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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Christian Schneider, A. Tschentscher | |||
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65. Urteil |
vom 6. November 1913 in Sachen von Petersdorf. | |
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Umfang der Kognitionsbefugnis des BG als Auslieferungsgerichtshof nach Art. 23 und 24 Ausl.-G. und Art. 181 OG. Art. 1 Ziff. 13 des Auslieferungsvertrages mit Deutschland. Auslieferung wegen eines in einem dritten Staate begangenen Kreditbetruges. Notwendigkeit der Strafbarkeit der Handlung im dritten Staate. Das Erfordernis der Strafbarkeit im ersuchten Staate hat nur die Bedeutung, dass derselbe Tatbestand hier ebenfalls strafbar wäre, nicht aber, dass für das im Ausland begangene Delikt ebenfalls Verfolgung eintreten würde. | |
Sachverhalt: | |
Das Bundesgericht hat,
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da sich ergeben:
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A. | |
Mit Note vom 4. Juli 1913 hat die Kaiserlich Deutsche Gesandtschaft in Bern unter Berufung auf Art. 1 Ziff. 13 und 9 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche vom 24. Januar 1874 beim Bundesrat um die Auslieferung der deutschen Staatsangehörigen Witwe Elisabeth von Petersdorf geb. Meyer nachgesucht. In dem dem Begehren beigegebenen Haftbefehl des Königl. Landgerichts Frankfurt a. M. I. Strafkammer vom 22. Mai 1913 wird der der Angeschuldigten zur Last fallende Tatbestand folgendermaßen dargestellt: Frau von Petersdorf habe in Paris in den letzten Monaten des Jahres 1911 in der Absicht, sich und dem Schneidergesellen Karl Walther einen rechtswidrigen Vermögensvorteil, nämlich unentgeltliche Beköstigung und Wohnung, zu verschaffen, das Vermögen des Pensionsinhabers Josef Wellhäuser dadurch um 430 Fr. beschädigt, daß sie ihm die falschen Tatsachen vorgespiegelt habe, sie besitze ein Gut, Strahlenbergerhof in Frankfurt a/M. und habe bei der Frankfurter Bankfirma Hauck ein größeres Guthaben, und so in ihm einen Irrtum über ihre Kreditwürdigkeit erregt ![]() ![]() | 3 |
"§ 4. Wegen der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen findet in der Regel keine Verfolgung statt. Jedoch kann nach den Strafgesetzen des Deutschen Reiches verfolgt werden: 3. ein Deutscher, welcher im Auslande eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reiches als Verbrechen oder Vergehen anzusehen und durch die Gesetze des Ortes, an welchem sie begangen wurde, mit Strafe bedroht ist." | 4 |
"§ 263. Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines andern dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird wegen Betruges mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann."
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B. | |
Frau von Petersdorf, die auf Grund des Auslieferungsbegehrens in Zürich verhaftet worden ist, hat gegen dieses protestiert und folgende Einwendungen erhoben:
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a) Die Angaben des Haftbefehls träfen nicht zu. Richtig sei lediglich, daß sie dem Wellhäuser noch 60 Fr. Kostgeld schulde, die sie bis jetzt nicht habe bezahlen können. Unwahre Angaben habe sie ihm nicht gemacht. Es handle sich somit nicht um einen Betrug, sondern um eine gewöhnliche zivilrechtliche Schuld.
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b) Jedenfalls wäre das Delikt in Paris begangen und könnte daher nur von den dortigen Behörden verfolgt werden. Die deutschen Behörden seien zur Strafverfolgung nicht zuständig, weshalb es an einer wesentlichen Voraussetzung der Auslieferung fehle.
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C. | |
Nachdem das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement durch Vermittlung der Schweizerischen Gesandtschaft in Paris festgestellt hatte, daß dort wegen der in Frage stehenden Handlungen gegen Frau von Petersdorf keine Strafverfolgung eingeleitet worden sei, hat es durch Schreiben vom 5. September 1913 die Akten gemäß Art. 23 des Auslieferungsgesetzes dem Bundesgericht zum Entscheide übermittelt. ![]() | 9 |
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Das Bundesgericht hat zunächst am 26. September 1913 beschlossen, die zuständigen deutschen Behörden zur Abgabe einer Erklärung darüber zu veranlassen:
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1) ob sie der Ansicht seien, daß die der Frau von Petersdorf im Haftbefehl zur Last gelegten Handlungen auch nach französischem Rechte strafbar seien;
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2) auf welche Bestimmungen der französischen Gesetzgebung sie sich für diese Ansicht stützen.
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Darauf hat das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dem Gericht am 27. Oktober 1913 einen ihm selbst durch Note der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft vom 25. Oktober übermittelten Bericht des K. Landgerichts Frankfurt a/M. I. Strafkammer vom 9. Oktober 1913 zugestellt, in dem sich diese auf die gestellten Fragen wie folgt ausspricht:
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Das Landgericht sei der Ansicht, daß die der Frau von Petersdorf zur Last gelegten Handlungen unter den Art. 405 des französischen Code pénal fielen, der laute:
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"Art. 405. Quiconque, soit en faisant usage de faux noms ou de fausses qualités, soit en employant des manoeuvres frauduleuses pour persuader l'existence de fausses entreprises, d'un pouvoir ou d'un crédit imaginaire, ou pour faire naitre l'espérance ou la crainte d'un succès, d'un accident ou de tout autre événement chimérique, se sera fait remettre ou délivrer ou aura tenté de se faire remettre ou délivrer, des fonds, des meubles ou des obligations, dispositions, billets, promesses, quittances ou décharges, et aura, par un de ces moyens, escroqué ou tenté d'escroquer la totalité ou partie de la fortune d'autrui, sera puni d'un emprisonnement d'un an au moins et de cinq ans au plus, et d'une amende de cinquante francs au moins et de trois mille francs au plus."
