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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
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26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. SRG SSR idée suisse Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft gegen X. sowie Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
2A.40/2006 vom 27. April 2006 | |
Regeste |
Art. 93 Abs. 2 und 3 BV, Art. 4 und 64 Abs. 3 RTVG; Programmrechtskonformität des Beitrags "Patent angemeldet" betreffend das Spinnenfanggerät "SpiderCatcher" ("Kassensturz" vom 24. Mai 2005; "Dipl. Ing. Paul Ochsner"). |
Zusammenfassung der Rechtsprechung zu den programmrechtlichen Anforderungen an eine Sendung und zur Überprüfungsbefugnis der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (E. 2). |
Bei einem für das Publikum erkennbar nicht ernst gemeinten Beitrag gilt das Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 1 RTVG nur in abgeschwächter Form; die rundfunkrechtliche Programmaufsicht soll die Meinungsbildung des Publikums vor Manipulationen von einem gewissen Gewicht schützen und nicht in erster Linie wirtschaftliche Akteure gegen einen humoristisch gestalteten Beitrag über ihr Produkt (E. 3). | |
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Das Schweizer Fernsehen DRS strahlt im Rahmen des Konsumentenmagazins "Kassensturz" regelmässig die Rubrik "Patent angemeldet" mit "Dipl. Ing. Paul Ochsner" aus. Dieser "testet" in humoristischer Weise meist auf Anregung von Zuschauern hin originelle oder skurrile Produkte oder Verfahren auf ihre Nützlichkeit bzw. Alltagstauglichkeit. Gegenstand der Rubrik vom 24. Mai 2005 bildete das Spinnenfanggerät "SpiderCatcher". "Dipl. Ing. Paul Ochsner" hantierte dabei mit dem entsprechenden Gerät und der mitgelieferten Übungsspinne, während im Off-Kommentar folgende Zuschauereingabe verlesen wurde:
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"Lieber Diplomingenieur Ochsner. Meine Frau muss jede Spinne, deren sie ansichtig wird, sofort fangen. Sie klettert, wenn notwendig, auf Stuhl und Tisch. Um Unfälle zu vermeiden, habe ich ein Spinnenfanggerät gekauft. Nur funktioniert es leider nicht. Mit dem 'SpiderCatcher' für 22 Euro 92 kann man lediglich die mitgelieferte Übungsspinne fangen. Richtige Spinnen werden nur ein bisschen nervös, wenn man mit dem Catcher auf sie losgeht. Keine lässt sich fangen, sei sie nun gross oder klein, alt oder jung. Teilen Sie mir bitte mit, was Sie mit diesem Flop anfangen. Freundliche Grüsse, Ruedi Zimmerli".
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"Paul Ochsner" verschwindet in der Folge und taucht in der nächsten Sequenz in "Spinnweben" -- mit darauf befindlichen (Plastik-)Spinnen -- eingehüllt wieder auf, wobei er den Stempel "UNTAUGLICH" in die Kamera hält. ![]() | 3 |
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Das Bundesgericht heisst die von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) hiergegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und stellt fest, dass der umstrittene Beitrag keine Programmbestimmungen verletzt hat.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
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2.1 Nach Art. 4 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40) sind (in Konkretisierung von Art. 93 Abs. 2 BV) Ereignisse am Fernsehen "sachgerecht" darzustellen; deren Vielfalt und jene der verschiedenen Ansichten muss angemessen zum Ausdruck kommen (Abs. 1); Ansichten und Kommentare haben als solche erkennbar zu sein (Abs. 2). Der Hörer oder Zuschauer muss gestützt hierauf praxisgemäss durch die vermittelten Fakten und Auffassungen in die Lage versetzt werden, sich eine eigene Meinung bilden zu können (BGE 131 II 253 E. 2.1 S. 256 ["Rentenmissbrauch"]; 119 Ib 166 E. 3a S. 170 ["VPM"]; 116 Ib 37 E. 5a S. 44 ["Grell-Pastell"]). Ein Beitrag darf insgesamt nicht manipulativ wirken, was der Fall ist, wenn der (mündige) Zuschauer in Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten unsachgemäss informiert wird (BGE 131 II 253 E. 3.4 S. 264 ["Rentenmissbrauch"]). Der Umfang der erforderlichen Sorgfalt hängt im Einzelfall von den Umständen, dem Charakter und den Eigenheiten des Sendegefässes sowie dem Vorwissen des Publikums ab (BGE 131 II 253 E. 2.2 S. 257 mit Hinweisen ["Rentenmissbrauch"]). Weniger strenge Anforderungen bezüglich der Sachgerechtigkeit gelten bei der Satire, welche die Wirklichkeit bewusst übersteigern, entfremden, banalisieren, karikieren und der Lächerlichkeit preisgeben will (vgl. FRANZ ZELLER, Öffentliches Medienrecht, Bern 2004, S. 256): Das Publikum ![]() ![]() | 8 |
