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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
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37. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 21. Juni 1994 i.S. H. gegen U. AG (Berufung) | |
Regeste |
Stellvertretung; Vertrauenshaftung (Art. 33 Abs. 3 OR). |
Kriterien der normativ zurechenbaren, auf Rechtsschein beruhenden Vollmacht (E. 2a). -- Voraussetzungen der Vertrauenshaftung nach Art. 33 Abs. 3 OR (E. 2b). -- Tatsächlicher oder objektiver Vertretungswille des Vertreters (E. 2b/aa; Präzisierung der Rechtsprechung). |
Verneinung einer kaufmännischen Rechtsscheinvollmacht im vorliegenden Fall (E. 3). | |
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A. | |
A. H. ist Inhaber der im Handelsregister eingetragenen Einzelfirma "Sport H." in J. Mitarbeiter im Betrieb ist sein Sohn G. H., der registermässig über keine Unterschriftsberechtigung verfügt. Am 21. Dezember 1990 unterzeichnete G. H. unter dem Firmenstempel "H. Sport" einen als "Einrichtungsauftrag" benannten ![]() ![]() Am 11. Januar 1991 gab die Lieferantin eine "provisorische Auftragsbestätigung" mit Terminplan ab. Auf Geschäftspapier der Einzelfirma ersuchte G. H. sie indessen mit Schreiben vom 24. Januar 1991, bis zur Klärung noch offener Fragen keine weiteren Schritte zu unternehmen. Unter privatem Briefkopf trat er in der Folge am 25. März 1991 vom Vertrag zurück, da es nicht gelungen sei, die Finanzierung des Vorhabens sicherzustellen. | 1 |
B. | |
Mit Klage vom 5. März 1992 belangte die U. AG die "H. Sport, Einzelfirma des Herrn G. H." auf Fr. 50'000.- nebst Zins als Entschädigung für die Vertragsannullierung. Mit Vorentscheid vom 18. Juni 1992 trat das Handelsgericht des Kantons St. Gallen auf die Klage unter Berichtigung der beklagtischen Parteibezeichnung in "A. H." ein. Am 17. März 1993 hiess es die Klage im Teilbetrag von Fr. 30'000.- nebst Zins gut. Das Bundesgericht heisst eine dagegen eingelegte Berufung des Beklagten gut und weist die Klage ab. | 2 |
Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
2. Der Beklagte ist vertraglich gebunden, wenn sein Sohn den Vertrag in seinem Namen als Fremdgeschäft abgeschlossen hat und dazu bevollmächtigt war, oder wenn die Klägerin aus seinem Verhalten in guten Treuen auf eine solche Vollmacht schliessen durfte, oder wenn er den Vertrag nachträglich genehmigt hat. Im Falle der Genehmigung wäre er der ihn beanspruchenden Klägerin selbst dann vertraglich verpflichtet, wenn sein Sohn als angemasster Firmeninhaber an sich ein Eigengeschäft abgeschlossen hätte (BK-ZÄCH, N. 86 zu Art. 32 OR). Eine ausdrückliche kaufmännische oder bürgerliche Bevollmächtigung des Sohnes ist nicht erstellt, ebensowenig eine Genehmigung des Vertrags durch den Beklagten. In antizipierter Beweiswürdigung stellt das Handelsgericht sodann fest, dass der Sohn des Beklagten sich auf ein Eigengeschäft beruft, was zwangsläufig bedeutet, dass dieser für sich auch keine Anscheins- oder Duldungsvollmacht in ![]() ![]() | 4 |
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aa) Der Vertreter muss dem Dritten gegenüber in fremdem Namen handeln. Ob dies zutrifft, entscheidet sich wiederum nach den Regeln zur Auslegung empfangsbedürftiger Erklärungen. Erforderlich ist daher entweder, dass der Vertreter den Vertretungswillen hat und der Dritte dies erkennt, oder dass er zwar keinen Vertretungswillen hat, der Dritte jedoch nach Treu und Glauben auf einen solchen schliessen darf und tatsächlich auch schliesst (KOLLER, a.a.O., S. 56 Rz. 191). Mithin kommt es nicht auf den inneren tatsächlichen, sondern auf den nach aussen kundgegebenen und vertrauenstheoretisch sowie tatsächlich als solchen verstandenen Vertretungswillen an (STAUDINGER/DILCHER, N. 39 zu § 167 BGB; RGRK-STEFFEN, N. 13 zu § 167 BGB). Insoweit ist die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu präzisieren, wonach der vollmachtlose Vertreter einen tatsächlichen Vertretungswillen haben müsse (BGE 100 II 200 E. 8a S. 211 mit Hinweisen). Hinreichend ist auch hier der objektiv geäusserte Wille (BK-ZÄCH, N. 40 zu Art. 33 OR; KOLLER, a.a.O.).
