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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
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44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 19. März 1946 |
i.S. S., E-S. und L. gegen X. A.-G. | |
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Aktienrecht ; Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen.Ob Aktien einer Holdinggesellschaft, die nicht von ihr selbst, sondern von einer Tochtergesellschaft erworben worden sind, unter das Vertretungsverbot des Art. 669 Abs. 5 OR fallen, beurteilt sich nach dem Grad des zwischen beiden Unternehmen bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses. Wird die Tochtergesellschaft derart von der Muttergesellschaft beherrscht, dass ihr dieser gegenüber keine selbständige WillensbiIdung zukommt, so erscheinen die von der Tochtergesellschaft gehaltenen Aktien virtuell wie solche der Muttergesellschaft. Entsprechend sind sie in deren Generalversammlung vom Stimmrecht ausgeschlossen. Daran vermag eine an sich rechtsgültige fiduziarische Eigentumsübertragung an den Aktien nichts zu ändern, wenn dieser Vorgang nur äusserlich formale Wirkungen zeitigt oder eine künstliche Mehrheitsbildung herbeiführt. | |
Sachverhalt | |
A. | |
Die Beklagte ist eine Holding-Gesellschaft. Sie bezweckt die dauernde Verwaltung von Beteiligungen an Industrieunternehmungen. Es unterstehen ihr zur Zeit vier Tochtergesellschaften, deren drei im Ausland (Oester ![]() ![]() | 1 |
Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten. Sie verfügen über ansehnlichen Aktienbesitz. Zusammen mit der Familie Th. haben sie die überragende Mehrheit inne. Darnach ergeben sich folgende Grossaktionär-Gruppen :
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Gruppe S. (Kläger 1 und 2). Gruppe L. (Kläger 3). Gruppe A. oder Th. | 3 |
B. | |
In den Jahren 1934 bis 1936 kauften einige Tochtergesellschaften nach dem Willen des Verwaltungsrats der Beklagten Trustaktien auf. Es bestand die Absicht, diese Aktien gelegentlich auf die Beklagte zu übertragen und sodann eine Kapitalherabsetzung durchzuführen. Zum gleichen Zwecke wurden die Aktienkäufe im Jahre 1937 fortgesetzt. Schliesslich hatten die Tochtergesellschaften 15000 Aktien der Beklagten in ihren Portefeuilles. Diesen Geschäften stimmte der Verwaltungsrat der Beklagten in seiner Sitzung vom.25. August 1937 zu. In der Folge gingen insgesamt 14 285 Stück der so erworbenen Trustaktien auf die Tochtergesellschaft Y. über. Sie wurden auch später nicht an die Beklagte abgetreten, sodass die vorgesehene Amortisation unterblieb.
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C. | |
Seit dem Jahre 1936 ergaben sich Schwierigkeiten für die Transferierung von Erträgnissen zunächst der ungarischen, dann (seit 1938) auch der österreichischen Tochterunternehmungen. Die Beklagte reichte bei der schweizerischen Verrechnungsstelle ein Gesuch um Bewilligung der Teilnahme am deutsch-schweizerischen Zahlungsverkehr ein. Es blieb vorerst erfolglos. Im Laufe des ![]() ![]() | 5 |
Der Verwaltungsrat der Beklagten befasste sich mit der Situation in einer Sitzung vom 3./5. Februar 1940. Er beschloss, eine schweizerische Mehrheit mittels Verwendung der im Portefeuille der Y. liegenden Trustaktien (als "Nostrobesitz" bezeichnet) zu schaffen. Im einzelnen wurde nach Erwägung verschiedener Möglichkeiten festgelegt, dass grundsätzlich die schweizerische Mehrheit durch die Gruppe Th. (A.) hergestellt werden müsse ; dass aber an deren Stelle und mit deren Rückdeckung ein schweizerisches Bankinstitut (nachstehend B. genannt) die nötigen Stück Aktien von der Y. direkt kaufen solle; dass dieses unter Stundung des Kaufpreises berechtigt bleibe, die Aktien innert bestimmter Frist zum Erwerbs- preis an Y. zurückzuverkaufen; dass das gleiche Recht, anderweitige Sicherung der schweizerischen Majorität vorausgesetzt, der Gruppe Th. zustehe, wenn und soweit sie Aktien von B. übernehme. Gleichzeitig wurde auf eine Amortisation des sogenannten Nostrobesitzes verzichtet und statt dessen die Herabsetzung des Grundkapitals durch die Reduktion des Nominalwertes der Aktien um 60 % in Aussicht genommen.
