die Gerichte hätten ver ![]() ![]() | |
IV.
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Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Bundesregierung, die Landesregierung und der Landtag von Rheinland-Pfalz, der Bundesgerichtshof, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener Stellung genommen. Der Bundesrat und die Parlamente und Regierungen der übrigen Länder haben von der Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.
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1. Für die Bundesregierung hat das Bundesministerium der Justiz zur Zwangsbehandlung auf betreuungsrechtlicher Grundlage ausgeführt: Die Bestellung eines Betreuers für einen Volljährigen setze voraus, dass dieser aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung keinen freien Willen mehr bilden könne. Maßstab für das Handeln des Betreuers seien die Wünsche und das Wohl des Betreuten. Liege keine Patientenverfügung vor, habe sich der Betreuer am mutmaßlichen Willen des Betreuten zu orientieren. Eine Zwangsbehandlung nach Betreuungsrecht komme nur in Betracht, wenn eine Betreuerbestellung gegen den (natürlichen) Willen des Betreuten möglich war, weil ein entgegenstehender ![]() ![]() | |
2. a) Für die rheinland-pfälzische Landesregierung hat das Ministerium der Justiz Stellung genommen. Die vorgesehene Behandlung mit Neuroleptika sei aus rechtlichen und medizinischen Gesichtspunkten notwendig. Das Maßregelvollzugskrankenhaus habe einen auf das Vollzugsziel ausgerichteten Behandlungsauftrag (§ 5 Abs. 1 und 2 MVollzG Rh.-Pf.), der es verpflichte, die Erkrankung des untergebrachten Patienten umfassend zu behandeln. § 6 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf. erlaube Eingriffe, die mit einem besonderen Risiko für den Untergebrachten verbunden sind, nur mit dessen Einwilligung; andere Eingriffe seien dagegen ohne Einwilligung zulässig. Dabei sei zu unterscheiden zwischen operativen Eingriffen und einfachen Eingriffen, etwa mittels einer Spritze. Im vorliegenden Fall seien nur einfache Eingriffe, nämlich die intramuskuläre Injektion des Medikaments und die gewöhnliche Blutentnahme aus der Vene, vorgesehen. Beides könne ohne Einverständnis des untergebrachten Patienten erfolgen. Von dem Medikament selbst gehe kein wesentliches Gesundheitsrisiko im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. aus. Ohne die Behandlung sei die Gesundheit des Beschwerdefüh ![]() ![]() | |
b) Mit Schreiben vom 2. November 2010 hat das rheinland-pfälzische Ministerium der Justiz ein zwischenzeitlich im Verfahren der Überprüfung der Unterbringung eingeholtes Gutachten des Facharztes für Neurologie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. nachgereicht, dem zufolge beim Beschwerdeführer weiterhin eine wahnhafte Erlebnisverarbeitung mit dem Thema der Beeinträchtigung und Vergiftung feststellbar ist. Es handele sich um eine zeitlich überdauernde psychische Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Im zwischenzeitlich mehr als zehnjährigen Krankheitsverlauf sei es zu einer beträchtlichen Chronifizierung gekommen; bedeutsame Abnahmen der Symptomausprägung seien nicht feststellbar. Eine Verbesserung der Verlaufsprognose sei nur durch eine konsequente medikamentöse Behandlung mit einem antipsychotischen Präparat ("frühere Bezeichnung: Neuroleptikum") zu erzielen. Diese Medikamente seien nach klinischer und wissenschaftlicher Erkenntnis bei der Auflösung von Wahnphänomenen und Halluzinationen wirksam, würden das Misstrauen und die feindselige Ablehnung des Patienten eindämmen und damit die Grundlage eines therapeutischen Bündnisses und weitergehender psycho- und sozialtherapeutischer Maßnahmen bilden. Die bislang ausgebliebene Verminderung der deliktrelevanten Symptomatik sei ausschließlich auf die Verweigerung der gebotenen pharmakologischen Behandlung zurückzuführen. Die unterbliebene Behandlung belaste die Kriminalprognose, weil die Ansprechbarkeit auf medikamentöse Interventionen mit der Dauer der unbehandelten Psychose deutlich abnehme. Ob die Behandlung künftig Erfolg verspreche, müsse angesichts des langjährig sich selbst überlassenen Spontanverlaufs ![]() ![]() | |
