BGE 39 I 79 - Gesetzesergänzende Strassenverkehrsverordnung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Adrian Schwaller, A. Tschentscher | |||
11. Urteil |
vom 17. Januar 1913 in Sachen Kern gegen Bezirksgericht Goßau und Kantonsgericht St. Gallen | |
Regeste |
Inhalt der Garantie des Art. 58 Abs. 1 BV (Art. 29 st. gall. KV); Mangel ihrer Verletzung. -- Nichtverletzung des Grundsatzes "nulla poena sine lege", sofern die ausgesprochene Strafe materiell auf eine, wenn auch formell nicht zur Anwendung gebrachte gesetzliche Strafbestimmung gestützt werden kann. -- Verordnungskompetenz des st. gallischen Regierungsrates gemäss Art. 65 KV: Kompetenz zum Erlass gesetzesergänzenden Verordnungsrechts, speziell auf dem Gebiete der Strassenpolizei, auf Grund des Art. 60 KV, in Verbindung mit den Art. 84 u. 91 des Strassengesetzes vom 22. Mai 1889 (Vorschriften über den Verkehr mit Motorwagen und Fahrrädern, nebst Strafandrohung für deren Uebertretung und Bezeichnung der zuständigen Strafbehörden: Art. 13 der regierungsrätlichen Vollzugsverordnung, vom 10. November 1903, zur einschlägigen interkantonalen Vereinbarung). Verstoss dieser Verordnungsbestimmung gegen bestehendes Gesetzesrecht? -- Es liegt keine Verweigerung des rechtlichen Gehörs in dem (durch die Gerichtspraxis festgestellten) Ausschluss der sonst zulässigen Appellation gegenüber den Kontumazialurteilen bei gegebener Möglichkeit der Beseitigung des Kontumazialentscheides auf dem Wege eines besonderen "Reinigungsverfahrens". | |
Sachverhalt | |
Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage:
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A. | |
Das st. gallische Gesetz über das Straßenwesen vom 22. Mai 1889 hat in Art. 84, am Schlusse seines Abschnittes über die "Straßenpolizei", den Regierungsrat angewiesen, über die Benutzung und den Schutz der öffentlichen Straßen und Wege "die weiter erforderlichen Polizeivorschriften" "auf dem Verordnungswege" zu erlassen. Ferner enthält Art. 91 als Schlußbestimmung den allgemeinen Auftrag an den Regierungsrat, "alle zur Ausführung dieses Gesetzes notwendigen Vollzugsverordnungen, Reglemente und Dienstvorschriften zu erlassen und die erforderlichen Strafbestimmungen gegen des Gesetzes und der Vollziehungsverordnungen festzusetzen."
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Diesen Gesetzesvorschriften ist der Regierungsrat durch Erlaß einer "Polizeiverordnung zum Gesetz über das Straßenwesen", vom 20. September 1889, nachgekommen und hat darin unter Art. 31 bestimmt: "Übertretungen oder Nichtbeachtung dieser Polizeiverordnung werden von den Gemeinderäten mit Geldbußen von 5 Fr. bis auf 100 Fr. bestraft, sofern nicht gerichtliche Strafeinleitung stattfindet."
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Das allgemeine Strafgesetz des Kantons St. Gallen vom Jahre 1886 enthält folgende einschlägige Strafdrohung:
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Art. 144.
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"Wer auch ohne rechtswidrigen Vorsatz einer auf dem Gesetzes- oder Verordnungswege erlassenen allgemein verbindlichen Vorschrift, oder wer sonst einer allgemein verpflichtenden, zu öffentlicher Kenntnis gebrachten Anordnung oder Verfügung einer dazu befugten Behörde oder Amtsstelle nicht Folge leistet, unterliegt, wenn in dem Erlasse nicht schon eine besondere Strafe auf die Zuwiderhandlung angedroht ist, einer Geldstrafe bis auf Fr. 400."
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Gemäß Ermächtigung und Auftrag durch Beschluß des Großen Rates vom 13. März 1903, ist der Regierungsrat des Kantons St. Gallen der interkantonalen Vereinbarung betr. den Motorwagen- und Fahrradverkehr vom 19. Dezember 1902 beigetreten und hat deren Bestimmungen -- worunter die, daß die zum Verkehr mit Automobilen erforderliche behördliche Bewilligung "bei wiederholter Übertretung dieser Verordnung" zurückgezogen werden kann (Art. 3 Abs. 3) -- durch Verfügung vom 10. November 1903 in Anwendung von Art. 84 des Gesetzes über das Straßenwesen als kantonale Vorschriften in Kraft gesetzt. Unter dem gleichen Datum hat der Regierungsrat ferner eine "Vollzugsverordnung betr. den Motorwagen- und Fahrradverkehr" erlassen, die in Art. 13 bestimmt:
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"Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen über den Vermehr mit Automobilen werden im ersten Fall durch das Bezirksamt des Tatortes mit einer Geldbuße bis auf Fr. 200, im Rückfall durch das betreffende Bezirksgericht mit einer Geldstrafe bis auf Fr. 500 allein oder in Verbindung mit Gefängnis bis auf einen Monat bestraft. Daneben kann gegen Rückfällige auf zeitweisen oder gänzlichen Entzug der Fahrberechtigung erkannt werden."
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B. | |
Durch Urteil des Bezirksgerichts Goßau vom 11. Oktober 1912 wurde der Rekurrent Max Kern in Langgasse-Tablat wegen Übertretung der Vereinbarung betr. den Motorwagen- und Fahrradverkehr (durch zu schnelles Fahren mit einem Automobil) im vierten Rückfalle gemäß Art. 13 der regierungsrätlichen Vollzugsverordnung vom 10. November 1903 in contumaciam "mit Fr. 100 und 1/2 Jahr Entzug der Fahrbewilligung bestraft". Gegen dieses Urteil, das ihm am 12. Oktober 1912 unter Ansetzung einer "Reinigungsfrist" von 14 Tagen eröffnet wurde, ließ Kern zunächst, am 22. Oktober, bei der Rekurskommission des st. gallischen Kantonsgerichts Kassationsbeschwerde erheben wegen klarer Verletzung von Art. 204 litt. C Ziff. 6 StGB, in dem er geltend machte, daß gemäß dieser Kompetenznorm nicht das Bezirksgericht, sondern die Gerichtskommission den Fall hätte beurteilen sollen, und zwar in Anwendung der allgemeinen Strafdrohung des Art. 144 StGB, da die Vereinbarung über den Motorwagen- und Fahrradverkehr keine besondere Strafbestimmung enthalte. Mit Zuschrift seines Vertreters an die Kantonsgerichtskanzlei vom 25. Oktober sodann erklärte er gegen das Urteil die Appellation und bemerkte, daß infolgedessen die Kassationsbeschwerde zurückgezogen werde. Hierauf konstatierte der Kantonsgerichtsschreiber durch "Amtsnotiz" vom 26. Oktober: der vorwürfige Straffall sei zwar an und für sich appellabel, nicht "rekurrabel", die Appellation sei jedoch deswegen ausgeschlossen, weil sie gegen ein Kontumazialurteil laut Gerichtspraxis (Entscheidungen des Kantonsgerichts pro 1905, Nr. 12) nicht ergriffen werden könne.
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Anderseis reichte Kern durch seinen Vertreter am 26. Oktober 1912 beim Bezirksgericht Goßau ein "Reinigungsgesuch" ein, worin er den Nachweis dafür in Aussicht stellte, daß er zur früheren Verhandlung zu erscheinen wegen damaliger Landesabwesenheit verhindert gewesen sei. Das Bezirksgericht beschloß jedoch am 8. November 1912, auf eine Neubeurteilung der Sache nicht einzutreten, weil der Ausweis der Unmöglichkeit des Erscheinens zur früheren Verhandlung nicht innert der Reinigungsfrist erbracht worden sei.
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C. | |
Mit Eingabe seines Vertreters vom 16. November 1912 hat Kern hierauf den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen und die Anträge gestellt:
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I. Das Urteil des Bezirksgerichts Goßau vom 11. Oktober 1912 sei, weil vom inkompetenten Richter und in Anwendung verfassungsmäßig ungültiger Bestimmungen erlassen, gänzlich aufzuheben.
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II. Eventuell -- falls das bezirksgerichtliche Urteil als zu Recht bestehend anerkannt würde -- sei das Kantonsgericht anzuweisen, in Abgehung von seinem Beschlusse Nr. 12 des Jahres 1905 die rechtzeitig erklärte Appellation des Rekurrenten entgegenzunehmen und zu behandeln.
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Zur Begründung des Hauptantrages führt die Rekursschrift wesentlich aus, der Regierungsrat sei zum Erlasse seiner Vollzugsverordnung betr. den Motorwagen- und Fahrradverkehr und speziell ihres Art. 13, auf den die angefochtene Bestrafung sich stütze, nicht kompetent gewesen, sondern habe damit die ihm durch Art 65 KV zugewiesene Stellung als gesetzesvollziehende Behörde, deren Maßregeln niemals "veränderte oder neue Bestimmungen über die Hauptsache" enthalten dürften, überschritten. Allerdings sei durch den Großratsbeschluß vom 13. März 1903 dem Regierungsrate, gemäß seinem Antrage, die Ergänzung der Straßenpolizeiverordnung mit Bezug auf den Motorwagen- und Fahrradverkehr u.a. hinsichtlich der Strafen für die Verordnungsübertretungen und der zuständigen Strafbehörden überlassen worden. Allein damit habe er nicht bevollmächtigt werden können und dürfen, über den Straf- und Kompetenzrahmen des Art. 31 der bestehenden Polizeiverordnung zum Gesetz über das Straßenwesen, der selbst sich in der Schranke des Art. 144 StGB halte, hinauszugehen. Tatsächlich aber habe er sich über die gesetzliche Straf- und Kompetenzordnung hinweggesetzt, indem er einerseits durch die Androhung von Gefängnisstrafe neben der Geldstrafe und vollends durch die Einführung der gänzlich neuen Strafe des Entzuges der Fahrbewilligung die Strafbestimmung des Art. 144 StGB verschärft, und anderseits durch Überweisung dieser Straffälle an das Bezirksgericht den Art. 204 litt. C Ziff. 6 StGB, laut welchem Straffälle wegen Ungehorsams gegen allgemeine Erlasse vor die Gerichtskommission gehörten, abgeändert habe. In dieser Normierung eines Ausnahmegerichtsstandes liege eine Verletzung des Art. 29 st. gall. KV (der dem Art. 58 Abs. 1 BV entspricht) und in der Anwendung der nicht auf dem verfassungsmäßigen Wege zu Stande gekommenen Strafnorm ein Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege, der die Aufhebung des angefochtenen Strafurteils bedinge. Der Erlaß jener Strafnorm durch den Regierungsrat lasse sich auch nicht etwa mit ihrer Dringlichkeit rechtfertigen, da ja zur Wahrung der Vorschriften über den Motorwagen- und Fahrradverkehr vorläufig die allgemeinen Strafdrohungen für den Ungehorsam gegenüber amtlichen Anordnungen und Befehlen (Art. 144-146 StGB) vollständig genügt hätten.
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Zum Eventualbegehren wird bemerkt, der Ausschluß des Rekurrenten vom Rechtsmittel der Appellation stelle eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs und Verletzung des Art. 4 BV dar; denn der Rekurrent könne seines gesetzlichen Rechts auf die Anrufung einer zweiten Instanz nicht dadurch verlustig gehen, daß er sich vor erster Instanz nicht habe hören lassen; eine solche Rechtsverwirkung könnte jedenfalls nur durch das Gesetz selbst und nicht durch einen Gerichtsbeschluß, von dem der gewöhnliche Bürger nichts wisse, angedroht werden.
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D. | |
Das Bezirksgericht Goßau hat beantragt, es sei der Rekurs als unbegründet abzuweisen. Aus die Argumentation seiner Vernehmlassung ist in den nachstehenden Erwägungen Bezug genommen.
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Auch das Kantonsgericht des Kantons St. Gallen hat auf Abweisung speziell des Eventualbegehrens des Rekurrenten angetragen und dabei zur Rechtfertigung seiner Stellungnahme auf Art. 63 der Prozeßordnung bei Vergehen und Übertretungen, vom Jahre 1878, und auf das vom Rekurrenten selbst erwähnte Urteil aus dem Jahre 1905 verwiesen;
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Erwägungen | |
in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Das erstangerufene Verbot der Einführung von Ausnahmegerichten gewährleistet, nach feststehender Auslegung des Art. 58 Abs. 1 BV, grundsätzlich nicht die kantonale Gerichtsstandsordnung als solche, d.h. die gesetzesmäßige Kompetenzabgrenzung unter den verschiedenen Gerichtsbehörden. Es garantiert vielmehr nur die Beurteilung durch eine der zur Ausübung von Gerichtsbarkeit kraft allgemeiner organisatorischer Vorschrift eingesetzten und in diesem Sinne ordentlichen Gerichtsbehörden, wobei allerdings die aus Willkür beruhende ausnahmsweise Behandlung einer Streitsache durch ein unzuständiges Gericht der Funktion eines verfassungswidrigen Ausnahmegerichts gleichgestellt worden ist (übrigens durchaus unnötigerweise, da schon die allgemeine Garantie des Art. 4 BV, wie die Praxis sie entwickelt hat, vor solcher Willkür schützt). Von einem direkten Ausnahmegericht kann aber hier zum vornherein nicht die Rede sein, da das Bezirksgericht Goßau, das den Rekurrenten beurteilt hat, unbestreitbar ein ordentliches Organ der st. gallischen Strafrechtspflege ist. Und die Beurteilung des vorliegenden Straffalles durch dieses Gesamtgericht, statt durch die Gerichtskommission, kann schon deswegen jedenfalls auch nicht als willkürlich beanstandet werden, weil Art. 204 StGB, auf den sich der Rekurrent stützt, die Kompetenzen zwischen Gerichtskommission und Bezirksgericht selbst nicht scharf abgrenzt, sondern unter litt. D Ziff. 1 die Möglichkeit vorsieht, daß die gemäß litt. C der Gerichtskommisston zugewiesenen Strafsachen ausnahmsweise auch ans Bezirksgericht geleitet werden können. Zudem steht eine ausnahmsweise Behandlung des Rekurrenten auch insofern nicht in Frage, als seine Überweisung an das Bezirksgericht auf einer allgemeinen (wenn auch als rechtsungültig angefochtenen) Vorschrift, also keineswegs auf bloßer Willkür, beruht.
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Eine Verletzung des Grundsatzes nulla poena sine lege sodann erscheint ohne weiteres als ausgeschlossen, indem der Rekurrent nicht etwa behauptet, daß die ihm zur Last gelegte Handlung -- das zu schnelle, gegen die Vorschriften der interkantonalen Vereinbarung verstoßende Fahren mit einem Automobil -- nach der st. gallischen Rechtsordnung überhaupt straflos sei, sondern selbst zugibt, daß er deswegen aus Grund der allgemeinen Strafdrohung des Art. 144 StGB hätte verfolgt werden können. Unter diesen Umständen könnte nämlich von einer ungesetzlichen Bestrafung nur gesprochen werden, wenn die dem Rekurrenten tatsächlich auferlegte Strafe den Rahmen jener Strafdrohung überschreiten würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Rekurrent macht zu Unrecht geltend, daß der neben der Geldstrafe von 100 Fr. (die sich im Strafrahmen des Art. 144 StGB hält) über ihn verhängte Entzug der Fahrbewilligung für 1/2 Jahr eine vollständig neue und unstatthafte Strafe darstelle. Denn bei dieser letzteren Verfügung handelt es sich, wie das Bezirksgericht in seiner Vernehmlassung zutreffend bemerkt, überhaupt nicht um eine Strafe im Rechtssinne, sondern vielmehr um eine polizeiliche Verwaltungsmaßnahme. Und zudem ist diese Maßnahme schon in Art. 3 Abs. 3 der interkantonalen Vereinbarung betr. den Motorwagen- und Fahrradverkehr selbst ausdrücklich erwähnt, so daß sie vom Strafrichter auch abgesehen von Art. 13 der zugehörigen regierungsrätlichen Vollzugsverordnung rechtmäßig verhängt werden konnte.