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In Ausführung dieser Verwaltungsratsbeschlüsse wurden im Frühjahr 1940 Verträge zwischen B. und Y., zwischen B. und A., sowie zwischen Y. und A. abgeschlossen. Sie haben im wesentlichen nachstehenden Inhalt:
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a) Vertrag B./Y.:
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Y. verkauft an B. 7700 Trustaktien zum Preise von Fr. 30.-- per Stück und händigt diese sofort aus. B. erkennt Y. für den Kaufpreis von Fr. 231,000.--, behält die Summe aber auf Sperrkonto als Sicherheit für die der A. gemäss separatem Vertrag überbundene Abnahmeverpflichtung. B. ist berech ![]() ![]() | 9 |
b) Vertrag B./A.:
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A. verpflichtet sich, längstens innert 3 Jahren weniger 10 Tagen seit Vertragsschluss dem B. 7700 Trustaktien zum Stückpreis von Fr. 30.-- abzunehmen und zu bezahlen. B. verpflichtet sich für die gleiche Frist, der A. 7700 Trustaktien zur Verfügung zu halten und gegen Bezahlung von Fr. 30.-- per Stück auszuliefern. Bis dahin fällig werdende Erträgnisse sind der A. an den Abnahmepreis anzurechnen. Kommt die A. innert genannter Frist ihrer Abnahmepflicht nicht nach, so ist B. berechtigt, die Aktien gemäss Vertrag mit der Y. an diese zurückzuverkaufen. Wird vom Rückverkaufsrecht Gebrauch gemacht, so sind fällig gewordene Erträgnisse an die mit A. vereinbarte Kommission anzurechnen.
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c) Vertrag Y./A.:
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A. ist verpflichtet, bei Ablauf von 5 Jahren seit dem 1. März 1940 die auf Grund des Vertrages mit B. von diesem gekauften Trustaktien zum Stückpreis von Fr. 30.-- an Y. zurückzugeben, soweit sie alsdann "nicht mehr aus Transfer- oder anderen Gründen zur Aufrechterhaltung der schweizerischen Majorität... in ihrem Eigentum verbleiben müssen". Wenn und soweit letzteres eintritt, ist für die zurückbehaltenen Stücke der definitive Preis auf Grund des dannzumal gegebenen Aktienwertes durch eine dreigliedrige Experten-Kommission festzusetzen. A. muss den dergestalt bestimmten Preis bezahlen, sofern er Fr. 40 .-- nicht übersteigt. Ist er höher als Fr. 40.--, so hat A. das Recht, alle von B. übernommenen Aktien zum Stückpreis von Fr. 30.-- an Y. zu übertragen.
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Die in den Verträgen stipulierten Fristen von 3 bzw. 5 Jahren wurden später einheitlich auf 8 Jahre verlängert. An die Stelle der im Jahre 1941 aufgelösten Y. trat nachträglich die T.
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Auf Grund der durch die Verträge entstandenen neuen Rechtslage wurden die Forderungen der Beklagten an ihre Tochtergesellschaften schon im März 1940 mit 40 % zum deutsch-schweizerischen Clearing zugelassen. Im Mai 1941 konnte eine Erhöhung der Quote auf 100 % erreicht werden. Die wirtschaftliche Folge war eine erhebliche Steigerung der Einnahmen der Beklagten.
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D. | |
Am 21. September 1944 fand eine ausserordent ![]() ![]() | 16 |
E. | |
Ähnliche Verhältnisse bestanden in der ordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 12. Mai 1945. Die 7700 Aktien von B. waren jetzt durch den Direktor einer anderen Schweizerbank vertreten. Sie wurden wiederum gegen die Opposition der Kläger zu den Abstimmungen zugelassen. Ferner bestätigte die Versammlung den Verwaltungsrat in der bisherigen Zusammensetzung mit 32 341 gegen 26 814 Stimmen.
