BGE 39 I 415 - Böhler-Bieri | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 29.05.2020, durch: Géraldine Danuser, A. Tschentscher | |||
69. Entscheid |
vom 2. Juli 1913 in Sachen Dietrich. | |
Regeste |
Die Aufsichtsbehörden können eine Konkursmasse nicht zur Geltendmachung eines Anspruchs verhalten, auf den sie verzichten will. -- Art. 260 SchKG: Ist die von der Konkursverwaltung angesetzte Frist zur Stellung von Begehren um Abtretung allfälliger Massarechte abgelaufen, so kann ein Konkursgläubiger die Abtretung eines Anspruches auch dann nicht mehr verlangen, wenn er von dem Anspruch vorher keine Kenntnis gehabt hatte und dieser -- sofern es sich wenigstens um das summarische Konkursverfahren handelt -- nicht inventarisiert worden war. | |
Sachverhalt | |
A. | |
In dem im summarischen Verfahren durchgeführten Konkurse über die Firma M. Böhler-Bieri in Zürich machte das Konkursamt Zürich I am 11. Januar 1913 die Auflegung des Kollokationsplans öffentlich bekannt: zugleich setzte es den Gläubigern eine Frist von zehn Tagen, um allfällige Begehren um Abtretung von Massarechten schriftlich einzureichen, unter der Androhung, daß andernfalls Verzicht darauf angenommen würde. Diese Frist lief unbenützt ab. Dagegen stellte Rechtsanwalt Fritz Ott in Zürich namens des heutigen Rekurrenten Dr. Dietrich nachträglich am 8. März 1913 an das Konkursamt das Begehren, es sei die von der Firma Böhler-Bieri beim Landgericht Traunstein (Bayern) gegen den Rekurrenten eingeklagte Forderung von 12,000 Fr. zu den Konkursaktiven zu ziehen, ein allfälliger Drittanspruch daran auf Grund einer Zession zu bestreiten oder den einzelnen Gläubigern Gelegenheit zu geben, Abtretung der Rechte gegen den allfälligen Zessionar zu verlangen. Das Konkursamt erwiderte am 15. März 1913, daß die fragliche Forderung von der Kridarin laut vorgelegter Originalurkunde schon am 7. Juni 1912, also vor Konkursausbruch an G. Sinner in Zürich abgetreten worden sei und daher nicht zur Masse gezogen werden könne.
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Hierüber beschwerte sich Dr. Dietrich bei den kantonalen Aufsichtsbehörden mit dem Antrage, es sei das Konkursamt zu verhalten, die Forderung gegen ihn als Konkursaktivum zu inventieren und die Ansprache des Sinner daran namens der Masse zu bestreiten, eventuell die bezüglichen Rechte den Gläubigern, die es verlangten, nach Art. 260 SchKG abzutreten. Zur Begründung machte er geltend, daß er erst nach Ablauf der in der Publikation vom 11. Januar 1913 gesetzten Frist von der Zession an Sinner erfahren habe, daß diese Zession fingiert und lediglich zu dem Zwecke ausgestellt worden sei, das Aktivum der Masse zu entziehen, und daß er sowohl als Schuldner der Forderung wie als Konkursgläubiger ein Interesse an deren Anfechtung habe. Als Schuldner, weil er sonst gezwungen wäre, an einen Nichtberechtigten zu zahlen. Als Konkursgläubiger, weil im Falle der Ungiltigerklärung der Zession die Forderung in die Masse falle, also das Konkursvermögen vermehrt werde. In der Vernehmlassung auf die Beschwerde nahm das Konkursamt den Standpunkt ein, daß der Beschwerdeführer das Recht, Abtretung nach Art. 260 zu verlangen, durch Nichtbeachtung der in der Bekanntmachung vom 11. Januar 1913 hiefür eingeräumten Frist verwirkt habe.
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Beide kantonalen Instanzen haben die Beschwerde abgewiesen, die untere aus dem vom Konkursamt angeführten Grunde, die obere gestützt auf folgende Erwägungen: der Entscheid darüber, welche Gegenstände zur Masse zu ziehen seien, stehe ausschließlich der Konkursverwaltung und eventuell der Gläubigerversammlung zu. Wollten diese auf die Admassierung eines Anspruchs verzichten, so könne sie der einzelne Konkursgläubiger nicht dazu zwingen, sondern sei darauf beschränkt, Abtretung des Anspruchs an ihn zu verlangen. Auch dieses Recht stehe indessen dem Rekurrenten hier nicht zu, da der abzutretende Anspruch eine Forderung auf ihn selbst sei und ein Anspruch auf sich selbst dem Gläubiger nicht nach Art. 260 abgetreten werden könne. Ebensowenig sei der Rekurrent zu dem gestellten Begehren in seiner Eigenschaft als Schuldner der streitigen Forderung legitimiert. Glaube er, daß derjenige, der die Forderung gegen ihn geltend mache, dazu nicht berechtigt sei, so könne er die Zahlung verweigern. Dagegen habe er keinen Anspruch darauf, daß der nach seiner Ansicht wirklich Berechtigte die Forderung geltend mache, d.h. daß die Gesamtheit der Gläubiger oder einzelne unter ihnen sich daraus zu befriedigen suchten.
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B. | |
Gegen diesen Entscheid rekurriert Dr. Dietrich an das Bundesgericht, indem er an seinen früheren Anträgen und Vorbringen festhält und ausführt: die Ansicht der Vorinstanz, daß er Abtretung eines gegen ihn selbst gerichteten Anspruchs verlange, sei irrig. Gegenstand des Abtretungsbegehrens sei nicht die Forderung der Kridarin an ihn, sondern der Anspruch auf Anfechtung der darüber an Sinner ausgestellten Zession. Weshalb dieser Anspruch nicht an ihn sollte abgetreten werden können, sei nicht einzusehen. Die Publikation vom 11. Januar 1913 habe sich nur auf solche Ansprüche beziehen können, die ins Inventar aufgenommen oder den betreffenden Gläubigern sonst bereits bekannt gewesen seien, was beides hier nicht zutreffe.
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Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: | |
Erwägung 1 | |
1. Wie das Bundesgericht schon in dem Entscheide in Sachen Haller vom 16. September 1909 (AS Sep.-Ausg. 12 Nr. 44 Erw. 1 [Fn. *: Ges.-Ausg. 35 I S. 635 f. [= BGE 35 I 634 (635 f.)].]) ausgesprochen hat, sind die Aufsichtsbehörden nicht befugt, die Organe der Konkursmasse zur Geltendmachung eines Anspruchs zu verhalten, auf den sie verzichten wollen. Hält ein Konkursgläubiger den Verzicht für ungerechtfertigt, so kann er Abtretung des Anspruchs an ihn nach Maßgabe des Art. 260 SchKG begehren: ein Recht, die Konkursverwaltung zur Verfolgung desselben namens der Masse zu zwingen, steht ihm nicht zu. Daß vollends der Schuldner einer Forderung nicht berechtigt ist, deren Admassierung zu verlangen, ist von der Vorinstanz bereits zutreffend auseinandergesetzt worden und bedarf keiner weiteren Erörterung. Das mit der Beschwerde gestellte Hauptbegehren, es sei das Konkursamt zur Bestreitung der Zession an Sinner namens der Masse zu verhalten, erweist sich somit ohne weiteres als unbegründet und ist zu verwerfen.
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Erwägung 2 | |
2. Zu prüfen bleibt demnach nur, ob nicht dem Eventualantrage des Rekurrenten auf Ausstellung einer Abtretung nach Art. 260 SchKG entsprochen werden müsse. Auch dies ist zu verneinen. Zwar trifft der Grund, aus dem die Vorinstanz dieses Begehren abgewiesen hat, offenbar nicht zu, da der Rekurrent, wie aus dem Beschwerdeantrage unzweifelhaft hervorgeht, nicht Abtretung der Forderung der Kridarin gegen ihn, sondern des Anspruches gegen Sinner auf Anfechtung der zu dessen Gunsten erfolgten Zession verlangt. Dagegen muß mit der ersten Instanz davon ausgegangen werden, daß der Rekurrent das Recht auf Abtretung nach Art. 260 durch Nichtbeachtung der in der Bekanntmachung des Konkursamtes vom 11. Januar 1913 eingeräumten Frist verwirkt hat. Die Befugnis der Konkursverwaltung, den Gläubigern zur Einreichung von Begehren im Sinne von Art. 260 eine Frist anzusetzen, ist von der Praxis stets anerkannt und nunmehr durch die Konkursverordnung (Art. 48, 49 und 79) ausdrücklich sanktioniert worden. Der Einwand des Rekurrenten, daß damit Verwirkungsfolgen nur insoweit verbunden sein könnten, als der Anspruch ins Inventar aufgenommen gewesen und den betreffenden Konkursgläubigern bekannt gewesen sei, hält nicht Stich. Zweck der Fristansetzung ist es, die Verschleppung des Konkursverfahrens, die sich aus der zeitlich unbegrenzten Zulassung von Abtretungsbegehren ergäbe, zu verhüten. Soll dieser Zweck erreicht werden, so muß die Wirkung der Frist eine absolute sein und kann nichts darauf ankommen, ob die einzelnen Konkursgläubiger von dem Anspruch Kenntnis hatten oder nicht. Es genügt, daß die Konkursverwaltung darum wußte (man es also nicht etwa mit einem nachträglich entdeckten Aktivum zu tun hat) und demnach auch die einzelnen Gläubiger durch Erkundigung bei ihr davon hätten erfahren können. Unterlassen sie es, der ihnen obliegenden Erkundigungspflicht nachzukommen, so müssen sie auch die nachteiligen Folgen ihres Verhaltens auf sich nehmen. Dem Umstande, daß der Anspruch nicht im Konkursinventar figuriert, könnte dabei höchstens dann Bedeutung zukommen, wenn es sich um einen im ordentlichen Verfahren durchgeführten Konkurs handelte, bei dem die Konkursverwaltung, bevor sie auf die Verfolgung eines Anspruchs verzichtet, die Gesamtheit der Gläubiger zu befragen hat. lm summarischen Verfahren, wo die Konkursverwaltung ohne Frage von sich aus auf die Geltendmachung allfälliger Anfechtungsansprüche verzichten kann, braucht sie Ansprüche, die sie für unbegründet hält, auch nicht zu inventarisieren und sind daher die Gläubiger nicht zu der Annahme berechtigt, daß das Inventar alle Rechte aufführe, die möglicherweise der Masse zustehen könnten. Der Versuch des Rekurrenten, die verspätete Stellung des Abtretungsbegehrens mit der Nichtaufnahme des Anspruches in das Inventar zu rechtfertigen, geht daher fehl.
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Demnach hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer erkannt: | |
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