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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
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5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. B.X. gegen Steuerverwaltung des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_360/2010 vom 22. November 2011 | |
Regeste |
Art. 15 BV, Art. 14 KV/BE und Art. 9 EMRK; Finanzierung der Pfarrerlöhne durch den Staat. |
Abgabepflichten für religiöse Zwecke sind nach dem Wegfall von Art. 49 Abs. 6 aBV anhand der allgemeinen bei der Glaubens- und Gewissensfreiheit geltenden Kriterien zu beurteilen (E. 2). |
Aufgrund der Allgemeinheit der Steuer kann die Steuerpflicht nicht mit Argumenten bestritten werden, welche die Mittelverwendung durch den Staat betreffen (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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B. Das Bundesgericht weist die von B.X. gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 11. März 2010 erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Art. 15 BV gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Abs. 1); niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören (Abs. 4). Art. 49 Abs. 6 der alten Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) garantierte zudem ausdrücklich, dass niemand gehalten sei, Steuern zu zahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Diese Regel wird heute direkt aus dem Grundsatz von Art. 15 Abs. 1 BV abgeleitet (BGE 128 I 317 E. 2.1 S. 319). Der von der Beschwerdeführerin ebenfalls angerufene Art. 14 KV/BE vermittelt keinen weiterreichenden Schutz als die erwähnten Garantien (vgl. URS BOLZ, in: Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Kälin/Bolz [Hrsg.], 1995, S. 270).
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2.3 Die Beschwerdeführerin übersieht nicht, dass sie nach dieser Praxis keinen Anspruch auf die verlangte Verringerung ihrer Kantonssteuer hat. Sie macht aber geltend, an der bisherigen Praxis ![]() ![]() | 6 |
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Erwägung 3 | |
3.1 Art. 15 Abs. 4 BV verbürgt das Recht, jederzeit aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten. Aus diesem Recht folgt, dass die Wirkungen der Mitgliedschaft mit dem Austritt erlöschen. Kirchensteuern dürfen deshalb für einen Zeitraum, in dem ein Ausgetretener der Kirche nicht mehr angehört hat, nicht erhoben werden (BGE 104 Ia 79 E. 4 S. 86 f.). Streitgegenstand bilden indessen keine Kirchen-, sondern die Kantonssteuern. ![]() | 9 |
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Aufgrund der Allgemeinheit der Steuer spielt bei deren Erhebung die Religionszugehörigkeit keine Rolle. Die Pflicht zu ihrer Bezahlung gründet auf dem allgemeinen Mittelbedarf des Staates und nicht auf der Verfolgung besonderer religiöser Zwecke; ein religiöser Zwang geht deshalb davon grundsätzlich nicht aus. Die Steuerpflicht kann daher von vornherein nicht mit Argumenten bestritten werden, die die Mittelverwendung durch den Staat betreffen; denn bei Letzterer ist die Verbindung zur Mittelbeschaffung beim Steuerpflichtigen derart lose, dass nicht gesagt werden kann, der Einzelne unterstütze mittels seiner Steuern eine bestimmte Religionsgemeinschaft. Nur in diesem Fall wäre seine Glaubens- und Gewissensfreiheit - als subjektives Individualrecht (CAVELTI/KLEY, in: Die schweizerische Bundesverfassung, 2. Aufl. 2008, N. 9 zu Art. 15 BV) - betroffen. Davon kann indessen schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil nach den Berechnungen der Beschwerdeführerin lediglich ein verschwindend kleiner Anteil vom Gesamtbudget (0,813 %) für Kultuszwecke verwendet wird. Auch angesichts der Anzahl Steuerpflichtiger im Kanton Bern kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin in auch nur in Ansätzen feststellbarem Umfang an die finanzielle Unterstützung einer Religionsgemeinschaft beiträgt.
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Auch nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe zu Art. 9 EMRK kann die Zahlung der Steuern nicht unter Berufung auf ![]() ![]() | 12 |
Der schweizerische Gesetzgeber geht ebenfalls davon aus, dass die Pflicht zur Bezahlung von Steuern und Prämien obligatorischer Versicherungen die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht berührt und ihre Erfüllung deshalb nicht unter Berufung auf dieses Grundrecht abgelehnt werden kann (vgl. BGE 88 IV 121 E. 2 S. 122 betreffend die Pflicht zur Bezahlung von Militärpflichtersatz auch durch Armeegegner; Urteil K 57/00 vom 14. November 2000 betreffend die Pflicht zur Bezahlung von Krankenversicherungsprämien).
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3.3 Es ist zwar verständlich, dass die Beschwerdeführerin als Atheistin auch nicht indirekt an die Besoldung der Pfarrer beitragen möchte. Doch ändert der Umstand, dass der Kanton Bern - im Unterschied zu anderen Schweizer Kantonen - die Pfarrer der öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen selber besoldet, nichts daran, dass die Pflicht zur Bezahlung der Kantonssteuern nicht in ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit eingreift. Es spielt unter dem Gesichtswinkel dieses Grundrechts und mit Blick auf den Grundsatz der Allgemeinheit der Steuer keine Rolle, ob der Staat aus den allgemeinen Mitteln die Pfarrer selber besoldet oder er den anerkannten Kirchen entsprechende Beiträge ausrichtet und diese daraus die Löhne ihrer Geistlichen bezahlen. Der Staat richtet auch in anderen Bereichen - etwa in der Form von Stipendien - direkt Beiträge an den Lebensunterhalt von Personen aus, deren Tätigkeit er für förderungswürdig erachtet. Der Steuerpflichtige kann jedoch keine entsprechende ![]() ![]() | 15 |
3.4 Selbst wenn unter den gegebenen Umständen eine Berührung der Glaubens- und Gewissensfreiheit bejaht würde, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Pflicht zur Bezahlung der unverminderten Kantonssteuer erschiene gemäss Art. 36 BV als zulässige Einschränkung dieses Grundrechts. Sie stützt sich unbestrittenermassen auf eine gesetzliche Grundlage im kantonalen Steuergesetz. Das öffentliche Interesse an der Erhebung von Einkommens- und Vermögenssteuern ist offenkundig, ebenso an der staatlichen Unterstützung der anerkannten Landeskirchen (vgl. Art. 123 Abs. 3 KV/BE). Schliesslich wäre auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt, da allenfalls lediglich von einem geringfügigen Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit gesprochen werden könnte. ![]() | 16 |
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