BGE 45 I 28 - Besteuerung Militärsold | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
3. Urteil |
vom 1. März 1919 i.S. Chavannes gegen Bern. | |
Regeste |
Unzuständigkeit des Bundesgerichtes zur Beurteilung einer Beschwerde wegen Verletzung eines bundesrechtlichen Verbotes der Besteuerung des Militärsoldes. |
Willkürliche Besteuerung des Soldes, den ein Beamter der Generalstabsabteilung des schweizerischen Militärdepartementes während der Mobilmachung als Generalstabsoffizier beim Armeestabe bezogen hat. | |
Sachverhalt: | |
A. | |
Der Rekurrent Eugen Robert Chavannes ist Beamter des schweizerischen Militärdepartementes und war bis zum Kriege in Bern als Sektionschef der Generalstabsabteilung tätig. Bei der Kriegsmobilmachung im August 1914 wurde er zur Armee aufgeboten und leistete von da an, insbesondere auch im Jahre 1917, beständig aktiven Militärdienst als Chef des Transportdienstes des Armeestabes. Da er hiefür den vorgeschriebenen Sold erhielt, so wurde ihm für das erwähnte Jahr von seinem Beamtengehalt 85% abgezogen und demnach davon nur 1042 Fr. 95 Cts. ausbezahlt. Die bernische kantonale Rekurskommission setzte aber nichtsdestoweniger sein steuerpflichtiges Einkommen I. Klasse für das Jahr 1917 auf 5800 Fr. fest, indem sie davon ausging, dass auch der Sold solches Einkommen bilde. Der Rekurrent beschwerte sich hierüber beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern; dieses wies aber die Beschwerde durch Entscheid vom. 28. Oktober 1918 mit folgender Begründung ab: § 2 des Einkommensteuergesetzes vom 18. März 1865 ("Der Einkommensteuer ist unterworfen jedes Einkommen, welches von einem wissenschaftlichen oder künstlerischen Berufe oder einem Handwerke herrührt, sowie auch jede Beamtung oder Anstellung, mit welcher ein pekuniärer Vorteil verbunden ist, ..... ferner jede Art von Industrie, Handel und Gewerbe.") schliesse nicht grundsätzlich jede Besteuerung des Militärsoldes aus. Die Bestimmung beziehe sich auch auf Dienstverhältnisse des öffentlichen Rechtes ohne Rücksicht darauf, ob die staatliche Gegenleistung sich nach Jahren oder Tagen berechne. Das Gesetz mache auch keinen Unterschied, je nachdem das Verhältnis auf Freiwilligkeit oder Zwang beruhe. Der Rekurrent habe während der Mobilisation eine Amtsstelle der Kriegsverwaltung bekleidet. Wenn auch die für den Kriegsfall vorgesehene, erweiterte Verwaltungsorganisation zum Teil aus den Dienstzweigen der Armee bestehe und dem Armeekommando unterstellt sei, so handle es sich dabei trotzdem um ein Stück der Militärverwaltung. Ob deren Beamten die Uniform tragen und den Militärgesetzen unterstellt seien oder nicht, ändere hieran nichts. Der Sold könne allerdings nicht ohne weiteres als Einkommen aus einer wirtschaftlichen Tätigkeit angesehen werden. Er diene teilweise zum Ersatz von Auslagen, die der Dienst verursache, und im übrigen werde er meist durch die wirtschaftliche Störung, die der Militärdienst mit sich bringe, aufgewogen. Bisher habe man ihn daher nicht als Einkommen besteuert. Immerhin sei das Entgelt für berufsmässige Leistung des Militärdienstes als steuerpflichtiges Einkommen zu betrachten, soweit es nicht Ersatz für Dienstaufwand sei, und zu solcher berufsmässigen Ausübung des Dienstes gehöre auch der auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht "in der Front" geleistete Militärdienst eines Berufsoffiziers. Eine Störung der Berufsausübung komme hiebei nicht in Frage. Für die Frage der Rechtsgleichheit und das Billigkeitsgefühl sei es nicht gleichgültig, ob die mit Rücksicht auf den Sold gemachten GehaItsabzüge sich nur auf einen Ablösungsdienst von 1 bis 3 Monaten beziehen oder auf einen Jahresdienst und damit sozusagen Steuerfreiheit zur Folge haben. Insbesondere bildete es eine Rechtsungleichheit, wenn die an ihrem Wohnort dienstIeistenden Offiziere, wie der Rekurrent, infolge des höhern Gehaltsabzuges eine grössere Steuerfreiheit genössen als diejenigen, die an der Grenze ihre Dienstpflicht erfüllen. Die bundesrätliche Verordnung über die Gehaltsabzüge "kompensiere" lediglich den Teil des Militärsoldes, der nicht für den Dienstaufwand bestimmt sei, mit dem Gehalt. Dieser Soldteil sei daher als Einkommen an die Stelle des Gehaltes getreten. Eine bestimmte Vorschrift der eidgenössischen Steuergesetzgebung werde durch die Besteuerung des Soldes nicht verletzt.
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B. | |
Gegen diesen ihm am 11. November 1918 zugestellten Entscheid hat Chavannes am 6. Januar 1919 die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage auf Aufhebung.
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Er macht geltend, dass eine Verletzung der Rechtsgleichheit vorliege, und führt zur Begründung aus: In ihren Entscheidungen vom 22. Oktober 1917 (1916?), 11. April 1917 und 2. März 1918 i. S. Blaser und vom 15. Januar 1916 i. S. Riva habe die kantonale Rekurskommission ausgeführt, dass der Sold nicht als Berufseinkommen besteuert werden könne. Die Unterscheidung, die das Verwaltungsgericht zwischen dem Sold für berufsmässigen und nicht berufsmässigen Militärdienst mache, sei unzulässig. Art. 13 BV kenne einen beruflichen Militärdienst gar nicht. Der Rekurrent habe die Leistung des aktiven Militärdienstes nicht freiwillig und damit berufsmässig übernommen. Da das Verwaltungsgericht selbst davon ausgehe, dass der Sold grundsätzlich nicht steuerpflichtiges Einkommen bilden könne, so liege in der vorliegenden Besteuerung eine Verletzung der Rechtsgleichheit. Dass der Sold sich nicht als Berufseinkommen darstelle, gehe indirekt auch aus Art. 92 Ziff. 6 SchKG hervor, da aus der Unpfändbarkeit auf die Unzulässigkeit der Besteuerung zu schliessen sei. Indem das Verwaltungsgericht die frühere Amtstätigkeit des Rekurrenten seiner Dienstleistung während der Mobilisation gleichstelle, verkenne es völlig die Natur dieses Dienstes. Der Sold sei rechtlich ganz verschieden vom Beamtengehalt. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit erfordere es gerade, dass nicht ein Unterschied gemacht werde, je nachdem es sich um längern oder kürzern Dienst handle. Der Rekurrent verweist auf ein Gutachten des Obersten Borel, das zum Schlusse gelangt, die Besteuerung des Soldes stehe im Widerspruch mit Sinn und Geist der Bundesgesetzgebung und sei auch nach dem bernischen Einkommensteuergesetz nicht zulässig.
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C. | |
Das Verwaltungsgericht beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
1. Die vorliegende Beschwerde lässt sich nicht auf die Behauptung stützen, dass durch den angefochtenen Entscheid Bundesrecht -- abgesehen von Art. 4 BV -- verletzt werde. Der in Art. 13 BV aufgestellte Satz, dass der Bund keine stehenden Truppen halten dürfe, gewährt dem Bürger kein Individualrecht, gegen dessen Verletzung beim Bundesgericht Schutz gesucht werden könnte, und der Rekurrent will denn auch offenbar nicht geltend machen, dass diese Verfassungsbestimmung verletzt sei, sondern beruft sich darauf nur, um darzutun, dass es einen berufsmässigen Militärdienst in der Schweiz nicht gebe. Ebenso kann von einer Verletzung des Art. 92 Ziff. 6 SchKG keine Rede sein, da es sich ja nicht um eine Pfändung des Soldes handelt. Dagegen könnte es sich allerdings fragen, ob diese Gesetzesbestimmung sich nicht als Anwendungsfall eines ungeschriebenen Grundsatzes der Bundesgesetzgebung darstelle, wonach dem Wehrmann der Sold von keiner Seite zwangsweise ganz oder zum Teil entzogen werden dürfte. Allein wenn ein solcher bundesrechtlicher Satz bestünde -- was hier dahingestellt sein mag --, so müsste ein daraus hergeleitetes Verbot der Besteuerung des Soldes nach der Anlage der Bundesgesetzgebung als unausgesprochene Vorschrift der Militärorganisation vom 12. April 1907 gelten, weil dieses Gesetz in Art. 11 den Grundsatz der Besoldung des Wehrmannes aufstellt und insbesondere auch in Art. 164 und 165 Bestimmungen über Steuer- und Gebührenfreiheit zu Gunsten der Truppen und der MilitäranstaIten enthält. Soweit der Rekurrent geltend machen will, dass die Besteuerung seines Soldes einen speziellen Satz des Bundesrechtes verletze, hat man es daher in der Hauptsache mit einer Beschwerde wegen Verletzung des Militärorganisationsgesetzes zu tun, und zur Beurteilung eines solchen Rekurses ist nicht das Bundesgericht, sondern nur der Bundesrat nach Art. 189 Abs. 2 OG zuständig. Es ist daher lediglich noch zu prüfen, ob eine mit Art. 4 BV unvereinbare Auslegung und Anwendung des kantonalen Steuergesetzes vorliege.
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Erwägung 2 | |
2. Mit dem Vorwurf der Verletzung der Rechtsgleichheit will der Rekurrent nicht geltend machen, dass das Verwaltungsgericht in andern Fällen bei wesentlich gleicher Sachlage anders entschieden habe. Er verweist zwar auf Entscheidungen der kantonalen Rekurskommission, die nach seiner Auffassung im Widerspruch mit dem angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts stehen; aber er macht aus diesem Widerspruch mit Recht keinen Beschwerdegrund; weil die Praxis der kantonalen Rekurskommission in der Auslegung der Steuergesetzgebung für das Verwaltungsgericht in keiner Weise verbindlich sein kann. Der Rekurrent erblickt wesentlich darin eine ungleiche Behandlung, dass das Verwaltungsgericht selbst den Standpunkt einnimmt, der Sold falle regelmässig nicht unter den Begriff des steuerpflichtigen Einkommens nach § 2 Ziff. 1, des Einkommensteuergesetzes, und ihn daher im allgemeinen als steuerfrei bezeichnet, seinen Sold aber der Besteuerung unterwirft. Hiebei handelt es sich jedoch nicht so sehr um die Geltendmachung einer Verletzung der Rechtsgleichheit im engern Sinne, als vielmehr um den Vorwurf, dass der Entscheid an einem unlöslichen Widerspruch kranke, also, genau genommen, um eine Anfechtung wegen Willkür.
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Es fragt sich somit, ob die besondere Behandlung des Soldes des Rekurrenten sich durch keinen haltbaren Grund rechtfertigen lasse und die regelmässige Steuerfreiheit des Soldes daher mit zwingender Notwendigkeit auch für den Rekurrenten gelten müsse. Das Verwaltungsgericht stützt die Besteuerung hauptsächlich auf die Erwägung, dass der Rekurrent seinen Dienst berufsmässig als Beamter der Kriegsverwaltung geleistet habe und sein Sold daher einem Beamtengehalt gleichzustellen sei. Allein dieser Grund erweist sich als vollständig unhaltbar. Der Rekurrent ist allerdings als Sektionschef der Generalstabsabteilung des schweizerischen Militärdepartementes eidgenössischer Beamter, da die Verwaltung dieses Departementes zur allgemeinen Bundesverwaltung gehört. Aber mit der Kriegsmobilmachung hat er die Ausübung seines Amtes aufgegeben; er ist durch das Aufgebot zum aktiven Dienste der Heeresleitung unterstellt worden und seither als Chef des Transportdienstes des Armeestabes nicht mehr unter der Leitung des Bundesrates als oberster Verwaltungsbehörde, sondern gleich wie jeder andere nach Art. 198 MO aufgebotene Wehrmann unter derjenigen des Oberbefehlshabers tätig gewesen. Das Rechtsverhältnis, das zwischen dem Rekurrenten und der Bundesverwaltung bestanden hatte, hat einen völlig verschiedenen Charakter angenommen, da sich im Falle der Mobilisierung der Truppen die Heeresverwaltung von der bürgerlichen Verwaltung unter den in Art. 198 und 204 Abs. 2 MO aufgestellten, den rein militärischen Charakter des Dienstes nicht berührenden Beschränkungen vollständig ablöst. Der Begriff der beruflichen oder amtlichen Tätigkeit lässt sich auf dieses neue Rechtsverhältnis schlechterdings nicht mehr anwenden, und der dem Rekurrenten auf Grund dieser Tätigkeit bezahlte Sold kann demnach unmöglich als Amtsgehalt aufgefasst werden. Der Umstand, dass äusserlich der Rekurrent seine bisherige Berufsmethode in gleicher Weise fortgesetzt hat, indem er fortfuhr, in seinem Amtsbureau wie bisher zu arbeiten und in seiner Wohnung zu essen und zu schlafen, konnte die vollständige rechtliche Änderung in der Natur seiner Tätigkeit offenbar nicht hindern und ist daher hier ganz unerheblich. Das Verwaltungsgericht macht selbst grundsätzlich für die Frage der Besteuerung des Soldes keinen Unterschied, je nachdem der Wehrmann im Dienste die gleiche Arbeit, wie in seinem Berufe -- z.B. als Justizoffizier, Ingenieur, Arzt, Rechnungsführer, Bureauarbeiter, Zimmermann, Schuster, Schneider, Metzger, Bäcker, Koch, Hufschmid usw. -- verrichtet oder nicht; es kann daher auch in dieser Hinsicht die zum Heeresdienst aufgebotenen Beamten der Militärverwaltung nicht anders behandeln als die übrigen Wehrmänner. Wenn sich sodann das Verwaltungsgericht weiter darauf stützen will, dass der Rekurrent seit der Mobilmachung eine Stelle bei der Kriegsverwaltung bekleidet habe und insofern Beamter geblieben sei, so hält dieses Argument vor einer ernsthaften Prüfung ebenfalls nicht stand. Allerdings geht die Militärverwaltung mit einem grössern Truppenaufgebot für den aktiven Dienst und der Wahl eines Generals ganz oder teilweise an die Heeresleitung über, und auch sonst erfordert die Leitung, die Unterhaltung und Ausrüstung der Truppen die Einrichtung gewisser Verwaltungsorgane und -zweige beim Heere. Allein diese bei der Armee für deren Bedürfnisse bestehende besondere Verwaltung lässt sich nicht mit der bürgerlichen in dem Sinne auf eine Linie stellen, dass ihre Organe gleich wie diejenigen der ordentlichen Staatsverwaltung als Beamte behandelt werden. Während in der Übertragung eines ordentlichen Amtes eine dem privatrechtlichen Auftrag oder Dienstvertrag analoge Handlung liegt, deren Gültigkeit -- von seltenen etwa für Ehrenämter gemachten Ausnahmen abgesehen -- das Einverständnis der mit dem Amte zu betrauenden Person voraussetzt, bildet das auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht ergehende Aufgebot zum Dienst im Heere einen militärischen Befehl, d.h. einen mit besonderem Zwangscharakter ausgestatteten Auftrag, dem die davon betroffene Person auch gegen ihren Willen Folge leisten muss. Infolgedessen ist die Rechtsstellung des zwangsweise aufgebotenen Wehrmannes -- auch wenn er zum Verwaltungsdienst bestimmt ist -- ganz verschieden von derjenigen des ordentlichen Beamten, ohne dass dabei die des Militärdienstes irgendwelche Rolle spielte. Dies zeigt sich insbesondere auch darin, dass der Sold des Wehrmannes nicht gleich dem Beamtengehalt als angemessenes Entgelt für die Dienstleistung -- die grundsätzlich die Einsetzung der ganzen Kraft und sogar des Lebens für den Staat erfordert -- aufgefasst werden kann, sondern mehr nur als Entschädigung für die mit dem Dienst verbundenen Auslagen anzusehen ist. Demgemäss lässt sich die Stellung des zwangsweise aufgebotenen Wehrmannes kaum im Sinne des § 2 des bernischen Einkommensteuergesetzes als "Beamtung oder Anstellung, mit der ein peku niärer Vorteil verbunden ist", auffassen. Das Verwaltungsgericht tut dies denn auch grundsätzlich nicht, so dass nicht zu untersuchen ist, ob eine derartige Gesetzesauslegung willkürlich wäre. Es gelangt (im Gegensatz zu den im Tatbestande erwähnten Entscheidungen der kantonalen Rekurskommission) zur Besteuerung des Soldes des Rekurrenten nur dadurch, dass es die Organe der Heeresverwaltung rechtlich den ordentlichen Beamten gleichstellt und von den übrigen Wehrmännern absondert, also über eine offenbare grundsätzliche Verschiedenheit hinweggeht und trennt, was offensichtlich zusammengehört, ganz abgesehen davon, dass sich eine Ausscheidung von Verwaltung und Truppenführung im Heere nach Personen kaum völlig durchführen lässt. Der Entscheid erscheint danach staatsrechtlich als nicht haltbar. Dass sich das Verwaltungsgericht der Unhaltbarkeit des Entscheides bewusst gewesen sei, ist zu dessen Aufhebung auf Grund des Art. 4 BV nicht erforderlich.
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Dispositiv | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |