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Informationen zum Dokument  BGE 79 II 362 - Motorradunfall  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
A.
B.
C.
D.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Beklagten lassen zwar nach wie vor nicht gelten, dass ihr  ...
Erwägung 2
2. Übernimmt ein Erbe die Erbschaft unter öffentlichem  ...
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher  
 
BGE 79 II, 362 (362)62. Urteil der II. Zivilabteilung
 
vom 3. Dezember 1953 i.S. Willimann und Konsorten gegen Witwe Bünzli und Konsorten.  
 
Regeste
 
Öffentliches Inventar. Ungenügende Auskündung des Rechnungsrufes (Art. 582 ZGB) als Entschuldigungsgrund für das Unterbleiben einer Forderungseingabe betrachtet. Der Erbe haftet für die Schuld im Umfange seiner Bereicherung (Art. 590 Abs. 2 ZGB).BGE 79 II, 362 (362)  
 
BGE 79 II, 362 (363)Sachverhalt
 
 
A.
 
Auf der Landstrasse in Rudolfstetten (Aargau) stiessen in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1950, kurz nach Mitternacht, die Motorradfahrer Alfred Bünzli und Bruno Stutz mit ihren Fahrzeugen frontal gegeneinander. Beide erlagen den erlittenen schweren Verletzungen, Bünzli auf der UnfallsteIle, Stutz noch am gleichen Tage im Kreisspital Muri. Die polizeilichen und bezirksamtlichen Erhebungen über Hergang und Ursache des Unfalles gingen am 11. September 1950 an die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Diese stellte am folgenden Tage die Untersuchung infolge des Todes der beiden beteiligten Motorradfahrer ein.
1
 
B.
 
Die Erben des Bruno Stutz (dessen Mutter und drei Geschwister) verlangten die Errichtung eines öffentlichen Inventars. Es wurde am 2. September 1950 bewilligt, und der Rechnungsruf erging im aargauischen Amtsblatt mit Frist zur Eingabe bis zum 9. Oktober 1950. Er blieb den in Dietikon (Zürich) wohnenden Erben des Alfred Bünzli (dessen Ehefrau und zwei unmündigen Kindern) unbekannt, ebenso dem von Frau Bünzli beauftragten zürcherischen Anwalt. Dieser nahm gegen Ende September 1950 in die Akten des Verkehrsunfalles Einsicht. Mit Brief vom 7. Oktober 1950 (Samstag) an die Erben des Bruno Stutz, dem er die alleinige Schuld am Unfalle zuschrieb, sowie an dessen Haftpflichtversicherer, die Basler Lebens- versicherungsgesellschaft, machte er für Frau Bünzli und die zwei Kinder Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche von insgesamt Fr. 74,174.98 geltend. Die Erben des Bruno Stutz antworteten am 12. gl. M. ablehnend und erklärten am 9. Dezember 1950, vorläufig noch keine Abmachung treffen zu können. Die Versicherungsgesellschaft zahlte dagegen den Erben Bünzli im November 1950 den versicherten Höchstbetrag von Fr. 30,000.- aus.BGE 79 II, 362 (363)
2
 
BGE 79 II, 362 (364)C.
 
Mit Rücksicht auf diese teilweise Schadensdeckung belangten die Erben Büzli die Erben des Bruno Stutz mit Klage vom 7. Juni 1951 auf Fr. 40,000.-. Die Beklagten, die alle die Erbschaft unter öffentlichem Inventar angenommen hatten, wendeten in erster Linie ein, die Kläger hätten die Ansprüche durch Versäumung der Anmeldung zum öffentlichen Inventar verwirkt. Im übrigen bestritten sie die Alleinschuld ihres Erblassers. Die Gerichte beider kantonalen Instanzen hiessen aber die Klage grundsätzlich gut, das Bezirksgericht im Betrage von Fr. 35,555.35, das Obergericht im Betrage von Fr. 33,000.-.
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D.
 
Mit vorliegender Berufung tragen die Beklagten neuerdings auf Abweisung der Klage an. Sie halten an der Einrede der Anspruchsverwirkung nach Art. 590 Abs. 1 ZGB fest.
4
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Zu beurteilen bleibt nur die Verwirkungseinrede, die aus den Vorschriften des ZGB über das öffentliche Inventar hergeleitet wird.
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Erwägung 2
 