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F. | |
Innert der in Art. 706 Abs. 4 OR gesetzten Frist fochten die Kläger die genannten Beschlüsse beider Generalversammlungen durch direkte Klagen beim Bundesgericht an.
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Aus den Erwägungen | |
III. Materiell bringen die Kläger vor, die Übertragung der 7700 Nostro-Aktien an B. beruhe auf einem Scheingeschäft oder habe nur fiduziarischen Charakter : eventuell sei die Zulassung der von B. vertretenen Aktien zu den Abstimmungen in den beiden Generalversammlungen in gesetzwidriger Weise, entgegen Treu und Glauben, unter Verletzung berechtigter Interessen der in Minderheit gebliebenen Aktionäre erfolgt. Jeder dieser Standpunkte bedinge die Aufhebung der angefochtenen Generalversammlungsbeschlüsse.
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Erwägung 1 | |
1. Zu prüfen ist vorab die Simulationseinrede. Zwar haben die Kläger selbst beim Abschluss der Verträge ![]() ![]() | 20 |
a) Angesichts der zu Anfang des Jahres 1940 bestehenden Wirtschaftslage, namentlich der Ordnung des zwischenstaatlichen Zahlungsverkehrs, war die Schaffung einer schweizerischen Majorität im Aktienbesitz der Beklagten notwendig. Die Massnahme bildete die unumgängliche Voraussetzung für den Transfer der Erträgnisse ausländischer Tochtergesellschaften. Es ist unbedenklich davon auszugehen, dass die Verträge zwischen Y., B. und A. diesem Zweck dienen sollten und, wie der Transfererfolg zeigt, tatsächlich gedient haben. Mit Rücksicht darauf muss das Vertragswerk als Ganzes ernstlich gewollt gewesen sein. Daher kann es sich bei den Abmachungen ihrem Bestande nach nicht um Scheinverträge handeln... Unerheblich ist, ob dem Verwaltungsrat andere Möglichkeiten für die Schaffung einer schweizerischen Majorität offen gestanden hätten, und ob die fortgesetzte Beibehaltung der Mehrheit geboten ist oder nicht. Einerseits genügt es zu wissen, dass der primär angestrebte Zweck als solcher und die zu seiner Erreichung gewählten Mittel wirklich gewollt waren. Anderseits hat das Bundesgericht die Gültigkeit der beanstandeten Generalversammlungsbeschlüsse auf Grund der Rechtslage zu untersuchen, die zufolge des Vertragswerkes tatsächlich bestand und heute noch besteht. Was schliesslich die Stimmrechtsverhältnisse anbetrifft, so ist hier davon auszugehen, dass B. die 7700 Aktien formell als Käufer erworben hat. Daher war von den Vertragsschliessenden offenbar verstanden, dass mit den Aktien das Stimmrecht auf B. übergehen solle. Den Interessen der Beklagten war es in der Tat nur förderlich, gegenüber der Clearingbehörde eine klare schweizerische Mehrheit nicht bloss im Aktienbesitz, sondern auch stimmrechtlich auszuweisen. War also letzteres eine mitbeabsichtigte ![]() ![]() | 21 |
22 | |
Im Vertrag mit der Y. trat B. als Käufer der Aktien auf. Aus der Gesamtheit der Abmachungen wie aus den wegleitenden Beschlüssen des Verwaltungsrates geht aber hervor, dass B. an Stelle der A. (Gruppe Th.) eingeschaltet wurde, er somit in Wirklichkeit nicht Käufer für eigene Rechnung war. Seine Rechte an den dinglich zu Eigentum erworbenen Aktien sind sowohl zeitlich wie in Hinsicht auf den finanziellen Genuss beschränkt. Denn er muss die Aktien später auf die A. übertragen und sich die Erträgnisse an den Verkaufspreis anrechnen lassen. Umgekehrt hat die A. innert der vertraglichen Frist die Aktien zu übernehmen. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, so kann B. die Aktien an die T. zurückverkaufen, wobei aber der finanzielle Ertrag in der Zwischenzeit wiederum der A. zugutekommt. Das alles deutet auf ein fiduziarisches Verhältnis. B. erscheint als Treuhänder der A. Als solcher wird er denn auch von der Beklagten bezeichnet.
