BGE 67 II 70 - Vaterschaftsklage | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Simone Jampen, A. Tschentscher | |||
Urteil der II Zivilabteilung |
vom 3. April 1941 |
i. S. Gisler gegen Stoffner. |
Vaterschaftsklage. Verwirkung nach kantonalem Prozessrecht. Ausschluss einer neuen Klage. |
1. Ist eine zur Fortsetzung des Prozesses vorgesehene Frist versäumt und dadurch nach der betreffenden kantonalen Prozessordnung das Klagrecht verwirkt worden, so hat der eingeklagte Anspruch selbst als verwirkt zu gelten. Daraus ergibt sich die Einrede der beurteilten Sache, welche im ganzen Gebiete der Schweiz erhoben werden kann (Erw. 2). |
2. Rechtskräftige Ablehnung einer auf Vermögensleistungen gerichteten Vaterschaftsklage schliesst eine neue Vaterschaftsklage, wenn auch nunmehr auf Zusprechung des Kindes mit Standesfolge, aus (Erw. 3). |
Art. 307, 309, 317 ff., 323 ZGB. | |
Sachverhalt | |
A. | |
Nach der Zivilprozessordnung des Kantons Uri vom 29. März 1928 sind ordentliche Rechtsstreitigkeiten beim Vermittler anzuheben. Dieser hat, wenn kein Vergleich zustande kommt, dem Kläger auf Verlangen den Weisungsschein auszustellen. § 114 Abs. 3 der ZPO bestimmt:
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" Wird ein Weisungsschein nicht verlangt oder binnen sechzig Tagen beim zuständigen Gerichtspräsidenten zur Einleitung der Klage nicht eingereicht, so wird Prozessabstand angenommen."
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Auf Grund dieser Vorschrift wies das Landgericht Uri die vorliegende Vaterschaftsklage vom 7. März 1939 als verspätet zurück, weil eine erste Vermittlungsverhandlung schon am 8. Oktober 1938 stattgefunden und die Klägerschaft den Weisungsschein dann zwar verlangt und am 25. November 1938 auch erhalten, jedoch nicht beim Gericht eingereicht, sondern am 30. Dezember 1938 neuerdings den Vermittler angerufen und erst nach der zweiten Vermittlungsverhandlung vom 7. Januar 1939 das weitere Verfahren eingeschlagen hatte. Allerdings hatte das Klagebegehren 2 beim ersten Mal (aus Irrtum, wie im zweiten Gesuch an den Vermittler gesagt ist) dahin gelautet, das Kind sei der Mutter (statt: dem Vater) mit Standesfolge zuzusprechen, was dann im zweiten Vermittlungsverfahren berichtigt wurde; allein das Landgericht erklärte, die beiden Klagen seien identisch.
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B. | |
Das Obergericht des Kantons Uri bestätigte den Rückweisungsentscheid mit Urteil vom 8. Mai, zugestellt am 15. November 1940. Die Klägerschaft legte dagegen staatsrechtliche Beschwerde sowie Berufung ein. Die staatsrechtliche Beschwerde wurde am 14. Februar 1941 abgewiesen.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
2. Nach der durch Art. 64 der Bundesverfassung getroffenen Abgrenzung der Gesetzgebungsgewalt bleibt in den vom Bundesrecht geordneten Zivilrechtsmaterien kein Raum für kantonale Normen, soweit solche nicht im Bundesgesetz vorbehalten sind. Die Kantone können also für derartige Zivilansprüche keine weitern Erlöschungsgründe und Befristungen neben den bundesrechtlich vorgesehenen aufstellen. Dagegen ist natürlich die Rechtskraftwirkung eines gerichtlichen Urteils zu beachten, je nach der Prozessordnung von Amtes wegen oder nur bei dahingehender Prozesseinrede. Ist einmal Klage erhoben worden und hat sie zu rechtskräftiger Erledigung des Anspruchs geführt, so ist das Klagerecht verbraucht und kann nicht mehr ausgeübt werden; demgemäss lässt sich gegenüber solcher Erledigung auch die allenfalls noch nicht abgelaufene Klage- oder Verjährungsfrist nicht ein zweites Mal benutzen. Und da die Bestimmung des Prozessverfahrens überhaupt den Kantonen zusteht, ist vom Standpunkt des Bundesrechts aus auch dagegen nichts einzuwenden, dass ein Prozessgesetz den Hinfall eines Anspruchs an den blossen Ablauf einer zur Fortsetzung des einmal angehobenen Verfahrens bestimmten First knüpft, gleich als ob der Anspruch vom Richter abgewiesen oder vom Kläger durch Willenserklärung im Prozess (Abstand) aufgegeben worden wäre (BGE 13 S. 202, 18 S. 4, Praxis 1 S. 349, BGE 54 II 136). Dass eine so strenge Verwirkungsfolge der Versäumung einer vom Vorverfahren beim Vermittler an laufenden Frist dazu angetan sei, das materielle Recht zur Geltung kommen zu lassen, was man bei der Revision des urnerischen Zivilprozesses anstrebte, mag bezweifelt werden. Aber wenn eine solche Folge vom Gesetz angedroht und von der kantonalen Rechtssprechung anerkannt ist (was hier nach dem Urteil der staatsrechtlichen Abteilung ohne Willkür geschehen konnte), hat sie als prozessuale Fiktion eines Abstandes des Klägers Bestand und kommt ihr die von der kantonalen Prozessordnung vorgesehene Rechtskraftwirkung zu. Daraus folgt ohne weiteres, dass die am 8. Oktober 1938 vor dem Vermittler verhandelte Vaterschaftsklage auf Grund von § 114 Abs. 2 der urnerischen ZPO nach unbenutztem Ablauf von 60 Tagen als im Sinne eines Abstandes der Klägerschaft erledigt betrachtet und eine hernach eingeleitete gleiche Klage als unzulässig erklärt werden durfte, ohne dass durch diese Entscheidung Art. 308 ZGB verletzt wäre.
