BGE 78 II 243 - Loudon | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Thomas Probst, A. Tschentscher | |||
44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 13. Mai 1952 |
i.S. Loudon gegen Schweiz. Bankverein. | |
Regeste |
2. Verjährung des Rückgabeanspruches aus Hinterlegungs- (hier Bankdepot-) Vertrag ; Art. 475 und 476 in Verbindung mit Art. 130 und 135 OR. a) Dingliche Rechte bleiben unberührt. Solche bestehen aber nicht an dem vom Verwahrer einkassierten und übungsgemäss auf laufende Rechnung gutgeschriebenen Gegenwert eingelöster Wertpapiere. b) Die Gutschriftanzeige des Verwahrers bringt als Schuldanerkennung die Verjährungsunterbrechung. Jedoch vermag eine damit verbundene Verrechnungserklärung an sich (d.h. ohne dahingehende Mitteilung) keine Aufhebung des Depotvertrages und darum auch nicht die Fälligkeit der Rückforderung zu bewirken. c) Dagegen läuft vom Standpunkt des Hinterlegers aus gesehen die Verjährung grundsätzlich vom Tage der Hinterlegung an. | |
Sachverhalt | |
1 | |
A. | |
Die Privatbank Auspitz, Lieben & Co. in Wien (ALCO) hatte beim Schweizerischen Bankverein in Zürich Aktien der Mundus Allgemeine Handels- und Industrie A.-G. Zürich, der Banca Italiana di Sconto, der Motor-Columbus A.-G. für elektrische Unternehmungen und der Ersten Wiener Hotel A.-G. Wien, ferner SBB-Obligationen im Nominalwert von Fr. 12,000.-- hinterlegt. Letztere wurden am 15. April 1937 zur Rückzahlung fällig und mit Fr. 13,597.-- eingelöst.
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In der Folge verweigerte der Bankverein die von ALCO verlangte Herausgabe der Wertpapiere und des Gegenwertes der SBB-Obligationen, indem er ein Retentions- und Verrechnungsrecht für Gegenforderungen geltend machte. Der hierüber in Österreich geführte Prozess ging zu Ungunsten des Bankvereins aus, worauf ALCO ihrerseits, wiederum vor österreichischen Gerichten, die Rückgabe der Hinterlage verlangte und in allen Instanzen durchdrang.
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B. | |
Am 13. April 1944 hatte ALCO ihre Ansprüche gegenüber dem Schweizerischen Bankverein an Fräulein Eva-Maria von Lieben, heutige Frau Loudon, abgetreten. Diese reichte, da sie das Depot nicht frei bekam, im Oktober 1950 gegen den Schweizerischen Bankverein beim Handelsgericht Zürich Klage ein über die Streitfrage :
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"Ist der Beklagte verpflichtet der Klägerin
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1. unbeschwert herauszugeben a) 25 Stück Aktien der Mundus Allgemeine Handels- und Industrie A.-G. Zürich, b) 3 1/8 Stück Aktien der Banca Italiana di Sconto, c) 15 Stück Aktien A der Motor-Columbus A.-G. für elektrische Unternehmungen, d) 20 neue Aktien der Ersten Wiener Hotel A.-G. in Wien, und | 6 |
2. zu bezahlen Fr. 13,597.-- nebst 5 % Zins seit 4. Oktober 1938 ?"
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Die Klägerin behauptete Eigentum an den hinterlegten Wertpapieren und stützte ihren Herausgabe- und Forderungsanspruch zugleich auf Vertragsrecht. Der Beklagte anerkannte das Herausgabebegehren für die unter Ziff. 1 lit. b und d der Streitfrage verzeichneten Titel ; im übrigen erhob er die Einreden der Retention, der Verrechnung und der Verjährung.
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Durch Urteil vom 18. Oktober 1951 nahm das Handelsgericht des Kantons Zürich Vormerk von der teilweisen Klageanerkennung, verpflichtete den Beklagten zur unbeschwerten Herausgabe der restlichen Wertpapiere (gemäss Streitfrage Ziff. 1 lit. a und c) und wies für den Forderungsanspruch die Klage ab.
