BGE 39 I 56 - Interkantonales Armenrecht bei Erkrankung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Christian Schneider, A. Tschentscher | |||
8. Urteil |
vom 27. Februar 1913 in Sachen St. Gallen gegen Thurgau. | |
Regeste: |
Interkantonales Armenrecht gemäss Art. 1 des BG v. 22. Juni 1875: Streitigkeiten über dessen Anwendung fallen unter Art. 175 Abs. 1 Ziffer 2 OG; die Anrufung des Bundesgerichts ist nicht an die Frist des Art. 178 Ziffer 3 OG geknüpft. Die bundesgesetzliche Fürsorgepflicht für erkrankte unbemittelte Angehörige anderer Kantone liegt, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des Erkrankten, demjenigen Kanton ob, auf dessen Gebiet die Erkrankung erfolgt. -- Anerkennung einer gesetzlich nicht begründeten Kostentragungspflicht? | |
Sachverhalt: | |
Das Bundesgericht hat
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auf Grund folgender Aktenlage:
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A. | |
Am 16. November 1911 verunglückte der als Knecht auf dem Gute "Neuhof" in der thurgauischen Gemeinde Hauptwil angestellte unbemittelte Jakob Koller von Teufen (Kanton Appenzell A. Rh.) mit einem Fuhrwerk seines Dienstherrn auf dem Gebiete der st. gallischen Gemeinde Goßau. Er erlitt einen komplizierten Armbruch nebst anderweitigen Verletzungen und wurde auf Anordnung des ihm die erste Hilfe leistenden Arztes in das Kantonsspital St. Gallen übergeführt.
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Mit Zuschrift vom 18. November gab der Gemeinderat Goßau dem Gemeinderate Hauptwil von der Angelegenheit Kenntnis, mit dem Bemerken, daß er ihm seiner Zeit "die Rechnung zur Bezahlung aus dortiger Armenkasse überweisen" werde, sofern der Betroffene nicht selbst hiefür aufkommen könne. Und nachdem er auf diese Zuschrift keine Antwort erhalten hatte, übersandte er dem Gemeinderate Hauptwil am 4. Januar 1912 die Rechnung des Kantonsspitals St. Gallen für Verpflegung des Jakob Koller bis 31. Dezember 1911 im Betrage von 50 Fr. 60 Cts. "zur gefl. direkten Regulierung"; dagegen nahm die Gemeinde Goßau die Kosten der ersten ärztlichen Hülfe auf sich. Der Gemeinderat Hauptwil übermittelte die Rechnung sofort -- unter gleichzeitiger Anzeige an den Gemeinderat Goßau, daß für solche Spitalkosten nach thurgauischem Recht die Kirchspielarmenpflege zahlungspflichtig sei -- an die nach seiner Vermutung zuständige Armenpflege der (katholischen) Kirchgemeinde St. Pelagiberg. Diese lehnte jedoch die Zahlungsleistung mit der Begründung ab, daß entweder der Dienstherr des Verunglückten, oder dann dessen Heimatgemeinde Teufen für die fraglichen Kosten aufzukommen habe. In der Folge wandte sich die Gemeindebehörde von Goßau, da auch der Dienstherr Kollers ihr gegenüber die Rechtspflicht zur Bezahlung der Unfallskosten für seinen Knecht, dem er Selbstverschulden (Trunkenheit) vorwarf, bestritt und sich bloß freiwillig zu einer Beitragsleistung hieran bereit erklärte, und da die Gemeinde anderseits vom Verwalter des Kantonsspitals St. Gallen am 11. Januar 1912 die Auskunft erhielt, Koller befinde sich zwar zur Zeit außer Bett und sei reisefähig, doch werde seine Kurzeit mit notwendigem Aufenthalt in einem Spital noch viele Wochen dauern, an den Regierungsrat des Kantons St. Gallen mit dem Ersuchen um Wahrung ihrer Rechtsstellung gegenüber den thurgauischen Behörden. Mit Schreiben vom 23. Januar 1912 intervenierte hierauf der Regierungsrat bei der Regierung des Kantons Thurgau, indem er den Standpunkt einnahm, der Patient Koller falle, mit Rücksicht auf die Tatsachen seines Wohnsitzes zur Zeit des Unfalles und seither in der Gemeinde Hauptwil und seiner -- nachgewiesenermaßen schon unmittelbar nach dem Unfalle bestehenden -- Transport- und Reisefähigkeit, der Wohngemeinde Hauptwil zur Last; die Gemeinde Goßau sei nur verpflichtet gewesen, ihm die erste ärztliche Hülfe auf ihre Kosten angedeihen zu lassen und die Wohngemeinde zu benachrichtigen; diese letztere habe denn auch ihre Unterstützungspflicht zunächst stillschweigend anerkannt.
