![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 15. Februar 2000 |
i.S. T. gegen Kanton Zürich und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich |
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 12 OHG; Pflicht zur Substanziierung und Bezifferung von Entschädigungs- und Genugtuungsansprüchen. |
Soweit der Schaden oder allfällige Leistungspflichten Dritter innert der zweijährigen Verwirkungsfrist gemäss Art. 16 Abs. 3 OHG nicht feststehen, sind unbezifferte Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren zulässig (E. 2a-d). Hingegen muss das Opfer innert der Verwirkungsfrist den anspruchsbegründenden Sachverhalt mit hinreichender Bestimmtheit darlegen (E. 2e und f). |
Ungenügen des beurteilten Gesuchs mangels näherer Angaben zu Ort, Ursache und genauem Hergang des Unfalls, erlittenen Verletzungen, Schadenabwicklung und persönlichen Verhältnissen des Opfers (E. 3). |
Art. 4 aBV bzw. 5 Abs. 3 und 9 BV; Folgen einer unzutreffenden behördlichen Aufforderung zur Verbesserung einer Eingabe. |
Wenn eine Opferhilfestelle nach Einreichung eines Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren (zu Unrecht) zur Substanziierung der Schadensposten auffordert, aber keine weiteren Angaben verlangt, so verstösst es gegen Treu und Glauben, das Gesuch hernach mangels solcher weiterer Angaben abzuweisen (E. 4 und 5). | |
![]() | |
T. stellte am 10. September 1997 bei der Abteilung Opferhilfe der Direktion der Justiz des Kantons Zürich den Antrag, es seien ihr Entschädigung und Genugtuung nach Art. 12 des Opferhilfegesetzes vom 4. Oktober 1991 (OHG; SR 312.5) zuzusprechen und das Verfahren sei einstweilen zu sistieren. Zur Begründung führte sie aus, sie sei am 14. September 1995 Opfer eines Verkehrsunfalles geworden, unter dessen Folgen sie immer noch leide. In erster Linie würden die Ansprüche mit den beteiligten Versicherern abgerechnet. ![]() ![]() | 1 |
Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich bestätigte am 15. September 1997 den Eingang des Gesuchs und führte aus: "Die allgemeine Anmeldung einer Entschädigungsforderung genügt nicht. Die Schadenspositionen sind einzeln aufzuführen und soweit möglich zu substantiieren. Wir ersuchen Sie, der Kantonalen Opferhilfestelle die Angaben bis zum 13. Oktober 1997 nachzureichen; andernfalls aufgrund der Akten entschieden wird".
| 2 |
Am 24. September 1997 teilte T. der Direktion der Justiz mit, sie sei zwar mit deren Rechtsauffassung nicht einverstanden. Die Eingabe erfolge rein vorsorglich. Sie sei nicht in der Lage, die Zahlen zu beziffern. Dann fügte sie bei:
| 3 |
"Wenn Sie das trotzdem verlangen: Hier unsere Forderungen: Anwaltskosten, Genugtuung oder Entschädigung Fr. 100'000.-
| 4 |
Beratung in medizinischer, psychologischer, sozialer Hinsicht Fr. 50'000.-
| 5 |
Vorschuss Fr. 50'000.-"
| 6 |
Weiter führte sie aus, im jetzigen Zeitpunkt schulde die Opferhilfe keinerlei Leistungen, weil davon auszugehen sei, dass die UVG-Versicherung bzw. die Haftpflicht für den Schaden aufkommen werde.
| 7 |
Mit Verfügung vom 26. September 1997 wies die Kantonale Opferhilfestelle das Gesuch ab, da es trotz Aufforderung nicht hinreichend substanziiert worden sei. T. erhob dagegen Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde am 24. August 1999 ab.
| 8 |
Eine gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde heisst das Bundesgericht gut.