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C. | |
Beide Parteien legten Berufungen an das Bundesgericht ein, mit denen sie an ihren Anträgen festhielten.
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Erwägungen | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 4 | |
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ALCO hatte sich im Jahre 1931 gegenüber dem Beklagten geweigert, von ihr mitunterzeichnete Wechsel im Gesamtbetrage von USA-$ 51,596.-- einzulösen. Der Prozess hierüber ging in allen Instanzen zugunsten des Beklagten aus, worauf im Laufe des Jahres 1934 die Wechselsumme bezahlt wurde. Jedoch vertrat der Beklagte die Ansicht, er habe wegen des seit Fälligkeit der Wechsel eingetretenen Kurssturzes des Dollars einen Verlust von Fr. 133,787.47 erlitten. Die Schadenersatzklage gegen ALCO (und zwei andere Firmen) wurde vom Handelsgericht Wien am 22. Juni 1938 gutgeheissen, aber vom Oberlandesgericht Wien und zuletzt vom obersten Gerichtshof durch Urteil vom 7. Februar 1939 abgewiesen.
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An der Forderung von Fr. 133,787.47 hielt der Beklagte trotzdem fest. Jedoch hat die Vorinstanz gefunden, dass das Endurteil des obersten österreichischen Gerichtshofes vom 7. Februar 1939 auf Grund des schweizerisch/österreichischen Staatsvertrages vom 15. März 1927 anerkannt werden müsse, weshalb die behaupteten Gegenansprüche als rechtskräftig abgewiesen zu betrachten und die daraus hergeleiteten Einreden zu verwerfen seien.
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Hiegegen richtet sich die Berufung des Beklagten.
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a) Auszugehen ist mit der Vorinstanz davon, dass über die Gegenansprüche des Beklagten das abweisende Urteil des obersten österreichischen Gerichtshofes vorliegt. Die Berufung bezeichnet es als "ausgesprochene Fehl- und Willkürentscheidung, die in krassem Widerspruch zur schweizerischen und österreichischen höchstrichterlichen Judikatur und Literatur steht" und die "ausschliesslich unter dem gerichtsnotorischen nationalsozialistischen Druck gefällt worden" ist. Derartige Einwände sind unbehelflich, ganz abgesehen davon, dass die Urteilsbegründung dafür nicht den mindesten Anhalt bietet. Es kommt allein darauf an, ob das ausländische Urteil, so wie es lautet, in der Schweiz anzuerkennen sei. Hiefür massgebend ist das schweizerisch/österreichische Abkommen vom 15. März 1927 (AS 45 S. 29). Da dessen sonstige Bedingungen erfüllt sind, kann sich einzig fragen, ob sich die Anerkennung mit Rücksicht auf die schweizerische öffentliche Ordnung verbiete (Art. 1 Ziff. 2 des Staatsvertrages). Das alles hat die Vorinstanz, unter Einbeziehung des schweizerisch-deutschen Notenaustausches vom 30. Juni 1941 (AS 57 S. 862) und eines bei den Akten befindlichen Berichtes der Justizabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes vom 10. Oktober 1951, einlässlich dargelegt. Es genügt daher der bestätigende Hinweis auf ihre Ausführungen.
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b) Einen Verstoss gegen die schweizerische öffentliche Ordnung erblickt der Beklagte darin, dass der österreichische Richter statt auf schweizerisches auf amerikanisches Recht abgestellt habe, nämlich auf das amerikanische Gesetz vom 5. Juni 1933 über die Folgen der Abwertung. Einmal setze das Urteil den Dollar vor der Abwertung dem Dollar nach der Abwertung gleich, und gelange dergestalt wider alle Selbstverständlichkeit zur Verneinung eines Schadens. Sodann habe die eingeklagte Ersatzforderung ihren Grund nicht im Wechselrecht, sondern in einer gemeinrechtlichen Vertragsverletzung (Zahlungsverzug), die sich gemäss BGE 44 II 492 ausschliesslich nach Schweizerrecht beurteile. Endlich sei gemäss bundesgerichtlicher Praxis ausländisches Devisenrecht "im weitesten Sinne des Wortes", also auch ausländisches Abwertungsrecht, mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung im Widerspruch und könnte darum vom schweizerischen Richter gar nicht als anwendbar erklärt werden. Daraus folge zwangsläufig, dass im Auslande auf Grund solcher Devisenbestimmungen ergangene Urteile in der Schweiz der Anerkennung nicht fähig seien.
