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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
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5. Urteil |
vom 14. März 1906 in Sachen Schindler gegen Arber und die Justizkommission Luzern. | |
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Luz. Ges. über die Gewerbegerichte, vom 9. März 1905, §§ 3, 4, 8, 9, 11, 13, 29. |
Gesetzwidrige Besetzung eines Gewerbegerichtes (mit einem Richter aus einer andern Berufsgruppe als der die Parteien angehören) involviert eine Rechtsverweigerung. |
Verwirkung der Beschwerde dagegen durch Nichterheben einer Einsprache bei der Verhandlung? | |
Sachverhalt: | |
A. | |
Nach dem luzernischen Gesetz betreffend die Gewerbegerichte vom 9. März 1905 können für Zivilstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis Gewerbegerichte für eine Gemeinde oder mehrere Gemeinden zusammen aufgestellt werden. Zu diesem Behufe werden "Gruppen gebildet, von denen jede ihr eigenes Gewerbegericht erhält"; über Zahl und Zusammensetzung der Gruppen entscheidet für jeden einzelnen Gewerbegerichtskreis der Regierungsrat (§ 3). Zu jeder Gruppe wählen in getrennten Wahlversammlungen die Arbeitgeber einerseits und die Arbeitnehmer ander ![]() ![]() | 1 |
B. | |
Der Rekurrent Schindler hatte den Rekursbeklagten als Arbeiter plötzlich entlassen, weil er unmittelbar nach Schluß der Arbeit außerhalb des Fabriktores mit Hilfe von zwei Lehrjungen des Rekurrenten einen Nebenarbeiter durchgeprügelt hatte. Der Rekursbeklagte belangte hierauf den Rekurrenten vor Gewerbegerichtsausschuß Luzern auf Zahlung einer Lohnentschädigung von 43 Fr. 20 Cts. Die Parteien gehörten der I. Gruppe (Schlosser, Schmiede ec.) an. Bei der Gerichtsverhandlung vom 5. Dezember 1905 war der Gerichtsausschuß besetzt aus dem Präsideten, dem Schlosser Georg Enger, Ersatzmann der Arbeitnehmer für die I. Gruppe, und dem Schreinermeister Lehmann, der Richter in der II. Gruppe (Maurer, Schreiner ec.) ist. Das Gericht hieß die Klage gut, weil der Rekursbeklagte wegen jenes Vorfalles außerhalb der Fabrikräume und der Fabrikzeit, der keine Verletzung der Fabrikordnung involviere, nicht plötzlich habe entlassen werden dürfen. ![]() | 2 |
![]() | 3 |
C. | |
Mit Rechtsschrift vom 29. Januar 1906 hat der Rekurrent gegen die Urteile der Justizkommission und des Gewerbegerichtsausschusses die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung ergriffen. Es wird ausgeführt, daß die Besetzung des Gerichtsausschusses ungesetzlich und willkürlich gewesen sei, indem eine Persönlichkeit mitgewirkt habe, die dem Gerichtsausschuß weder als Richter, noch als Ersatzmann angehöre. Der Einwand der Justizkommission, daß der Rekurrent sofort hätte protestieren sollen, sei unzutreffend und willkürlich; denn man könne einer gesetzesunkundigen Person nicht zumuten, solche formelle Einreden zu erheben. Das Gericht habe dafür zu sorgen, daß es gesetzlich zusammengesetzt sei, und die Partei dürfe auch vermuten, daß dem so sei. Sodann wird nachzuweisen versucht, daß das angefochtene gewerbegerichtliche Urteil auch materiell eine Rechtsverweigerung enthalte.
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D. | |
Die Justizkommission des Obergerichts hat auf Abweisung des Rekurses angetragen und u.a. geltend gemacht: Die luzernischen Gewerbegerichte bildeten eine einheitliche, unter einem Präsidenten stehende und mit einem Aktuar versehene Organisation. Die Mitwirkung eines einer andern Gruppe angehörigen Richters sei daher, wenn auch vielleicht anfechtbar, so doch keine ![]() ![]() | 5 |
E. | |
Der Rekursbeklagte Arber hat ebenfalls auf Abweisung des Rekurses angetragen.
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F. | |
Auf Anfrage des Instruktionsrichters hat das Aktuariat der Gewerbegerichte der Stadt Luzern berichtet, daß in der Gerichtsverhandlung vom 5. Dezember 1905 der Rekurrent nicht darüber befragt worden sei, ob er mit der Mitwirkung des Schreinermeisters Lehmann als Ersatzmann einverstanden sei, daß er aber gegen die letztere auch keine Einwendung erhoben habe.