3. Der Landtag des Landes Rheinland-Pfalz hält die angewendete landesgesetzliche Vorschrift für verfassungskonform. § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. verletze nicht die Menschenwürde. Der Maßregelvollzug solle dem Patienten die Chance eröffnen, wieder ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit zu führen; dementsprechend sei er zu behandeln (§ 5 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf.). Das Vollzugsziel rechtfertige allerdings nicht jede mögliche Behandlung gegen den Willen des Patienten. Dem trage § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. Rechnung, denn die Regelung ermächtige, wie aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, § 6 Abs. 3, § 6 Abs. 5 Satz 1 MVollzG Rh.-Pf. ersichtlich, nur zu im Einzelfall verhältnismäßigen Maßnahmen. § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein die körperliche Unversehrtheit beschränkendes Gesetz. Das Bestimmtheitsgebot sei beachtet. Die Formulierung "im übrigen" in § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. schränke die nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. zulässigen Maßnahmen weiter ein. Der Eingriff sei demnach nur zulässig, wenn die Maßnahmen nicht mit einem wesentlichen gesundheitlichen Risiko oder einer Gefahr für das Leben des Patienten verbunden seien. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sei § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. unbedenklich. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur zwangsweisen Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt ergebe sich, dass auch gegen den Willen des Grundrechtsträgers Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, die nicht mit einer Gefahr für das Leben oder einem wesentlichen Gesundheitsrisiko für den Betroffenen verbunden sind, allein zu seinem Schutz zulässig sein könnten. Sofern der Patient die Bedeutung des Eingriffs oder der Verweigerung nicht erfassen könne, sei nach § 6 Abs. 4 MVollzG Rh.-Pf. zu verfahren. Sofern der Patient zur freien Willensbestimmung in der Lage sei, sei eine Zwangsbe ![]() ![]() | |
4. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat eine Stellungnahme des XII. Zivilsenats zur Zwangsbehandlung nach Betreuungsrecht übersandt. Der Betreuer dürfe als gesetzlicher Vertreter des Betreuten für diesen in medizinische Behandlungen einwilligen, wenn der Betreute dazu selbst nicht in der Lage, insbesondere nicht einsichts- oder steuerungsfähig, sei. Der Betreuer sei indes nicht befugt, den einer solchen Behandlung entgegenstehenden Willen des Betreuten durch Zwang zu überwinden. Die Befugnis hierzu könne sich nur aus einem formellen Gesetz ergeben, das Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß der vom Betreuten unter Zwang zu duldenden Behandlung hinreichend bestimme. Allein ![]() ![]() | |
5. Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. hält eine zwangsweise Behandlung gegen den erklärten Willen des Betroffenen für grundsätzlich verfassungs- und menschenrechtswidrig. Im Speziellen sei die Behandlung mit nicht näher konkretisierten Neuroleptika im vorliegenden -- exemplarischen -- Fall grundgesetzwidrig und finde keine Grundlage in § 6 MVollzG Rh.-Pf.
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Maßnahmen, die mit einem wesentlichen gesundheitlichen Risiko oder einer Gefahr für das Leben des untergebrachten Patienten verbunden seien, dürften nach § 6 MVollzG Rh.-Pf. ausschließlich mit dessen Einwilligung vorgenommen werden. Auch atypische Neuroleptika zeichneten sich durch vielfältige und teilweise häufige Nebenwirkungen aus. Da demnach mit der Verabreichung von Neuroleptika ein wesentliches gesundheitliches Risiko für den Beschwerdeführer einhergehe, finde die Zwangsbehandlung schon keine einfachgesetzliche Grundlage in § 6 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf. Selbst wenn man mit den Fachgerichten die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. nicht als erfüllt ansehen wolle, greife die Zwangsbehandlung hier verfassungswidrig in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein. Es handele sich um eine rein vorsorgliche Maßnahme, die die Voraussetzungen für eine spätere Entlassungsfähigkeit des Patienten schaffen solle. Dem Untergebrachten stehe jedoch die Freiheit zur Krankheit zu. Die Abwägung mit dem ![]() ![]() | |
§ 6 MVollzG Rh.-Pf. sei unvereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Art. 12 Abs. 2 der Konvention verpflichte die Staaten, die Rechtsfähigkeit im Sinne einer rechtlichen Handlungsfähigkeit anzuerkennen. Geschützt sei dabei nicht allein die Fähigkeit, Träger von Rechten zu sein, sondern auch die Fähigkeit, diese Rechte auszuüben. Zwangsbehandlung könne auch nicht als eine Maßnahme verstanden werden, die im Sinne von Art. 12 Abs. 3 der Konvention der Person mit Behinderung die Unterstützung biete, der sie zur Ausübung ihrer rechtlichen Handlungsfähigkeit bedürfe, denn die rechtliche Handlungsfähigkeit werde ihr mit der Zwangsbehandlung gerade genommen.
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6. Für die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) haben deren Präsident, Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, und deren Gesundheitspolitischer Sprecher, Prof. Dr. Jürgen Fritze, eine eingehende Stellungnahme zur Frage des möglichen Nutzens sowie der Risiken und möglichen Nebenwirkungen der Behandlung eines psychisch Kranken mit einem Neuroleptikum abgegeben.