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Der Regierungsrat des Kantons Thurgau überwies die Angelegenheit zur erstinstanzlichen Erledigung an den Bezirksrat Bischofszell. Dieser beschloß am 5. Februar 1912, es sei die Beschwerde der Regierung des Kantons St. Gallen abgewiesen. Er führte zur Begründung aus, da sich ergebe, daß der Verunglückte transportfähig gewesen sei, hätte die Gemeinde Goßau die Pflicht gehabt, von dem Notfall und der Überführung des Patienten in den st. gallischen Kantonsspital nicht nur der Wohngemeinde, sondern auch der Heimatgemeinde Teufen, der laut Art. 3 des BG vom 22. Juni 1875 die Kostenersatzpflicht obliege, Mitteilung zu machen; wenn die Gemeinde Hauptwil sich gegen das ungesetzliche Ansinnen der Zahlungsleistung nicht sofort, sondern erst bei der wirklichen Geltendmachung der Forderung, gewehrt habe, so könne dies keinen Rechtsgrund für ihre Zahlungspflicht bilden.
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Gegen diesen Beschluß rekurrierte der Regierungsrat des Kantons St. Gallen an die thurgauische Regierung unter Erneuerung seines Begehrens um "dortseitige Anerkennung der Übernahms- und Unterstützungspflicht betr. Jakob Koller". Er betonte neuerdings, die Gemeinde Goßau als "Notfallort" habe sich einzig und allein an die faktische und legale Wohngemeinde des Patienten, Hauptwil, zu halten gehabt; an dieser sei es gewesen, auf Grund der sofortigen Benachrichtigung über die weitere Fürsorge für den transportfähigen Kranken zu verfügen und insbesondere auch, sich mit dem Heimatkanton zur Behandlung des Falles gemäß Art. 3 des BG vom 22. Juni 1875 in Beziehung zu setzen; die Gemeinde Hauptwil habe die Zahlungspflicht des Wohnsitzkantons an und für sich auch nachträglich nicht bestritten, sondern nur der ortsbürgerlichen Armenpflege zugeschoben.
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Durch Beschluß vom 29. März 1912 wies der Regierungsrat des Kantons Thurgau die Beschwerde ebenfalls ab. Er ergänzte den Tatbestand des Falles durch die Angabe, es habe sich nachträglich herausgestellt, daß Koller der evangelischen Konfession angehöre, jedoch verweigere auch die evangelische Kirchenvorsteherschaft Bischofszell, die danach eventuell in Frage käme, jede Zahlungspflicht. Rechtlich bemerkte er wesentlich: Aus Art. 1 des BG vom 22. Juni 1875 müsse notwendig geschlossen werden, daß ein verarmter Kranker, sobald er transportfähig sei, in den Heimatkanton verbracht werden könne, wenn dieser nicht etwa vorziehe, für weitere Verpflegungskosten Garantie zu leisten. Koller hätte somit seinen Heimatbehörden zugeführt werden können und sollen. Die Anordnungen hiefür zu treffen aber habe nur Sache derjenigen Behörden sein können, welche die erste Hülfe anzuordnen gehabt hätten und in deren Pflege und Obhut der Kranke sich tatsächlich befunden habe, somit der st. gallischen. Die Gemeindebehörde von Hauptwil sei nur verpflichtet gewesen, auf Ansuchen über die Verhältnisse betreffend Lohnguthaben des Verunglückten bei seinem Meister etc. Auskunft zu erteilen. Die Anzeige der Gemeinde Goßau an die nicht Zahlungspflichtige Gemeinde Hauptwil sei ohne rechtliche Bedeutung; zur Anerkennung der Unterstützungspflicht in Armensachen müsse die Übernahme der Kostengarantie förmlich ausgesprochen werden.
