BGE 121 II 110 - Jamal Miri I | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
18. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 12. Juli 1995 |
i.S. Jamal Miri gegen Fremdenpolizei des Kantons Bern und Richteramt II von Bern |
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 13b Abs. 2 in Verb. mit 13c Abs. 2 und 3 ANAG; Ausschaffungshaft. |
Der Haftrichter entscheidet über die Ausschaffungshaft immer aufgrund einer mündlichen Verhandlung, so auch bei der Zustimmung gemäss Art. 13b Abs. 2 ANAG zur Verlängerung der Ausschaffungshaft nach drei Monaten (E. 1). |
Wurde die Zustimmung zur Haftverlängerung ohne mündliche Verhandlung erteilt, ist der Ausländer, ohne Rückweisung der Sache an den Haftrichter zu neuem Entscheid, aus der Haft zu entlassen, wenn er weder die öffentliche Sicherheit gefährdet noch die öffentliche Ordnung massgeblich beeinträchtigt (E. 2). | |
Sachverhalt | |
A. - Das Bundesamt für Flüchtlinge wies am 14. Juni 1994 ein Asylgesuch des aus dem Libanon stammenden Palästinensers Jamal Miri ab und wies ihn aus der Schweiz weg. Die Schweizerische Asylrekurskommission bestätigte am 30. September 1994 die Verfügung des Bundesamtes, und dieses setzte Frist bis 31. Oktober 1994 zum Verlassen der Schweiz. Jamal Miri kam dieser Aufforderung in der Folge nicht nach.
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Die Fremdenpolizei des Kantons Bern verfügte am 22. Februar 1995 die Ausschaffung von Jamal Miri und ordnete zur Sicherstellung dieser Massnahme die Ausschaffungshaft an. Nach einer ersten erfolglosen Vorsprache am 6. April 1995 konnte die Polizei Jamal Miri am 9. April 1995 anhalten und in Ausschaffungshaft nehmen. Der a.o. Untersuchungsrichter 3 von Bern bestätigte am 13. März 1995 nach mündlicher Anhörung von Jamal Miri die Ausschaffungshaft. Der Gerichtspräsident II von Bern wies am 3. Mai 1995 ein Haftentlassungsgesuch Jamal Miris nach Durchführung einer Verhandlung ab. Auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde trat das Bundesgericht nicht ein, soweit sie sich gegen den Haftbestätigungsentscheid des Untersuchungsrichters richtete, und wies sie ab, soweit damit der Haftbelassungsentscheid des Gerichtspräsidenten angefochten wurde (nicht veröffentlichtes Urteil vom 20. Juni 1995).
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Der Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspolizei Bern ersuchte am 1. Juni 1995 um Verlängerung der Ausschaffungshaft. Am 7. Juni 1995 hiess der Gerichtspräsident II von Bern das Gesuch nach Einholen einer schriftlichen Vernehmlassung gut und verlängerte die Ausschaffungshaft um sechs Monate.
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Am 30. Juni 1995 erhob Jamal Miri gegen den Haftverlängerungsentscheid vom 7. Juni 1995 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und ordnet die unverzügliche Haftentlassung von Jamal Miri an,
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Auszug aus den Erwägungen: | |
aus folgenden Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
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Gemäss Art. 13c Abs. 2 ANAG sind die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen (Art. 13c Abs. 2 ANAG). Der inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen, worüber die richterliche Behörde innert acht Arbeitstagen aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden hat; ein erneutes Gesuch um Haftentlassung kann bei der Ausschaffungshaft nach zwei Monaten gestellt werden (Art. 13c Abs. 4 ANAG). Die nach einer Haftdauer von drei Monaten erforderliche Entscheidung über die Haftverlängerung um höchstens sechs Monate bedarf der "Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde".
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Die richterliche Behörde berücksichtigt bei der Überprüfung des Entscheides über Anordnung, Fortsetzung und Aufhebung der Haft neben den Haftgründen insbesondere die familiären Verhältnisse der inhaftierten Person und die Umstände des Haftvollzugs (Art. 13c Abs. 3 ANAG).