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Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
1. Aus den organisatorischen Bestimmungen des luzernischen Gesetzes betreffend die Gewerbegerichte vom 9. März 1905 erhellt mit aller Deutlichkeit, daß für einen Gerichtskreis nicht ein einheitliches Gericht vorhanden ist, sondern soviel Gerichte bestehen, als Berufsgruppen gebildet worden sind. Dies folgt zwingend daraus, daß in jeder Gruppe in getrennten Wahlversammlungen die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer je 2 Richter und 4 Ersatzmänner wählen (§ 4) und daß im Gesetze überall nicht von Abteilungen eines Gerichtes, sondern von den Gewerbegerichten und den Gerichtsausschüssen der verschiedenen Gruppen gesprochen wird (§§ 9, 11, 13). Allerdings sind Präsident und Aktuar den Gewerbegerichten aller Gruppen gemeinsam; aber hieraus kann angesichts der soeben angeführten, absolut klaren Vorschriften des Gesetzes schlechterdings nicht geschlossen werden, daß alle Gruppen ein gemeinschaftliches Gericht haben. In § 9 des Gesetzes heißt es denn auch ausdrücklich, daß die Gewerbegerichte aus dem allen Gruppen gemeinsamen Präsidenten und den Richtern bestehen. Hat aber jede Gruppe ihr eigenes, gesondertes Gewerbegericht, so haben die in einer Gruppe gewählten Richter und Ersatzmänner nur Jurisdiktionsgewalt im Gerichte der betreffenden Gruppe, und es ist damit ausgeschlossen, daß die Mitglieder des Gewerbegerichts einer Gruppe in demjenigen einer andern Gruppe ![]() ![]() | 9 |
Der Einwand der Justizkommission des Obergerichts, daß die Mitwirkung des Lehmann im Gewerbegericht der I. Gruppe ohne nachteiligen Einfluß für den Rekurrenten gewesen sei, weil das Gericht das angefochtene Urteil einstimmig gefällt habe, kann nicht als stichhaltig anerkannt werden. Ganz abgesehen von der immerhin vorhandenen Möglichkeit, daß das Urteil bei gesetzmäßiger Besetzung des Gerichts aus Grund der Diskussion in dessen Schoß anders ausgefallen wäre, hat jede Partei, ohne Rücksicht auf den Nachweis eines materiellen Interesses, einen selbständigen, durch staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht verfolgbaren Anspruch darauf, daß ihr gegenüber die Normen über Jurisdiktion und Kompetenz der Gerichte eingehalten und daß sie nicht von einem willkürlich besetzten Gerichte beurteilt werde. Ebensowenig ist der weitere Einwand der Justizkommission und des Rekursbeklagten begründet, daß der Rekurrent dadurch, daß er sich vor dem Gewebegerichtsausschuß auf die Klage des Rekursbeklagten eingelassen, die Beschwerde wegen gesetzwidriger Besetzung des Gerichts verwirkt habe; denn es ist Sache des Gerichts und nicht der Parteien, für die richtige Besetzung des Gerichts besorgt zu sein, und es würde allen Prozeßgrundsätzen widersprechen, wenn man einer Partei -- bei Strafe des Ausschlusses mit einer künftigen Beschwerde -- zumuten wollte, sich während der Verhandlung darüber zu vergewissern, daß das Gericht nicht in ungesetzlicher Weife besetzt ist und daß insbesondere nicht Personen, die als Richter mitwirken, die Jurisdiktionsgewalt abgeht, und allfällige Mängel in dieser Beziehung sofort ![]() ![]() | 10 |
Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich nicht nur, daß das gewerbegerichtliche Urteil, sondern folgt bereits auch, daß das Erkenntnis der Justizkommission des Obergerichts wegen Rechtsverweigerung aufzuheben ist, weil das erstere Urteil einen solchen Verstoß gegen klares Recht aufweist, daß in der Verweigerung der Kassation durch die letztere Behörde ebenfalls eine Willkür erblickt werden muß, zumal die Justizkommission weder im angefochtenen Erkenntnis, noch in ihrer Vernehmlassung geltend gemacht hat, daß ein formeller Mangel eines gewerbegerichtlichen Urteils, wie der hier in Frage stehende, nicht im Wege der Kassationsbeschwerde gerügt werden könne.
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Erwägung 2 | |
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Dispositiv | |
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
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