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B. | |
Mit Eingabe vom 31. Dezember 1912 hat der Regierungsrat des Kantons St. Gallen unter Berufung auf Art. 175 Ziff. 2 und Art. 177 OG den "staatsrechtlichen Rekurs" an das Bundesgericht ergriffen und das Rechtsbegehren gestellt:
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Es sei der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 29. März 1912 i.S. des Jakob Koller, Knecht von Teufen, in Gottshaus-Hauptwil, aufzuheben und der Kanton Thurgau gemäß Art. 1 des BG über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener armer Angehöriger anderer Kantone, vom 22. Juni 1875, zur Anerkennung des in der Beschwerde an ihn gestellten Rekursbegehrens zu verpflichten.
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Die Begründung dieses Begehrens geht dahin, der Streit drehe sich um die Frage, ob derjenige Kanton, auf dessen Gebiet der Unfall eingetreten sei, oder aber der Wohnsitzkanton des Verunglückten das Heimschaffungsverfahren bei den Behörden des Heimatkantons einzuleiten habe, bezw. wie weit in einem solchen Falle die Verpflichtungen der beiden Kantone gingen. Nach der st. gallischen Auffassung habe der Unfallkanton dem Verunfallten nur die erste ärztliche Hilfe und Verpflegung, bis zum Momente seiner Transportfähigkeit, zukommen zu lassen und dem Wohnortkanton Mitteilung zu machen, damit dieser gegebenenfalls das Heimschaffungsverfahren einleiten könne. Selbst wenn übrigens der Standpunkt des thurgauischen Regierungsrates, wonach die Gemeinde Goßau sich solange des Patienten Koller anzunehmen gehabt hätte, bis eine andere Behörde die Garantie für seine weitere Verpflegung förmlich erklärt oder den Patienten übernommen hätte, an sich richtig wäre, so könne es doch nicht angehen, daß die Gemeinde Hauptwil, nachdem sie die Anzeige des Unfalles wochenlang unerwidert gelassen habe, dann die Rechnungsstellung nicht an sich kommen lassen wolle. Zudem sei neuerdings zu betonen, daß der Gemeinderat Hauptwil in seiner Antwort an den Gemeinderat Goßau die Zahlungspflicht der thurgauischen Wohngemeinde nicht bestritten, sondern sie nur der ortsbürgerlichen Armenpflege zugeschoben habe. Aus Art. 1 des BG vom 22. Juni 1875 müsse keineswegs, wie der thurgauische Regierungsrat behaupte, notwendig geschlossen werden, daß auch in Fällen, wo ein außerhalb seines Heimatkantons sich aufhaltender, mit legalem Wohnsitz versehener Bürger bei Ausübung seines Berufes oder sonst zufällig auf dem Gebiete eines dritten Kantons verunglücke, die Pflicht der weiteren Fürsorge für den Patienten nach Angedeihenlassen der ersten und notwendigen Hilfe auch bei Transportfähigkeit des Patienten nicht dem eigentlichen Wohnsitzkanton obliegen solle, sondern dem Kanton, in dem sich der Unfall ereignet habe. Die gegenteilige Auffassung sei nicht nur mit dem Sinn und Geist des Bundesgesetzes sehr wohl vereinbar, sondern sie entspreche direkt der ratio legis. Verwiesen werde auf das Urteil des Bundesgerichts vom 8. Dezember 1897 i. S. Appenzell A.-Rh. gegen Genf (A. S. 23 II Nr. 198 Erw. 3 S. 1467), wo festgestellt sei, daß nach dem BG vom 22. Juni 1875 der Wohnsitzkanton die Verpflegungskosten zu tragen habe. Die Behörden des Wohnsitzkantons seien es auch, welche die Verhältnisse des Erkrankten in Bezug auf seine ökonomische Lage, seine Bedürftigkeit, seine Ansprüche an unterstützungspflichtige Dritte usw. kenne und zu beurteilen habe. Der Standpunkt der thurgauischen Regierung, wonach die Wohngemeinde des Verunfallten über dessen Verhältnisse lediglich dem Unfallkanton Auskunft zu geben hätte, während es im übrigen diesem obliege, sich mit dem Heimatkanton zu verständigen, sei weder im Bundesgesetz begründet, noch auch praktisch berechtigt.
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C. | |
Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat in seiner Vernehmlassung zunächst die Einrede der Rekursverspätung erhoben, unter Hinweis darauf, daß der Regierungsrat des Kantons St. Gallen, dem die angefochtene Schlußnahme am 1. April 1912 zugestellt worden sei, die 60tägige Beschwerdefrist nicht eingehalten habe. Event. hat er in Festhaltung der Argumentation seines Entscheides auf Abweisung des gegnerischen Rechtsbegehrens angetragen.