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Die danach erforderliche Täuschungshandlung liege vor: die Angeschuldigte habe dem Wellhäuser vorgespiegelt, Gutsbesitzerin in Frankfurt a/M. zu sein. Sie habe auch ein Schriftstück verfaßt, wonach sie das Gut Strahlenbergerhof dem Karl Walther geschenkt habe, und habe durch letzteren die Urkunde dem Wellhäuser zeigen lassen, um ihre Angabe diesem als wahr erscheinen zu lassen. Damit erscheine die Voraussetzung des Gesetzes "en faisant usage de fausses qualités" als erfüllt. In ursächlichem Zu ![]() ![]() | 16 |
Erwägungen: | |
in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
3. Gemäß Art. 1 Ziff. 13 des erwähnten Vertrages ist der Betrug dann als Auslieferungsdelikt zu betrachten, wenn "die Handlungen nach der Gesetzgebung der vertragenden Teile als ![]() ![]() | 20 |
Zwar mag dahingestellt bleiben, ob in der der Angeschuldigten zur Last gelegten Behauptung, sie sei Eigentümerin eines Gutes in Frankfurt a/M., ein "faire usage de fausses qualités" i. S. von Art. 405 des französischen Code pénal erblickt werden könnte. Nach der in der französischen Judikatur und Doktrin herrschenden Meinung, die auch vom Kassationshof geteilt wird, sind ![]() ![]() ![]() ![]() | 21 |
Die erste Voraussetzung der Auslieferung, das Vorliegen eines nach § 263 RStG strafbaren Betruges ist demnach erfüllt.
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Erwägung 4 | |
4. Zur Herstellung der weiteren Voraussetzung der Strafbarkeit nach dem Rechte des Zufluchtsortes genügt es, daß die der Auszuliefernden vorgeworfenen Handlungen an sich d.h. nach ihrer Beschaffenheit auch nach zürcherischem Rechte die Merkmale eines Vergehens enthalten. Daß der Kanton Zürich selbst zu ihrer Verfolgung berechtigt wäre, kann nicht gefordert werden. Richtig ist allerdings, daß manche Auslieferungsverträge, so z.B. derjenige mit Belgien (Art. 1 Abs. 2) und mit Oesterreich-Ungarn (Art. 1 Abs. 3) eine dahingehende Klausel enthalten, die Auslieferung wegen Vergehen, die von einem Angehörigen des ersuchenden Staates in einem dritten Staate verübt worden sind, also davon abhängig machen, daß auch der ersuchte Staat unter analogen Verhältnissen seinen eigenen Staatsangehörigen verfolgen könnte. Hierin kann indessen nicht etwa ein allgemeingültiges Prinzip erblickt werden, das auch ohne ausdrückliche Vertragsbestimmung zur Anwendung zu bringen, bezw. als in dem Vorbehalt der beidseitigen Strafbarkeit mitinbegriffen zu betrachten wäre. Denn die Vorschriften über das örtliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze enthalten nicht wie die letzteren selbst ein Urteil über die Rechtswidrigkeit einer Handlung, sondern beruhen auf bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen. Die Bestrafung der Auslandsvergehen unterbleibt nicht deshalb, weil man die Tat selbst als nicht strafwürdig ansähe, sondern weil man eine hinreichende Veranlassung für den eigenen Staat, sie zu verfolgen, nicht als gegeben erachtet. Solche Erwägungen können aber einem anderen Staate, der seinerseits die Verfolgung übernehmen will und dazu nach seiner Gesetzgebung berechtigt ist, nicht entgegengehalten werden (vergl. Schwarzenbach, das materielle Auslieferungsrecht der Schweiz, S. 231 ff.). Der schweizerisch-deutsche Auslieferungsvertrag wie auch das schweizerische Auslieferungsgesetz selbst machen denn auch ![]() ![]() | 23 |
Hievon ausgegangen sind aber alle Bedingungen für die Auslieferung gegeben. Denn daß die der Angeschuldigten zur Last gelegten Handlungen an sich, d.h. abgesehen von ihrem Begehungsorte, auch nach zürcherischem Rechte strafbar wären, kann keinem Zweifel unterliegen. Die zürcherischen Gerichte haben stets angenommen, daß auch der sog. Kreditbetrug d.h. die Veranlassung eines anderen zur Kreditgewährung durch unwahre Angaben über die Zahlungsfähigkeit sich als Betrug im Sinne von Art. 191 des zürcherischen Strafgesetzbuchs darstelle (vergl. Zürcher, Kommentar zum zürcherischen StrG zu Art. 191 N. 7).
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erkannt:
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