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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Philippe Dietschi | |||
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37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Sicherheitsdirektion und Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_607/2008 vom 24. März 2009 | |
Regeste |
Art. 7 lit. d FZA, Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA, Art. 110 BGG; Anspruch auf Familiennachzug. Die Familiennachzugsbestimmung von Art. 3 Anhang I FZA ist anwendbar auf Personen, die neben der schweizerischen auch über die Staatsangehörigkeit einer anderen Vertragspartei verfügen (E. 2). Verwandte in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird (Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA): Unterhaltsbedarf und Unterstützung (E. 3.1) richten sich bei einem seit mehreren Jahren rechtmässig in der Schweiz lebenden Familienangehörigen nach den aktuellen Verhältnissen in der Schweiz (E. 3.2); dem kantonalen Gericht neu unterbreitete Tatsachen - hier die Unterhaltsgewährung - sind zu berücksichtigen (E. 3.3). | |
Sachverhalt | |
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Der geschiedene Ehemann reiste Anfang März 1989 in die Schweiz ein und heiratete Mitte April 1989 eine hier niedergelassene Ungarin. Aufgrund dessen erhielt er am 26. April 1994 die Niederlassungsbewilligung. Die kinderlos gebliebene Ehe wurde im Februar 1995 geschieden. Am 15. September 1997 heirateten Y. und X. ein zweites Mal.
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Mitte Mai 2002 ersuchte Y. um Erteilung einer Einreisebewilligung für den Sohn D. zum dauernden Verbleib beim Vater. Mitte Oktober 2003 stellte er ein Gesuch auch um Erteilung der Aufenthaltsbewilligung für die Ehefrau, obwohl er seit dem Jahr 2000 in der Schweiz in Wohngemeinschaft mit einer Freundin lebte. X. wurde in der Folge die Aufenthalts-, dem Sohn die Niederlassungsbewilligung erteilt.
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Am 6. März 2004 wurde die Tochter A. in der Türkei von ihrer Schwiegermutter getötet. Um im Prozess auszusagen, kehrte X. am 10. April 2004 in die Türkei zurück, worauf ihr Ehemann sie und den Sohn bei der Einwohnerkontrolle L. abmeldete, mit dem Hinweis, er habe sich von ihr getrennt. Am 26. Juni 2004 reiste indessen X. wieder in die Schweiz ein, ebenso - etwas später - der Sohn. Nach einem ehelichen Streit suchte sie am 13. Juli 2004 ein Heim der Heilsarmee auf. Am 8. Oktober 2004 erliess das Bezirksgericht Zürich Eheschutzmassnahmen. Am 11. Dezember 2007 wurde die Ehe schliesslich geschieden und Y. zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen an seine Frau von monatlich Fr. 1'400.- für die Dauer von fünf Jahren verpflichtet.
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Die Tochter B. ist seit dem 12. Dezember 2006 mit dem italienisch- schweizerischen Doppelbürger Z. verheiratet. In der Wohnung von Schwiegersohn und Tochter lebt X. seit dem 15. Januar 2006. ![]() | 5 |
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Auf eine dagegen gerichtete Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich trat dieses mit Urteil vom 11. Juni 2008 nicht ein. (...)
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Das Bundesgericht heisst die von X. am 25. August 2008 gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist das Migrationsamt des Kantons Zürich an, der Beschwerdeführerin die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.
