BGE 116 II 422 - Plauschbad | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
78. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 19. September 1990 i.S. M. gegen D. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 58 OR. Werkeigentümerhaftung. |
Werkmangel bejaht bei einem sog. "Plauschbad", wo die bauliche Anlage und das Betriebskonzept jugendliche Badegäste dazu verleitet, an einer gefährlichen Stelle ins Wasser zu springen, und wo die Werkeigentümerin trotz erkannter Gefahr keine zumutbaren Schutzvorkehren trifft (E. 1 und 2). Bedeutung des Selbstverschuldens für den Kausalzusammenhang (E. 3) und die Bemessung des Schadenersatzes; Verschuldenskompensation (E. 4). | |
Sachverhalt | |
A. | |
Im Wellenbad S. in A., das der M. St. Gallen gehört, sprang der damals fünfzehnjährige D. am 5. Februar 1987 am südlichen Bassinrand aus 1,3 m Höhe kopfvoran in das 1,6 m tiefe Wasser. Er zog sich dabei eine Querschnittläsion zu und ist seither Tetraplegiker.
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B. | |
Am 5. Juli 1988 erhob D. beim Bezirksgericht Gossau gegen die Werkeigentümerin Teilklage auf Zahlung von Fr. 35'786.90 Schadenersatz, entsprechend den wegen Selbstverschuldens um 25% reduzierten, durch die IV nicht gedeckten Kosten für ein Auto mit Rollstuhlausbau, für die invalidengerechte Ausgestaltung der elterlichen Liegenschaft und für einen Personalcomputer, zu dessen Bedienung die motorischen Funktionen des Klägers noch ausreichten. Das Bezirksgericht reduzierte die Ersatzforderung wegen Selbstverschuldens um einen Drittel und schützte die Klage für Fr. 31'810.55 nebst Zins. Auf Berufung der Beklagten hin bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen am 10. Januar 1990 das erstinstanzliche Urteil. Die Beklagte führt gegen den Entscheid des Kantonsgerichts erfolglos Berufung beim Bundesgericht.
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Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
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Wohl darf der Werkeigentümer mit einem vernünftigen und dem allgemeinen Durchschnitt entsprechenden vorsichtigen Verhalten der Benützer des Werkes rechnen und braucht geringfügige Mängel, die bei solchem Verhalten normalerweise nicht Anlass zu Schädigungen geben, nicht zu beseitigen (OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 209 f. Rz. 81 mit zahlreichen Hinweisen). Schaffen indessen wie im vorliegenden Fall die Konzeption und Zweckbestimmung der Anlage, der vom Werkeigentümer angesprochene Kreis der Benützer und das von einem Teil dieser Benützer zu erwartende unvernünftige Verhalten einen gefährlichen Zustand, kann sich der Werkeigentümer entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf berufen, bei vernünftiger Benützung liege kein oder nur ein geringfügiger Mangel vor. Sind solche Umstände gegeben, ist vielmehr alles Zumutbare vorzukehren, damit sich die Gefahr nicht verwirklicht. Allein der Umstand, dass Badeunfälle einen grossen Teil aller Sportunfälle ausmachen, zeigt, dass gerade Badeanstalten nicht zu unterschätzende Gefahren bergen, denen es zum Schutz der Badegäste mit allen Mitteln zu begegnen gilt, sofern sich diese im Rahmen des wirtschaftlich und technisch Zumutbaren bewegen. Fehlt es an zumutbaren Schutzvorkehren, so liegt ein Werkmangel vor, für den der Werkeigentümer nach Art. 58 OR haftet.
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Besonders strenge Sicherheitsanforderungen sind zu stellen, wenn die Gefährdung wie im vorliegenden Fall zutage tritt (OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 205 Rz. 72). Dabei kann diese Gefährdung auch auf ein Verhalten der Benützer zurückzuführen sein, das von der ursprünglichen Zweckbestimmung des Werkeigentümers abweicht. Trifft der Werkeigentümer trotz erkannter Gefahr keine Massnahmen, um die Benützer an einem solchen Verhalten zu hindern, kann er sich nicht auf den Zweck berufen, für den er die Anlage bestimmt hat, sondern muss sich die als gefährlich erkannte tatsächliche Benützung entgegenhalten lassen, wenn er nichts dagegen unternimmt (BGE 74 II 155 Nr. 26, vollständig publiziert in: SJ 1949 S. 181 ff., insbesondere S. 187 f. E. 1c). Die Duldung einer erkannten Gefahr begründet sodann regelmässig einen Schuldvorwurf mit der Folge, dass bei einem schädigenden Ereignis auch die Haftungsvoraussetzungen nach Art. 41 OR gegeben sind (WEBER, a.a.O., S. 69 f.).
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Erwägung 2 | |
2. In der Berufung gibt die Beklagte das angefochtene Urteil unvollständig wieder. Das Kantonsgericht begnügt sich keineswegs mit der Feststellung, der Mangel habe darin bestanden, dass an der Einsprungstelle keine Verbotstafel angebracht gewesen sei.
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aa) Unbegründet ist die in der Berufung erhobene Rüge, die Vorinstanz nehme aus offensichtlichem Versehen im Sinne von Art. 55 Abs. 1 lit. d OG an, die vom Kläger zu überwindende "Breite" des 28 cm hohen Pflanzentrogs habe knapp 1 m betragen, obwohl insgesamt 1 m "Tiefe" zu überwinden gewesen sei. Ob die Distanz von knapp einem Meter als Breite oder als Tiefe bezeichnet wird, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Von oben betrachtet ist das 28 cm hohe Hindernis knapp 1 m breit, von der Nische her betrachtet knapp 1 m tief.
