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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 19. Juni 1996 |
i.S. Urs Wegmann gegen Politische Gemeinde Wartau und Regierung des Kantons St. Gallen |
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 84 ff., Art. 97 ff. OG; Abgrenzung Verwaltungsgerichtsbeschwerde - staatsrechtliche Beschwerde. |
1. Rechtsmittelweg in bezug auf die kantonalrechtliche Kostenverlegung (E. 1b). |
Art. 2 Abs. 4 WaG, Art. 1 WaV; Waldfeststellung, Waldeigenschaften. |
2. Zweck des Waldfeststellungsverfahrens, Einbezug von über das Waldrecht hinausgehenden Fragen (E. 2)? |
3. Bestimmung der Minimalbreite einer Bestockung (Art. 1 Abs. 1 lit. b WaV); Vorgehen, wenn dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht keine ausdrückliche Vorschrift zu entnehmen ist (E. 4). |
4. Eine Bestockung erfüllt in besonderem Masse Wohlfahrtsfunktionen (Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG), wenn sie - wie eine Bachuferbestockung - in den Schutzbereich des Gewässerschutz-, des Wasserbau- sowie des Natur- und Heimatschutzgesetzes und allenfalls des Fischereigesetzes des Bundes fällt (E. 5). |
Art. 4 BV; rechtliches Gehör; Kostenverlegung im Einspracheverfahren. |
5. Dem Einsprecher dürfen in einem seine Parzelle betreffenden, von Amtes wegen eingeleiteten Waldfeststellungsverfahren keine amtlichen Kosten (einschliesslich Vermessungskosten) auferlegt werden, wenn er vor Erlass der Waldfeststellungsverfügung nicht angehört wurde (E. 6). | |
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A. | |
Urs Wegmann ist Eigentümer der Parzellen Nrn. 2357b und 3444a in Saschela/Pulverstampf, Oberschan, politische Gemeinde Wartau. Die Liegenschaft Nr. 3444a ist unüberbaut, wenn man von einem ca. 20jährigen Gerätehaus absieht; das Grundstück Nr. 2357b ist mit einem Einfamilienhaus sowie einem Gartenhäuschen überbaut. Die Parzellen werden im Süden durch einen natürlichen Bachlauf begrenzt, dessen Ufer und Umgebung auf einer Länge von gut 100 m bestockt sind. Die fraglichen zwei Parzellen sind einer Bauzone zugeteilt, während die südlich an den Bachlauf bzw. die Bestockung angrenzenden Grundstücke Nichtbaugebiet sind.
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Im Rahmen der in der Gemeinde Wartau laufenden Zonenplanrevision und den dabei notwendigen Abgrenzungen von Baugebiet zu Waldflächen legte das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons St. Gallen in bezug auf verschiedene Bestockungen in der Gemeinde, so auch in Saschela/Pulverstampf, die Waldgrenzen gegenüber dem Baugebiet fest. Urs Wegmann erhob gegen die seine Liegenschaften betreffende Waldfeststellung Einsprache. Er beantragte festzustellen, dass es sich beim fraglichen Baumbestand nicht um Wald im Sinne der Waldgesetzgebung des Bundes handle; für den Eventualfall stellte er den Antrag, die Waldgrenze zurückzuversetzen.
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Das Volkswirtschaftsdepartement führte darauf einen Augenschein durch, an welchem der Einsprecher sowie die Vertreter des Kantons übereinkamen, die Stockgrenze neu zu markieren und vermessen zu lassen. Anschliessend gab das Volkswirtschaftsdepartement dipl. Ing. ETH Kreis einen Vermessungsauftrag, worin dieser unter anderem angewiesen wurde, in die Flächenberechnung einen Waldsaum von zwei Metern einzubeziehen. Die Vermessung ergab eine - gegenüber der Waldfeststellungsverfügung gesamthaft leicht vergrösserte - bestockte Fläche von 1'222 m2, die einschliesslich eines Waldsaumes von 2 m zwischen ca. acht und sechzehn Meter breit ist.
