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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Simone Jampen, Susan Emmenegger | |||
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vom 27. Mai 1915 |
i.S. A.-G. für industrielle Finanzierungen, Beklagte, |
und E.-G. Portland und Konsorten, Litisdenunziaten, |
gegen Borner & Cie, Klägerin. |
Vertrag über Ausserbetriebsetzung einer Fabrik zum Zwecke der Ausschaltung der bis dahin durch sie ausgeübten Konkurrenz. Versuch einer Anfechtung dieses Vertrages wegen "wesentlichen Irrtums", weil sich nachträglich ergibt, dass die Fabrik in Wirklichkeit (infolge einer nicht voraussehbaren, nicht zu verhindernden Naturerscheinung) gar nicht konkurrenzfähig gewesen wäre. | |
Sachverhalt | |
A. | |
Die Beklagte, wie auch die Litisdenunziatin No 1, hat sich die Beseitigung und Verhütung ungünstiger Konkurrenzverhältnisse auf dem Gebiete der schweiz. Zementindustrie zum Ziele gesetzt. Zu diesem Zwecke hatte die E.-G. Portland bereits einige Fabriken angekauft und ausser Betrieb gesetzt und die diesen Fabriken zugewiesenen "Kontingente," d.h. Anteile an der von ihr gestatteten Gesamtproduktion, andern Fabriken zukommen lassen, wodurch die von diesen andern Fabriken bis dahin ausgeübte Konkurrenz unschädlich gemacht werden konnte.
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Im Jahre 1913 trat die E.-G. Portland mit der Klägerin behufs Ankaufs und Ausserbetriebsetzung ihrer Fabrik in Wallenstadt in Verhandlungen. Nachdem bereits der Entwurf eines "Verkaufsvertrages" vorgelegen hatte (wobei als Kaufobjekt die "sämtlichen in der Gemeinde Wallenstadt... gelegenen Liegenschaften, Gebäulichkeiten etc." genannt worden waren), kam am 23. Mai 1913 ein "Vetrag" zustande, der folgende hier in Betracht kommenden Bestimmungen enthielt:
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"§ 1. Herr Borner verpflichtet sich für die Dauer von acht Jahren vom Tage des Vertragsabschlusses an, bei Neugründungen weder direkt noch indirekt in der Schweiz an der Fabrikation von Zement oder anderen ![]() ![]() | 3 |
§ 2. Vom 10. Mai a.c. an haben Ing. Borner & Cie ihre Kohlenbezüge und nach Verbrauch der Kohlenvorräte auch ihre Zementfabrikation gänzlich einzustellen...
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§ 3. Als Entgelt für das unter §§ 1 und 2 vorbenannte Konkurrenzverbot verpflichtet sich die E.-G. Portland 2,000,000 Fr. zu bezahlen. Hiervon sind 1,000,000 Fr. sofort nach Eintragung der unter §§ 6 und 7 erwähnten Sicherheiten im Grundprotokoll bar zu bezahlen. Für den Rest übernimmt die E.-G. Portland die Bezahlung der vorhandenen Hypotheken mit mindestens 170,000 Fr. jährlicher Teilzahlung. Ing. Borner & Cie verpflichten sich, vor der Eintragung von den Hypothekargläubigern die Erklärung beizubringen, dass sie die Kapitalien bei einer jährlichen Abzahlung von total 170,000 Fr. nicht kündigen werden. Der Zins auf den durch die E.-G. Portland abzulösenden Hypotheken läuft für sie vom Tage der Eintragung der Sicherheiten an. Ing. Borner & Cie stehen dafür ein, dass die E.-G. Portland ineinander gerechnet höchstens 5% p.a. auf den zu übernehmenden Hypotheken zu entrichten haben wird. Die Verteilung der 170,000 Fr. bleibt Ing. Borner & Cie vorbehalten...