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Das Urteil vom 7. Februar 1939 fusst auf den für den obersten Gerichtshof in Wien wegleitenden Regeln des österreichisch/deutschen internationalen Privatrechts. Es wurde vorausgesetzt, angesichts der eingegangenen Wechselverpflichtung zur Zahlung eines Dollarbetrages in New York ordne das Recht des Erfüllungsortes nicht nur wo und wann, sondern ebenso was zu leisten sei. Erst wenn feststehe, dass der Schuldner nicht bezahlt habe, erhebe sich die Frage, ob aus der Unterlassung ein Schadenersatzanspruch erwachse und ob für diesen das Recht des Erfüllungsortes oder des Ortes der Übernahme der Verpflichtung bestimmend sei. Nach amerikanischem Recht (Gesetz vom 5. Juni 1933) habe der Schuldner nur den in den Wechseln bezifferten Dollarbetrag erlegen müssen, weil kraft gesetzlicher Fiktion der Dollar ein Dollar geblieben sei. Ein Verzögerungsschaden lasse sich daher nicht aus der Entwertung folgern, sondern lediglich daraus, dass der Verzug selbständig, auch bei unveränderter Währung, einen konkreten Schaden herbeigeführt habe und dass dies vom Verpflichteten verschuldet worden sei. Der Bankverein habe das nicht behauptet.
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Eine Verletzung der schweizerischen öffentlichen Ordnung wegen der Anwendung amerikanischen Rechts an sich ist für den gegebenen Fall zu verneinen ; ob auch allgemein, braucht hier nicht untersucht zu werden (wobei immerhin angedeutet werden mag, dass nach BGE 64 II 102 die amerikanische Abwertungslösung noch als tragbar angesehen werden könnte, im Gegensatz zum deutschen Fremdwährungsgesetz). Der vom österreichischen Richter gewürdigte Sachverhalt wies, wie bereits die Vorinstanz richtig hervorhebt, mit der Schweiz bloss durch den Sitz des damaligen Klägers und heutigen Beklagten eine lose Verbindung auf. Das Grundgeschäft ging um Wechsel, die auf die Währung eines Drittlandes (Dollar) in Österreich ausgestellt, in Österreich akzeptiert und in New York zahlbar waren. Die Berührung mit der Schweiz erschöpfte sich darin, dass eine Schweizerbank die Wechsel durch Diskontierung erworben hatte. Bei derart schwacher, ernstlich nicht ins Gewicht fallender Binnenbeziehung rechtfertigt es sich nicht, auf die Vorbehaltsklausel zu greifen und zu sagen, die näherliegende Unterstellung des Verhältnisses unter fremdes Recht sei mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung unvereinbar (OSER-SCHÖNENBERGER, Kommentar z. OR, Allgemeine Einleitung N. 30 ; SCHNITZER, Handbuch des IPR, 3. Aufl. S. 223/5 ; KUTTLER in SJZ 47 S. 151 ; vgl. BGE 64 II 104). Vielmehr gehört solcher Verlauf einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu den Risiken, die mit der Hereinnahme ausländischer Wechsel verbunden und zu tragen sind.