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Die Wiedergabe des Kenntnisstandes zu einzelnen Nebenwirkungen zeigt unter anderem eine teilweise erhebliche Streuung der bei unterschiedlichen Untersuchungen angegebenen Häufigkeiten sowie, jedenfalls hinsichtlich motorischer Störungen, eine Abhängigkeit der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens von der Dauer der Verabreichung. Zusammenfassend kommt die Stellungnahme zu folgenden Ergebnissen: An der antipsychotischen Wirksamkeit der Neuroleptika gegen die Zielsymptome gebe es keinen Zweifel. Diese Wirksamkeit sei im Wesentlichen in Studien bei ![]() ![]() | |
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts angreift. Im Übrigen ist sie unzulässig. Nach der vom Beschwerdeführer nicht substantiiert angegriffenen Auffassung der Fachgerichte sollte durch die Ankündigung der Zwangsmedikation im Schreiben des Pfalzklinikums Klingenmünster vom 28. September 2006 dem Beschwerdeführer lediglich ermöglicht werden, vor Beginn der Zwangsbehandlung in wirksamer Weise, nämlich in Gestalt einer vorbeugenden Unterlassungsklage, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
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Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie begründet. Die Beschlüsse, mit denen Landgericht und Oberlandesgericht die angekündigte Zwangsbehandlung als rechtmäßig bestätigt haben, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht ![]() ![]() | |
Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in schwerwiegender Weise in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein (I.). Zwar kann ein solcher Eingriff, auch zur Erreichung des Vollzugsziels, im Einzelfall gerechtfertigt sein. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben sich jedoch strenge Anforderungen an die Zulässigkeit des Eingriffs. Dies betrifft sowohl die materiellen Eingriffsvoraussetzungen als auch deren Sicherung durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen in hinreichend klarer und bestimmter Weise gesetzlich geregelt sein (II.). Diesen Anforderungen genügt die Eingriffsermächtigung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. nicht (III.).
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I.
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1. Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen seinen natürlichen Willen (kurz: Zwangsbehandlung) greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Gehalt gehört der Schutz gegen staatliche Zwangsbehandlung (vgl. BVerfGE 79, 174 [201]).
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2. Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung steht nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen wird. Eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (vgl. BVerfGE 89, 120 [130]; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. März 1997 -- 1 BvR 1071/95 --, NJW 1997, S. 3085).
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Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt. Das bloße Aufgeben einer bestimmten Form des Protests kann nicht ohne Weiteres als Zustimmung ge ![]() ![]() | |
Krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit eines Untergebrachten ändert ebenfalls nichts daran, dass eine gegen seinen natürlichen Willen erfolgende Behandlung, die seine körperliche Integrität berührt, einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstellt. Sie kann im Gegenteil dazu führen, dass der Eingriff von dem Betroffenen als besonders bedrohlich erlebt wird, und daher das Gewicht des Eingriffs noch erhöhen (dazu unter 3.). Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG nicht von vornherein entfallen (vgl. BVerfGE 58, 208 [224 ff.]; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. August 2001 -- 1 BvR 618/93 --, NJW 2002, S. 206 [206 f.]; für die Freiheit der Person grundlegend BVerfGE 10, 302 [309]). Auf die Frage, ob für andere Grundrechte etwas anderes gilt (vgl. zur Testierfreiheit BVerfGE 99, 341 [351]), kommt es hier nicht an. Selbst die Einwilligung des für einen einsichts- und einwilligungsunfähigen Untergebrachten bestellten Betreuers nimmt daher der Maßnahme nicht den Eingriffscharakter, der darin liegt, dass sie gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt (vgl. für den Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person durch Unterbringung BVerfGE 10, 302 [309 ff.]; für den in der medizinischen Zwangsbehandlung des Untergebrachten liegenden Eingriff Popp, Zwangsbehandlung von psychisch Kranken im Betreuungsrecht, 2003, S. 75 ff.; Tietze, Ambulante Zwangsbehandlungen im Be ![]() ![]() | |
3. Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten mit Neuroleptika handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff.
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Die materiellen Freiheitsgarantien des Art. 2 Abs. 2 GG -- darunter das Recht auf körperliche Unversehrtheit -- haben unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht (vgl. BVerfGE 65, 317 [322]). Medizinische Zwangsbehandlungen von Untergebrachten, und hier insbesondere operative Eingriffe und Zwangsmedikationen, stellen zudem eine besonders schwerwiegende Form des Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit dar (vgl. Wagner, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 3. Aufl. 2010, Rn. D 146; Lesting, in: Marschner/Volckart/Lesting, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 5. Aufl. 2010, Rn. B 208; Marschner, R&P 2005, S. 47 [49]; aus psychiatrischer Sicht Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften [im Folgenden: SAMW], Zwangsmaßnahmen in der Medizin, Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW, 2005, S. 7; Dreßing/Salize, Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung psychisch Kranker, 2004, S. 30; Hell, in: Rössler/Hoff, Psychiatrie zwischen Autonomie und Zwang, 2005, S. 89 [94]; für den Fall der Durchsetzung mittels unmittelbaren Zwangs s. etwa die Schilderungen bei Schaub-Römer, Zwang in der Psychiatrie, 1997, S. 24 f.; Termeer, in: Kebbel/Pörksen, Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie, 1998, S. 82 f.). Der Betroffene wird genötigt, eine Maßnahme zu dulden, die den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt (vgl. RGSt 25, 375 [377 f.]; 38, 34 [34 f.]; BGHSt 11, 111 [112]; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 -- 1 StR 576/07 --, NStZ 2008, S. 278 [279]) und daher normalerweise nur mit der -- in strafrechtlicher Hinsicht rechtfertigenden -- Einwilligung des Betroffenen zulässig ist. Der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegende Eingriff berührt nicht nur die körperliche Integrität des Betroffenen als solche, sondern in besonders intensiver Weise auch das von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit geschützte Recht auf diesbezügliche Selbstbestimmung. Ein von anderen Menschen ![]() ![]() | |
II.
