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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Christian Schneider, A. Tschentscher | |||
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61. Urteil |
vom 25. September 1913 in Sachen Jäggi gegen Stampfli. | |
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Art. 55 BV. Wissentlich oder leichtfertig aufgestellte unwahre Behauptungen fallen nicht unter den Schutz der Pressfreiheit. -- Legitimation zur Strafklage wegen Pressehrverletzung bei Vorwürfen, die gegen eine politische Partei gerichtet sind. | |
Sachverhalt: | |
Das Bundesgericht hat,
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da sich ergeben:
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A. | |
Am 30. Juni 1912 fanden im Kanton Solothurn die Bezirkswahlen statt. Dabei kam es im Bezirke Olten-Gösgen zu einem Wahlkampfe zwischen der freisinnigen Partei einerseits, der katholischen Volkspartei und der sozialdemokratischen Partei andererseits. Der freisinnige Kandidat drang durch. Am 2. Juli veröffentlichten darauf die "Oltner Nachrichten", das Organ der katholischen Volkspartei unter dem Titel "Bezirkswahlen in Olten-Gösgen" eine Wahlbetrachtung, die mit folgenden Sätzen schloß:
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"Unserem Kandidaten hat der Kampf wahrlich keinen Rappen gekostet. Der Radikalismus aber mußte in heller Angst alle seine Machtmittel -- in fester und flüssiger Form -- unter das Volk laufen lassen, um die Hochdruckwahlmaschine zu schmieren. Der Beschluß der "jung-klerikalen und christlich-sozialen Heißsporne", ist sie teuer zu stehen gekommen."
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Wegen dieses Artikels, speziell wegen der vorstehend wörtlich angeführten Stelle erhob Dr. Stampfli, Redaktor in Olten für sich und aus Auftrag von acht andern Mitgliedern der freisinnigen Partei von Olten gegen den heutigen Rekurrenten Jäggi als verantwortlichen Redaktor der "Oltner Nachrichten" Klage wegen Ehrverletzung. Das Amtsgericht Olten-Gösgen bestrafte den Rekurrenten wegen Beschimpfung mit 70 Fr. Buße. Auf erfolgte Appellation änderte das Obergericht Solothurn dieses Erkenntnis durch Urteil vom 27. Mai 1913 dahin ab, daß es den Rekurrenten der Verleumdung durch das Mittel der Druckerpresse gegenüber Dr. Stampfli schuldig erklärte und zu 100 Fr. Buße sowie ![]() ![]() ![]() | 5 |
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Gegen das Urteil des Obergerichts hat Jäggi den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage auf Aufhebung. Als Beschwerdegründe werden angerufen Rechtsverweigerung und Verletzung der Preßfreiheit und zur Begründung ausgeführt: die Ansicht des Obergerichts, daß bei Vorwürfen, die sich gegen eine politische Partei richteten, jedem Parteiangehörigen ein Klagerecht zustehe, und die darauf gestützte Bejahung der Aktivlegitimation des Klägers Dr. Stampfli beruhe auf einer Verkennung des wahren Sinns der deutschen Doktrin und Praxis und sei willkürlich. Dasselbe gelte in Bezug auf die weitere Annahme, daß der Artikel den Vorwurf strafbarer Wahlbeeinflussung enthalte. Jede politische Partei brauche für die Agitation Geld: auch komme es überall vor, daß in Wahlversammlungen auf Kosten einer Partei oder eines Kandidaten getrunken werde, ohne daß dadurch die Freiheit des Einzelnen beeinträchtigt werde. Auf solche Erscheinungen des politischen Lebens weise der Artikel hin. Ein Angriff auf einzelne Personen liege darin nicht und sei auch nicht beabsichtigt gewesen. Die Besprechung der Wahlergebnisse und Wahlmittel gehöre zum Aufgabenkreis der Presse: dabei müsse man ihr die mit dem Wahlkampf verbundene Aufregung zu Gute halten. Die Erfüllung dieser Aufgabe und das Recht der freien Meinungsäußerung dürften nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß man Personen ein Klagerecht zugestehe, von denen der Artikel nicht spreche und auf die er nicht hindeute, noch dadurch, daß man Dinge in den Artikel hineininterpretiere, die nicht darin ständen. Die Bestrafung wegen Beleidigung ganzer Stände, Parteien usw. sei gleichbedeutend mit der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung überhaupt. Eine Verletzung von Art. 55 BV liege auch dann vor, wenn durch das Mittel der Urteilsfindung, durch die Kunst des Motivierens in willkürlicher Weise der Tatbestand einer Ehrverletzung durch die Druckerpresse geschaffen werde; --
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Erwägungen: | |
in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
1. Bei Beurteilung der in erster Linie zu prüfenden Beschwerde aus Art. 55 BV ist die Begriffsbestimmung der Preßfreiheit zu Grunde zu legen, wie sie in den Urteilen Kälin und Jäggi gegen Bourquard und Konsorten und Gutknecht gegen Benninger und Konsorten vom 13. Juli und 20. September 1911 ![]() ![]() | 8 |
Der inkriminierte Artikel und speziell die eingeklagte Stelle wären ihrem allgemeinen Gegenstande nach zweifellos geeignet, unter die Garantie des Art. 55 zu fallen. Denn Wahlen und Abstimmungen sind öffentliche Angelegenheiten im eigentlichsten Sinne des Wortes: die Erörterung ihres Ausfalls, der Vorgänge beim Wahlkampf, die Rüge dabei zu Tage getretener Mißbräuche und Ungehörigkeiten gehört zu den ersten Aufgaben der politischen Presse. Zu prüfen bleibt daher lediglich, ob die dabei im vorliegenden Falle aufgestellten Behauptungen sich innert des Rahmens einer sachlichen Berichterstattung und Kritik in dem oben umschriebenen Sinne halten. Hiezu ist zunächst die Bedeutung der eingeklagten Äußerungen festzustellen.