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(Auszug)
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Auszug aus den Erwägungen: | |
2. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, welche auf das Urteil Akrich des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (C-109/01 vom 23. September 2003, Slg. 2003 I-9607) zurückgeht, muss sich ein Drittstaatsangehöriger bereits rechtmässig mit einem nicht nur vorübergehenden Aufenthaltstitel in der Schweiz oder einem anderen Vertragsstaat aufgehalten haben, damit aus Art. 3 Anhang I des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) ein Aufenthaltsrecht für seine Angehörigen abgeleitet werden kann (BGE 134 II 10 E. 3; BGE 130 II 1 E. 3.6.4). Der Gerichtshof hat sich allerdings in der Zwischenzeit von seiner Rechtsauffassung in der Sache Akrich distanziert; das Recht auf Familiennachzug hängt nach einem neuen Urteil nicht mehr von einem vorherigen rechtmässigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat ab (Urteil vom 25. Juli 2008 C-127/08 Metock, Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen, Randnr. 58). Inwieweit diese nach Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens und ausserdem vor dem Hintergrund zwischenzeitlich geänderter gemeinschaftsrechtlicher Parallelnormen (Änderung der Verordnung Nr. 1612/68/EWG vom 15. Oktober 1968 durch die Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 [ABl. L 158 vom 30. April 2004 S. 77]) ergangene Praxisänderung für die Auslegung dieses Abkommens einschlägig ist und künftig zu ![]() ![]() | 10 |
Dass der Schwiegersohn der Beschwerdeführerin nebst der italienischen auch über die schweizerische Staatsangehörigkeit verfügt, ändert nichts an der Anwendbarkeit der Familiennachzugsbestimmungen des Freizügigkeitsabkommens. Die Staatsangehörigkeit eines anderen Vertragsstaates ist ausreichend. Es ist nicht Sache der Vertragsstaaten, die Wirkungen der Verleihung der Staatsangehörigkeit durch einen anderen Staat zu beschränken, indem ein zusätzliches Erfordernis (Fehlen der Staatsangehörigkeit des Aufnahmestaates) eingeführt wird (in anderem Zusammenhang Urteil des EuGH vom 2. Oktober 2003 C-148/02 Garc ia Av ello, Slg. 2003 I-11613 Randnr. 28); ein die Geltung des Abkommens ausschliessender rein landesinterner Sachverhalt (vgl. BGE 129 II 249 E. 4.2) liegt jedenfalls nicht vor.
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Erwägung 3 | |
3.1 Zu den Familienangehörigen, die nach Art. 3 Anhang I FZA das Recht haben, bei einer Person Wohnung zu nehmen, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist und ein Aufenthaltsrecht hat, gehören ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird (Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA). Die Eigenschaft eines Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, ergibt sich aus einer tatsächlichen Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der erforderliche Unterhalt des Familienangehörigen vom Aufenthaltsberechtigten materiell sichergestellt wird (Urteile des EuGH vom 18. Juni 1987 316/85 Lebon, Slg. 1987 S. 2811 Randnr. 22; vom 19. Oktober 2004 C-200/02 Zhu und Chen, Slg. 2004 I-9925 Randnr. 43; vom 9. Januar 2007 C-1/05 Jia, Slg. 2007 I-1 Randnr. 35). ![]() ![]() | 12 |
3.2 Der Regierungsrat des Kantons Zürich verneint indessen einen Anspruch auf Familiennachzug mit der Begründung, das Freizügigkeitsabkommen setze eine Unterhaltsgewährung vor dem beanspruchten Familiennachzug im Heimatland des Familienangehörigen voraus. Das Verwaltungsgericht seinerseits verlangt, dass die Unterstützungsbedürftigkeit in dem Zeitpunkt vorliege, in dem beantragt werde, dem Gemeinschaftsangehörigen zu folgen. Die Berufung auf das Urteil des EuGH in der Sache Jia ist indessen nicht schlüssig. In jenem Fall hat das Gericht zwar festgehalten, der Unterhaltsbedarf des nachzuziehenden Familienangehörigen müsse im Herkunftsland in dem Zeitpunkt bestehen, in welchem beantragt werde, dem Gemeinschaftsangehörigen zu folgen (Urteil Jia, Randnrn. 37 und 43). Doch sind diese Ausführungen vor dem Hintergrund des konkreten Falles zu sehen, der dadurch gekennzeichnet war, dass sich das nachzuziehende Familienmitglied vor Geltendmachung des Nachzugsanspruchs im Heimatstaat aufhielt, wo es ![]() ![]() | 13 |
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