2.2 Der Programmautonomie ist bei der Beurteilung der einzelnen Sendung insofern Rechnung zu tragen, als sich ein staatliches Eingreifen nicht bereits rechtfertigt, wenn ein Beitrag allenfalls nicht in jeder Hinsicht voll zu befriedigen vermag, sondern nur, falls er auch bei einer Gesamtwürdigung (vgl. BGE 114 Ib 204 E. 3a S. 207 ["Gaon"]) die programmrechtlichen Mindestanforderungen verletzt. Die Erfordernisse der Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit als Kriterien der Objektivität dürfen im Einzelfall nicht derart streng gehandhabt werden, dass die journalistische Freiheit und Spontaneität verloren gehen. Die in Art. 17 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 3 BV garantierte Autonomie der Medienschaffenden ist zu wahren; der ihnen bei der Programmgestaltung zustehende Spielraum verbietet es, aufsichtsrechtlich bereits einzugreifen, wenn eine Sendung nicht in jeder Hinsicht überzeugt. Ein aufsichtsrechtliches Einschreiten rechtfertigt sich aufgrund einer Interessenabwägung zwischen der Programmfreiheit des Veranstalters einerseits und der Informationsfreiheit des Publikums andererseits bloss, wenn der (mündige) Zuschauer in Verletzung journalistischer Sorgfaltspflichten manipuliert wird; er sich gestützt auf die gelieferten Informationen oder deren Aufarbeitung kein eigenes sachgerechtes Bild mehr machen kann, weil wesentliche Umstände verschwiegen oder Geschichten "inszeniert" werden. Andere untergeordnete Unvollkommenheiten fallen in die redaktionelle Verantwortung des Veranstalters und sind durch dessen Programmautonomie gedeckt (BGE 131 II 253 E. 3.4 mit Hinweisen ["Rentenmissbrauch"]; Urteil 2A.41/2005 vom 22. August 2005 ["Kunstfehler"], E. 2.3). ![]() | 9 |
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3.1 Die Unabhängige Beschwerdeinstanz bejahte vorliegend eine Verletzung der Programmbestimmungen, da der umstrittene Beitrag aufgrund des Schreibens von Ruedi Zimmerli und des Stempels von Paul Ochsner "UNTAUGLICH" den Eindruck erweckt habe, der "SpiderCatcher" tauge für den bestimmungsgemässen Gebrauch überhaupt nichts. Trotz des bestehenden humoristischen Charakters nehme der inkriminierte Beitrag einen gewissen "informativen Wahrheitsgehalt" für sich in Anspruch, insbesondere durch die Vorstellung eines tatsächlich bestehenden Produkts und die Bewertung seiner Nützlichkeit. Diese sei nicht Resultat eines Zufalls oder eines humoristischen Einfalls. Die Redaktion habe offenbar gewisse Versuche mit dem "SpiderCatcher" unternommen und auch ein Gespräch mit dem Erfinder geführt; das Sachgerechtigkeitsgebot finde deshalb Anwendung, wobei dem humoristischen Charakter Rechnung getragen werden könne. Nach dem apodiktischen Verdikt von Paul Ochsner, dem Experten für Alltagstauglichkeit, der den "SpiderCatcher" im wahrsten Sinn des Wortes als "UNTAUGLICH" abstemple, dürfte - so der angefochtene Entscheid - von den Zuschauern aber niemand mehr ein Kaufinteresse an diesem haben. Beim Publikum werde der Eindruck erweckt, dass der "SpiderCatcher", welcher als Produkt nicht ganz ernst zu nehmen sei, nichts tauge, ohne dass dem Zuschauer die Möglichkeit gegeben worden sei, sich hierüber ein eigenes Bild zu machen. In Verletzung seiner journalistischen Sorgfaltspflichten habe es der "Kassensturz" unterlassen, hinsichtlich der Relevanz der Bewertung und der Bewertungsgrundlagen Transparenz zu schaffen und deshalb Art. 4 RTVG verletzt.
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3.2 Der Entscheid der UBI trägt der humoristischen Komponente - unabhängig davon, ob es sich beim beanstandeten Beitrag tatsächlich um eine Satire handelt oder nicht (vgl. hierzu MISCHA CHARLES SENN, Aspekte der rechtlichen Beurteilung satirischer Äusserungen, in: sic! 4/1998 S. 365 ff., dort S. 366) - bzw. dem Umfeld der konkreten Ausstrahlung zu wenig Rechnung; er erweist sich als zu streng und verfällt in eine unzulässige Fachaufsicht (vgl. BGE 131 II 253 E. 3.4 S. 263 mit Hinweisen ["Rentenmissbrauch"]; Urteil 2A.653/2005 vom 9. März 2006, E. 2.2 ["GSBA"]):
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3.2.1 In der Rubrik "Patent angemeldet" werden im Rahmen des Konsumentenmagazins "Kassensturz" seit Jahren skurrile Produkte oder Verfahren vorgestellt und in Form eines Sketchs - ohne den ![]() ![]() | 13 |
3.2.2 Anlass zur humoristischen Präsentation des "SpiderCatchers" bildeten die von Ruedi Zimmerli geschilderten Erfahrungen mit seiner Frau, den Spinnen und dem entsprechenden Gerät, das er als "Flop" empfunden hat, dem er aber immerhin zugesteht, dass damit die mitgelieferte Übungsspinne gefangen werden konnte; das Gerät somit nicht absolut untauglich war. "Dipl. Ing. Paul Ochsner" ![]() ![]() | 14 |
3.2.3 Soweit die Beschwerdeinstanz darauf hinweist, gestützt auf den Beitrag dürfte - wie die Importeurin geltend mache - niemand mehr ein Kaufinteresse am "SpiderCatcher" haben, trägt ihre Argumentation der Stossrichtung und dem Zweck der Programmaufsicht zu wenig Rechnung: Diese dient dem Schutz der unverfälschten Willens- und Meinungsbildung der Öffentlichkeit und nicht in erster Linie der Durchsetzung privater (hier kommerzieller) Anliegen (BGE 121 II 359 E. 2a S. 362 f. ["Gasser"]; 119 Ib 166 E. 2a/aa S. 169 ["VPM"], je mit Hinweisen; Urteil 2A.41/2005 vom 22. August 2005, E. 1.2 ["Kunstfehler"]). Die rundfunkrechtliche Programmaufsicht ![]() ![]() ![]() | 15 |
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