BGE 128 I 237 - Appelation Basel | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) 1P.458/2001 |
vom 12. Juni 2002 | |
Regeste |
Art. 32 Abs. 3 BV; Recht auf Überprüfung eines Strafurteils durch ein übergeordnetes Gericht. |
Diese Vorschrift bedeutet nicht, dass in einem Rechtsmittelverfahren in Strafsachen kein Kostenvorschuss verlangt werden darf (E. 3). | |
Sachverhalt | |
Das Strafdreiergericht Basel-Stadt sprach X. am 3. April 2001 des gewerbsmässigen Betrugs und der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig und verurteilte ihn zu 16 Monaten Gefängnis, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs. X. erklärte gegen dieses Urteil die Appellation. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt forderte den Appellanten mit Verfügung vom 15. Juni 2001 auf, einen Kostenvorschuss von Fr. 800.- bis 9. Juli 2001 zu leisten. X. stellte mit Schreiben vom 19. Juni 2001 das Gesuch, es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und die Verfügung vom 15. Juni 2001 sei aufzuheben. Das Appellationsgericht lehnte das Gesuch am 28. Juni 2001 ab und hielt an der Einforderung des Kostenvorschusses fest, da es die Appellation als aussichtslos betrachtet.
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Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut und hebt den angefochtenen Entscheid wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV auf. Es hält es für angezeigt, gleichwohl noch abzuklären, ob auch Art. 32 Abs. 3 BV verletzt worden sei.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 3 | |
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Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 32 Abs. 3 BV räume jeder verurteilten Person das Recht ein, den erstinstanzlichen Entscheid von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Es werde dabei kein Unterschied gemacht zwischen einem bedürftigen Straftäter und einem, der die Kosten des Verfahrens und des Anwalts tragen könne. Eine derart einschränkende Auslegung des Begriffs der Aussichtslosigkeit, wie sie das Appellationsgericht vornehme, führe "faktisch zu einer Ausheblung der neuen Verfassungsbestimmung".
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Gemäss Art. 32 Abs. 3 BV hat jede verurteilte Person das Recht, das Urteil von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen das Bundesgericht als einzige Instanz urteilt.
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Der Bundesrat führte zu dieser Vorschrift in seiner Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung (BBl 1997 I 187) aus, die Rechtsmittelgarantie ergebe sich bereits aus Art. 2 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK (Prot. Nr. 7 EMRK; SR 0.101.07) und aus Art. 15 (richtig: Art. 14) Abs. 5 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNO-Pakt II; SR 0.103.2). Wer von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt wurde, hat nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Prot. Nr. 7 EMRK das Recht, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen. "Die Ausübung dieses Rechts und die Gründe, aus denen es ausgeübt werden kann, richten sich nach dem Gesetz" (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Prot. Nr. 7 EMRK). Gemäss Art. 14 Abs. 5 UNO-Pakt II hat jeder, der wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist, "das Recht, das Urteil entsprechend dem Gesetz durch ein höheres Gericht nachprüfen zu lassen".
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Aus den zitierten Vorschriften ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts, an ein übergeordnetes Gericht zu gelangen, von den nationalen Gesetzen umschrieben werden (BGE 124 I 92 E. 2a S. 95; 122 I 36 E. 2 S. 38). Das Bundesgericht betonte, den Vertragsstaaten werde bei der Wahl des Rechtsmittels und bei dessen Ausgestaltung ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt (BGE 124 I 92 E. 2a S. 95 mit Hinweis auf die Literatur). Es gelangte in diesem Urteil zum Schluss, es sei mit Art. 2 Abs. 1 Prot. Nr. 7 EMRK und Art. 14 Abs. 5 UNO-Pakt II vereinbar, wenn das zweitinstanzliche Gericht nur die Rechtsfragen frei, die Tat- und Beweisfragen hingegen bloss auf Willkür hin überprüfen könne (BGE 124 I 92 E. 2 S. 94 ff.).
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In der Literatur wird mit Recht erklärt, die grundrechtliche Rechtsweggarantie bedeute nicht, dass der Rechtsschutz kostenlos gewährt werden müsse (HEINRICH KOLLER, Rechtsweggarantie als Grundrecht, in: Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung, 1998, S. 309). Art. 32 Abs. 3 BV besagt lediglich, dass Rechtsmittelinstanzen für die Überprüfung von erstinstanzlichen Strafurteilen zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Ausgestaltung des Rechtsmittels erfolgt durch die Strafprozessordnungen der Kantone. Wohl gibt es Gebiete, auf welchen der Bund prozessrechtliche Bestimmungen erlassen und die Kantone verpflichtet hat, einfache, rasche und für die Parteien grundsätzlich kostenlose Verfahren vorzusehen (so namentlich im Bereich des Sozialversicherungsrechts, vgl. Art. 85 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [SR 831.10], Art. 87 lit. a des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung [SR 832.10], Art. 108 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung [SR 832.20]; ferner im Bereich der Opferhilfe, vgl. Art. 16 Abs. 1 des Opferhilfegesetzes [SR 312.5]). Was die in Art. 32 Abs. 3 BV verankerte Rechtsmittelgarantie in Strafsachen angeht, so ist den Materialien zu dieser Vorschrift klar zu entnehmen, dass der Bund die Kantone nicht verpflichtet hat, ein kostenloses Rechtsmittelverfahren vorzusehen. Es ist deshalb unter dem Gesichtswinkel von Art. 32 Abs. 3 BV nicht zu beanstanden, wenn die Rechtsmittelinstanz aufgrund des kantonalen Prozessrechts - im vorliegenden Fall in Anwendung von § 165 Abs. 1 StPO/BS - einen Appellanten zur Leistung eines Kostenvorschusses verpflichtet. Die Rüge, der angefochtene Entscheid verletze Art. 32 Abs. 3 BV, ist daher unbegründet.
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