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Der Hinweis auf Natur und Grund des erhobenen Schadenersatzanspruches schlägt so wenig durch wie die Anrufung der bundesgerichtlichen Praxis zur Handhabung ausländischen Devisenrechts in der Schweiz. Der zitierte BGE 44 II 492 scheidet aus der Erörterung im vorneherein aus, weil er das Kontokorrentverhältnis betrifft und ein solches dem Anspruch des Beklagten nicht zugrundeliegt. Gewiss lässt sich die Forderung auf Ersatz von Verzugsschaden nur aus Vertrag herleiten. Auf welchen Vertrag sie gestützt ist, erläutert der Beklagte übrigens nicht näher. Ob aber auf eine so oder anders begründete Schadenersatzforderung aus Vertrag, die in Österreich gegen den österreichischen Schuldner eingeklagt wurde, dort schweizerisches Recht anzuwenden war, kann dahingestellt bleiben. Angenommen nämlich, die Sache hätte wirklich beurteilt werden müssen wie der Beklagte es wahr haben will, so ergäbe sich einfach, dass sich der österreichische Richter in der Rechtsfindung geirrt hat. Die Anerkennung der Entscheidung kann jedoch nicht schon deswegen versagt werden, weil sie möglicherweise falsch ist (Art. 1 i. f. des Staatsvertrages). Eine sachliche Kontrolle des Urteils (révision au fond) ist nach dem Vollstreckungsabkommen nicht erlaubt. Die schweizerische öffentliche Ordnung ist nicht schon dann verletzt, wenn ein schweizerisches Gericht nach schweizerischem internationalem Privatrecht anders als das ausländische erkannt hätte ; auch nicht dann, wenn ein österreichisches Gericht nach österreichischem internationalem Privatrecht ein Streitverhältnis nicht dem richtigen materiellen Recht unterstellt oder bei richtiger Unterstellung unrichtig beurteilt hat. Das alles liefe dem Sinn der international-privatrechtlichen Vorbehaltsklausel zuwider, die eine Ausnahmevorschrift ist und es auch als Bestandteil eines Staatsvertrages bleiben muss.
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Behauptet ist zunächst, wegen Ausserachtlassung jenes Grundsatzes im österreichischen Urteil sei "das schweizerische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzt". In BGE 76 II 371 wird u.a. ausgeführt, es sei ein Gebot elementarer Billigkeit, dass der Schuldner einen von ihm zu vertretenden Verzugsschaden aus Kursverlust zu decken habe. Damit ist nun wohl für den einschlägigen Rechtsbereich eine richtunggebende Anschauung festgehalten. Um einen Fundamentalsatz, dessen Missachtung die schweizerische öffentliche Ordnung gefährden würde, handelt es sich indessen nicht. Das erhellt sowohl aus der Natur des Gegenstandes wie aus rückblickender Betrachtung (vgl. BGE 47 II 301/2, 46 II 409). Zudem ist dabei vorausgesetzt, dass bei rechtzeitiger Zahlung ein Umtausch in Inlandvaluta stattgefunden hätte. Hiefür spricht zwar eine natürliche Vermutung. Ob sie jedoch im Verfahren vor dem schweizerischen Richter für eine Grossbank mit erheblichen Auslandsinteressen ohne weiteres Bestand gehabt hätte, erscheint als offene Frage, sofern überhaupt schweizerisches Recht angewendet worden wäre, was wiederum ungewiss ist. Alsdann lässt sich ohnehin nicht unterstellen, schweizerisches Rechtsdenken erheische zwingend den Vorrang gegenüber der vom zuständigen österreichischen Richter auf Grund des für ihn massgeblichen österreichischen internationalen Privatrechts und anhand seiner Auslegung des materiellen Fremdrechts gefällten Entscheidung, zumal dem Vorbehalt der Unvereinbarkeit im Gebiete der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen sein müssen als im Gebiete der direkten Gesetzesanwendung (vgl. KALLMANN, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, 1946, S. 228 Anm. 1 und S. 235/9).
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Als überaus stossend würde empfunden, fährt der Beklagte fort, wenn einerseits nach dem Vorbild von BGE 76 II 371 der ausländische Gläubiger den säumigen schweizerischen Schuldner auf Schadenersatz für Kursverluste aus Abwertung belangen könnte, anderseits eine ausländische Entscheidung, die dem schweizerischen Gläubiger derartigen Schadenersatz abspricht, in der Schweiz Anerkennung fände. Die Gegenüberstellung geht gerade deswegen fehl, weil die beanstandete Ungleichheit das Ergebnis verschiedener Beurteilung nicht in ein und demselben Lande, sondern in der Schweiz und in Österreich ist. Wer im Auslande klagt, wie der Bankverein es tat, muss sich eben gefallen lassen, dass der dortige Richter auf das dort gültige internationale Privatrecht abstellt und darnach hinsichtlich der räumlichen Verknüpfung des Streitverhältnisses mit einem bestimmten Lande vielleicht zu einer Auffassung gelangt, welche sich mit der schweizerischen nicht deckt. Das darf, wo es um Anerkennung oder Nichtanerkennung eines ausländischen Urteils auf Grund eines zwischenstaatlichen Vollstreckungsabkommens geht, nicht einfach übersehen werden. Es ist nicht so, dass die Frage, welchem Statut die im Ausland angebrachte Verzugsschadenforderung des schweizerischen Gläubigers gegen den ausländischen Schuldner unterliege, international-privatrechtlich schlechterdings nur zugunsten des Schweizerrechts beantwortet werden konnte, und noch weniger, dass eine abweichende Entscheidung an die Grundlagen der schweizerischen öffentlichen Ordnung rührt. Was der Beklagte auf dem Umweg über die Vorbehaltsklausel immer wieder zu erreichen trachtet, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die sachliche Überprüfung des vom zuständigen ausländischen Richter erlassenen Urteils. Und dafür ist im Rahmen des schweizerisch/österreichischen Vollstreckungsvertrages eben kein Raum.
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Erwägung 5 | |
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b) Die SBB-Obligationen, deren geldlichen Gegenwert die Klage fordert, lagen ursprünglich wie die Aktien im offenen Bankdepot. Der Bankverein verständigte ALCO mit Brief vom 15. April 1937 über die Rückzahlung und darüber, dass ein Betrag von Fr. 12,139.80 auf Sperrkonto gutgeschrieben werde. "Die Gutschrift auf Sperrkonto erfolgte" -- nach den Angaben im seinerzeitigen Wiener-Herausgabeprozess (Klagebeantwortung vom 28. April 1941, act. 35, S. 11) -- "weil die Beklagte zu dieser Zeit Gegenansprüche geltend gemacht hatte, über die noch nicht rechtskräftig entschieden war".
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Mithin liesse sich höchstens fragen, ob der Beklagte dadurch, dass er den Betrag auf Sperrkonto gutschrieb, widerrechtlich handelte, und wenn ja, welches die Konsequenzen seines Verhaltens wären. Neue Obligationen, die er anstelle der alten hätte ins Depot aufnehmen können, brauchte der Beklagte nicht zu kaufen. Einen dahingehenden allgemeinen oder besonderen Auftrag von ALCO hatte er nicht. Die Pflicht zur Ersatzanschaffung aus Rückzahlungserlös versteht sich nicht von selbst als Inhalt eines Vertrages über die offene Wertschriftenverwahrung. Sie mag sich unter besonderen Umständen -- etwa wenn, wie während des Krieges, die Verbindung zwischen der Bank und ihrem im Auslande wohnenden Kunden unterbrochen ist -- daraus ergeben, dass der Verwahrer die Interessen des Hinterlegers vernünftig und bestmöglich zu sichern hat. So verhielt es sich hier indessen nicht, da ALCO mit dem Bankverein in den Jahren 1937/38 ungehindert verkehren konnte. Den Rückzahlungsbetrag gegenständlich, in Geld, auf Depot zu nehmen, war der Beklagte von sich aus ebenfalls nicht gehalten. Die gegenteilige Ansicht der Klägerin hat vielleicht auf den ersten Blick etwas für sich ; sie klingt irgendwie an einen Grundgedanken des auf beidseitiges Vertrauen gestellten Hinterlegungsvertrages an. Jedoch ist es allgemeine Übung, dass eine Bank bei offenem Depot die Gelderträgnisse aus verwahrten Titeln, wie Dividenden oder Obligationenzinsen, und desgleichen auch den Gegenwert von fälligen Papieren ohne anderslautende Instruktion auflaufende Rechnung gutschreibt (vgl. ZIMMERMANN, Bankdepot, Diss. Zürich 1920 S. 72 ; DE PREUX, Le contrat de dépôt ouvert de titres de banque, Diss. Fribourg 1946 S. 125). Die ALCO als Bankhaus kannte diese Gepflogenheit. Damit hat sich die Klägerin als Rechtsnachfolgerin abzufinden, wenn sie nicht nachweist, dass beim Vertragsschluss oder bei Rückzahlung der SBB-Obligationen Abweichendes vereinbart oder angeordnet wurde. Das hat sie nicht einmal behauptet.
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Im übrigen wäre der Klägerin nicht geholfen, wenn der Beklagte aus irgendwelchen Gründen doch anders vorgehen und den Rückzahlungsbetrag konkret ins Depot hätte geben müssen ; insbesondere auch nicht, wenn man ihren Überlegungen gemäss annehmen wollte, es sei zufolge Fälligkeit und Rückzahlung der Obligationen während der Dauer des Depotvertrages ein irregulärer Hinterlegungsvertrag nach Art. 481 OR entstanden. Einen dinglichen Anspruch an der Geldsumme hätte sie mangels Ausscheidung trotzdem nicht erlangt. Vielmehr läge in der Unterlassung eine Vertragsverletzung, und es wäre der Beklagte deswegen schadenersatzpflichtig geworden. Die Klägerin hätte lediglich einen persönlichen Anspruch, eine Forderung an den Beklagten. Es verhielte sich gleich wie dort, wo jemand sogar bösgläubig eigenes mit fremdem Geld vermischt, Eigentümer des Ganzen wird und nur noch aus Forderung, nicht auf Herausgabe belangt werden kann (BGE 47 II 267). Ob in solchem Falle dem Verwahrer ein Verrechnungsrecht gemäss Art. 125 Ziff. 1 OR zu versagen wäre, kann offen bleiben. Eine Verrechnung scheidet schon darum aus, weil der Beklagte keine Gegenforderung hat.
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Somit besitzt die Klägerin, wie immer man die Sache betrachten mag, auf den Rückzahlungserlös der SBB-Obligationen nur einen schuldrechtlichen Forderungsanspruch. Er unterliegt den ordentlichen Verjährungsregeln.
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Soweit die Vorinstanz aus jenem Schreiben eine Schuldanerkennung liest, ist ihr ohne weiteres beizupflichten. Die Verjährungsfrist setzte damit neu ein. Daher ist hier belanglos, was die Klägerin vor dem 3. Oktober 1938 vorgekehrt hatte.
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Ferner folgert die Vorinstanz aus dem Schreiben vom 3. Oktober 1938 : Die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe sich spätestens damals darüber im klaren sein müssen, dass der Depotvertrag hinsichtlich der SBB-Obligationen und des an ihre Stelle getretenen Erlöses dahingefallen war und ihr Anspruch auf Ausfolgung des Erlöses bestritten werde ; sie hätte daher mindestens innert zehn Jahren, von der Verrechnungserklärung an gerechnet, die Verjährung durch eine in Art. 135 OR vorgesehene Handlung unterbrechen müssen. Angenommen wird danach, dass mit der Verrechnungserklärung einerseits eine teilweise Aufhebung des Verwahrungsvertrages (für die SBB-Obligationen bzw. den einkassierten Gegenwert, aber nicht für die restlichen Wertpapiere) eingetreten, anderseits zufolge einseitiger Vertragsbeendigung durch den Schuldner in jedem Fall, auch wenn die Berechtigung zu Schadenersatz aberkannt würde, die Fälligkeit des Rückforderungsanspruches der Klägerin auf den umstrittenen Ersatzbetrag bewirkt worden sei. In beiden Punkten irrt das Handelsgericht.