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Diese Regelung entspricht dem Vertragszweck... Der Umstand, dass B. nur fiduziarischer Aktienbesitzer ist, kann daher nicht zur Annahme eines Scheingeschäftes führen. Die Treuhandschaft war offensichtlich gewollt. Sie dokumentiert geradezu die Ernsthaftigkeit der Abmachungen in ihrer inneren Zusammengehörigkeit. Die Verträge stellen in allen wesentlichen Punkten die sinngerechte Ausführung der massgebenden Verwaltungsratsbeschlüsse dar...
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c) Simulation liegt vor, wenn beide Vertragsparteien darüber einig sind, dass die gegenseitigen Erklärungen nicht gelten, sondern nur gegenüber Dritten den Schein ![]() ![]() | 25 |
Erwägung 2 | |
2. Als Käufer der Aktien ist B. deren Eigentümer geworden. Die Treuhandverpflichtung gegenüber der A. vermag daran nichts zu ändern. Sie ist ohne Einfluss auf das von B. erworbene dingliche Recht. Denn nach den Abmachungen besteht nur ein obligatorischer Anspruch der Treugeberin auf Übertragung der Aktien an sie. Und dass in diesem Falle die Erträgnisse an den Kaufpreis angerechnet werden müssen, betrifft die wirtschaftliche, nicht die rechtliche Seite des Eigentums an den Aktien. Dritten, auch der Beklagten gegenüber, kann B. voll über die mit dem Aktieneigentum verbundenen Rechte verfügen. Also ist er an sich auch befugt, das Stimmrecht auszuüben (in diesem Sinne mittelbar gemäss der dem Fiduziar eingeräumten Rechtsstellung BGE 71 II 100 ; vgl. HENSELER, Die Legitimationsübertragung von Aktien nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Gesetzgebung, Berner Diss. 1940, S. 33/34 ; ZINKE, Der Stimmrechtsausschluss des Aktionärs in der Generalversammlung bei Interessenkollision nach schweizerischem und deutschem Recht, Zürcher Diss. 1939, S. 53/54 ; STAUB, Kommentar zum DHGB Anm. 16 zu § 222). Darüber kann zumal nach den Stimmrechtsvorschriften des revidierten schweizerischen Aktienrechts kein Zweifel bestehen. Denn in Art. 691 OR ist die Überlassung von Aktien lediglich zum Zwecke der Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung, die sogenannte Legitimationsabtretung, im Prinzip zulässig erklärt worden. Umsoweniger darf der fiduziarische Aktieneigentümer vom Stimmrecht ausgeschlossen werden. Und selbst wenn diese Eigenschaft B. nicht zukäme, oder wenn ![]() ![]() | 26 |
Erwägung 3 | |
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Die Kläger berufen sich auf Art. 659 OR. Sie machen geltend, die 7700 von B. übernommenen Aktien seien ein Teil jener Titel, welche in den Jahren nach 1934 durch Tochtergesellschaften der Beklagten zum Zwecke der Amortisation zurückgekauft wurden. Die Tochtergesellschaften, namentlich die Y. und die T. seien von der Beklagten vollständig abhängig. In Wirklichkeit habe also sie selbst gehandelt. In Anbetracht des Erwerbszweckes habe die Weiterveräusserung der 7700 Aktien nicht erfolgen dürfen. Diese seien trotz formeller Begebung an B. als gesellschaftseigene Aktien anzusprechen. Die Beklagte verweist demgegenüber auf den selbständigen Charakter ihrer Tochterunternehmungen.