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1. Ungeachtet der Schwere des Eingriffs, der in der Zwangsbehandlung eines Untergebrachten liegt, ist es dem Gesetzgeber nicht prinzipiell verwehrt, solche Eingriffe zuzulassen. Dies gilt auch für eine Behandlung, die der Erreichung des Vollzugsziels (§ 136 StVollzG, § 1 Abs. 2 MVollzG Rh.-Pf.) dient, also darauf gerichtet ist, den Untergebrachten entlassungsfähig zu machen.
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a) Als rechtfertigender Belang kommt insoweit allerdings nicht ![]() ![]() | |
b) Zur Rechtfertigung des Eingriffs kann aber das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) geeignet sein, sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist.
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aa) Die Freiheitsgrundrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der -- jedenfalls in den Augen Dritter -- den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft. Daher ist es grundsätzlich Sache des Einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er sich therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen unterziehen will, die ausschließlich seiner "Besserung" dienen (vgl. BVerfGE 22, 180 [219 f.]). Die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt auch die "Freiheit zur Krankheit" und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind (vgl. BVerfGE 58, 208 [226]; 30, 47 [53]; 22, 180 [219]).
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bb) Das Gewicht, das dem eingeschränkten Grundrecht in der Abwägung mit denjenigen grundrechtlichen Belangen zukommt, die durch den Eingriff in dieses Recht gewahrt werden sollen, kann jedoch nicht vollkommen losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Grundrechtsträgers zu freier Willensentschließung bestimmt werden (vgl. BVerfGE 58, 208 [225]). Der Gesetzgeber ist daher berechtigt, unter engen Voraussetzungen Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers ausnahmsweise zu ermöglichen, wenn dieser zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß sol ![]() ![]() | |
Für den Eingriff, der in der medizinischen Behandlung eines Untergebrachten gegen dessen natürlichen Willen liegt, gilt nichts grundsätzlich Anderes. Demgemäß erachtet die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur Maßnahmen der Zwangsbehandlung Untergebrachter -- auch solche, die auf deren Entlassungsfähigkeit gerichtet sind -- nicht für generell unzulässig (vgl. BGHZ 145, 297 [305]; KG, Beschluss vom 29. August 2007 -- 2 Ws 66/07 Vollz --, R&P 2008, S. 39 [40 ff.]; BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2002 -- 3Z BR 172/02 --, R&P 2004, S. 33; LG Heidelberg, Beschluss vom 20. April 2004 -- 7 StVK 79/04 --, juris; Bernsmann, in: Blau/Kammeier, Straftäter in der Psychiatrie, 1984, S. 159; Heide, Medizinische Zwangsbehandlung, 2001, S. 235 f.; v. Storch, a.a.O., S. 39 ff. [42]; Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 7. Aufl. 2009, Rn. 362, 365; Rüping, JZ 1982, S. 744 [746 f.]; Rinke, NStZ 1988, S. 10 [12]; Marschner, R&P 1990, S. 66 [70]; a. A. Wagner, in: Kammeier, a.a.O., Rn. D 150; Narr/Saschenbrecker, FamRZ 2006, S. 1079 [1083]).
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Ist ein Untergebrachter krankheitsbedingt nicht zur Einsicht in die Krankheit fähig, deretwegen seine Unterbringung notwendig ist, oder kann er krankheitsbedingt die nur mit einer Behandlung gegebene Chance der Heilung nicht erkennen oder nicht ergreifen, so ist der Staat nicht durch einen prinzipiellen Vorrang der krankheitsbedingten Willensäußerung verpflichtet, ihn dem Schicksal dauerhafter Freiheitsentziehung zu überlassen. Ein Eingriff, der darauf zielt, die tatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung des Untergebrachten wiederherzustellen, kann unter diesen Umständen zulässig sein (vgl. BVerfGE 58, 208 ![]() ![]() | |
cc) Die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die in Deutschland Gesetzeskraft hat (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl. II S. 1419) und als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl. BVerfGE 111, 307 [317 f.]), legt kein anderes Ergebnis nahe (vgl. König, BtPrax 2009, S. 105 [107 f.]; Marschner, R&P 2009, S. 135 [136 f.]; a. A. Kaleck/Hilbrans/Scharmer, Ratifikation der UN Disability Convention vom 30. März 2007 und Auswirkung auf die Gesetze für so genannte psychisch Kranke am Beispiel der Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung nach dem PsychKG Berlin, Gutachterliche Stellungnahme, S. 29 ff., 40).