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§ 6. Als Sicherheit für Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen der Firma Ing. Borner & Cie sowie des Ing. Adolf Borner wird zu Gunsten der E.-G. Portland oder einer von ihr zu bezeichnenden Drittperson bis spätestens 3 Monate nach Vertragsabschluss eine Grundpfandverschreibung in der Höhe von 1,000,000 Fr. errichtet. ![]() | 6 |
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Das Kaufsrecht ist spätestens drei Monate nach Vetragsabschluss im Grundbuch einzutragen."
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Am 23. Juni 1913 trat die E.-G. Portland ihre sämtlichen Rechte aus diesem Vertrag an die heutige Beklagte ab.
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Nachdem die in §§ 6 und 7 des Vertrages vorgesehenen "Sicherheiten" im Grundprotokoll eingetragen waren, bezahlte die Beklagte der Klägerin die laut § 3 fällige erste Million. Ausserdem bezahlte sie ihr noch 300,000 Fr., deren die Klägerin bedurfte, um eine ihr unvorhergesehenerweise (infolge Liquidation des gläubigerischen Geldinstituts) gekündigte Hypothek sofort zurückzahlen zu können. Ueber die Art und Weise der Anrechnung dieser 300,000 Fr. enthält die Korrespondenz keine bestimmten Angaben. Die E.-G. Portland verfügte damals infolge vorzeitiger Leistung von Beiträgen ihrer Mitglieder über mehr flüssiges Geld, als sie vorausgesehen ![]() ![]() | 10 |
Anfangs Februar 1914 zeigten sich an den Mauern der Fabrik Risse und am Gehänge hinter der Fabrik Spuren einer Bodenbewegung. Letztere wurde immer stärker, sodass nach der Ansicht der Sachverständigen die vollständige Zerstörung der Fabrik bevorsteht. Ein, zwar nur von der Klägerin eingeholtes, von der Vorinstanz jedoch als massgebend erklärtes geologisches Gutachten des Prof. Heim in Zürich enthält hierüber folgende Feststellungen:
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"Die Bewegung geht weiter. Von Woche zu Woche nimmt sie zu, das Hinausschieben wird stärker und auch in den bisher festen äusseren Teilen stellen sich die Verbiegungen und Zerreissungen ein. Es ist Ihnen schon seit mehreren Wochen zur Gewissheit geworden, dass die Fabrik unrettbar verloren ist und dass es nur noch gilt, unter genauer Kontrolle und mit grösster Umsicht die Maschinen daraus zu retten und abzutragen was noch brauchbar ist... Es handelt sich um eine einheitliche grosse, tiefgehende Bewegung eines Gebirgsstückes von ca. 500 m Breite, im Gefälle des Gehänges gemessen ca. 500 m Höhe, wahrscheinlich wenigstens 50 m Dicke... Wir haben es unzweifelhaft nicht mit einer Schuttbewegung, sondern mit einer Felsbewegung zu tun... Kann etwas gegen die Bewegung getan werden? Ich halte dafür: nein. Es handelt sich hier um einen Naturvorgang in Dimensionen und ![]() ![]() | 12 |
B. | |
Durch Urteil vom 15. Dezember 1914 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich über folgende Streitfragen:
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"1. Beklagte haben den Vertrag vom Mai 1913 und sämtliche sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu halten und anzuerkennen?
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2. Beklagte haben 170,000 Fr. Wert 30. Juni 1914 und gleiche Beträge Wert 30. Juni 1915, 16, 17 und 18 nebst 6% Zins von den Verfalltagen an zu bezahlen? ![]() | 15 |
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erkannt:
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"1. Die Beklagten haben den Vertrag vom 22. Mai 1913 und sämtliche sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu halten und anzuerkennen.
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Sie haben der Klägerin 170,000 Fr. Wert 30. Juni 1914 nebst Verzugszins zu 5% seit 30. Juni 1914, sowie ferner je 170,000 Fr. Wert 30. Juni 1915, 30. Juni 1916, 30. Juni 1917 und den Rest von 20,000 Fr. Wert 30. Juni 1918 zu bezahlen."
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Im übrigen wird auf die Klage nicht eingetreten.