2. Übernimmt ein Erbe die Erbschaft unter öffentlichem Inventar, so gehen nach Art. 589 Abs. 1 ZGB grundsätzlich nur die im Inventar verzeichneten Schulden des Erblassers auf ihn über. Dazu tritt eine Haftung ausserBGE 79 II, 362 (364) BGE 79 II, 362 (365)Inventar, begrenzt auf die Bereicherung aus der Erbschaft, unter den Voraussetzungen von Art. 590 Abs. 2 ZGB. Die Kläger haben die Anmeldung zum öffentlichen Inventar versäumt, machen aber geltend, dies sei ohne eigene Schuld geschehen. Das Obergericht verneint mit zutreffender Begründung eine Schuld der Witwe Bünzli (und damit auch der durch sie vertretenen unmündigen Kinder). Es wirft sodann die Frage auf, ob auch der von den Klägern mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragte zürcherische Anwalt die Nichtbeachtung des im aargauischen Amtsblatt ergangenen Rechnungsrufes hinreichend zu entschuldigen vermöge. Dies wird im angefochtenen Urteil schliesslich offen gelassen aus der Erwägung, Art. 590 Abs. 2 ZGB sei wegen eigenen Verschuldens der Beklagten ohnehin anwendbar, selbst wenn die Kläger oder deren Anwalt nicht schuldlos wären. Den Beklagten habe nämlich nach Art. 581 Abs. 3 ZGB obgelegen, die bei ihnen mit dem Briefe vom 7./9. Oktober 1950 erhobenen Ansprüche ihrerseits der Inventurbehörde mitzuteilen. Nachdem sie dies unterlassen, erscheine die Berufung auf die Säumnis der Kläger als rechtsmissbräuchlich.
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Art. 590 Abs. 2 ZGB zieht indessen ein Verschulden der beklagten Erben nicht in Betracht. Sollten diese eine Mitteilungspflicht nach Art. 581 Abs. 3 ZGB nicht erfüllt haben, so wäre freilich gegebenenfalls zu prüfen, ob Art. 590 Abs. 2 auf diesen Fall auszudehnen sei. Bevor aber die Frage nach einer in der zuletzt genannten Bestimmung enthaltenen Lücke und nach der Art, wie sie auszufüllen wäre, ins Auge gefasst wird, erscheint es als angezeigt, den eigentlichen Tatbestand des Art. 590 Abs. 2 ZGB zu beurteilen. Dies um so mehr, als Sinn und Tragweite von Art. 581 Abs. 3 ZGB umstritten sind. Auch der weitere Standpunkt der Kläger, der Brief ihres Anwaltes vom 7. Oktober 1950 sei am 9. gl. M., also noch vor Ablauf der Frist zur Eingabe für das öffentliche Inventar, "zu den Papieren der Erbschaft" gelangt, was einer analogen Anwendung von Art. 583 ZGB rufe, kann auf sich beruhen bleiben, wennBGE 79 II, 362 (365) BGE 79 II, 362 (366)die Klage schon auf Grund von Art. 590 Abs. 2 ZGB zu schützen sein sollte.
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Dies ist nun zu bejahen. Die Haftung ausser Inventar, begrenzt auf die Bereicherung aus der Erbschaft, ist nicht an enge Voraussetzungen gebunden. Sie kommt jedem Gläubiger zugute, der "ohne eigene Schuld die Anmeldung zum Inventar unterlassen" hat. Diese allgemeine Fassung ist weitherzig auszulegen. Wurde sie doch vom Gesetzgeber mit Absicht gewählt, um die verschiedensten Entschuldigungsgründe zur Geltung kommen zu lassen und dem richterlichen Ermessen möglichst grossen Spielraum zu geben (vgl. die Voten von Huber, Sten. Bull. 1906 S. 300, und Hoffmann, ebendort S. 462). Dieser Aufgabe bewusst, pflegt die Rechtsprechung die Umstände des einzelnen Falles zu würdigen und dabei nicht nur Tatsachen zu berücksichtigen, die einen Gläubiger trotz Kenntnis des Rechnungsrufes von der Anmeldung abgehalten haben mögen, sondern auch solche, die es erklären, dass der Gläubiger (wie im vorliegenden Falle) vom Rechnungsruf gar keine Kenntnis erlangt hat (vgl. BGE 66 II 92, 72 II 16). Ob die Unkenntnis entschuldbar sei, hängt in erster Linie davon ab, ob der Rechnungsruf in angemessener Weise ausgekündigt wurde, wie es Art. 582 ZGB verlangt. Angemessene Auskündung ist zum Schutze der damit zur Eingabe aufgerufenen Gläubiger unerlässlich, zumal nicht wie im Konkurse (Art. 233 SchKG) eine persönliche Anzeige an bekannte Gläubiger zu ergehen braucht. In welchen Blättern der Rechnungsruf, mit Hinweis auf die Folgen der Nichtanmeldung, im einzelnen Erbfalle eingerückt werden soll, hat zwar das kantonale Recht und im Rahmen