| 9 |
Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
| 10 |
Erwägung 2 | |
11 | |
12 | |
![]() | 13 |
c) Aus diesen Bestimmungen ergibt sich als Zielsetzung des Gesetzes, dass die Opfer auf einfache und rasche Weise zu einer Entschädigung gelangen können. Die relativ kurze Verwirkungsfrist von zwei Jahren soll zudem das Opfer veranlassen, rasch seine Ansprüche geltend zu machen, damit die Behörde zu einem Zeitpunkt entscheiden kann, in dem der Sachverhalt noch abgeklärt werden kann (BGE 123 II 241 E. 3c S. 243). Indessen steht häufig nach zwei Jahren noch gar nicht fest, ob alle anspruchsbegründenden Tatbestandselemente erfüllt sind, was Voraussetzung für eine Leistung nach den Art. 11-14 OHG ist (BGE 122 II 211 E. 3d S. 216). So kann noch unklar sein, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Zudem kann häufig der Schaden noch nicht beziffert werden. Schliesslich steht nach Ablauf dieser Zeit nicht immer fest, ob Dritte schadenersatzpflichtig sind, so dass die gemäss Art. 1 der Opferhilfeverordnung vom 18. November 1992 (OHV; SR 312.51) vom Opfer verlangte Glaubhaftmachung, dass es keine oder nur ungenügende Leistungen von Dritten erhalten kann, noch gar nicht möglich ist. Aus diesen Gründen ist es nach Lehre und Rechtsprechung zulässig, zur Fristwahrung ein vorsorgliches Gesuch zu stellen und das Verfahren zu sistieren, bis die Anspruchsvoraussetzungen näher abgeklärt werden können (BGE 123 II 1 E. 2b S. 3; 122 II 211 E. 3e S. 216 f.; DOMINIK ZEHNTNER, Straftaten, in: Peter Münch/Thomas Geiser (Hrsg.), Schaden - Haftung - Versicherung, Basel/Genf/München 1999, Rz. 14.72; Empfehlungen der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz OHG, Ziff. 75). Zwar widerspricht es dem Gesetz, wenn die Behörde von sich aus das Verfahren sistiert und vom Opfer verlangt, vorerst einen Zivilprozess gegen den möglichen Schädiger durchzuführen (BGE 123 II 1 E. 3b S. 4). Eine Sistierung ist hingegen dann anzuordnen, wenn das Opfer selber sie verlangt, um vorerst Leistungspflichten Dritter abzuklären. Das entspricht der Subsidiarität der Opferhilfe und liegt nicht zuletzt auch im Interesse der Behörde, wird doch dadurch vermieden, dass Abklärungen vorgenommen werden müssen, die sich schliesslich ![]() ![]() | 14 |
15 | |
e) Hingegen kann und muss vom Gesuchsteller verlangt werden, dass er soweit zumutbar diejenigen Angaben macht, die der Behörde erlauben, den Sachverhalt und die Anspruchsberechtigung näher abzuklären. Wohl hat die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen (Art. 16 Abs. 2 OHG). Das schliesst aber eine ![]() ![]() | 16 |
17 | |
18 | |
Erwägung 3 | |
19 | |
![]() | 20 |
b) Die Höhe des geltend gemachten Schadens geht somit aus den Eingaben der Beschwerdeführerin nicht hervor und die einzelnen Posten sind unpräzis bezeichnet. Immerhin ergibt sich hinreichend klar, dass die Beschwerdeführerin Leistungen gemäss Art. 12 OHG beanspruchte. Nach dem vorne (E. 2c/d) Ausgeführten kann bei vorsorglich eingereichten Gesuchen nicht eine Bezifferung des Schadens oder eine Substanziierung einzelner Posten verlangt werden. Der Beschwerdeführerin kann deshalb nicht vorgeworfen werden, dass sie den Schaden nicht beziffert hat. Insoweit sind die Ausführungen in der Verfügung der Direktion der Justiz vom 26. September 1997, wonach das Opferhilfegesetz keine Vormerknahme noch nicht bemessbarer Schadenspositionen kenne, nicht zutreffend. Diese Auffassung würde dazu führen, dass ein Schaden, der innert zweier Jahre nicht liquid ist, gar nicht geltend gemacht werden kann, was der Zielsetzung des Opferhilfegesetzes zuwiderlaufen würde. Das Sozialversicherungsgericht geht demgegenüber ![]() ![]() | 21 |
22 | |
23 | |
Erwägung 4 | |
24 | |
25 | |
b) Äusserungen im Verkehr zwischen Behörden und Privaten sind so zu interpretieren, wie die jeweils andere Seite sie nach Treu und Glauben verstehen durfte (Art. 4 aBV bzw. Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 ![]() ![]() | 26 |
27 | |
Erwägung 5 | |
5.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen. Die Beschwerdeführerin beantragt Aufhebung des angefochtenen Urteils und Feststellung, dass mit der Eingabe vom 10. September 1997 die zweijährige Frist gemäss Art. 16 Abs. 3 OHG gewahrt sei. Diesem Antrag kann entsprochen werden. Er impliziert sinngemäss, dass nebst dem Urteil des Sozialversicherungsgerichts auch die Verfügung der Direktion der Justiz vom 26. September 1997 aufgehoben wird, selbst wenn die Beschwerdeführerin das nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Sache ist sodann zur neuen Beurteilung an die Direktion der Justiz zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2 OG). Diese wird nach Zustellung des begründeten vorliegenden Urteils der Beschwerdeführerin zunächst eine angemessene Nachfrist anzusetzen haben zur Einreichung der noch fehlenden Angaben und Unterlagen (E. 3c) und alsdann über das von der Beschwerdeführerin mit der Eingabe vom 10. September 1997 gestellte Sistierungsgesuch zu befinden haben. ![]() | 28 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |