BGE 72 I 175 - Gerichtsstand am Wohnsitz | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
33. Urteil |
vom 7. November 1946 i.S. Leoni und Konsorten gegen Deschwanden und Konsorten und Kantonsgerichtspräsident von Nidwalden. | |
Regeste: |
Gerichtsstand: |
1. Gegenüber der Anwendung einer besonderen eidgenössischen Gerichtsstandsnorm (hier Art. 538, Abs. 2 ZGB) kann die Garantie des Gerichtsstandes am Wohnsitz (Art. 59 BV) nicht angerufen werden. |
2. Rügen wegen Verletzung von Art. 538, Abs. 2 ZGB sind mit der Berufung an das Bundesgericht, nicht mit der staatsrechtlichen Beschwerde geltend zu machen (Art. 49 OG). | |
Erwägung 1 | |
1. Die Rekursbeklagten, gesetzliche Erben des am 24. Juni 1944 in Stans verstorbenen Caspar von Matt, haben mit den Rekurrentinnen, als eingesetzten Erben des Verstorbenen, am 20. November 1944 einen Erbteilungsvertrag abgeschlossen. Sie fechten diesen Vertrag mit einer beim Kantonsgericht Nidwalden eingereichten Klageschrift an. Der Präsident des Kantonsgerichts hat die Klageschrift den Rekurrentinnen zur Vernehmlassung zugestellt und gleichzeitig die Edition verschiedener Aktenstücke angeordnet (Verfügungen vom 20. März 1946). Gegen diese Verfügungen richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde mit der Behauptung, es werde durch sie die Garantie des Gerichtsstandes am Wohnsitz im Sinne von Art. 59 BV verletzt.
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Erwägung 2 | |
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Art. 59 BV gilt daher wohl gegenüber richterlichen Verfügungen, für die der Richter seine Zuständigkeit aus der Gerichtshoheit eines Kantons ableitet, nicht aber gegenüber solchen, zu denen er sich auf Grund eines vom Bunde festgesetzten Gerichtsstandes für zuständig hält. In einem derartigen Fall stützt sich der Richter für seine Kompetenz auf ein Stück Gerichtshoheit, das ausnahmsweise vom Bunde in Anspruch genommen und den Kantonen entzogen worden ist, so dass eine Norm, die wie Art. 59 BV dazu bestimmt ist, die Gerichtshoheit der Kantone und fremder Staaten gegenseitig abzugrenzen, darauf nicht anwendbar sein kann.
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Erwägung 3 | |
3. Die Klage ist beim Kantonsgericht Nidwalden eingereicht worden unter Berufung auf Art. 538 Abs. 2 ZGB, der eine Gerichtsstandsbestimmung für Klagen erbrechtlicher Natur enthält. Allerdings ist in Art. 538 Abs. 2 nur vorgeschrieben, dass Klagen auf Ungültigerklärung oder Herabsetzung einer Verfügung des Erblassers, sowie auf Herausgabe oder Teilung der Erbschaft beim Richter des letzten Wohnsitzes des Erblassers anzubringen sind. Doch ist die Aufzählung nicht abschliessend. Andere Klagen erbrechtlicher Natur fallen nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung gleichfalls unter diese Gerichtsstandsnorm (BGE 45 I 307; Kommentare).
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Die angefochtene Verfügung ist ergangen in der Meinung, dass diese Gerichtsstandsnorm auch Klagen auf Anfechtung von Erbteilungsverträgen umfasse, und auf Befragen teilt die zuständige II. Zivilabteilung des Bundesgerichts mit, dass sie solche Klagen ebenfalls als erbrechtliche im Sinne von Art. 538, Abs. 2 ZGB ansehe. Gegenüber der Anwendung einer besondern eidgenössischen Gerichtsstandsnorm aber kann die Garantie des Gerichtsstandes in Art. 59 BV nicht angerufen werden. (vgl. BGE 40 I 496 f.; 41 I 452, Erw. 1; 57 II 548; 63 I 28 ff.; ferner das nicht publizierte Urteil vom 19. November 1945 i.S. Kengelbacher und Konsorten gegen Ötiker und Konsorten).
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Erwägung 4 | |
4. Wenn die Beschwerdeschrift etwa den Sinn haben sollte, dass sich die Rekurrentinnen auch wegen Verletzung des Art. 538 Abs. 2 ZGB beschweren, so wäre auf diese Beschwerde nicht einzutreten. Es würde sich dabei um die Rüge der Verletzung einer bundesrechtlichen Vorschrift über die örtliche Zuständigkeit in einer Zivilrechtsstreitigkeit handeln. Für diese Rüge stände, gemäss Art. 49 OG, die Berufung zur Verfügung, womit die staatsrechtliche Beschwerde, als subsidiäres Rechtsmittel (Art. 84, Abs. 2 OG) ausgeschlossen ist.
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