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Insoweit auf die Klage nicht eingetreten wurde, beruht der Entscheid auf prozessualen Gründen.
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C. | |
Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung, mit dem Antrag auf Abweisung der Klage, eventuell Rückweisung der Sache zur Aktenvervollständigung.
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Die Klägerin hat Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils beantragt. Die Litisdenunziaten 1 bis 3 haben das Berufungsbegehren unterstützt.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Ob die Parteien wirklich, wie die Vorinstanz annimmt, lediglich aus "steuerrechtlichen" Gründen den ursprünglich vorgesehenen "Kaufvertrag" durch einen einfachen "Vertrag" mit Einräumung eines "Kaufsrechts" ersetzt haben, oder ob nicht vielmehr die schliesslich gewählte ![]() ![]() | 27 |
Als Kaufobjekt hätte allerdings, ausser der Liegenschaft, bezw. der darauf stehenden Fabrik, auch das sogenannte Kontingent der Klägerin, d.h. das ihr von der Produzentengenossenschaft "E.-G. Portland" zuerkannte Recht auf eine bestimmte Jahresproduktion, in ![]() ![]() ![]() ![]() | 28 |
Erwägung 2 | |
2. Was zunächst die Frage nach dem Vorhandensein eines wesentlichen Irrtums betrifft, so erscheint als "wesentlich" im Sinne des Gesetzes nicht ein jeder Irrtum, der beim Vertragsabschluss eine wesentliche Rolle gespielt hat. Einerseits nämlich ergibt sich aus Art. 24 alt und 28 neu OR, dass auch ein auf absichtlicher Täuschung beruhender Irrtum, durch welchen der Getäuschte "zu dem Vetragsabschlusse verleitet" wurde -- also gewiss ein im gewöhnlichen Sinne des Wortes wesentlicher Irrtum -- nicht schon deshalb als ein "wesentlicher" Irrtum im Sinne des Gesetzes zu betrachten ist; anderseits erklären Art. 21 alt und 24 Abs. 2 neu OR kategorisch einen jeden "Irrtum im Beweggrunde" als "nicht wesentlich". Bei der Bestimmung dessen, was das Gesetz unter einem "wesentlichen" Irrtum verstehe, muss daher von der in Art. 19 Abs. 1 alt und 24 Abs. 1 neu OR enthaltenen Aufzählung ausgegangen werden. Will diese Aufzählung auch nicht limitativ sein -- was sich aus den Worten "insbesondere" und "namentlich" im Ingresse ergibt, -- so zeigt sie doch, dass nur ein solcher Irrtum als "wesentlich" anerkannt werden wollte, der sich auf die von dem einen oder dem andern Kontrahenten gemachte oder versprochene Leistung, sowie auf deren Wert für den irrenden Teil bezog; nicht aber wollte dadurch ein Rechtsgeschäft unverbindlich erklärt werden, bei welchem der eine Kontrahent sich lediglich, wie hier, über den Wert, den die Leistung seines Vertragsgegners für diesen haben mochte, geirrt und infolgedessen bei der Bestimmung des Umfangs seiner Leistung die Lage seines Gegenkontrahenten nicht so ausgenutzt hat, wie es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Ein Irrtum dieser Art, so gross auch der Einfluss sein mag, den ![]() ![]() | 29 |
An diesem Resultate, über dessen Richtigkeit unter der Herrschaft des alten OR keine Zweifel möglich gewesen wären, ändert auch der Umstand nichts, dass bei der Revision vom Jahre 1911 die Ziff. 3 des alten Art. 19 fallen gelassen und an deren Stelle, als Ziff. 4 des neuen Art. 24, eine auf den "Irrtum im Sachverhalt" bezügliche Bestimmung aufgenommen wurde. Gerade die bei diesem Anlass in den eidgenössischen Räten genannten Beispiele (Nat. Rat 1909 S. 475: "Echtheit einer Antiquität oder Unbescholtenheit einer angestellten Person"; Ständerat 1910 S. 163: "Echtheit eines gekauften Schmuckgegenstands, Zahlungsfähigkeit oder Moral des Gegenkontrahenten") lassen deutlich erkennen, dass auch unter dem "bestimmten Sachverhalt" des neuen Art. 24 Ziff. 4 nur solche Verhältnisse verstanden sind, durch welche der Wert einer Leistung für den irrenden Teil beeinflusst wurde, nicht auch solche Verhältnisse, welche lediglich den Wert betreffen, den die Leistung für den andern Teil haben mochte.
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Erwägung 3 | |
3. Hievon abgesehen ist das Vorhandensein eines rechtlich relevanten Irrtums im vorliegenden Falle namentlich auch deshalb zu verneinen, weil nach dem Gutachten des Prof. Heim, das von dem kantonalen Richter als massgebend erklärt worden und daher für das Bundesgericht verbindlich ist, die eingetretenen Felsverschiebungen im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses nicht voraussehbar waren. Ist auch zuzugeben, dass im gewöhnlichen Sprachgebrauch der Ausdruck "Irrtum" sich ebensowohl auf die Unkenntnis oder die falsche Vorstellung von zukünftigen, nicht voraussehbaren Tatsachen, wie auf diejenige von gegenwärtigen, vergangenen oder voraussehbaren beziehen kann, so handelt es sich ![]() ![]() ![]() ![]() | 31 |
Erwägung 4 | |
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Insoweit endlich die Einrede des Betrugs noch speziell damit begründet wurde, dass die Klägerin der Beklagten eine in Wirklichkeit nicht mehr bestehende Konzession für ein Verbindungsgeleise Seemühle-Wallenstadt "mitverkauft" habe, genügt es, zu konstatieren, dass diese Konzession, die übrigens laut Vertrag bloss Gegenstand des der Beklagten in § 7 eingeräumten Kaufrechts ![]() ![]() | 33 |
Erwägung 5 | |
5. Was die Anrechnung der 300,000 Fr. betrifft, welche am 1. Juli 1913 von der Beklagten über die nach Vertrag fällige Million hinaus bezahlt wurden, so ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass die Beklagte für ihre Behauptung, die Zahlung sei auf Rechnung der im Vertrag vorgesehenen jährlichen Teilzahlungen von je 170,000 Fr. gegangen, beweispflichtig gewesen wäre. Nach dem Vertrag waren jene jährlichen Teilzahlungen dazu bestimmt, gemäss den Weisungen des Ing. Borner unter die Hypothekargläubiger der Klägerin verteilt zu werden, wodurch die sonst drohenden Kündigungen seitens der Gläubiger vermieden werden sollten. Wenn also die Beklagte sich etwa einen Monat nach Vertragsabschluss bereit erklärte, über die laut Vertrag fällige Summe hinaus noch die zur sofortigen gänzlichen Ablösung einer einzelnen Hypothek nötigen 300,000 Fr. zu zahlen, so durfte die Klägerin im Zweifel annehmen, dass dies auf die vorgesehenen Annuitäten von 170,000 Fr. ohne Einfluss sein solle. Durch die vorzeitig eingetretene Notwendigkeit der Abzahlung jener 300,000 Fr. wurde ja an der Notwendigkeit, die übrigen Hypotheken mit je 170,000 Fr. per Jahr zu amortisieren, nichts oder nur wenig geändert; die Klägerin aber war, wie die Beklagte wusste, nicht in der Lage, für zwei Jahresraten von je 170,000 Fr. oder wenig darunter von sich aus aufzukommen, zumal nachdem sie entsprechend der im Vertrag übernommenen Verpflichtung den Betrieb ihrer Fabrik eingestellt hatte. Wenn daher die Beklagte behauptet, dass es trotz dieser Sachlage und obgleich sie selber infolge vorzeitiger Einzahlungen seitens einzelner Genossenschafter über mehr flüssiges Geld verfügte, als sie voraus ![]() ![]() | 34 |
Erwägung 6 | |
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Demnach hat das Bundesgericht erkannt: | |
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