BGE 39 I 633 - Ausländische Urheberrechtsverletzungen | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Philip Lengacher, A. Tschentscher | |||
109. Urteil |
vom 12. November 1913 in Sachen Samler-Brown gegen Künzli. | |
Regeste |
Abgrenzung der Kompetenzen des Kassationshofes. -- Oertliche Anwendbarkeit des BG über das Urheberrecht. -- Es bezieht sich nicht auf im Auslande begangene Urheberrechtsverletzungen. Art. 15 BG; Art. 2 der intern. Uebereinkunft vom 9. September 1886 und Zusatzabkommen vom 4. Mai 1896. | |
Sachverhalt | |
Der Kassationshof hat, nachdem sich aus den Akten ergeben:
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A. | |
A. Samler-Brown hat im Jahre 1903 in London einen Führer durch Madeira, die kanarischen Inseln und die Azoren herausgegeben, welcher verschiedene geographische Karten enthält. Auf Grund einer Bestellung des Joseph Ratschüler, damals in S. Cruz auf Teneriffa, ließ Joseph Künzli, als Vertreter der A. G. Künzli in Zürich, im Sommer 1907, 21,240 Ansichtskarten anfertigen, welche, wie der Kassationskläger behauptet, Nachbildungen verschiedener im Werke Samler-Browns abgedruckter Karten enthalten sollen. Diese Ansichtskarten wurden im Auftrage der Firma Künzli von Emil Pinkau & Cie. in Leipzig gedruckt und da Ratschüler davon nur 5000 annahm, direkt über Hamburg nach Teneriffa gesandt, wo sie durch einen Agenten der Firma Künzli (Richardson) verkauft wurden.
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B. | |
Am 15. September reichte Samler-Brown beim Bezirksgericht Zürich Strafklage gegen Joseph Künzli ein wegen Verletzung seines Urheberrechtes. Durch Beschluß des Regierungsrates von Zürich vom 9. Dezember 1911 wurde die Strafklage sistiert, soweit sie sich auf die Herstellung der Ansichtskarten bezog, dagegen wurde die Untersuchung durchgeführt mit Bezug auf den behaupteten Verkauf. Mit Urteil vom 13. März 1913 wies das Bezirksgericht Zürich die Klage ab. Das Obergericht bestätigte dieses Urteil am 20. Mai 1913, wesentlich davon ausgehend, daß das Bundesgesetz vom 23. April 1883 sich nur auf die in der Schweiz begangenen Verletzungen des Urheberrechtes beziehe. Da es feststehe, daß der Verkauf der von Ratschüler nicht angenommenen Karten auf den kanarischen Inseln erfolgt sei, so sei Joseph Künzli dafür in der Schweiz nicht strafbar. Daß in der Schweiz Handlungen vorgekommen seien, die das Urheberrecht des Privatklägers verletzten, verneint die kantonale Instanz: als solche wäre auch nicht der vom Privatkläger behauptete Auftrag des Verkaufes an Richardson von Zürich aus zu betrachten, denn, auch wenn diese Handlung bewiesen wäre, so wäre sie als bloße Vorbereitungshandlung straflos. Es sei übrigens anzunehmen, daß der Verkaufsauftrag an Richardson nicht von Zürich aus erfolgt sei. Die vom Privatkläger verlangte Aktenvervollständigung zum Beweise dafür, daß dieser Auftrag von Zürich ausgegangen sei, sei auch aus prozessualen Gründen unzulässig.
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C. | |
Gegen dieses Urteil hat Samler-Brown Kassationsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag auf Aufhebung, eventuell auf Rückweisung der Akten an die kantonalen Instanzen zur Ergänzung der Untersuchung in dem vor diesen beantragten Sinne. Er führt aus: Künzli habe schon dadurch das Urheberrecht des Privatklägers in grob-fahrlässiger Weise verletzt, daß er den Auftrag zur Herstellung der Ansichtskarten angenommen habe, ohne sich darüber zu vergewissern, ob Ratschüler berechtigt sei, einen solchen Auftrag zu erteilen. Der Vervielfältigungsauftrag an die Firma Pinkau & Cie. in Leipzig sei in Zürich geschrieben worden, wo demnach auch das Vergehen der Verletzung des Urheberrechtes durch die Herstellung begangen worden sei. Deshalb sei auch die Verfügung des Regierungsrates vom 9. Dezember 1911 anfechtbar. Selbst aber wenn man die Verfolgung des Angeklagten auf den Verkauf beschränken wolle, so sei das Urteil unhaltbar. Nach Art. 15 des BG im Zusammenhang mit Art. 2 der Berner Übereinkunft vom 9. September 1886, modifiziert durch das Zusatzabkommen vom 4. Mai 1896, sei Künzli auch strafbar wegen der von ihm begangenen Verletzung des Autorrechtes. Übrigens sei dieses Delikt auch in Zürich begangen worden, denn dieser Ort sei wenigstens in dem Sinne als Begehungsort zu betrachten, als von Zürich aus nach Teneriffa der Auftrag zum Vertriebe der Karten gegeben worden sei.
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D. | |
Der Kassationsbeklagte beantragt, es sei die Kassationsbeschwerde als unbegründet abzuweisen;
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in Erwägung: | |
Erwägung 1 | |
1. Auf das Begehren um Rückweisung der Akten zur Ergänzung der Untersuchung kann nicht eingetreten werden, weil der Kassationshof des Bundesgerichtes nicht in der Sache selbst entscheidende Behörde, sondern lediglich Kassationsinstanz ist: er hat vom Tatbestande auszugehen, der dem kantonalen Urteile zu Grunde lag (AS 25 I 284 [= BGE 25 I 280 (284)], 31 I 131 [= BGE 31 I 127 (131)]). Zudem hat das Obergericht des Kantons Zürich das Begehren um Vervollständigung der Akten aus formellen Gründen abgewiesen und es entzieht sich dem Kassationshof die Frage, ob der Entscheid in dieser Beziehung mit dem kantonalen Strafverfahren vereinbar sei. Dasselbe gilt hinsichtlich des regierungsrätlichen Beschlusses vom 9. Dezember 1911, womit die Untersuchung auf den Verkauf der Ansichtskarten beschränkt worden ist. Dieser Beschluß der kantonalen Überweisungsbehörde ist an das Bundesgericht nicht weitergezogen worden (Art. 160 und 162 OG, § 1070 Nr. 2 des zürch. Rechtspflegegesetzes, AS 29 I S. 346 [= BGE 29 I 344 (346)]) und demnach in Rechtskraft erwachsen. Hiernach fallen ohne weiteres alle auf die Herstellung der Ansichtskarten bezüglichen Beschwerdepunkte dahin.
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Erwägung 2 | |
2. Zu beurteilen bleibt danach einzig die Frage, ob das angefochtene Urteil eine Vorschrift des eidgenössischen Rechtes dadurch verletze, daß es die Anwendung des BG vom 23. April 1883 auf den Verkauf der Ansichtskarten auf den kanarischen Inseln ausgeschlossen hat. Die Frage ist zu verneinen. Die im Auslande begangene Urheberrechtsverletzung ist als eine Verletzung des dort geltenden Autorrechtes zu betrachten (Kohler, Urheberrecht an Schriftwerken, § 74 S. 393): sie könnte in der Schweiz nur dann verfolgt werden, wenn bei Verletzungen des Urheberrechtes das im Strafrecht allgemein geltende Territorialprinzip durch eine positive Gesetzesvorschrift entkräftet wäre. Solche Bestimmungen sind im BG nicht enthalten: namentlich kann eine Ausnahme von diesem Prinzip nicht aus Art. 15 abgeleitet werden. Wie die kantonale Instanz mit Recht bemerkt, ist diese Bestimmung bloß prozessualer Natur: sie betrifft nur die Frage des Forums, vor welchem die Strafklage anhängig gemacht werden kann, sie ist nicht eine materiellrechtliche Norm des Inhaltes, daß das Gesetz auch anwendbar sei auf Verletzungen des Urheberrechtes, die von Schweizern im Auslande begangen werden. Daran hat auch Art. 2 der internationalen Übereinkunft vom 9. September 1886 (modifiziert durch das Zusatzabkommen vom 5. Mai 1896) nichts geändert. Durch diese Vorschrift wird die Gleichstellung der zum Verbande gehörenden mit den einheimischen Autoren in dem Sinne erzielt, daß die Werke jener denselben Schutz genießen, den die "betreffenden Gesetze den inländischen Urhebern gegenwärtig einräumen oder in Zukunft einräumen werden". Mit der Frage aber, ob das inländische Gesetz auch auf auswärts begangene Delikte Anwendung finde, haben diese internationalen Übereinkünfte überhaupt nichts zu tun (siehe Berner Übereinkunft und die Zusatzabkommen, S. 23);
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