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Am 21. Juni 1994 wies das Volkswirtschaftsdepartement die Einsprache von Urs Wegmann ab. Es stellte fest, dass die von dipl. Ing. ETH Kreis ausgemessene Bestockungsfläche Wald im Sinne des Bundesgesetzes über den Wald vom 4. Oktober 1991 (Waldgesetz, WaG; SR 921.0) darstelle. Die Einsprachegebühr sowie die Hälfte der Vermessungskosten wurden Urs Wegmann auferlegt. Dagegen erhob Urs Wegmann Rekurs an die Regierung des Kantons St. Gallen. Er erneuerte die in der Einsprache in der Sache gestellten Anträge; in verfahrensrechtlicher Hinsicht wurde beantragt, die Kosten des Einspracheverfahrens vollumfänglich auf die Staatskasse zu verlegen. ![]() ![]() | 4 |
Das Bundesgericht heisst die beim ihm gegen den Regierungsentscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gut und hebt den angefochtenen Entscheid insoweit auf, als er die Kostenverlegung der beiden kantonalen Rechtsmittelverfahren betrifft. Im übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
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aa) In der Bundesverwaltungsrechtspflege gilt der Grundsatz der "Einheit des Prozesses" (FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 106 f. und 237 f.). Das bedeutet, dass Verfügungen über Verfahrenskosten und Parteientschädigungen, sofern sie sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (Art. 5 VwVG in Verbindung mit Art. 97 OG), der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (und nicht der Beschwerde an den Bundesrat) unterliegen, falls das erstgenannte Rechtsmittel in der Hauptsache gegeben ist (Art. 101 lit. b OG). Diese Regel gilt sinngemäss, wenn eine auf öffentliches Recht des Bundes ![]() ![]() | 9 |
bb) Anders verhält es sich, wenn die Hauptsache zwar vom Bundesverwaltungsrecht geregelt wird, vor Bundesgericht aber ausschliesslich der Kostenpunkt beanstandet wird und sich dieser auf kantonales Recht stützt. In solchen Fällen liegt keine mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbare Verfügung (Art. 5 VwVG, Art. 97 OG) vor und ist eine Eingabe als staatsrechtliche Beschwerde zu behandeln, sofern die entsprechenden Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (Urteil des Bundesgerichtes vom 20. Dezember 1993, E. 1, in Bernische Verwaltungsrechtsprechung [BVR] 1994 S. 335 f.; BGE 112 V 106 E. 2c). Die staatsrechtliche Beschwerde ist weiter gegen auf kantonalem Verfahrensrecht beruhende Revisionsentscheide gegeben, mit denen nach Erlass einer der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegenden Verfügung nach Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700) in Abänderung des Sachentscheides eine Parteientschädigung zugesprochen wird (BGE 117 Ib 216). Nicht selbständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar sind zudem kantonalrechtliche Kostenentscheide, wenn das Bundesgericht mangels Legitimation des Beschwerdeführers auf die an sich gegebene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Sachentscheid nicht eintreten und diesen daher nicht ändern kann (BGE 99 Ib 211 E. 5); eine auch nur mittelbare Überprüfung des Sachentscheides über die Anfechtung des Kostenspruches mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist damit ausgeschlossen.
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cc) Im vorliegenden Fall geht es um ein von Amtes wegen eingeleitetes Verfahren, das in eine erstinstanzliche Verfügung mündet und die anschliessend (zunächst) mit Einsprache angefochten werden kann. Im Gegensatz zu den vorstehend (E. 1b/bb) zitierten Fällen steht die vom Volkswirtschaftsdepartement im Einspracheverfahren getroffene und von der Regierung geschützte Kostenverlegung in einem unmittelbaren Sachzusammenhang mit der Frage, ob und in welchem Umfange die Bestockung auf den Liegenschaften des Beschwerdeführers Wald im Rechtssinne darstellt. ![]() ![]() | 11 |
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
3.- a) Gemäss Art. 2 WaG gilt jede Fläche als Wald, die mit Waldbäumen oder -sträuchern bestockt ist und Waldfunktionen (Schutz-, Nutzungs- oder ![]() ![]() | 16 |
Innerhalb eines bestimmten Rahmens können die Kantone bestimmen, ab welcher Breite, welcher Fläche und welchem Alter eine ins Baugebiet einwachsende Fläche sowie ab welcher Breite und welcher Fläche eine andere Bestockung als Wald gilt (Art. 2 Abs. 4 Satz 1 WaG). Diesen Rahmen legte der Bundesrat wie folgt fest (Art. 1 Abs. 1 WaV): a) Fläche mit Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes: 200-800 m2; b) Breite mit Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes: 10-12 m; c) Alter der Bestockung auf Einwuchsflächen: 10-20 Jahre.
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Erfüllt eine Bestockung in besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 lit. c WaG, so sind die kantonalen Kriterien nicht massgebend; die Bestockung gilt unabhängig von ihrer Fläche, ihrer Breite oder ihrem Alter als Wald (Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG und Art. 1 Abs. 2 WaV).
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Das Kantonsforstamt St. Gallen, welches als Fachbehörde für den Vollzug der Forstgesetzgebung zuständig ist (Art. 9 ForstG), hat Richtlinien für die Waldfeststellung erlassen. Gemäss Ziffer 1 der Richtlinien in der ![]() ![]() | 20 |
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Die langgezogene Bestockung weist eine Länge von rund 100 m und eine Gesamtfläche von 1'222 m2 auf. Sie ist (immer einschliesslich eines 2 m breiten Waldsaumes) durchschnittlich 12,22 m breit. Im östlichen und westlichen Drittel beträgt die Breite zwischen 12-16 m mit Verjüngungen gegen die Bestockungsenden; im mittleren Bereich ist die Bestockung auf einer Länge von ungefähr 33 m weniger als 12 m breit, an der schmalsten Stelle knapp 8 m. Der Hauptbestand des Wuchses setzt sich aus einheimischen Waldbäumen, vorwiegend Esche, Buche, Ahorn, Kirschbaum und Birke, zusammen. Das Areal des Waldsaumes ist durch menschliche Eingriffe gezeichnet und kaum mehr natürlich. Die kantonalen Behörden wie auch das EDI als zuständige Fachbehörde des Bundes gehen von einem Kernbestand von Bäumen aus, der älter als 15 Jahre ist.
