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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 29. Juni 2000 |
i.S. X. gegen Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK; grundrechtliche Anforderungen an das Haftprüfungsverfahren beim freiheitsentziehenden vorzeitigen Massnahmenvollzug. |
Rechtsnatur des vorzeitigen (vorläufigen) stationären Massnahmenvollzuges. Für den freiheitsentziehenden vorzeitigen Sanktionenvollzug vor Erlass eines rechtskräftigen Strafurteils gelten die grundrechtlichen Verfahrensregeln des strafprozessualen Freiheitsentzuges (E. 3a-b). Anforderungen an die kontradiktorische Ausgestaltung des Haftprüfungsverfahrens (E. 3c-e). |
Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK; zulässige Dauer des vorzeitigen stationären Massnahmenvollzuges. |
Besondere Problematik der Prüfung der zeitlichen Verhältnismässigkeit einer vorläufigen freiheitsentziehenden Massnahme (E. 5). | |
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Am 26. Juli 1999 ersuchte (der seit 9. Februar 1999 in Untersuchungshaft befindliche) X. um Antritt des vorläufigen stationären Massnahmenvollzuges. Mit Verfügung vom 30. Juli 1999 bewilligte die zuständige Verfahrensleiterin des Strafgerichtes Basel-Stadt das Gesuch. Seit 30. August 1999 befindet sich X. im vorläufigen freiheitsentziehenden Massnahmenvollzug in der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel.
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Mit Urteil vom 5. November 1999 sprach das Strafgericht (Dreiergericht) Basel-Stadt X. des mehrfachen (teilweise versuchten) Betruges schuldig und verurteilte ihn zu vier Monaten Gefängnis. Gleichzeitig schob es den Vollzug der Freiheitsstrafe auf und ordnete gegenüber dem Verurteilten eine freiheitsentziehende Massnahme nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB an (Einweisung in eine psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt). Gegen das Strafurteil ist eine Appellation hängig.
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Am 14. April 2000 stellte X. letztmals ein Gesuch um Entlassung aus dem vorläufigen Massnahmenvollzug. Mit Verfügung vom 9. Mai 2000 wies das Strafgericht Basel-Stadt (Statthalterin) das Haftentlassungsgesuch ab. Eine dagegen erhobene kantonale Beschwerde wurde am 26. Mai 2000 vom Appellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt ebenfalls abschlägig entschieden.
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Gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes gelangte X. mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. Juni 2000 an das Bundesgericht. Er rügt eine Verletzung der Bundesverfassung (Art. 8, 10 und 31 BV) bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 5 Ziff. 1 und 4 EMRK; SR 0.101), und er beantragt seine unverzügliche ![]() ![]() | 4 |
Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 3 | |
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b) Soweit der vorzeitige stationäre Massnahmenvollzug zu einer Freiheitsentziehung aus strafprozessualen Gründen führt, sind keine ![]() ![]() | 7 |
Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV hat jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden (vgl. auch Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 9 Ziff. 3 UNO-Pakt II). Art. 31 Abs. 4 BV gewährleistet jeder Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wurde, das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzuges (vgl. auch Art. 5 Ziff. 4 EMRK, Art. 9 Ziff. 4 UNO-Pakt II). Im Gegensatz zum Fall der Anordnung von strafprozessualer Haft (Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK) sehen Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK für die blosse Prüfung eines Haftentlassungsgesuches keine Vorführung vor den Richter bzw. mündliche Anhörung und Haftprüfungsverhandlung ausdrücklich vor (vgl. BGE 125 I 113 E. 2a S. 115).
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c) Dem Haftrichter muss für die Beurteilung der Rechtmässigkeit der Haft eine ausreichende tatsächliche Entscheidungsbasis zur Verfügung stehen. Namentlich muss er prüfen können, ob angesichts der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles ausreichend konkrete Indizien für das Vorliegen von strafprozessualen Haftgründen vorliegen und ob die Haftdauer verhältnismässig erscheint. Nach der übereinstimmenden Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesgerichtes verlangt Art. 5 Ziff. 4 EMRK daher zwar ein Mindestmass an kontradiktorischer Ausgestaltung des Haftprüfungsverfahrens. Weder die EMRK noch die Bundesverfassung verlangen für die richterliche Prüfung von Haftentlassungsgesuchen jedoch eine mündliche Verhandlung bzw. eine persönliche Vorführung und Anhörung des Angeschuldigten durch den Haftrichter. Das rechtliche Gehör des Inhaftierten kann in der Regel auch auf andere Weise ausreichend gewahrt werden, etwa im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens (BGE 125 I 113 E. 2a S. 115 mit Hinweisen; EGMR vom 21. Oktober 1986 i.S. Sanchez-Reisse c. CH, Série A, vol. 107 Ziff. 51 ff.). Dabei räumt die Rechtsprechung dem Angeschuldigten insbesondere den prozessualen Anspruch ein, zu jeder Vernehmlassung der Strafverfolgungsbehörden zu replizieren, unbekümmert darum, ob darin neue Tatsachen vorgebracht ![]() ![]() | 9 |
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Erwägung 4 | |
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Erwägung 5 | |
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a) Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Der Haftrichter darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt. Im Weiteren kann eine Haft die ![]() ![]() | 15 |
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f) Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer geltend, er befinde sich "seit dem 9. Februar 1999, d.h. seit über 16 Monaten" in Haft. Zwar wurde er vom Strafgericht Basel-Stadt "bloss" zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde aber zu Gunsten einer Massnahme nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgeschoben. Auch wenn das Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist, muss der Beschwerdeführer somit ernsthaft damit rechnen, dass die sichernde Massnahme deutlich länger ![]() ![]() | 20 |
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i) Schliesslich lässt sich aufgrund der vorliegenden Akten auch der Vorwurf nicht begründen, die kantonalen Behörden hätten das Strafverfahren nicht ausreichend vorangetrieben. Der blosse Umstand, dass das Strafgericht Basel-Stadt mehr als sechs Monate ![]() ![]() ![]() | 23 |
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