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bb) Den festgestellten Tatsachen widersprechend und damit unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG) ist die Berufung insoweit, als die Beklagte den Werkmangel mit der Behauptung bestreitet, bei der "Bepflanzung" habe es sich um eine wirksame Schranke in Form eines "grünen Vorhangs" gehandelt. Dass die "Bepflanzung" keineswegs undurchdringlich, sondern mit Leichtigkeit zu überwinden war, wird ausserdem durch die vorinstanzliche Feststellung bestätigt, dass die Plastikpflanzen öfters durch ins Wasser springende Badegäste beiseite gedrückt worden seien, weshalb sie vom Bademeister wiederholt hätten gerichtet und ersetzt werden müssen.
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aa) Die Beklagte beruft sich wie bereits im kantonalen Verfahren auch noch in der Berufungsschrift und ihrem Parteivortrag vor Bundesgericht mit Nachdruck darauf, dass ihre Anlage ein "Plausch- und Vergnügungsbad" und nicht ein Sportbad sei. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen liegt der Anlage die Philosophie zugrunde, dass das Freiheitsgefühl der Benutzer nicht eingeengt werden solle, wobei sich das Angebot des Wellenbades S. nicht nur an ein älteres Publikum, sondern auch an Kinder und Jugendliche richte. Nebst der entspannten Atmosphäre trügen die malerisch angeordneten Steinblöcke, die Felsen mit der tropischen Bepflanzung und das intensive Blau des Wassers das ihre dazu bei, Kinder und Jugendliche zu übermütigen Handlungen zu stimulieren.
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bb) War die Anlage dazu bestimmt, die Besucher zu uneingeschränktem Badevergnügen, zu dem bei Kindern und Jugendlichen selbstredend auch das Hineinspringen gehört, zu stimulieren, hatte die Beklagte insbesondere nach erkannter Gefährdung alles vorzukehren, um ein gefahrloses Vergnügen zu gewährleisten. Hielt die Beklagte Verbotstafeln mit ihrer "Plauschphilosophie" für unvereinbar, so hatte sie durch bauliche Massnahmen dafür zu sorgen, dass das Bad sicher benutzt werden konnte, beispielsweise durch eine Abschrankung oder dadurch, dass die Umfassung des Pflanzentrogs statt mit Keramikplatten mit spitzen Steinen, die nicht zum Daraufstehen eingeladen hätten, belegt worden wäre. Das Fehlen derartiger, für die Beklagte ohne weiteres zumutbarer Massnahmen stellte in Anbetracht der baulichen Anlage, des freiheitlichen Betriebskonzepts, der jugendlichen Benützer und der Tatsache der erkannten Gefahr einen erheblichen Werkmangel dar, für den die Beklagte als Werkeigentümerin einzustehen hat.
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Ein gewisses, freilich mit grosser Zurückhaltung zu bewertendes Indiz dafür, dass die Beklagte ihre Anlage selbst als mangelhaft anerkennt, ergibt sich aus der vorinstanzlichen Feststellung, dass an der Unfallstelle nachträglich ein -- entsprechend der "Plauschphilosophie" -- diskretes Hinweisschildchen mit der Aufschrift "Hier springen wir nicht hinein" angebracht und ein Seil gespannt worden sei (OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 212 Rz. 85 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung in Fn. 310).
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Erwägung 3 | |
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Erwägung 4 | |
4. Ebenso unbegründet ist das in der Berufung gestellte Eventualbegehren, das Selbstverschulden des Klägers gestützt auf Art. 44 Abs. 1 OR wenigstens als Grund zur Herabsetzung des Schadenersatzes von zwei Dritteln auf einen Viertel zu berücksichtigen. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen war für den damals 15jährigen Kläger die Annahme verständlich, er dürfe gleich andern, von der Aufsicht so wenig wie er abgehaltenen Badbesuchern den Sprung von jener Stelle aus wagen. Ob bei einer Sprunghöhe von 1,3 m eine Wassertiefe von 1,6 m ausreicht, hängt entscheidend vom Eintauchwinkel ab; dass sie unter Umständen ungenügend sein könnte, hat jedoch der Kläger laut Vorinstanz mangels Hinweisen der Beklagten nicht erkennen können. Zum Verschulden, das bei Kindern und Jugendlichen ohnehin milder beurteilt wird (BGE 102 II 368), gereicht ihm daher allein das Ausserachtlassen der Tatsache, dass der Ort seines Absprunges offensichtlich nicht als Einsprungsort konzipiert war. Eine Herabsetzung seines Anspruches um mehr als einen Drittel rechtfertigt sich deswegen nicht. Sie wird bereits durch die Tatsache ausgeschlossen, dass ein Werkmangel vorlag, an dem die Beklagte, die nach den vorinstanzlichen Feststellungen trotz erkannter Gefahr keine Schutzvorkehren getroffen und das Bad nur lückenhaft überwacht hat (BGE 113 II 427 f. E. 1c; WEBER, a.a.O., S. 71 und 86), zusätzlich auch ein Verschulden trifft, welches das Selbstverschulden des Klägers zu einem grossen Teil kompensiert. Praxisgemäss findet bei leichtem Verschulden eine Reduktion um einen Viertel bis zu einem Drittel statt (BGE 106 II 212 E. 3, BGE 103 II 246 E. 5, BGE 91 II 212 E. 5c, BGE 60 II 348 E. 5; vgl. auch die Zusammenstellung bei BREHM, N 29 zu Art. 44 OR).
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