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Zu den Menschen mit Behinderungen, für die die Gewährleistungen der Konvention gelten, gehören auch psychisch Kranke, ![]() ![]() | |
2. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer medizinischen Zwangsbehandlung mit dem Ziel, den Betroffenen entlassungsfähig zu machen, hat strikt dessen krankheitsbedingte Unfähigkeit zu verhaltenswirksamer Einsicht -- kurz: krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit -- zur Voraussetzung (vgl. Bernsmann, in: Blau/Kammeier, a.a.O., S. 142 [159]; Heide, a.a.O., S. 236; Tietze, a. a.O., S. 120; s. auch Lesting, in: Marschner/Volckart/Lesting, a. a.O., Rn. B 209; Rinke, NStZ 1988, S. 10 [11, 13]; aus psychiatrischer und medizinethischer Sicht Garlipp, BtPrax 2009, S. 55 ![]() ![]() | |
Soweit unter dieser Voraussetzung ausnahmsweise eine Befugnis des Staates, den Einzelnen "vor sich selbst in Schutz zu nehmen" (vgl. BVerfGE 58, 208 [224]; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 1998 -- 2 BvR 2270/96 --, NJW 1998, S. 1774 [1775]), anzuerkennen ist, eröffnet dies keine "Vernunfthoheit" staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein deshalb beiseitegesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint (vgl. BVerfGE 58, 208 [226 f.]; Baumann, Unterbringungsrecht, 1966, S. 25; Marschner, in: Marschner/Volckart/Lesting, a.a.O., Rn. 41; Wagner, in: Kammeier, a.a.O., Rn. D 152; zur Gefahr eines fürsorgerischen Paternalismus auch Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, 1992, S. 188 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 228 ff.; Neumann, KritVj 1993, S. 276 [286]; Schwabe, JZ 1998, S. 66 [70]). Auf eine eingriffslegitimierende Unfähigkeit zu freier Selbstbestimmung darf daher nicht schon daraus geschlossen werden, dass der Betroffene eine aus ärztlicher Sicht erforderliche Behandlung, deren Risiken und Nebenwirkungen nach vorherrschendem Empfinden im Hinblick auf den erwartbaren Nutzen hinzunehmen sind, nicht dulden will. Erforderlich ist eine krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit oder Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten (vgl. BVerfGE 58, 208 [225]).
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3. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben sich über das Erfordernis krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit hinaus weitere Anforderungen. Angesichts der besonderen ![]() ![]() | |
a) aa) In materieller Hinsicht folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst, dass Maßnahmen der Zwangsbehandlung nur eingesetzt werden dürfen, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg versprechen (vgl. BVerfGE 91, 1 [29]; OLG Köln, Beschluss vom 29. Juni 2006 -- 16 Wx 141/06 --, NJW-RR 2006, S. 1664 [1665]; aus psychiatrischer Sicht statt vieler Finzen/Haug/Beck/Lüthy, Hilfe wider Willen. Zwangsmedikation im psychiatrischen Alltag, 1993, S. 157). Dies begrenzt auch die zulässige Dauer ihres Einsatzes. Eine zur Erreichung des Vollzugsziels begonnene Zwangsmedikation darf, wenn sie nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Heilungs- und Entlassungsaussichten führt, zum Beispiel nicht allein deshalb aufrechterhalten werden, weil sie der Unterbringungseinrichtung die Betreuung des Patienten erleichtert und den dafür notwendigen Aufwand mindert.
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bb) Zwangsmaßnahmen dürfen ferner nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn mildere Mittel keinen Erfolg versprechen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10. Juli 2007 -- 17 W 72/07 u.a. --, NJW-RR 2008, S. 230 [231]; Heide, a.a.O., S. 204; Honds, Die Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht, 2008, S. 144 ff. [147]; für Fixierungen OLG Naumburg, Urteil vom 12. Januar 2010 -- 1 U 77/09 --, BTPrax 2010, S. 127 [129]; aus psychiatrischer Sicht SAMW, Zwangsmaßnahmen in der Medizin. Medizinisch-ethische Richtlinien, a.a.O., S. 8; Hell, in: Rössler/Hoff, a.a.O., S. 89 [94]; Garlipp, BtPrax 2009, S. 55 [58]). Für eine medikamentöse Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels bedeutet dies erstens, dass eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss. Zweitens muss der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks (s. B. I.2.) unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen (vgl. OLG Celle, a.a.O., S. 231; Wagner, in: Kammeier, a.a.O., Rn. D 147; Volckart/Grüne ![]() ![]() | |
Auch beim Einwilligungsunfähigen ist daher ärztliche Aufklärung über die beabsichtigte Maßnahme nicht von vornherein entbehrlich. Als Grundlage einer rechtfertigenden Einwilligung kann die Aufklärung eines Einwilligungsunfähigen zwar nicht dienen; unter diesem Gesichtspunkt ist sie ihm gegenüber insofern funktionslos (vgl. Bernsmann, in: Blau/Kammeier, a.a.O., S. 142 [160]; Rinke, NStZ 1988, S. 10 [11]). Unabhängig von der Frage, ob durch Aufklärung eine wirksame Einwilligung zu erlangen ist, darf aber auch ein Einwilligungsunfähiger über das Ob und Wie einer Behandlung, der er unterzogen wird, grundsätzlich nicht im Unklaren gelassen werden (vgl. Volckart/Grünebaum, a.a.O., Rn. 374, m.w.N.; Heide, a.a.O., S. 236; mit Einschränkungen für gutachtlich bestätigte Ausnahmefälle Honds, a.a.O., S. 144 ff. [147]). Eine den Verständnismöglichkeiten des Betroffenen entsprechende Information über die beabsichtige Behandlung und ihre Wirkungen erübrigt sich daher nicht (vgl. auch UN-Grundsätze für den Schutz von psychisch Kranken, Grundsatz 11 Abs. 9).