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Diese Rüge ist begründet. Wohl sieht das Gesetz hinsichtlich der Haftverlängerung nach drei Monaten Haft bloss vor, dass diese der richterlichen Zustimmung bedürfe; von einer mündlichen Verhandlung ist nicht die Rede. Das vom Gesetzgeber geschaffene System mit einer Abfolge von richterlichen Entscheiden vorerst über die Anordnung der Ausschaffungshaft, dann über ein allfälliges Haftentlassungsgesuch, anschliessend über die Verlängerung der Ausschaffungshaft und sodann über allfällige weitere Haftentlassungsgesuche schliesst indessen die Annahme aus, dass einzig und gerade für den Haftverlängerungsentscheid keine mündliche Verhandlung durchgeführt werden müsste. Es machte offensichtlich keinen Sinn, dem inhaftierten Ausländer eine mündliche Verhandlung nach einem Monat, dann nach dem fünften und schliesslich nach dem siebten Haftmonat zu garantieren, wenn der Haftrichter bloss auf Gesuch hin tätig wird, nicht aber nach dem dritten Monat, für welchen Zeitpunkt das Gesetz eine obligatorische Haftprüfung vorschreibt. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine vollständige Haftprüfung und damit auch eine mündliche Verhandlung (zumindest) alle zwei Monate ermöglicht werden sollte. Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass es nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sein konnte, eine mündliche Verhandlung gerade dann als entbehrlich zu betrachten, wenn an die Fortsetzung der Haft weitere Anforderungen gestellt werden und nebst sämtlichen sich bei Haftentlassungsgesuchen stellenden Fragen zusätzlich zu prüfen ist, ob dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegenstehen. Dass der Gesetzgeber für die richterliche Zustimmung zur Haftverlängerung nicht ausdrücklich eine mündliche Verhandlung fordert, ist unter diesen Umständen nicht als qualifiziertes Schweigen zu werten, wie auch das Bundesamt für Flüchtlinge in seiner Vernehmlassung zu Recht festhält.
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Der angefochtene, in einem schriftlichen Verfahren ergangene Entscheid verletzt demnach Bundesrecht und ist aufzuheben.
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Erwägung 2 | |
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Demgegenüber gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Beschwerdeführer die öffentliche Sicherheit in irgendeiner Weise gefährdet oder die öffentliche Ordnung massgeblich beeinträchtigt hätte (vgl. auch nachfolgend E. c). Es steht lediglich fest, dass er nach rechtskräftiger Abweisung des Asylgesuchs vorerst keine Schritte unternommen hat, die Schweiz zu verlassen. Unter diesen Umständen ist der Beschwerdeführer aus der Ausschaffungshaft zu entlassen.
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Schliesslich ist zweifelhaft, ob der Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG erfüllt ist. Wohl hat das Bundesgericht im Urteil vom 20. Juni 1995 entschieden, dass aufgrund der Sachlage, wie sie sich dem Haftrichter am 3. Mai 1995, zum Zeitpunkt des Entscheids über das Haftentlassungsgesuch, präsentierte, eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass der Beschwerdeführer sich der Ausschaffung entziehen würde (E. 4). Wegen des für das bundesgerichtliche Verfahren geltenden Novenverbots (Art. 105 Abs. 2 OG) konnten jedoch verschiedene nachträgliche Vorbringen des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt werden, denen der Haftrichter spätestens in seinem Haftverlängerungsentscheid Rechnung tragen musste und die für das heutige bundesgerichtliche Verfahren nicht mehr neu sind. So entfällt vor allem der für die Bewertung des Verhaltens des Beschwerdeführers gewichtige Vorwurf, er habe falsche Personalien- und Herkunftsangaben gemacht, vollständig; der Beschwerdeführer gab diesbezüglich von Anfang an zutreffend Auskunft. Sodann lässt sich angesichts der Bestätigung der Leitung des Durchgangsheims Dreispitz, dass der Beschwerdeführer sich mit ihrem Wissen häufig bei einem Freund aufgehalten habe, nicht mehr ohne weiteres sagen, er sei anfangs April 1995 untergetaucht; nach der einzigen dokumentierten erfolglosen Vorsprache der Polizei vom 6. April 1995 konnte der Beschwerdeführer am 9. April 1995 beim Durchgangsheim selber angehalten werden. Das Verhalten ab dem 1. Februar 1995 lässt, selbst im Lichte seines früheren Verhaltens, das nur ergänzend berücksichtigt werden kann (vgl. Urteil vom 20. Juni 1995, E. 4b; der Haftrichter hat die Übergangsbestimmung zum Zwangsmassnahmengesetz auch in seinem neuen Entscheid nicht beachtet), kaum genügend konkrete Anzeichen dafür erkennen, dass der Beschwerdeführer sich der Ausschaffung entziehen will.
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d) Wird der Beschwerdeführer freigelassen, ist es den kantonalen Behörden nicht verwehrt, die nötigen Vorkehren für die Ausschaffung zu treffen. So steht nichts entgegen, dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, sich den Behörden für Abklärungen zur Verfügung zu halten. Sollte er untertauchen, läge ein neuer Sachverhalt vor, der Grundlage dafür sein könnte, dass er wieder inhaftiert wird.
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