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Die evangelische Kirchenvorsteherschaft Bischofszell als Vertreterin der allenfalls in der Sache interessierten thurgauischen Kirchgemeinde Bischofszell, die der Regierungsrat seinerseits zur Wahrung ihrer Rechtsstellung aufgefordert hat, hat sich im gleichen Sinne vernehmen lassen; --
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Erwägungen: | |
in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
1. Es handelt sich vorliegend nicht, wie die thurgauischen Behörden anzunehmen scheinen, um eine staatsrechtliche Beschwerde im Sinne des Art. 175 Abs. 1 Ziffer 3 OG, sondern vielmehr um eine selbständige Klage des Kantons St. Gallen öffentlich-rechtlicher Natur, die zutreffend auf Art. 175 Abs. 1 Ziffer 2 und Art. 177 OG gestützt wird und deren Zulässigkeit demnach, feststehender Praxis gemäß, nicht an die Einhaltung der 60tägigen Rekursfrist des Art. 178 Ziffer 3 OG geknüpft ist (vergl. z.B. BGE 32 I Nr. 71 Erw. 2 S. 485 [= BGE 32 I 482 (485)]).
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Erwägung 2 | |
2. Laut Art. 1 des BG. über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener armer Angehöriger anderer Kantone, vom 22. Juni 1875, haben die Kantone dafür zu sorgen, "daß unbemittelten Angehörigen anderer Kantone, welche erkranken und deren Rückkehr in den Heimatkanton ohne Nachteil für ihre oder anderer Gesundheit nicht geschehen kann", die erforderliche Pflege und ärztliche Besorgung und im Sterbefall eine schickliche Beerdigung zu teil werden (wobei, nach Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes, ein Ersatz der hierbei erwachsenden Kosten durch die öffentlichen Kassen oder Anstalten der Heimatgemeinde nicht stattfindet). Dieser Gesetzestext spricht es allerdings nicht völlig bestimmt aus, allein die Entstehungsgeschichte und der Zweck des Gesetzes lassen einen Zweifel darüber schlechterdings nicht zu, daß die darin vorgeschriebenen Verpflegungsmaßnahmen von den Behörden desjenigen Kantons zu treffen sind, auf dessen Gebiet die Erkrankung (Gesundheitsbeschädigung irgend welcher Art, insbesondere auch Verletzung zufolge Unfalls) eines unbemittelten Angehörigen eines andern Kantons erfolgt. Es soll also die gesetzliche Hülfs- und Verpflegungspflicht einfach an die Tatsache der Erkrankung geknüpft sein, ohne Unterschied, ob die erkrankte Person im betreffenden Kanton -- der nicht ihr Heimatkanton ist -- ihren Wohnsitz im Rechtssinne hat oder aber sich im Momente der Erkrankung nur zu vorübergehendem Aufenthalt innerhalb seiner Grenzen befindet. Das Gesetz ist, was die Krankenbehandlung betrifft, aus humanitären Erwägungen erlassen worden, nämlich im Interesse der erkrankten Personen selbst und ihrer Umgebung: um bei interkantonalen Verhältnissen die sofortige rationelle Fürsorge für erkrankte Unbemittelte sicherzustellen und die Durchführung von Transporten solcher Kranken in ihre Heimat, denen gesundheitliche oder gesundheitspolizeiliche Gründe entgegenstehen, zu verhindern. Dieser Zweck des Gesetzes aber erfordert naturgemäß das Eingreifen der Behörden des Erkrankungsortes als solchen, ohne Rücksicht auf dessen anderweitige Beziehungen zur Person des Erkrankten. In diesem Sinne hatte schon das die Mehrzahl der Kantone umfassende Konkordat betreffend gegenseitige Vergütung der Verpflegungs- und Begräbniskosten für arme Angehörige, vom 16. November 1865, das der bundesrechtlichen Regelung der Materie vorausgegangen war, in Art. 1 allgemein bestimmt, daß zur Verpflegung vermögensloser Kranker und im Schwangerschaftszustande befindlicher Personen, deren Transport in den Heimatkanton nach ärztlicher Beurkundung aus Rücksichten der