von dessen Vorschriften die zuständige Behörde zu bestimmen. Dem Richter steht es dagegen zu, bei Anwendung von Art. 590 Abs. 2 zu prüfen, ob die Auskündung, so wie sie vorgenommen wurde, genügende Gewähr dafür bot, dem klagenden Gläubiger bei der von ihm zu erwartenden Sorgfalt bekannt zu werden, oder ob der Gläubiger eine solche Auskündung ohne Schuld unbeachtet lassen konnte. DasBGE 79 II, 362 (366) BGE 79 II, 362 (367)aargauische Recht (§ 289 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit Ziff. VI der Änderungen laut dem Einführungsgesetze zum ZGB) sieht dreimalige Auskündung im Amtsblatte "und je nach Umständen auch in andern öffentlichen Blättern" vor. Mit Rücksicht auf die dem öffentlichen Inventar zukommenden Wirkungen empfiehlt es sich, den Rechnungsruf überall dort in öffentlichen Blättern auszukünden, wo der Erblasser Geschäftsbeziehungen unterhielt (vgl. Escher, N. 1 zu Art. 582 ZGB; Entscheid des bernischen Appellationshofes in SJZ 31 S. 218 ff. = ZbJV 72 S. 286). Da Bruno Stutz in Widen, nahe der zürcherischen Grenze, als Landwirt und Wirt tätig war, hatte man mit geschäftlichen Beziehungen im angrenzenden zürcherischen Gebiete zu rechnen. Überdies verlangten die Beklagten die Errichtung eines öffentlichen Inventars gerade auch wegen des Verkehrsunfalles vom 24. August 1950, weil "man damals nicht wusste, ob allfällige Entschädigungsansprüche und eventuell in welcher Höhe geltendgemacht würden, und ob dieselben allenfalls durch die Motorradversicherung gedeckt wären" (wie auf Seite 2 der Klagebeantwortung ausgeführt wird). Bei dieser Sachlage lag es nahe, die Angehörigen des Alfred Bünzli, deren Namen und Wohnort den Beklagten wohl schon aus der Zeitung bekannt geworden waren, mindestens aber von ihnen leicht in Erfahrung gebracht werden konnten, entweder persönlich durch einen Brief auf das Inventarverfahren aufmerksam zu machen oder doch den Rechnungsruf auch im zürcherischen Amtsblatt und etwa noch in einem Lokalblatte von Dietikon einrücken zu lassen. Statt dessen erschien der Rechnungsruf nur im aargauischen Amtsblatt (allerdings dreimal gemäss den kantonalen Minimalvorschriften, nicht nur einmal, wie man aus der bei den Akten liegenden Abschrift des Inventars schliessen möchte). Dies war den Umständen offensichtlich nicht angemessen und trug den Verhältnissen der Kläger nicht gebührend Rechnung. Gewiss war diesen der Tod des Bruno Stutz bekannt, weshalb sie (d.h. die Witwe Bünzli für sich und die beiden Kinder) AnlassBGE 79 II, 362 (367) BGE 79 II, 362 (368)hatten, auf amtliche Bekanntmachungen betreffend dessen Erbschaft zu achten. Allein, sie waren grundsätzlich nicht gehalten, andere Blätter als das Amtsblatt ihres Wohnsitzkantons und etwa noch lokale Blätter ihres Wohnortes daraufhin nachzusehen. Auch ihren zürcherischen Anwalt traf in dieser Hinsicht keine weitergehende Nachschaupflicht. Von Anfang an einen aargauischen Anwalt beizuziehen, waren aber die Kläger nicht verpflichtet, wie sie sich denn auch damit hätten begnügen dürfen, selber mit den Beklagten in Briefwechsel zu treten. Auch Gemeindeorganen ist schon nachgesehen worden, dass sie einen ausserhalb des eigenen Kantons ergangenen Rechnungsruf nicht beachteten (SJZ 23 S. 106 Nr. 79). Die Bemerkung von Gautschi (Über die Rechtswirkungen des öffentlichen Inventars, SJZ 19 S. 338 ff., besonders 341), "die Abwesenheit des Gläubigers ausserhalb des Kantons" entschuldige die Säumnis nicht, wenn er vom Tode des Schuldners erfahren hatte, bezieht sich nach den anschliessenden Ausführungen anscheinend nur auf einen vorübergehend abwesenden im selben Kanton wohnenden Gläubiger, für den die dort ergehenden Veröffentlichungen eben massgebend bleiben. Darüber hinaus wäre dieser Ansicht nicht beizustimmen, mindestens nicht gegenüber Gläubigern, in deren Wohnsitzkanton nach den Umständen ebenfalls ein Rechnungsruf geboten gewesen wäre, jedoch unterblieben ist.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 3. Juli 1953 bestätigt.BGE 79 II, 362 (368)
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