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Selbst wenn eine bloss teilweise einseitige Aufhebung eines Hinterlegungsvertrages allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig angesehen wird, bildet sie eine Ausnahme, die nicht zu vermuten, sondern konkret zu belegen ist. Nach dieser Richtung hin wurde nichts dargetan. Namentlich lässt sich die Willensäusserung des Beklagten nicht als eine Erklärung des Aufbewahrers im Sinne von Art. 476 Abs. 2 OR verstehen. Zur Ausnützung der dort eingeräumten Möglichkeit, die Sache jederzeit zurückzugeben, hätte es, wo die Aushändigung nicht vollzogen wird, wenigstens einer entsprechenden Mitteilung bedurft. Im Brief vom 3. Oktober 1938 ist vom Depotvertrag oder seiner Beendigung mit keinem Wort die Rede. Vielmehr bekundete der Beklagte mit seiner Erklärung, dass er an sich der ALCO den Betrag von Fr. 13,597.-- schulde, ihn jedoch nicht auszahlen, sondern verrechnen wolle, weil er sich aus einem anderen Rechtsverhältnis als Gläubiger betrachte. Das hat mit einer Aufhebung des Hinterlegungsvertrages nichts zu tun. Sicher war der Beklagte -- als Bankfirma, die auf ihren Ruf hält und Vertrauen erwartet -- bereit gewesen, das Geld in Verwahrung zu behalten und das Guthaben der ALCO anzuerkennen, falls die Rückzahlungspflicht nicht im Wege der Verrechnung erloschen sein sollte. Das geht unwiderleglich daraus hervor, dass er später im Wiener-Herausgabeprozess, als die Schadenersatzforderung letztinstanzlich abgewiesen war, den Weiterbestand des Depots mit Einschluss des Obligationen-Erlöses zugegeben und lediglich die Legitimation der ALCO zur Rücknahme bestritten hat (vgl. Klagebeantwortung vom 28. April 1941). Wenn überhaupt, so könnte das Schreiben vom 3. Oktober 1938 nur als eine bedingte teilweise Aufhebung des Depotvertrages ausgelegt werden. Dann wäre es rechtlich wirkungslos geblieben. Denn die zur Verrechnung gebrachte Schadenersatzforderung wurde mit Urteil des obersten österreichischen Gerichtshofes vom 7. Februar 1939 rechtskräftig abgesprochen, was wiederum der Beklagte im nachfolgenden Herausgabe-Prozess ausdrücklich zugestand (Klagebeantwortung vom 28. Aprils 1941). Der Depotvertrag behielt daher über den 3. Oktober 1938 hinaus ungeschmälerte Gültigkeit.
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Was die Verjährung betrifft, so kann gemäss Art. 475 und 476 OR die hinterlegte Sache (beim irregulären Depot die Summe) vom Hinterleger jederzeit zurückverlangt und vom Aufbewahrer, wo wie hier keine bestimmte Dauer vereinbart war, jederzeit zurückgegeben werden. Das Recht auf Rückgabe ist also beim Hinterlegungsvertrag auf jederzeitige Kündigung gestellt, weshalb sofort mit der Hinterlegung eine Rückgabeforderung, also ein Anspruch und damit Fälligkeit im Sinne von Art. 130 OR, eintritt. Das gilt immerhin nur vom Standpunkt des Hinterlegers aus gesehen ; denn nur er kann die Leistung (Rückgabe) fordern. Wo die Kündigung, wie nach Art. 476 Abs. 2 OR, nicht dem Berechtigten, sondern dem Verpflichteten zukommt, beginnt die Verjährung erst, wenn tatsächlich gekündigt wird, nicht schon mit dem Tag, an welchem gekündigt werden könnte (VON TUHR-SIEGWART, S. 663 ; OSER-SCHÖNENBERGER, zu Art. 130 OR N. 3 ; vgl. DBGB § 199). Vorliegend hat der Beklagte, als Aufbewahrer, nie den Depotvertrag gekündigt, wie oben dargelegt auch nicht mit dem Schreiben vom 3. Oktober 1938. Zum Nachteil der ALCO als Hinterlegerin und der Klägerin dagegen lief die Verjährung grundsätzlich vom Tage der Hinterlegung an. Natürlich wurde sie durch Zustellung von Bestandesmeldungen, Kontoauszügen usw. häufig unterbrochen. Und auch die Schuldanerkennung des Beklagten vom 3. Oktober 1938 brachte wieder eine zehnjährige Frist in Gang. Fraglich bleibt, ob diese neuerdings eine Unterbrechung durch die eine oder andere Partei erfahren hat.
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