Humanität untunlich erscheine, die Gemeinde, in welcher die betreffende Person sich befinde, verpflichtet sei (im Unterschied zum heutigen Bundesgesetz allerdings nur gegen den Anspruch auf Rückerstattung der Kosten durch die Heimatgemeinde). Und entsprechend lautet Art. 48 BV vom 29. Mai 1874, der die verfassungsmäßige Grundlage des BG vom 22. Juni 1875 bildet, deutlicher, als der Art. 1 dieses Gesetzes selbst, dahin, daß das Gesetz über die Kosten der Verpflegung und Beerdigung armer Angehöriger eines Kantons, "welche in einem andern Kanton krank werden oder sterben", die nötigen Bestimmungen zu treffen habe. Die Auffassung, daß das Gesetz den Kanton des Erkrankungs- oder Sterbeortes schlechthin dem Heimatkanton gegenüberstellen will -- was übrigens speziell im Sterbefalle hinsichtlich der Pflicht zu schicklicher Beerdigung ohne weiteres klar sein dürfte --, ist denn auch, im Einklang mit der Literatur (Blumer-Morel, Bundesstaatsrecht I, S. 321; Burckhardt, Kommentar z. BV, S. 476), in der bisherigen Praxis stets zur Geltung gebracht worden (vergl. BGE 10 Nr. 37 S. 218 [= BGE 10 I 216 (218)]; 31 I Nr. 75 Erw. 2 S. 407 [= BGE 31 I 404 (407)]). In dem vom Kanton St. Gallen angerufenen Urteile (A. S. 23 II Nr. 198) hat das Bundesgericht allerdings von den Pflichten des "Wohnsitzkantons" aus Art. 1 des BG vom 22. Juni 1875 gesprochen, allein es hat dabei, wie der Zusammenhang (I. c. Erw. 3 S. 1467) sofort erkennen läßt, den Ausdruck "Wohnsitz" nicht in seinem besonderen Rechtssinne (als Gegensatz zum bloß vorübergehenden Aufenthalt) gebraucht, sondern vielmehr bloß zur allgemeinen Bezeichnung des Kantons des tatsächlichen Aufenthaltes in seiner Gegensätzlichkeit zum Heimatkanton als solchem.
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Erwägung 3 | |
3. Gemäß der vorstehenden Erwägung kann im hier gegebenen Falle ein Streit über die Kostentragung nach dem BG vom 22. Juni 1875 überhaupt nur zwischen St. Gallen als dem Kanton des Erkrankungsortes und dem Heimatkanton des Erkrankten, Appenzell A.-Rh., in Frage kommen, der thurgauische Wohnsitz des auswärts Erkrankten dagegen spielt für die Kostentragungspflicht grundsätzlich keine Rolle. Das Argument des Kantons St. Gallen, daß in solchen Fällen die Auseinandersetzung mit dem Heimatkanton nicht dem Kanton des Erkrankungsortes, sondern dem Wohnsitzkanton obliegen müsse, weil einzig die Behörden des Wohnsitzes in der Lage seien, die für die Anwendung des BG erheblichen Verhältnisse des Erkrankten zu beurteilen, vermag die erörterte Gesetzesauslegung nicht zu entkräften. Diesem Umstande wird, soweit er zutrifft, durch die allerdings anzunehmende und vorliegend vom Kanton Thurgau auch ausdrücklich anerkannte Verpflichtung der Wohnortsgemeinde zur Auskunftserteilung an die Gemeinde des Erkrankungsortes in genügender Weise Rechnung getragen. Auch der Versuch des Kantons St. Gallen, aus dem Verhalten der Gemeindebehörde von Goßau eine verbindliche Anerkennung der von ihm behaupteten Rechtsstellung des Kantons Thurgau abzuleiten, muß als durchaus verfehlt bezeichnet werden. Eine solche Anerkennung einer gesetzlich nicht begründeten Rechtspflicht darf gewiß nicht vermutet werden, sondern bedürfte, wie die thurgauischen Behörden mit Recht angenommen haben, einer bestimmten Erklärung, wie sie in der bloßen Mitteilung der Gemeinderatskanzlei Hauptwil an den Gemeinderat Goßau gegenüber dessen Rechnungsstellung, daß für derartige Spitalkosten im Thurgau die Kirchspielsarmenpflege zahlungspflichtig sei, schlechterdings nicht gefunden werden kann. Das Rechtsbegehren des Kantons St. Gallen erweist sich somit als unbegründet; --
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