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Erwägung 2 | |
2. Neben den beiden erörterten Beschwerdegründen kommt aber dem Argument der Ungültigkeit des Art. 13 der regierungsrätlichen Vollzugsverordnung betr. den Motorwagen- und Fahrradverkehr insofern selbständige Bedeutung zu, als die kantonalen verfassungsrechtlichen Normen über die Kompetenzen der Staatsbehörden, insbesondere über die Abgrenzung des Kompetenzbereichs der einzelnen Staatsgewalten, nach feststehender Praxis dem Schutze des Bundesstaatsgerichtshofes unterstehen und daher jeder Bürger gegenüber einem ihn persönlich betreffenden Erlasse, den er als von einer verfassungsmäßig hiefür nicht zuständigen Behörde ausgehend erachtet, auf dem Wege der staatsrechtlichen Beschwerde gemäß Art. 178 OG aufzutreten berechtigt ist, sei es durch direkte Anfechtung des Erlasses als solchen, anläßlich seiner Publikation, sei es auch später noch, gegenüber einem den Erlaß zur Anwendung bringenden speziellen Entscheide. Der Rekurrent erscheint demnach als legitimiert, das auf die streitige Verordnungsbestimmung gestützte Strafurteil des Bezirksgerichts Goßau wegen der behaupteten Verfassungswidrigkeit jener Bestimmung anzufechten und im Falle der Gutheißung seines Standpunktes die Aufhebung der Bestrafung zu verlangen, obschon diese letztere, wie oben festgestellt, auf Grund anderweitiger Kompetenz- und Strafnormen in staatsrechtlich einwandfreier Weise hätte ausgesprochen werden können.
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Bei Prüfung dieses Standpunktes nun ist davon auszugehen, daß nach dem st. gallischen Verfassungsrecht der Regierungsrat als Organ der vollziehenden Gewalt im Sinne des Art. 65 KV unbestrittenermaßen nicht nur konkrete Verfügungen und Befehle, sondern auch allgemeine Verordnungen zu erlassen befugt ist, sofern er dabei nur die ausdrückliche Weisung der Verfassungsbestimmung beachtet, wonach seine "Maßregeln zur Vollziehung der Gesetze" nie "veränderte oder neue Bestimmungen über die Hauptsache" enthalten dürfen. Dieses Verordnungsrecht kommt ihm insbesondere auch in seiner Stellung als oberster Verwaltungs- und Polizeibehörde, gemäß Art. 60 KV, zu. Die erwähnte Weisung aber will offenbar nichts anderes zum Ausdrucke bringen, als den allgemeinen staatsrechtlichen Grundsatz, daß das Verordnungsrecht nicht praeter legem sich bewegen, oder, wie neulich (AS 38 I Nr. 19 Erw. 2 S. 125) das Bundesgericht in Anlehnung an Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 35 N. 5, sich ausgesprochen hat, daß eine Vollziehungsverordnung als solche nicht über den aus dem Zweck seiner Bestimmungen sich ergebenden allgemeinen Rahmen des Gesetzes hinausgehen dürfe. Es soll also danach dem Regierungsrate unbenommen sein, das Gesetz nicht nur zu erläutern, sondern seinem Sinne gemä auch zu ergänzen. Namentlich im Bereiche des Polizeirechts mit seinen wechselnden und vielfach doch einer einläßlichen Regelung bedürfenden Erscheinungen haben praktische Rücksichten in den meisten Staaten dazu geführt, der Verordnungskompetenz der Verwaltungsbehörden möglichst weiten Spielraum zu gewähren. Im Kanton St. Gallen speziell ist dem Regierungsrate gerade auf dem hier in Frage stehenden Gebiete der Straßenpolizei von Gesetzes wegen eine weitreichende Verordnungsbefugnis eingeräumt. Im Gesetze über das Straßenwesen vom 22. Mai 1889 selbst sind nämlich dieser bedeutsamen Materie nur 9 Artikel (76-84) gewidmet, welche lediglich Vorschriften über den Abstand von Gebäulichkeiten und Pflanzungen von der Straße, über die Anlage der Dachrinnen und über die Inanspruchnahme der Straßen für Straßenbahnen und Wasserleitungen enthalten