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Erwägung 4 | |
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Diese Bewertung erfolgt unter Berücksichtigung eines "zweckmässigen" Waldsaumes (Art. 1 Abs. 1 lit. b WaV). Er beträgt 2 m (Art. 1 Abs. 2 VVForstG). Dass ein natürlicher Waldsaum zufolge zahlreicher menschlicher Eingriffe heute fehlt, hat entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht zur Folge, dass der Saum nicht mitzuberechnen wäre; die Messmethode muss in jedem Fall einen solchen Saum enthalten (STEFAN M. JAISSLE, Der dynamische Waldbegriff und die Raumplanung, Diss. Zürich 1994, S. 67 f.). ![]() ![]() | 28 |
Erwägung 5 | |
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Das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG; SR 451) verstärkt diesen Schutz zusätzlich. Gemäss Art. 21 Abs. 1 NHG darf die Ufervegetation ohne besondere naturschutzrechtliche Bewilligung weder gerodet noch überschüttet noch auf andere Weise zum Absterben gebracht werden (Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 NHG). Auch nach dem Bundesgesetz über die Fischerei vom 21. Juni 1991 (Fischereigesetz, BGF; ![]() ![]() | 31 |
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Erwägung 6 | |
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a) Nach St. Galler Verfahrensrecht werden die Waldgrenzen in der Bauzone in einem Plan festgelegt und anschliessend öffentlich aufgelegt, ohne zuvor ![]() ![]() | 34 |
Wird die Einsprache abgewiesen, hat jener Beteiligte die Verfahrenskosten zu tragen, dessen Begehren ganz oder teilweise abgewiesen wurde (Art. 95 Abs. 1 VRP). In Anwendung dieser Vorschrift hat das Volkswirtschaftsdepartement dem Beschwerdeführer im Einspracheentscheid die gesamten amtlichen Verfahrenskosten und die Hälfte der Kosten für die am Augenschein vereinbarte Neuvermessung der Stockgrenze auferlegt. Ob diese von der Regierung geschützte Kostenverlegung vor Art. 4 BV standhält, prüft das Bundesgericht frei (BGE 119 Ia 260 E. 6a).
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b) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zur Sache zu äussern (BGE 119 Ia 260 E. 6a; 119 Ib 12 E. 4; GEORG MÜLLER in Kommentar BV, Art. 4 Rz. 105). Sowohl die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 112 Ia 5 E. 2c; 104 Ia 69) als auch die Lehre (MÜLLER, a.a.O., Art. 4 Rz. 107; THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör [Art. 4 BV], recht 1984, S. 11 f.) anerkennen allerdings, dass die Anhörung unter gewissen Voraussetzungen nachgeholt werden darf. So kann die Anhörung des Betroffenen aus verfahrensökonomischen Gründen in ein Einspracheverfahren (als Rechtsmittelverfahren) verwiesen werden, falls das im Interesse eines rationellen Verwaltungsganges wie etwa bei Massenverfügungen (Renten- oder Stipendienentscheide) angezeigt ist (MÜLLER, a.a.O., Art. 4 Rz. 107, COTTIER, a.a.O., S. 12). Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes lässt zum Beispiel eine nachträgliche ![]() ![]() | 36 |
Im Lichte dieser allgemeinen Grundsätze liegt es nicht ohne weiteres auf der Hand, in Waldfeststellungsverfahren zur Abgrenzung des Baugebietes im Rahmen einer Zonenplanrevision die erstmalige Anhörung der Betroffenen erst im Einsprache- bzw. Rechtsmittelverfahren zuzulassen. Wie es sich mit dieser Frage aber letztlich verhält, kann hier offenbleiben. Der Beschwerdeführer beanstandet weniger das Vorgehen der kantonalen Behörden an sich, sondern richtet seine Kritik gegen das bereits in der Gesetzgebung vorgezeichnete Kostenrisiko, das der Einsprecher auf sich zu nehmen habe, um sich überhaupt rechtliches Gehör zu verschaffen.
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Im Lichte von Art. 4 BV wäre es an sich nicht zu beanstanden, wenn ein Einsprecher Kosten für Beweiserhebungen vorschiessen müsste, weil diese mit verhältnismässig hohem finanziellen Aufwand verbunden sind (vgl. Art. 33 ![]() ![]() | 40 |
Erwägung 7 | |
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b) Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer nur einen Teil der Gerichtsgebühr zu tragen (Art. 156 Abs. 1 und 3 OG); der andere Teil kann dem Kanton St. Gallen gemäss Art. 156 Abs. 2 OG nicht belastet werden. Dieser hat jedoch dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine reduzierte Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 3 OG). ![]() | 42 |
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