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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
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46. Urteil |
vom 8. November 1943 i.S. Gemeinschaft der Erben Müller-Haiber gegen Solothurn. | |
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Bedeutung der Eigentumsgarantie, Begriff der Enteignung. |
Wann bilden blosse verwaltungsrechtliche oder polizeiliche Gebote oder Verbote, wodurch der Eigentümer einer Sache in der Verfügung über diese oder in deren Benutzung beschränkt wird, eine Enteignung? Eine solche liegt hier in einem mit dem Bebauungsplan einer Gemeinde verbundenen Verbot, auf einem Grundstück zu bauen, auf dem die Erstellung einer Sportanlage vorgesehen ist. | |
A. | |
Das solothurnische Gesetz über das Bauwesen vom 10. Juni 1906 / 31. Oktober 1926 enthält folgende Vorschriften: ![]() | 1 |
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"Der allgemeine Bebauungsplan bestimmt die Grundzüge für die zukünftige Ausgestaltung der Ortschaft, d.h. für die Quartiere, die Hauptstrassen und die öffentlichen Plätze mit Einschluss der als Bestandteile derselben zu betrachtenden Baum- und Zierpflanzungen."
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§ 10:
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"Der spezielle Bebauungsplan enthält: 1. Die Strassenzüge mit Einschluss der Trottoiranlagen und öffentlichen Plätze in ihrer Richtung, Begrenzung und Höhenlage; die projektierten Kanalisationen, Wasser- und Lichtleitungen können aufgenommen werden unter Vorbehalt ihrer definitiven Feststellung durch Spezialvorlagen; 2. die Baulinien unter Angabe der vorgeschriebenen Bauart (offene oder geschlossene); 3. die Grenzen der durch die projektierten Strassen und Plätze beanspruchten Parzellen." | 5 |
§ 16 Abs. 1:
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"Die Grundeigentümer sind verpflichtet, gegen vollständige Entschädigung das im Bebauungsplane öffentlichen Anlagen, wie Strassen, Wege, Trottoirs und Plätze, bestimmte Land an die Gemeinde abzutreten und das Legen von öffentlichen Dolen, Wasserleitungen und andern im öffentlichen Interesse liegenden Leitungen auf ihrem Grundeigentum zu dulden. Über allfällige Einsprachen entscheidet der Regierungsrat."
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§ 18 Abs. 1 und 2 Satz 1-3:
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"Das im Bebauungsplane zu Strassen, Trottoirs, Plätzen und anderen Anlagen bestimmte Land darf nach Inkrafttreten des Planes (§ 14) nicht mehr überbaut werden. Aus dieser Beschränkung der Baufreiheit steht dem Grundeigentümer ein Entschädigungsanspruch gegenüber der Gemeinde nicht zu. Wenn indessen die betreffende Anlage innert zwanzig Jahren nach Inkrafttreten des allgemeinen Bebauungsplanes bezw. innert zehn Jahren nach Inkrafttreten des speziellen Bebauungsplanes nicht ausgeführt wird, so hat der Eigentümer eines Grundstückes, das zu öffentlichen Zwecken vollständig oder soweit in Anspruch genommen wird, dass der Rest sich ganz oder teilweise nicht mehr zur Bebauung eignet, das Recht, von der Gemeinde die sofortige Übernahme des zur Bebauung nicht mehr verwendbaren Areals zu verlangen. Die Übernahme hat zu erfolgen, sofern die Baubeschränkung dem Grundeigentümer zum Schaden gereicht." | 9 |
B. | |
Die Einwohnergemeinde Solothurn hat für das Quartier Oberfeld-Brühl einen speziellen Bebauungsplan aufgestellt. Dieser sieht die Erstellung einer Sportanlage mit Aschenbahn von 142 a 80 m2 vor, die mit rund 2/3 ihrer Fläche etwa die Hälfte des Grundstücks Nr. 2029 der Rekurrenten, der Erben Müller-Haiber, und mit rund 173 ihrer Fläche ungefähr 1/8 der Nachbargrundstücks Nr. 2028 in Anspruch nehmen würde. Hierüber beschwerten sich die Rekurrenten beim Regierungsrat des Kantons Solothurn; sie beantragten, dass der Plan überhaupt nicht ![]() ![]() | 10 |
Der Regierungsrat beschloss am 24. August 1943:
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"1. Dem von der Einwohnergemeinde Solothurn am 11. Juni 1943 genehmigten speziellen Bebauungsplan Oberfeld-Brühl wird die Genehmigung erteilt. 2. [...] 3. Die Beschwerde der Erbengemeinschaft Müller-Haiber [...] wird abgewiesen [...]" | 12 |
Aus der Begründung des Beschlusses ist folgendes hervorzuheben: Das Baugesetz enthalte keine Bestimmung, die den Gemeinden ausdrücklich die Befugnis geben würde, im Bauplanverfahren Plätze für Turn- und Sportanlagen, Friedhöfe, Schulhäuser und andere öffentliche Gebäude zu beanspruchen und sich dafür das Enteignungsrecht mit der regierungsrätlichen Genehmigung zu sichern. Hiefür sei aber auch eine ausdrückliche Bestimmung nicht durchaus notwendig. Der Wille des Gesetzgebers sei unter Würdigung des Instituts des Bebauungsplanes und seines Zweckes zu erforschen. Dieser Plan solle die Grundzüge für die bauliche Ausgestaltung der Ortschaft enthalten, im Interesse einer zielbewussten Planung insbesondere die Anlagen festlegen, die für die künftige