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Der Artikel will eine Erklärung für den Wahlsieg der freisinnigen Partei geben. Diese Erklärung wird in den Mitteln gefunden, welche auf freisinniger Seite im Wahlkampf angewendet worden seien. Während der Wahlkampf den Kandidaten der katholischen Volkspartei keinen Rappen gekostet habe, habe der Radikalismus in heller Angst alle seine Machtmittel -- in flüssiger und fester Form -- unter das Volk laufen lassen. Der Beschluß der Jungklerikalen und Christlich-Sozialen, in den Wahlkampf zu ![]() ![]() | 10 |
Der damit erhobene Vorwurf richtet sich notwendig an einzelne ungenannte Personen. Denn nur solche können sich ja der Wahlkorruption schuldig gemacht haben. Bedenkt man, daß durch den Artikel die offizielle Kampfweise der Radikalen charakterisiert werden ![]() ![]() | 11 |
Der Beweis für die Wahrheit dieses Vorwurfs ist weder im kantonalen Verfahren noch im Rekurse an das Bundesgericht angetreten worden. Weder dort noch hier hat der Rekurrent auch nur einen einzigen Fall von versuchter oder erfolgter Wahlkorruption der behaupteten Art anführen können. Es muß daher angenommen werden, daß es dem Verfasser des Artikels an jeder tatsächlichen Grundlage für seine Behauptungen gefehlt, und daß er diese völlig aus der Luft gegriffen hat.
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Damit ist aber nach dem eingangs Ausgeführten bereits gesagt, daß die eingeklagte Stelle aus dem Schutzgebiet des Art. 55 BV hinausfällt. Daran kann die Tatsache, daß es sich um einen in der Aufregung des Wahlkampfes geschriebenen Artikel handelt, nichts ändern. Zwar darf nicht übersehen werden, daß die Presse rasch arbeiten, insbesondere auf Mißstände bei einer Wahl sofort hinweisen muß, daß sie nicht in der Lage ist, darüber Erhebungen zu machen, wie sie die Behörden veranstalten können, sondern in der Regel auf die Angaben von Gewährsmännern, die sich sonst als zuverlässig erwiesen haben, abstellen muß und darf. Mit Rücksicht hierauf werden ihr Übertreibungen und Verallgemeinerungen wahrer oder in guten Treuen und nach sorgfältiger Prüfung für wahr gehaltener Tatsachen je nach den Verhältnissen bis zu einem gewissen Grade zu Gute gehalten werden müssen. Wäre der Rekurrent in der Lage gewesen, wenigstens einige Fälle versuchter Wahlkorruption namhaft zu machen oder zum mindesten darzutun, daß er an solche Fälle geglaubt hat und glauben durfte, so könnte es sich daher fragen, ob nicht trotz der Verallgemeinerung ein durch Art. 55 geschütztes Preßerzeugnis vorliege. Nachdem nicht einmal versucht worden ist, einen solchen Beweis zu leisten, kann davon nicht die Rede sein.
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Untersteht aber die eingeklagte Stelle des Artikels überhaupt nicht der Garantie der Preßfreiheit, so kann diese auch nicht dadurch verletzt sein, daß der kantonale Richter etwa zu Unrecht die Aktivlegitimation des Klägers Dr. Stampfli bejaht hat. Denn ![]() ![]() | 14 |
Erwägung 2 | |
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Dispositiv | |
erkannt:
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