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Der Grundsatz, dass der Eingriff nicht über das Erforderliche hinausgehen darf, hat auch die Auswahl der konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und Dauer -- einschließlich der Auswahl und Dosierung einzusetzender Medikamente und begleitender Kontrollen -- zu bestimmen.
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cc) Über die Erfordernisse der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus ist Voraussetzung für die Rechtfertigungsfähigkeit einer Zwangsbehandlung, dass sie für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Die Angemessenheit ist nur gewahrt, wenn, unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden ![]() ![]() | |
b) Aus den Grundrechten ergeben sich Anforderungen in Bezug auf das Verfahren der Behörden und Gerichte (vgl. BVerfGE 52, 380 [389 f.]; 101, 106 [122]; 124, 43 [70]; stRspr). Der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte, der einer Zwangsbehandlung unterzogen werden soll, ist auf solche Sicherungen in besonders hohem Maße angewiesen.
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aa) Jedenfalls bei planmäßigen Behandlungen und daher auch bei einer Behandlung, die der Erreichung des Vollzugsziels dienen soll, ist, wenn die Maßnahme trotz Fehlschlags der gebotenen aufklärenden Zustimmungswerbung (s. o. B.II.3.a)bb)) durchgeführt werden soll, eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig Rechtsschutz zu suchen. Dies folgt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), die Vorwirkungen auf das Verwaltungsverfahren entfaltet (vgl. BVerfGE 61, 82 [110]; 69, 1 [49]; 116, 135 [156]; 118, 168 [207]). Der Untergebrachte muss Gelegenheit haben, vor Schaffung vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. Volckart/Grünebaum, a.a.O., Rn. 373; siehe auch Art. 13, 14 Abs. 2 BRK). Dies gilt auch in Fällen, in denen die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters vorliegt. Hier muss der insoweit von Verfassungs wegen (vgl. BVerfGE 10, 302 [306]) verfahrensfähige ![]() ![]() | |
Die Ankündigung muss in einer Weise konkretisiert sein, die die Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sichert und eine hierauf gerichtete gerichtliche Überprüfung ermöglicht (vgl. im betreuungsrechtlichen Zusammenhang BGHZ 166, 141 [153]; LG Kleve, Beschluss vom 12. März 2009 -- 4 T 67/09 --, juris; LG Saarbrücken, Beschluss vom 23. März 2009 -- 5 T 100/09 --, juris). Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gehört allerdings auch, dass die Flexibilität der fachgerechten ärztlichen Reaktion auf individuelle Unterschiede, wie sie nach der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in der Ansprechbarkeit auf die günstigen und ungünstigen Medikamentenwirkungen bestehen, nicht über Gebühr beeinträchtigt wird. Dem Konkretisierungserfordernis steht nicht entgegen, dass die Planung und die Entscheidung über die Einzelheiten einer Medikation in erster Linie Sache der ärztlichen Beurteilung ist. Dies trifft zwar zu, ändert aber nichts an der Notwendigkeit einer die Effektivität des Rechtsschutzes sichernden Verfahrensgestaltung. Wenn ärztliche Maßnahmen zwangsweise ergriffen werden, ist der damit verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff der grundrechtlich gewährleisteten gerichtlichen Überprüfung -- auch der gerichtlichen Überprüfung auf seine Verhältnismäßigkeit, die von der näheren Ausgestaltung der Maßnahme abhängen kann -- nicht deshalb entzogen, weil die Angemessenheit der Maßnahme nur auf der Grundlage ärztlichen Sachverstandes beurteilt werden kann. Soweit die gerichtliche Überprüfung nur auf der Grundlage ärztlichen Sachverstandes möglich ist, gehört es zur aus den Grundrechten des Betroffenen folgenden Sachverhaltsaufklärungspflicht der Gerichte (vgl. allg. BVerfGE 101, 275 [294 f.]; BVerfGK 9, 390 [395]; 9, 460 [463 f.]), sich solchen Sachverstandes zu bedienen (vgl. für den Fall der Entscheidung über eine freiheitsentziehende Unterbringung BVerfGE 58, 208 [226]).
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Bei einer Zwangsbehandlung mit Neuroleptika muss unbescha ![]() ![]() | |
bb) Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit unabdingbar ist die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt. Nur dies entspricht auch den völkerrechtlichen Maßgaben, den internationalen Standards in Menschenrechtsfragen und den fachlichen Standards der Psychiatrie (vgl. EGMR, Jalloh v. Deutschland, Urteil vom 11. Juli 2006 -- 54810/00 --, Rn. 73; UN-Grundsätze für den Schutz von psychisch Kranken, Grundsatz 10 Abs. 2; SAMW, a.a.O., S. 8; Empfehlung Nr. R(98)7 des Ministerkomitees des Europarats zu ethischen und organisatorischen Aspekten der gesundheitlichen Versorgung in Vollzugsanstalten, Anhang, Nr. 21, in: Bundesministerium der Justiz u.a. [Hrsg.], Empfehlungen des Europarats zum Freiheitsentzug, 2004, S. 163 [168]; Leitfaden zur Qualitätsbeurteilung in Psychiatrischen Kliniken, a.a.O., S. 207; Anderl-Doliwa u.a. [Arbeitskreis der Chefärzte und leitenden Pflegepersonen der psychiatrischen Kliniken des Landes Rheinland-Pfalz], Leitlinien für den Umgang mit Zwangsmaßnahmen, Psych. Pflege Heute 2005, S. 100 [102]).