Entwicklung der Ortschaft wichtig seien. Die §§ 9 und 10 des Baugesetzes bildeten lediglich Definitionen, ein allgemeines Programm, aber nicht materielles Recht. Dass darin nichts über Plätze für öffentliche Gebäude und Sportanlagen gesagt werde, schliesse daher nicht ohne weiteres aus, dass der Bebauungsplan solche vorsehen dürfe. Der Wille des Gesetzgebers lasse sich vielmehr tatsächlich den §§ 16 und 18 entnehmen, die sich im dritten Abschnitt über die Anwendung des Bauplanverfahrens befanden und deshalb über die praktischen Auswirkungen der Grundsätze des I. und des II. Abschnittes betreffend den Inhalt und die Einführung des Bebauungsplanes Aufschluss geben sollten. In § 16 solle die Aufzählung der Anlagen nicht abschliessend sein; ohne Zwang könne darunter das Land für Sportanlagen, Turnhallen usw. aufgenommen werden. ![]() ![]() | 13 |
C. | |
Gegen diesen Entscheid haben die Erben Müller-Haiber die staatsrechtliche Beschwerde ergriffen mit dem Antrag:
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"1. Der angefochtene Beschluss sei wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (KV 15) und wegen Willkür (BV 4) als verfassungswidrig aufzuheben. 2. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn sei anzuweisen, den von der Einwohnergemeinde Solothurn vorgelegten speziellen Bebauungsplan Oberfeld-Brühl nur unter der Bedingung zu genehmigen, dass die darin vorgesehene Turn- und Sportanlage daraus entfernt wird." | 15 |
Die Rekurrenten führen zur Begründung aus: Behördliche Eingriffe in das Privateigentum seien nach der Eigentumsgarantie des Art. 15 KV nur dann zulässig, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage bestehe. Beruhe der Eingriff auf willkürlicher Auslegung einer Gesetzesbestimmung, so sei die Eigentumsgarantie verletzt. Für die ordentliche Enteignung seien im Kanton Solothurn die §§ 247 ff. EG. z. ZGB massgebend. Danach bedürfe es hiefür in der Regel eines Beschlusses des Kantonsrates. Ein solcher führe unmittelbar zur Enteignung gegen volle Entschädigung. Das Bauplanverfahren sehe eine ausserordentliche Form der Enteignung vor. Die Gemeinde erhalte durch die Genehmigung des Bebauungsplanes das Recht zur Enteignung des Landes für die geplanten Anlagen, könne aber mit der Enteignung 10 oder 20 Jahre warten und während dieser Zeit sei die Überbauung des ![]() ![]() | 16 |
D. | |
Der Regierungsrat hat die Abweisung der Beschwerde beantragt.
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Die Einwohnergemeinde Solothurn hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. ![]() | 18 |
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
2. Die Auslegung, die der Regierungsrat dem Baugesetz gibt, ist wohl nicht richtig. § 10 bestimmt unzweifelhaft, was der spezielle Bebauungsplan enthalten soll und was darin aufgenommen werden kann. Er ist die grundlegende Bestimmung über den wesentlichen Inhalt des Bebauungsplanes, für den dessen besondere Rechtswirkungen gelten, und nicht bloss ein Programm, an das sich die Behörden nicht zu halten brauchen. Die §§ 16 und 18 haben nicht den Zweck, den genauern Inhalt des Bebauungsplanes anzugeben, sondern gehen davon aus, dass das bereits in § 10 geschehen ist. Freilich können aus den §§ 16 und 18, soweit sie von einem bestimmten PIaninhalt ausgehen, Rückschlüsse darauf gezogen werden, was ![]() ![]() | 21 |
Allerdings ist die Auslegung, die der Regierungsrat dem Baugesetz gibt, nicht geradezu offensichtlich unrichtig oder willkürlich und daher insofern die Eigentumsgarantie nicht verletzt. § 18 des Baugesetzes steht aber mit dieser Auslegung selbst im Widerspruch zur Eigentumsgarantie des ![]() ![]() ![]() ![]() | 22 |
Im vorliegenden Fall schränkt nun das mit dem Bebauungsplan verbundene Verbot, die für die Sportanlage vorgesehene Grundfläche von 142 a 80 m2 zu überbauen, die Benützung des davon betroffenen Grundstücks der Rekurrenten ausserordentlich stark ein; das Mass dieser Beschränkung steht in ganz offensichtlichem Missverhältnis zu demjenigen, das sich im allgemeinen aus einem zu Gunsten von Verkehrsanlagen geltenden, mit Bau- und Strassenlinien verbundenen Bauverbot ergibt. Zudem ist diese besondere Beschränkung eine Ausnahme vom gewöhnlichen Inhalt des Bebauungsplans, die allein dasteht und ausschliesslich zwei Grundstücke, hauptsächlich dasjenige der Rekurrenten trifft, ohne dass dieses aus der geplanten Anlage einen besondern Vorteil ziehen würde. Damit würde den Rekurrenten ein allzu grosses Opfer zu Gunsten der Allgemeinheit zugemutet, sofern sie dafür keine Entschädigung erhielten. Das mit dem speziellen Bebauungsplan verbundene Verbot, auf dem für die Sportanlage vorgesehenen Land der Rekurrenten zu bauen, bildet daher materiell eine Enteignung und ver ![]() ![]() | 23 |
Der angefochtene Entscheid wird somit aufgehoben.
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Dispositiv | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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