BGHZ 13, 81 - Ersatzpflicht der Gemeinde bei Enttrümmerung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Christopher Theis, A. Tschentscher | |||
EinlALR § 75; WeimRVerf Art. 153; GrundG Art. 14 |
III. Zivilsenat |
Urteil |
vom 8. April 1954 |
i. S. Stadtgemeinde H. (Bekl.) w. P. (Kl.) |
III ZR 41/53 |
I. Landgericht Hildesheim |
II. Oberlandesgericht Celle |
Aus den Gründen: | |
Entgegen der Ansicht der Revision ist die Beklagte für den vom Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum bejahten Anspruch aus Aufopferung oder enteignungsgleichen Eingriff passiv legitimiert.
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Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 28. September 1953 (BGHZ 11, 248) den Rechtssatz aufgestellt, daß die Entschädigungspflicht bei enteignungsgleichen Eingriffen unter entsprechender Anwendung des Art. 153 WeimRVerf und Art. 14 GrundG (vgl. BGHZ 6, 270 [290/291]) und bei Aufopferungsansprüchen nach § 75 EinlALR ebenso wie die Entschädigungspflicht bei rechtmäßigen Enteignungen im Falle des Fehlens positiv-rechtlicher Regelungen grundsätzlich nicht den eingreifenden Hoheitsträger, sondern den unmittelbar Begünstigten trifft. Für die Frage, ob dem Kläger ein Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte wegen der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Materialgewinnung dienenden Trümmerräumung zusteht, ist es hier ohne Bedeutung, ob der Anspruch aus einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Eingriff, d.h. aus Enteignung oder enteignungsgleichem Eingriff gemäß Art. 153 WeimRVerf oder seiner nur entsprechenden Anwendung hergeleitet wird oder aus Aufopferung nach § 75 EinlALR. Eine positiv-rechtliche Regelung darüber, wen für den Fall der durch die Beklagte vorgenommenen Trümmerräumung die Entschädigungspflicht trifft, ist für die hier maßgebliche Zeit (Winter 1945/46) nicht ersichtlich, insbesondere ist das Niedersächsische Gesetz über die Räumung von Trümmergrundstücken vom 21. März bzw. 10. April 1949 (GVBl. Nds 64, 96) erst wesentlich später ergangen. Mithin gelten die allgemeinen, und zwar für alle genannten Anspruchsarten gleichen Grundsätze über das Subjekt der Entschädigungspflicht im Falle derartiger Eingriffe von hoher Hand mit Enteignungscharakter.
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Hierzu hat der erkennende Senat in dem erwähnten Urteil vom 28. September 1953 im einzelnen ausgeführt, daß unmittelbar begünstigt regelmäßig nur der Staat und die Gemeinden sind. Die Abgrenzung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Begünstigung steht nach den Ausführungen jenes Urteils, soweit nicht eine besondere positivrechtliche Vorschrift ausdrücklich eine abweichende Regelung trifft, in einem inneren Zusammenhang mit der Verteilung der Aufgaben im Staat. Aus dieser Aufgabenverteilung folgt für die Entscheidung der Frage, welche von mehreren möglichen Körperschaften des öffentlichen Rechts als unmittelbar begünstigt anzusehen ist, daß grundsätzlich außer dem Staat -- dieser immer, soweit der Eingriff zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der überörtlichen Gemeinschaft erfolgt -- nur die Gemeinde in Frage kommt, und diese höchstens dann, wenn der Eingriff zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft dient. Eine nähere Abgrenzung, wann im einzelnen der Staat oder die Gemeinden unmittelbar begünstigt sind, brauchte allerdings in dem genannten Urteil nicht vorgenommen zu werden (vgl. auch Urteil des V. Zivilsenats vom 15. Mai 1953 - V ZR 109/51 -, das eine Haftung von Staat und Gemeinde nebeneinander zuläßt). Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem weiteren Urteil (BGHZ 10, 255 [263-266]) für einen Fall der Entnahme von Baustoffen aus einem beschädigten Grundstück entschieden, daß die Haftung für eine deswegen dem Grundstückseigentümer zustehende Enteignungsentschädigung nicht die Gemeinde, sondern einen höheren Verband trifft. Ausgehend davon, daß -- wenn die Enteignung oder Aufopferung im allgemeinen Interesse erfolgt -- grundsätzlich der Staat für die Entschädigung haftet, hat der V. Zivilsenat das allgemeine Interesse in dem entschiedenen Fall daraus gefolgert, daß die Bergung von Baumaterial aus den Trümmergrundstücken ein Teil eines umfassenden, das ganze Gebiet des späteren Landes Nordrhein-Westfalen betreffenden Programms der für die damals nicht funktionsfähige deutsche Zentralgewalt stellvertretend handelnden Militärregierung gewesen sei. Außerdem ergebe das Gesamtbild der getroffenen Maßnahmen, daß sie nicht im überwiegenden Interesse der einzelnen Gemeinwesen, sondern im Staatsinteresse vorgenommen worden seien, so daß auch eine u.U. mögliche Mithaftung der einzelnen Gemeinden ausscheide.