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Demgegenüber entfällt die Annahme einer Vertretungswirkung, wenn jemand nicht in, sondern unter fremdem Namen handelt, sich beispielsweise der Angestellte als Geschäftsinhaber ausgibt. Hier wird äusserlich ein Eigen- und nicht ein Fremdgeschäft abgeschlossen, was eine Anwendung der vertretungsrechtlichen Gutglaubensvorschriften von vornherein ausschliesst (KOLLER, a.a.O., S. 57 Rz. 194; NEUMAYER, Vertragsschluss unter fremdem Namen, Mélanges Pierre Engel, S. 221 ff.).
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bb) Das Handeln des Vertreters in fremdem Namen vermag allerdings für sich allein eine Vertrauenshaftung des Vertretenen nie zu begründen, denn aus erwecktem Rechtsschein ist nur gebunden, wer diesen Rechtsschein objektiv zu vertreten hat. Dies folgt bereits daraus, dass das Geschäft nicht durch den Vertreter, sondern durch den Vertretenen mittels des Vertreters abgeschlossen wird, denn dieser ist Vertragspartei, und ihn trifft dessen gesamte Rechtswirkung (MÜLLER-FREIENFELS, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 212; anders noch BGE 42 II 648 E. 1b). Die objektive Mitteilung der Vollmacht muss daher vom Vertretenen ausgehen. Entscheidend ist allein, ob das tatsächliche Verhalten des Vertretenen nach Treu und Glauben auf einen Mitteilungswillen schliessen lässt. Dieses Verhalten kann in einem positiven Tun bestehen, indessen auch in einem passiven Verhalten, einem bewussten oder normativ zurechenbaren Unterlassen oder Dulden (BGE 85 II 22 E. 1; BK-ZÄCH, ![]() ![]() | 9 |
Art. 33 Abs. 3 OR begründet richtig verstanden eine Verkehrsschutzregelung des Inhalts, dass nach Massgabe des Vertrauensschutzes der Vertretene und nicht der Geschäftsgegner das Risiko ![]() ![]() | 10 |
Wie für die Willenserklärung gilt für die Kundgabe der Vollmacht, dass sie auch ohne Erklärungsbewusstsein wirksam werden kann (BK-ZÄCH, N. 41 zu Art. 33 OR mit Hinweisen).
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Dagegen muss die Erklärung ohne Erklärungsbewusstsein dem Erklärenden objektiv zurechenbar sein, was u.a. voraussetzt, dass er sich der ihm unterstellten Bedeutung seines Verhaltens auf Grund der ihm bekannten oder erkennbaren Umstände hätte bewusst sein können (BGE 85 II 22; BK-KRAMER, N. 50 zu Art. 1 OR; BK-ZÄCH, N. 42 zu Art. 33 OR).
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cc) Schliesslich tritt die Vertretungswirkung trotz fehlender Vollmacht nur bei berechtigter Gutgläubigkeit des Dritten ein (BGE 99 II 39 E. 1 S. 42; BK-ZÄCH, N. 155 zu Art. 33 OR; OR-WATTER, N. 35 zu Art. 33 OR; KOLLER, a.a.O., S. 88 ff. Rz. 273 ff.). Rechtstheoretisch rechtfertigt allein der gute Glaube des Mitteilungsempfängers, den Vollmachtsmangel zu heilen (BGE 107 II 105 E. 6a S. 115; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., S. 261 Rz. 1393).
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Erwägung 3 | |
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Die Klägerin ist in ihrem Rechtsstandpunkt indessen von vornherein nur zu schützen, wenn sie auf diesen objektiven Anschein ![]() ![]() | 16 |
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Das Handelsgericht lastet dem Beklagten an, er hätte den durch das Vertreterhandeln seines Sohnes erweckten Anschein erkennen können und sei dagegen nicht eingeschritten. Die Erkennbarkeit leitet es daraus ab, dass die Verhandlungen im Geschäftslokal des Beklagten stattfanden und als Fortsetzung früherer Umbaupläne mit nunmehr neuem Standort wirkten. Die Feststellung, die Parteien hätten bereits früher verhandelt, allerdings nicht um eine zweig- oder ersatzbetriebliche Neueröffnung, sondern um eine Neuausstattung des bestehenden Geschäfts an der (...)strasse in J., entnimmt das Handelsgericht entsprechenden Ausführungen des Beklagten in der Klageantwort. Daraus geht allerdings hervor, dass damals der ![]() ![]() | 18 |
Aus dem Umstand, dass die Vertragsverhandlungen im Geschäft des Beklagten stattfanden, schliesst das Handelsgericht offenbar, dem Sohn sei eine betriebliche Stellung eingeräumt worden, mit der üblicherweise eine Vollmacht verbunden sei. Diese Auffassung, welche namentlich in kaufmännischen Verhältnissen, wie sie auch hier gegeben sind, ihre grundsätzliche Berechtigung hat, ist in der Rechtsprechung bereits dem Gutglaubensschutz des Dritten zugrunde gelegt worden (Nachweise bei BK-ZÄCH, N. 159 ff. zu Art. 33 OR; KOLLER, a.a.O., S. 77 ff. Rz. 246 ff., BUCHER, a.a.O., S. 614 Fn. 54). Allerdings vermag die Klägerin sich nicht auf einen Rechtsschein zu berufen, wie das Gesetz ihn im Rahmen der besonders normierten Vertretungsmacht kaufmännischer Vertreter für den Umfang deren Vertretungsmacht begründet (vgl. etwa Art. 458 ff., Art. 462 und Art. 348b OR), wurde G. H. doch eine solche interne Bevollmächtigung nicht erteilt, und wird eine solche von ihm auch nicht aus Duldung oder Anschein beansprucht. Zu prüfen ist daher bloss, ob der kaufmännische Rechtsschein der Klägerin erlaubte, auf eine solche Vertretungsmacht zu schliessen. Dabei ist auch hier weniger entscheidend, ob der Kaufmann die rechtsgeschäftliche Tätigkeit seines Vertreters im einzelnen kennt und billigt, als vielmehr, wie die mit seinem Vertreter kontrahierenden Dritten sein Verhalten auffassen müssen. Dürfen sie in guten Treuen annehmen, dass ihm das rechtsgeschäftliche Handeln seines Vertreters bei Beachtung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt nicht entgangen sein konnte und daher von ihm gedeckt werde, so muss er sich auf diesem Verhalten behaften lassen (BGE 74 II 149 E. 2). Indessen darf, wie im bürgerlichen Bereich, der Dritte eine solche Ermächtigung nicht leichthin annehmen (BGE 99 II 39 E. 1 S. 42). Da die kaufmännische Stellvertretung in jeder Erscheinungsform auf Dauer ausgelegt ist, ist für deren allfällige vertrauenstheoretische Begründung ein Verhalten des Scheinbevollmächtigten erforderlich, welches seinerseits auf Dauer und Kontinuität ausgerichtet ist. Bloss einmaliges Handeln vermag im Regelfall den Rechtsschein nicht zu begründen. ![]() | 19 |
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Nichts anderes gilt schliesslich für die Verwendung von Geschäftspapier in der dem Vertragsschluss folgenden Korrespondenz und namentlich des Firmenstempels auf dem Vertragsdokument durch den Sohn des Beklagten. Zwar ist der Auffassung durchaus beizupflichten, dadurch könne in besonderem Masse eine rechtsgeschäftliche Vertrauenshaftung des Vertretenen begründet werden (STAUDINGER/DILCHER, N. 35 zu § 167 BGB). Indessen hat das Bundesgericht bereits im Jahre 1913 darauf hingewiesen, dass die ![]() ![]() | 21 |
All die genannten Anzeichen vermögen daher das gutgläubige Vertrauen des Dritten in eine Vertretungsmacht nicht weiter zu schützen, als es die branchenübliche Geschäftsabwicklung erheischt. In der bisherigen Rechtsprechung ist denn soweit ersichtlich Gutglaubensschutz stets bloss in diesem beschränkten Umfang gewährt worden (BGE 105 II 110, BGE 76 I 338 E. 5, BGE 53 III 171 E. 2, BGE 31 II 667 E. 3, SJ 1966, S. 537; NJW 1976, S. 1673). Im vorliegenden Fall ging die eingegangene Verpflichtung indessen wesentlich über den normalen Geschäftsbetrieb hinaus, so dass die Klägerin ohne weitere vertrauensbildende Umstände nicht davon ausgehen durfte, der Sohn vermöge insoweit den Beklagten rechtsgeschäftlich zu verpflichten. Solche weiteren Umstände aber hat das Handelsgericht in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt. Schliesslich reichen die genannten Umstände auch in ihrer Gesamtwürdigung nicht aus, einen Gutglaubensschutz der Klägerin zu begründen. ![]() | 22 |
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