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Nach Art. 659 Abs. 1 OR darf die Aktiengesellschaft eigene Aktien nicht zu Eigentum erwerben. Eine analoge Vorschrift enthielt das alte OR in Art. 628. Sie ist, wie das Bundesgericht schon vor Jahren erklärte, u.a. namentlich auf die Erwägung zurückzuführen, dass aus dem Erwerb eigener Aktien sich "eine unzulässige Beeinflussung der Stimmrechtsverhältnisse in der Generalversammlung durch die Gesellschaftsorgane ergeben" kann (BGE 43 II 298). Während nun das Erwerbsverbot dem Anwendungsgebiete nach eingeschränkt ist, beansprucht der genannte ihm zugrundeliegende Schutzgedanke generelle Geltung. Die Entschlussfreiheit der Generalversammlung muss auch da ![]() ![]() | 29 |
Es frägt sich indessen, ob unter den Begriff der "von der Gesellschaft erworbenen Aktien" auch die Aktien einer Holdinggesellschaft fallen, die nicht von ihr, sondern von einer Tochtergesellschaft erworben worden sind. Dabei braucht nicht untersucht zu werden, ob und wann der Erwerb von Aktien der Muttergesellschaft durch die Tochtergesellschaften überhaupt erlaubt ist. Angefochten ist vorliegend nicht der Aktienerwerb als solcher, sondern die spätere stimmrechtliehe Aktivierung eines Teiles der von den Tochtergesellschaften der Beklagten angekauften Aktien. Nach der sogenannten modifizierten Einheitstheorie (vgl. v.STEIGER, ZSR 1943 S. 273 a ff.) kommt der Tochtergesellschaft juristische Selbständigkeit zu. Also besitzt und vertritt sie die Aktien der Muttergesellschaft als eine von dieser verschiedene Rechtspersönlichkeit. Daraus ergibt sich zunächst, dass solche Aktien in der Generalversammlung der Muttergesellschaft nicht grundsätzlich vom Stimmrecht ausgeschlossen sind. Ob sie aber zugelassen werden können, ist nach den Umständen des konkreten Einzelfalles zu beurteilen. Wegleitend muss der oben umschriebene Zweckgedanke des Art. 659 Abs. 5 OR ![]() ![]() | 30 |
Dieselbe Betrachtungsweise hat sich auch im deutschen Aktienrecht durchgesetzt (über die Entwicklung siehe ZINKE, a.a.O. S. 91 ff.). Nachdem Rechtsprechung und Doktrin lange Zeit das Stimmrecht der gebundenen Aktien grundsätzlich bejaht hatten, brachte das Aktiengesetz von 1937 in diesem Punkte Neuerung. Es bestimmt in § 114 Abs. 6 u.a., dass das Stimmrecht nicht ausgeübt werden darf für Aktien, die einem von der Gesellschaft abhängigen Unternehmen gehören. Die amtliche Begründung und die Kommentare erblicken in der Vorschrift die zwingende Folgerung aus dem Gedanken, der bereits dem ![]() ![]() | 31 |
Für das schweizerische Recht wird die dargelegte Auffassung vertreten von SIEGWART (Aktiengesellschaft, Einleitung N. 181 ff.) und im Ergebnis übereinstimmend auch von anderen Autoren (v. STEIGER, a.a.O. S. 321 a ; ZINKE, a.a.O. S. 62 ff. ; gegenteiliger Meinung SCHUCANY, zu Art. 659 N. 10). Abweichungen zeigen sich hier wie im weiteren Schrifttum hinsichtlich der Formulierung und der Begründung. Verschiedentlich werden wirtschaftliche Überlegungen in den Vordergrund gestellt (ZINKE ; ähnlich JOSS, Konzernrechtsfragen im deutschen und schweizerischen Recht 1936, S. 206). Das Wirtschaftliche in der Frage der Abhängigkeit zweier oder mehrerer Unternehmen ist aber zumeist nur die fassbare Auswirkung der rechtlichen Situation. Und diese muss letztlich massgebend bleiben, wenn festzustellen ist, inwieweit die einheitliche Behandlung von über- und untergeordneten Gesellschaften geboten erscheint (so v.STEIGER, a.a.O. S. 274 a ff.).