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Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist im vorliegenden Fall die Trümmerräumung nicht zum Zwecke der Baumaterialgewinnung und der Wiederherstellung beschädigter Wohngebäude erfolgt; sie war auch in der von der Beklagten veranlaßten umfassenden Art, insbesondere durch die Verwendung von Großräumgeräten, weder durch Anordnungen der damaligen obersten deutschen Regierungsstelle (des Oberpräsidenten Hannover), noch solcher der Militärregierung ausgelöst. Diese Großräumaktion im Stadtgebiet der Beklagten erfolgte entsprechend den Feststellungen des Vorderrichters vielmehr auf Beschluß des Rates und der Bürgerschaft der Beklagten im Interesse des späteren Wiederaufbaues der schwer zerstörten und für den Wiederaufbau wichtigen Teile der beklagten Stadt und "um Ordnung zu schaffen".
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Es stellt sich also die Frage, ob diese von der Beklagten veranlaßte umfassende Trümmerräumung der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft oder von solchen der überörtlichen Gemeinschaft diente. Der vorliegende Tatbestand unterscheidet sich darin wesentlich von dem in BGHZ 10, 255 vom V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschiedenen Fall, daß die hier in Rede stehende Beseitigung der Trümmer und Wegnahme der Baustoffe (insbesondere der Steine) nicht zur Verwertung auf überörtlicher Grundlage und zu überörtlichen Zwecken entsprechend einem, ein ganzes Land umfassenden Programm einer Zentralgewalt erfolgte, sondern nach den getroffenen Feststellungen auf ausdrücklichen Beschluß der verfassungsmäßigen Organe der Gemeinde und im Interesse des späteren Wiederaufbaus der Stadt, sowie um Ordnung zu schaffen. Die Regelung des Wiederaufbaus einer Gemeinde sowie die Schaffung der äußeren Ordnung innerhalb ihres Gebietes im Interesse eines möglichst gefahrlosen Zusammenlebens ihrer Bürger ist aber grundsätzlich eine öffentliche Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft, es sei denn, daß sie durch verfassungsrechtliche, gesetzliche oder sonstige Zuständigkeitsregelung aus ihrem Aufgabenbereich herausgelöst und anderen Personen oder Gemeinschaften übertragen ist. Die Grundlage sowie der Zweck der Maßnahmen der Beklagten, auf die der Kläger seinen Aufopferungsanspruch gründet, waren demnach eine sowohl aus der "Allzuständigkeit" der Gemeinde (vgl. § 2 Abs. 2 DGO und § 2 Abs. 1 DGO i.d.F. der VO Nr. 21 der BrMilReg [ABl. BrMilReg 127]) sich ergebende, als auch hier sogar ausdrücklich von der Stadt selbst übernommene eigene öffentliche Aufgabe der Beklagten. Mag es auch Aufgabe des Eigentümers eines Ruinengrundstücks sein, die von diesem der Allgemeinheit drohenden Gefahren abzuwenden, so daß sich gegebenenfalls auch für ihn die gesetzliche Pflicht und damit die Aufgabe zum Abbruch oder zur Beseitigung von Ruinenteilen ergibt (vgl. das Urteil des Senats in Lind-Möhr Nr. 3 zu § 70 PVG), so handelt es sich doch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier nicht um die Beseitigung von Trümmern aus polizeilichen Gründen im Interesse der Gefahrenabwehr. Der Kläger als Eigentümer war damals nicht gehalten, Trümmerteile, die sich auf seinem Grundstück befanden und keine Gefahr für die Allgemeinheit darstellten, von seinem Grundstück zu entfernen und insbesondere nach einem anderen Ort zu bringen, weil derartiges nirgends vorgeschrieben war. Die Aufgabe der Trümmerbeseitigung aus anderen als polizeilichen Gründen hatte hier die Beklagte im Interesse der Gesamtheit ihrer Bürger sowie der Erleichterung und einer planmäßigen Durchführung der Enttrümmerung selbst übernommen. Damit hat die Beklagte nur der späteren gesetzlichen Regelung, wie sie insbesondere durch das Land Niedersachsen erfolgt ist, vorgegriffen. In dem niedersächsischen Gesetz über die Räumung von Trümmergrundstücken i.d.F. der Bekanntmachung vom 10. April 1949 (GVBl. Nds 96) ist nämlich die Trümmerräumung als Aufgabe der Gemeinde bestimmt, ebenso wie in fast allen übrigen Ländern der Bundesrepublik (vgl. Zusammenstellung in JZ 1953, 239). Die hier vertretene Auffassung ist damit durch den späteren Gesetzgeber nur bestätigt.