und deren letzter (siehe oben, Fakt. A) die weiter erforderlichen Verordnungspolizeivorschriften des Regierungsrates vorbehält. Ferner beauftragt das Gesetz in Art. 91 den Regierungsrat ausdrücklich auch noch, "die erforderlichen Strafbestimmungen gegen Übertretungen des Gesetzes und der Vollziehungsverordnungen festzusetzen." Auf Grund dieser gesetzlichen Kompetenzübertragung hat der Regierungsrat seine Straßenpolizeiverordnung vom 20. September 1889 erlassen, in der sich neben Bestimmungen über den Schutz der Straßen hauptsächlich die im Gesetze völlig übergangenen Verkehrspolizeivorschriften finden, sowie auch eine zugehörige Strafbestimmung mit Strafdrohung und Bezeichnung der zuständigen Strafbehörde (Art. 31, siehe oben, Fakt. A), deren Verfassungsmäßigkeit der Rekurrent nicht bestreitet. An diesen Verordnungserlaß aber schließt die interkantonale Vereinbarung betreffend den Motorwagen und Fahrradverkehr, die der Kanton St. Gallen als internes Verordnungsrecht eingeführt hat, sachlich unmittelbar an; denn ihre Regelung der Straßenbenutzung namentlich durch das vollständig neue Verkehrsmittel des Automobils bildet, wie die regierungsrätliche Botschaft an den Großen Rat betreffend den Beitritt des Kantons zu jener Vereinbarung mit Recht bemerkt hat, "nichts anderes als eine Ergänzung und teilweise Abänderung der Polizeiverordnung zum Gesetz über das Straßenwesen". Der Regierungsrat konnte sich daher beim internen Erlasse jener Vereinbarung nebst der zugehörigen Vollzugsverordnung gewiß auf Art. 84 des Straßengesetzes stützen, und die hier angefochtene Strafbestimmung des Art. 13 der Vollzugsverordnung hat überdies eine besondere gesetzmäßige Grundlage noch in Art. 91 daselbst. Übrigens ergäbe sich die Zuständigkeit des Regierungsrates zum Erlaß einer derartigen Strafbestimmung ohne weiteres schon aus seiner allgemeinen Verordnungskompetenz als oberster Verwaltungs- und Polizeibehörde (vergl. hierüber die Ausführungen des bundesgerichtlichen Urteils in Sachen Bon vom 25. Januar 1906: AS 32 I Nr. 16 Erw. 3 S. 109 ff.) und ferner auch aus der Kompetenzdelegation laut Beschluß des Großen Rates vom 13. März 1913, durch den der Große Rat in seiner Kompetenz als das "Verkommnisse und Verträge mit andern Kantonen und Staaten" abschließende Staatsorgan (Art. 55 Ziff. 6 KV) der interkantonalen Vereinbarung betreffend den Motorwagen- und Fahrradverkehr seine Genehmigung erteilt und den Regierungsrat unter Ermächtigung zur Beitrittserklärung mit dem Vollzuge dieses Beschlusses, sowie "mit dem Erlaß und eventueller späterer Ergänzung oder Abänderung einer bezüglichen Verordnung für das Gebiet des Kantons St. Gallen" beauftragt hat. Der Rekurrent bestreitet denn auch jene Zuständigkeit nicht grundsätzlich, sondern beanstandet den Art. 13 der regierungsrätlichen Vollzugsverordnung vom 10. November 1903 nur hinsichtlich des Inhaltes seiner Strafdrohung und der beigefügten Gerichtsstandsbestimmung, indem er geltend macht, der Regierungsrat hätte sich dabei einerseits an den Strafrahmen des Art. 31 der Polizeiverordnung zum Straßengesetz oder doch des Art. 144 StGB, und anderseits an die Kompetenznorm des Art. 204 litt. C Ziff. 6 StGB halten sollen. Diese Einwendungen gehen jedoch fehl. Zunächst ist selbstverständlich, daß der Regierungsrat nicht an die Strafbestimmung seiner eigenen älteren Polizeiverordnung gebunden war, sondern, gleich wie er diese Strafbestimmung selbst jederzeit hätte abändern können, auch befugt war, in der neuen Spezialverordnung eine hievon abweichende Strafdrohung aufzustellen. Und ebensowenig war er bei deren Bemessung auf den Strafrahmen des Art. 144 StGB beschränkt; denn