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Die kantonalen Gerichte glauben noch um so weniger gegen Bundesrecht zu verstossen, als sie dem fingierten Prozessabstand nur für das Gebiet des Kantons Uri Bedeutung beimessen. Dem ist jedoch nicht beizustimmen. An der Annahme einer Prozessverwirkung, die nur gerade die nochmalige Geltendmachung des Anspruchs auf dem Wege der Klage (nicht auch der Einrede oder Widerklage) vor den Gerichten des nämlichen (und nicht auch eines anderen) Kantons ausschliesse, hat das Bundesgericht allerdings in gewissen Entscheidungen nicht Anstoss genommen (vgl. BGE 51 I 81, 54 II 135). Sie entspricht einigermassen der Lehre, welche das Klagrecht als publizistischen Anspruch gegen den Staat streng vom materiellen Anspruch, auf den sich die Klage bezieht, trennt (vgl. Wach, Handbuch des deutschen Civilprozessrechts 1. Band S. 22 ff.; Hellwig, Anspruch und Klagerecht S. 121 ff.) und insbesondere nicht gelten lässt, dass die Klagbarkeit eine Eigenschaft des materiellen Anspruchs sei (Hellwig a. a. O.). Es ist jedoch eine doktrinäre Überspannung, als Gegenstand des Prozesses nicht den eingeklagten Anspruch, sondern den darauf bezüglichen Rechtsschutzanspruch als solchen anzusehen. Eine solche Auffassung hat denn auch in der deutschen Rechtspraxis nicht Fuss gefasst und sie verdient um so weniger in der Schweiz anerkannt zu werden, wo seit jeher eine einfache und praktische Rechtsauffassung vorgeherrscht hat. Die Versäumung einer prozessualen Frist hat nun entweder nur prozessuale Folgen, entsprechend einer allenfalls zulässigen Zurücknahme der Klage in dem Sinne, dass der Rechtsstreit als nicht hängig geworden gilt, vgl. § 271 der deutschen ZPO und das désistement (d'instance) des französischen Rechts, Art. 402 ff. CPC, ferner die Prozessverwirkung (péremption) nach Art. 397 ff., besonders Art. 401 daselbst; oder sie schliesst nochmalige Klagerhebung aus, was eben rechtskräftige Erledigung des eingeklagten Anspruchs bedeutet. Es geht nicht an, wie dies die Vorinstanzen tun, Verwirkung der Vaterschaftsklage auszusprechen und anderseits zu erklären, der eingeklagt Anspruch werde durch die Verwirkung nicht berührt. Besteht ein seiner Natur nach klagbarer Anspruch weiterhin, so darf das Klagrecht nicht verneint werden und ein sachlich und örtlich zuständiges Gericht die Anhandnahme der Klage nicht verweigern. Und umgekehrt: Wird eine nochmalige Vaterschaftsklage als unstatthaft erklärt, so heisst dies nicht anderes, als dass die Ansprüche aus Vaterschaft erloschen seien. Hier kommt auch nicht in Frage, dass die Klägerschaft den ersten Prozess etwa nur deshalb hätte fallen lassen, weil die urnerischen Gerichte nicht zuständig gewesen wären, was als Verzicht bloss auf den zunächst in Anspruch genommenen Gerichtsstand gelten könnte; vielmehr war die Zuständigkeit der urnerischen Gerichte gar nicht in Zweifel gezogen und wurde ja auch die zweite Klage am selben Ort erhoben.
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Es liegt also rechtskräftige Erledigung der materiellen Ansprüche vor. Die Einrede der abgeurteilten Sache kann natürlich auch in andern Kantonen, wo allenfalls neu geklagt wird, erhoben werden.
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Erwägung 3 | |
3. Die Klägerschaft meint, ihr Statusbegehren habe keinesfalls im ersten Prozess verwirkt werden können, da es damals noch gar nicht gestellt worden sei. Obwohl der damalige Antrag auf Zusprechung des Kindes mit Standesfolge an die Mutter offenbar auf einem Versehen beruhte und bereits die Zusprechung an den Vater gewollt war, mag davon ausgegangen werden, das von der Klägerschaft selbst für ungenügend erachtete Begehren sei dann erst im zweiten Vermittlungsverfahren angebracht worden. Auch bei dieser Betrachtungsweise folgt aber aus der rechtskräftigen Erledigung der ersten Vaterschaftsklage auch der Ausschuss der darauffolgenden Statusklage. Grundlage der Standesfolge wie der Vermögensleistungen ist die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft (Art. 307 ZGB); aus solcher Feststellung allein entspringen die einzelnen Ansprüche nach Art. 309 (317 ff. einer- und 323 anderseits). Ist darum bei rechtzeitig erhobener Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen ein Begehren um Zusprechung mit Standesfolge als Änderung der Klage auch nach Ablauf der Klagefrist noch von Bundesrechts wegen zuzulassen (BGE 52 II 334), so zieht anderseits das rechtskräftige Scheitern einer auf Vermögensleistungen gerichteten Vaterschaftsklage, sei es zufolge gerichtlicher Abweisung, Abstandes oder, wie hier, einem Abstand gleichzuachtender Prozessverwirkung, auch die Unzulässigkeit einer neuen Vaterschaftsklage, diesmal auf Zusprechung mit Standesfolge, nach sich. Die Vaterschaftsklage als solche ist eben verwirkt, weshalb die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft, sei es auch mit andern Folgerungen als im ersten Prozess, nicht mehr verlangt werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
Die Berufung wir abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri vom 8. Mai 1940 bestätigt.
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