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Erwägung 4 | |
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a) Es ist offenkundig, dass die Beklagte ihre Tochtergesellschaften, insbesondere die Y. und die T. vollständig beherrscht hat und noch beherrscht. Das geht einwandfrei aus den Handlungen ihres Verwaltungsrates hervor. Er war es, der in den Jahren 1934-1937 den Rückkauf von Trustaktien durch die Tochtergesellschaften anordnete, und zwar im ausschliesslichen Interesse der Beklagten, nämlich zur Vorbereitung der ursprünglich in Aussicht genommenen Herabsetzung ihres Grundkapitals. Mit der gleichen Machtvollkommenheit verschob der Verwaltungsrat später einen Teil der Aktien von der Y. ins Portefeuille ![]() ![]() | 34 |
Es entspricht diesem Herrschaftsverhältnis, wenn die Beklagte selbst die in den Portefeuilles der Tochtergesellschaften befindlichen Trustaktien als "Nostroaktien" bezeichnet. Gewiss ist damit nicht ihr Eigentum an den Titeln dargetan, wohl aber, dass diese für sie als Werte gelten, die in ihrer freien Verfügungsgewalt stehen. Anders wäre der Verwaltungsrat auch gar nicht in der Lage gewesen, über das Schicksal der formell den Tochtergesellschaften gehörenden Trustaktien nach eigenem Gutfinden zu disponieren. Das Protokoll der Sitzung vom 3./5. Februar 1940 enthält in dieser Hinsicht unmissverständliche Einträge. U.a. ist hier über die Diskussion des Amortisationsprojektes zu lesen : "Es wird zunächst übereinstimmend festgestellt, dass der Nostrobesitz derzeit einen Vorteil darstellt und dass die gänzliche Amortisation des Nostrobesitzes zufolgedessen nicht in Frage kommt." Und diesen "Vorteil" hat der Verwaltungsrat ![]() ![]() | 35 |
Sonach unterliegt es keinem Zweifel, dass die 7700 Trustaktien nur kraft der dominierenden Stellung und des daraus fliessenden unbeschränkten Verfügungsrechts der Beklagten weitergegeben wurden, daher als sogenannte Verwaltungsaktien zu qualifizieren sind.
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aa) Trotz der an sich gültigen Verträge sind die 7700 Trustaktien in engster rechtlicher und wirtschaftlicher Verbindung mit der T. und durch sie mit der Beklagten geblieben. Die Änderung in den Eigentumsverhältnissen ist nur eine äusserlich-formale. Hierin liegt wohl auch der Kern der von den Klägern angebrachten Simulationseinrede. Die Verträge sind nicht simuliert, sondern enthalten den Willen der Beteiligten. Aber das rechtlich Gewollte zeitigt in der Wirkung nicht die Lösung der Aktien aus dem Bannbereich der Beklagten. Das wird sofort klar, wenn man die Abmachungen im Zusammenhang betrachtet und den darin vorgesehenen normalen Ablauf der Dinge ![]() ![]() ![]() ![]() | 38 |
Die dreiseitigen Vereinbarungen laufen also auf eine rein formale Verschiebung der Aktien ohne wirtschaftliche Konsequenzen hinaus. Das Interesse am Kapitalwert der Titel wie die damit verbundenen Gefahren sind restlos bei der T. geblieben. An sie werden die Aktien sozusagen automatisch wieder zurückgehen. Diese haben daher ihren Charakter als trusteigene Aktien nicht verloren. B. besitzt und verwaltet sie letztlich für die T. Er ist, zwar nicht der Form nach aber im Effekt, deren Treuhänder und vertritt deren Interessen, damit implicite diejenigen der Beklagten als der beherrschenden Gesellschaft. Das aber verbietet die Zulassung der von B. gehaltenen Aktien zum Stimmrecht.
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Wie erwähnt betreffen die eben angestellten Überlegungen nur den Normalfall. Sie kennzeichnen aber auch die Situation, die im Zeitpunkt der angefochtenen Beschlüsse bestand und noch immer besteht. Darauf muss bei der Beurteilung abgestellt werden. Ausserdem haben es die Parteien in der Hand, die Verträge zu verlängern bis die Erhaltung einer schweizerischen Mehrheit im Aktienbesitz nicht mehr notwendig ist. Es bleibt daher ungewiss, ob sie von den möglichen Ausnahmebehelfen jemals Gebrauch machen wollen oder müssen. Jedenfalls könnte das ![]() ![]() | 40 |
bb) Zu Anfang 1940 belief sich der in den Portefeuilles der Tochtergesellschaften liegende sogenannte Nostrobesitz der Beklagten auf 16 569 Aktien. Ihm wurden in der Folge die an B. veräusserten 7700 Stück entnommen. Die restlichen Aktien waren im Umlauf und gemäss Präsenzliste der Generalversammhmg vom 21. September 1944 mehrheitlich wie folgt verteilt :
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auf die Gruppen S. und L. mit 26 814 Stück auf die Gruppe Th. (A.) mit 23 481 Stück, auf die Verwaltungsräte (ohne Dr. Th.) mit 160 Stück. | 42 |
Somit entfallen auf nicht vertretenen Splitterbesitz 2976 Stück. In der Generalversammlung vom 12. Mai 1945 waren die Vertretungsverhältnisse nicht wesentlich verschieden.