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Die Frage, wem die Beseitigung der Kriegsschäden allgemein als öffentliche Aufgabe zu fällt, braucht in dem hier vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, denn der vom Kläger behauptete Schaden beruht gerade nicht auf dem durch Kriegseinwirkung erlittenen Zerstörungsgrad seiner Grundstücke, sondern auf der von der Beklagten auf Grund eigenen Entschlusses veranlaßten besonderen Art. der Trümmerräumungsmaßnahmen, insbesondere der großräumigen Enttrümmerung und der angewandten besonderen technischen Mittel.
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Auch die Frage, wer letzten Endes die Kosten für die zwar als Kriegsfolgelasten anzusehenden Trümmerbeseitigungsmaßnahmen zu tragen hat, ist für die Entscheidung, wer "begünstigt" im Sinne des Aufopferungsanspruchs ist, nicht immer maßgeblich. Ob eine öffentliche Aufgabe der örtlichen oder überörtlichen Gemeinschaft vorliegt, kann im allgemeinen nicht mit der Frage gleichgestellt werden, wer letzten Endes die finanziellen Lasten für diese Aufgabe trägt. Daß die finanziellen Lasten eines von der überörtlichen Gemeinschaft geführten Krieges und damit auch die Lasten der Kriegs- und Kriegsfolgeschäden in der Regel und in der Hauptsache nicht von der örtlichen, sondern der überörtlichen Gemeinschaft -- nämlich dem Staat -- zu tragen sind, ergibt sich von selbst. Dies ist im übrigen sowohl in der Vergangenheit ausdrücklich gesetzlich bestimmt worden (vgl. Zusammenstellung in BGHZ 11, 43 [53]), als auch während und nach dem letzten Krieg (vgl. Kriegssachschädenverordnung vom 30. November 1940 [RGBl. I, 1547]; Personenschädenverordnung vom 10. November 1940 [RGBl. I, 1482]; Gesetz über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 [BGBl. I, 446]; Art. 120 GrundG). Inwieweit die Gemeinde, sofern sie nicht etwa nur als Zahlstelle des Staates für die Befriedigung von Forderungen aus Kriegs- und Kriegsfolgeschäden tätig wird -- eine Voraussetzung, die hier nicht vorliegt --, die durch die allgemeine Beseitigung der Kriegsschäden bei ihr selbst entstandenen Aufwendungen, worunter auch die Zahlung einer Entschädigung an einzelne Betroffene anläßlich der Trümmerbeseitigung fallen kann, von dem staatlichen Verband erstattet bekommt, ist im allgemeinen eine Frage des Finanzausgleichs zwischen Gemeinden, Ländern und Bund. Diese ist aber von der hier allgemein zu entscheidenden Frage, von wem der Kläger wegen seines Sonderopfers einen Ausgleich verlangen kann, zu trennen.
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Allerdings liegt der Gedanke nahe, daß -- abgesehen von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung -- unter besonderen Voraussetzungen auch eine Abwälzung der örtlichen Aufgaben auf einen höheren Verband erfolgen kann. Auch wenn nach einem Grundsatz des deutschen Verwaltungsrechts von der "Allzuständigkeit" der Gemeinde auszugehen ist, so sind doch Umstände möglich, die eine solche Steigerung von bestimmten öffentlichen Aufgaben auf der gemeindlichen Ebene verursachen und damit die Leistungsfähigkeit und wirtschaftliche Kraft der Gemeinde so übersteigen, daß diese an sich örtlichen öffentlichen Aufgaben mit den selbst aufs höchste angespannten Kräften der örtlichen Gemeinschaft nicht mehr bewältigt werden könnten. Aber selbst wenn man annimmt, daß in solchen Ausnahmefällen diese auf der örtlichen Ebene liegenden öffentlichen Aufgaben der höheren, überörtlichen Gemeinschaft -- in erster Linie also dem Staat -- zuwachsen, damit die Aufgaben überhaupt erfüllt werden können, so kann dies in der Regel doch nur in der Art geschehen, daß diese öffentlichen Aufgaben auch solche der überörtlichen Gemeinschaft werden, mithin daneben Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft bleiben. Das heißt, in solchen Ausnahmefällen ist die Möglichkeit des Vorhandenseins mehrerer "Begünstigter" im Sinn des Aufopferungsanspruchs gegeben, so daß lediglich eine kumulative Haftung des Staates für Aufopferungsansprüche neben der der Gemeinde eintreten würde. Deshalb kann offen bleiben, ob ein solcher Fall hier vorliegt, denn die Beklagte würde als "Begünstigte" ebenfalls haften.
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Nach alledem erfüllte die Beklagte mit ihren Enttrümmerungsmaßnahmen, die allein noch Grundlage des Anspruchs des Klägers sind, zumindest auch eine öffentliche Aufgabe der eigenen örtlichen Gemeinschaft, so daß sie als die "unmittelbar Begünstigte" auch die für den Aufopferungsanspruch Entschädigungspflichtige ist. Daß der erkennende Senat damit nicht von der Entscheidung des V. Zivilsenats in BGHZ 10, 255 abweicht, so daß es auch keiner Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 136 Abs. 1 GVG bedarf, ergibt sich aus dem -- wie dargelegt -- anders gelagerten Tatbestand.
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