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cc) Als Vorwirkung der grundrechtlichen Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes (s. o. B.II.3.b)aa)) ergibt sich die Notwendigkeit, gegen den Willen des Untergebrachten ergriffene Behandlungsmaßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wir ![]() ![]() ![]() ![]() | |
dd) Art. 2 Abs. 2 GG fordert darüber hinaus spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen, die sich ergeben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheidet (vgl. BVerfGE 52, 391 [407 f.]; 53, 30 [60 ff.]; 113, 29 [57 f.]; 124, 43 [70]; stRspr).
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Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung in Verbindung mit ihrer Geschlossenheit und den dadurch für alle Beteiligten eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende versetzen den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit, in der er, vor allem bei schwerwiegenden Eingriffen, besonderen Schutzes dagegen bedarf, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung und ihrer Mitarbeiter -- insbesondere bei Überforderungen, die im Umgang mit oft schwierigen Patienten leicht auftreten können --, bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt werden (vgl. dementsprechend für das Erfordernis besonderer Sicherungen gegen Interessenkonflikte und missbräuchliche Einflussnahme Art. 12 Abs. 4 Satz 2 BRK; speziell zu medizinischen Eingriffen s. auch UN-Grundsätze für den Schutz von psychisch Kranken und die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung, Grundsatz 11 Abs. 6 b und Abs. 13).
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Hieraus können sich nicht nur besondere verfassungsrechtliche Anforderungen für etwaige gerichtliche Verfahren ergeben (vgl. für das gerichtliche Verfahren über die Fortdauer der Freiheitsentziehung BVerfGE 70, 297 [310 f.]; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. März 2009 -- 2 BvR 2543/08 --, NStZ-RR 2010, S. 122). Vielmehr muss gesichert sein, dass dem ![]() ![]() | |
In Teilen der Literatur wird bei Zwangsbehandlungen die Einschaltung eines Betreuers als verfassungsrechtlich geboten angesehen oder angenommen, dass einer betreuungsrechtlichen Lösung jedenfalls von Verfassungs wegen Vorrang einzuräumen sei vor der Ersetzung der Entscheidung des Einwilligungsunfähigen durch eine staatliche Behörde (vgl. Tietze, a.a.O., S. 66 ff.; Popp, a.a.O., S. 75 f.; Lipp, Freiheit und Fürsorge, 2000, S. 55 ff., 134 f.; ders., BtPrax 2005, S. 6 [7]; Rinke, NStZ 1988, S. 10 [14]; a. A. Volckart/Grünebaum, a.a.O., Rn. 369; Heide, a.a.O., S. 229; Stalinski, BtPrax 2000, S. 59 ff. [61 f.]; Hoffmann, R&P 2005, S. 52 ff.). Das Maßregelvollzugsrecht kann die Einschaltung eines Betreuers durch entsprechend extensive Einwilligungserfordernisse solcher Art, dass bei fehlender Zustimmung des Betroffenen selbst die ersetzende Einwilligung eines Betreuers erforderlich und ausreichend ist, sicherstellen. Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, die Rechte des Betroffenen gerade auf diese Weise zu schützen, besteht jedoch nicht. Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer ihr zugestimmt hat. Die entscheidende objektive Schutzwirkung, die in der Einschaltung eines externen Dritten liegt, kann nicht allein auf diese Weise, sondern auch mit anderen Mitteln erreicht werden. Es sind keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, deretwegen eine Betreuerlösung von Verfassungs wegen vorzugswürdig wäre beispielsweise gegenüber einem Richtervorbehalt, wie ihn die Rechtsordnung andernorts für weitaus weniger gravierende Eingriffe vorsieht (§ 81a Abs. 2 StPO), oder gegenüber der Beteiligung einer anderen neutralen Stelle (Ombudsperson, sonstige Behörde), die auch die Aufgabe haben könnte, sicherzustellen, dass die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes nicht aufgrund von Beeinträchtigungen des Betroffenen unterbleibt. Zwar kann für den Betroffenen eine Milderung der Fremdbestimmung darin liegen, dass bei der Auswahl des Betreuers auf seine Wünsche und auf vorhandene Bindungen Rücksicht zu nehmen ist (s. i.E. ![]() ![]() | |
4. a) Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ist, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Dies gilt nicht nur für die materiellen, sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen. Gesetzlicher Regelung bedürfen in verfahrensrechtlicher nicht anders als in materieller Hinsicht die für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen (vgl. BVerfGE 57, 295 [320 f.]; 73, 280 [294, 296]; 82, 209 [224 f., 227]; 120, 378 [429]).
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Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs müssen hinreichend klar und bestimmt geregelt sein (vgl. für den Strafvollzug i. w. S. BVerfGE 116, 69 [80] m.w.N.). Der Gesetzgeber ist gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 [181]; 59, 104 [114]; 78, 205 [212]; 103, 332 [384]). Die notwendige Bestimmtheit fehlt nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig ist (vgl. BVerfGE 45, 400 [420]; 117, 71 [111]; stRspr). Die Betroffenen müssen jedoch die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (vgl. BVerfGE 103, 332 [384]; 113, 348 [375] m.w.N.), und die gesetzesausführende Verwaltung muss für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden (vgl. BVerfGE 110, 33 [54]; 113, ![]() ![]() | |
III.
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Nach diesen Maßstäben stellt § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung dar. Die Vorschrift genügt nicht den Anforderungen, die an die Klarheit und Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage für einen besonders schweren Grundrechtseingriff (s. o. B. I.3.) zu stellen sind. Weder für aktuell oder potentiell betroffene Untergebrachte noch für die zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträger der Unterbringungseinrichtung, die einer klaren, Rechtssicherheit vermittelnden Eingriffsgrundlage auch im eigenen Interesse bedürfen, sind die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels aus dem Gesetz erkennbar.
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1. Es kann offenbleiben, ob es an der notwendigen Klarheit der gesetzlichen Grundlage bereits deshalb fehlt, weil aus Wortlaut und Systematik der Vorschrift nicht hinreichend deutlich wird, in welchem Verhältnis § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf., dem zufolge "Im übrigen" Zwangsbehandlungen zur Erreichung des Vollzugsziels ohne Einwilligung des Patienten durchgeführt werden können, zu den Regelungen des vorausgehenden Satzes 1 steht (für unterschiedliche und teilweise ihrerseits unklare Ausle ![]() ![]() | |
Unabhängig von der Frage, in welchem Verhältnis § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. zu den weiteren Regelungen des Absatzes 1 steht -- also bei jeder denkbaren, einschließlich der in den angegriffenen Entscheidungen zugrundegelegten, Deutung dieses Verhältnisses -- fehlt es jedenfalls an einer Regelung wesentlicher materieller und verfahrensmäßiger Voraussetzungen (s. o. B.II.2.,3.) für die Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels.
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a) So fehlt es insbesondere an einer gesetzlichen Regelung des bei Zwangsbehandlungen zur Erreichung des Vollzugsziels unabdingbaren Erfordernisses krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit (B.II.2.). § 6 Abs. 4 MVollzG Rh.-Pf., wonach bei fehlender Einsichtsfähigkeit die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters maßgebend ist, setzt voraus, dass nach Absatz 1 der Vorschrift eine Einwilligung überhaupt erforderlich ist. Dies ist aber bei Behandlungen zur Erreichung des Vollzugsziels gerade nicht durchweg -- je nach Deutung der Teilregelungen des § 6 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf. und ihres Verhältnisses zueinander sogar nur in sehr eingeschränktem Umfang -- der Fall. § 6 Abs. 3 MVollzG Rh.-Pf., wonach die Einrichtung zur zwangsweisen ![]() ![]() | |
Soweit das Gesetz hinsichtlich der nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotenen Bemühung um das Einverständnis des Betroffenen eine konkretisierende Regelung enthält, greift diese zudem zu kurz, indem sie ein Bemühen um Zustimmung nur unter der Voraussetzung weitreichender Einsichtsfähigkeit vorsieht (§ 5 Abs. 2 MVollzG Rh.-Pf.), während nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Versuch, eine einverständliche Lösung zu erreichen, in weiterem Umfang geboten ist (B.II.3.a)bb)).
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b) Darüber hinaus fehlt eine gesetzliche Regelung weiterer wesentlicher zur Wahrung der Grundrechte notwendiger verfahrensrechtlicher Eingriffsvoraussetzungen. Vorgesehen ist allerdings, dass Maßnahmen nach § 6 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf. nur auf Anordnung und unter der Leitung eines Arztes durchgeführt werden dürfen (§ 6 Abs. 5 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf.). Unzureichend ist jedoch die gebotene Ankündigung (B.II.3.b)aa)) geregelt. Im Rahmen der allgemeinen Regelung über die Anwendung unmittelbaren Zwangs sieht zwar § 22 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 3 MVollzG Rh.-Pf., ohne nähere Bestimmung der Mindestinhalte, eine vorherige Androhung der Maßnahme für den Fall vor, dass sie mit physischem Zwang ("körperliche Gewalt und ihre Hilfsmittel") durchgesetzt wird. § 22 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf. gestattet allerdings die Anwendung unmittelbaren Zwangs nur für Fälle der Gefährdung von Sicherheit und Ordnung. Welche Bedeutung danach den Bestimmungen des § 22 MVollzG Rh.-Pf. für medizinische Zwangsbehandlungen zur Erreichung des Vollzugs ![]() ![]() | |
2. Den Mängeln der gesetzlichen Regelung kann nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden. Die verfassungsrechtlichen Defizite können nur durch den Gesetzgeber behoben werden.
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C. | |
Die festgestellten Verfassungsverstöße betreffen § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. insgesamt, da der zweite Halbsatz der Vorschrift keine vom ersten unabhängige, selbständige Bedeutung hat (vgl. BVerfGE 8, 274 [301]; 65, 325 [358]; 111, 226 [273]; stRspr). Daher ist § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. insgesamt für nichtig zu erklären. Die Voraussetzungen für eine bloße Unver ![]() ![]() | |
Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen, die mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage für den angekündigten Eingriff den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen, sind aufzuheben und die Sache ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Landgericht Landau in der Pfalz zurückzuverweisen.
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Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
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