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Zum Zwecke der Schaffung einer schweizerischen Majorität wurden die 7700 Nostroaktien an B. verkauft. Es geht jedoch aus den Verhandlungen des Verwaltungsrates der Beklagten hervor, dass nach dessen Intentionen die Mehrheitsbildung der Gruppe Th. zugedacht war. Und ihr fiel sie, wenn auch durch die gewollte Vermittlung eines Dritten, tatsächlich zu. Als fiduziarischer Käufer wurde B. zwar Eigentümer der Aktien. Er war daher formell berechtigt, u.a. das mit dem Aktienbesitz verbundene Stimmrecht auszuüben. In Wirklichkeit aber verfügt über seine Stimmkraft die Treugeberin, also die A. bezw. die Gruppe Th. B. ist in seiner risikolosen Treuhänderstellung an den Belangen der Beklagten völlig uninteressiert. Das bewies er selber indem er seine Aktien in der Generalversammlung vom 21. September 1944 durch ein Mitglied des Verwaltungsrates der Beklagten, in der Generalversammlung vom 12. Mai 1945 durch den Direktor einer anderen Bank vertreten liess. Anderseits könnte die A. selbst gegen einen eventuellen Widerstand des B. ihren Willen ohne weiteres durchsetzen. Denn nach den Abmachungen ist ![]() ![]() | 44 |
Mittels der Verträge wurde also die Mehrheitsstellung einer einzelnen Aktionärgruppe herbeigeführt. Das muss als unstatthaft erklärt werden. Andernfalls könnte der Verwaltungsrat durch die formelle Aktivierung gesellschaftseigener Aktien die Stimmverhältnisse ermessensweise reglieren und es wäre der dauernden Vergewaltigung der Generalversammlung offene Bahn gegeben. Das würde allem, was oben über die Bedeutung und die Funktionen dieses obersten Gesellschaftsorgans ausgeführt wurde, widersprechen. Gewiss kann sich in jeder Gesellschaft eine Mehrheit natürlich herausbilden, die dann in der Lage ist, der Minderheit ihren Willen aufzuzwingen. Derart zustandegekommene Beschlüsse sind nur anfechtbar, wenn erwiesenermassen die Mehrheit sich von unsachlichen Motiven leiten liess (BGE 69 II 257). Von diesem Standpunkte aus könnte man die Kläger verhalten, einen entsprechenden Beschluss abzuwarten. Bezüglich der Aufnahme von zwei angesehenen schweizerischen Persönlichkeiten in den Verwaltungsrat dürfte die genannte Voraussetzung kaum zutreffen. Den Klägern liegt aber offensichtlich weniger an der Umstossung der an sich harmlosen Wahlen als daran, die Zulassung der 7700 von B. gehaltenen Aktienstimmen ein für allemal zu verhindern. Hier geht es um das Prinzip. Denn bei Mitwirkung dieser Stimmen sehen sich die Kläger eben nicht vor eine auf natürlichem Wege entstandene, sondern vor eine künstlich gemachte Majorität gestellt. Und Verschiebungen der vorliegenden Art hat sich die Minderheit in der Tat nicht gefallen zu lassen. Sie ist berechtigt, gegen eine so gestal ![]() ![]() | 45 |
Erwägung 5 | |
5. Sonach ist die Rechtslage zusammengefasst die, dass trotz Bestandes der Verträge und ihrer Wirkungen in bezug auf Eigentum oder Besitz der 7700 Aktien deren Stimmrecht zu ruhen hat. Das führt zur Gutheissung der Klagebegehren. Denn die angefochtenen Generalversammlungsbeschlüsse sind erstelltermassen nur durch die Mitwirkung der nicht stimmberechtigten Aktien zustandegekommen, deshalb ungültig. ![]() | 46 |
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