diese Gesetzesbestimmung enthält nicht etwa eine Blankett-Strafvorschrift, in deren Ausfüllung sich die Strafverordnungsbefugnis des Regierungsrates erschöpfen würde, sondern vielmehr eine allgemeine Strafdrohung subsidiärer Natur, die Geltung beansprucht nur, soweit keine auf ihren Tatbestand zutreffende speziellere Strafdrohung vorhanden ist. Die Bestimmung kann insbesondere auch einer abweichenden Verordnungs-Strafnorm schlechterdings nicht entgegengehalten werden, da sie ausdrücklich auch die besonderen Strafdrohungen auf Zuwiderhandlungen gegen allgemein verbindliche Vorschriften, die auf dem Verordnungswege erlassen worden sind, vorbehält. Es stand daher dem Regierungsrate in dieser Hinsicht auch frei, den mit der Bestrafung fakultativ verbundenen Entzug der Fahrbewilligung anzuordnen, abgesehen davon, daß diese Maßnahme, wie schon an anderer Stelle hervorgehoben, bereits in der vom Kanton St. Gallen unbestrittenermaßen in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise eingeführten interkantonalen Vereinbarung selbst vorgesehen ist, so daß die regierungsrätliche Verordnungsbestimmung mit Bezug hierauf als reine Vollziehungsnorm erscheint. Endlich verstößt diese Bestimmung auch nicht gegen Art. 204 litt. C Ziffer 6 StGB; denn dessen Kompetenznorm bezieht sich nur auf die Beurteilung von Ungehorsamsfällen, auf welche die Art. 143-145 StGB Anwendung finden, und es ist damit keineswegs gesagt, daß auch die anderweitig mit Strafe bedrohten Ungehorsamsfälle notwendig in die Urteilskompetenz der Gerichtskommission fallen müssen. Gerade die hier streitige Strafnorm übersteigt tatsächlich die im Eingang der litt. C des Art. 204 angegebene Strafkompetenz der Gerichtskommission: "bis auf 300 Fr. Geldbuße und bis auf zwei Monate Gefängnis, die beiden Strafen getrennt oder verbunden, nebst den gesetzlichen Zusatzstrafen", in dem sie eine Geldstrafe bis 500 Fr. vorsieht und insofern auch nach Art. 204 litt. D Ziffer 1 in den Kompetenzbereich des Bezirksgerichts gehört.
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Erwägung 3 | |
3. Die dem Eventualantrage des Rekurses zu Grunde gelegte Beschwerde wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs gegenüber dem Obergericht erweist sich ohne weiteres als unhaltbar. Der Rekurrent hat es lediglich seiner eigenen Nachlässigkeit zuzuschreiben, daß ihm die Anrufung der obern Instanz versagt blieb, indem er durch gehörige Benutzung der ihm gesetzten "Reinigungsfrist" das Kontumazialurteil zu Fall bringen und ein neues Strafurteil hätte erwirken können, welchem gegenüber ihm dann die Appellation offen gestanden hätte. Wieso aber die Verweigerung der Appellation bei gegebener Möglichkeit der Beseitigung des erstinstanzlichen Kontumazialurteils im Wege des "Reinigungsverfahrens" (Art. 63 der Prozeßordnung bei Vergehen und Übertretungen vom 28. November 1878) eine Rechtsverweigerung bedeuten sollte, ist an sich schlechterdings nicht einzusehen. Und auch der Umstand, daß diese Stellungnahme des Kantonsgerichts nicht auf einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung, sondern auf bloßer Gerichtspraxis beruht, verschlägt natürlich nichts; denn der Rekurrent hat weder dargetan noch auch nur behauptet, daß diese Praxis willkürlich, mit dem Sinn und Geiste des Gesetzes nicht vereinbar sei. Tatsächlich entspricht sie vielmehr dem im Zivilprozeßverfahren nach dem Vorbild des gemeinen Rechts vielfach geltenden Grundsätze: contumax non appellat, dessen Übertragung auf den Strafprozeß mangels einer entgegenstehenden positiven Vorschrift keineswegs als Willkür bezeichnet werden kann;
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