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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher | |||
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35. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) und Mitb. gegen Kanton St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_78/2009 vom 31. August 2010 | |
Regeste |
Art. 8 Abs. 3 BV; Art. 3 und 6 GlG; Gleichstellung von Mann und Frau; gehaltsmässige Einreihung von Funktionen des öffentlichen Dienstes. |
Der Umstand allein, dass andere weiblich oder neutral besetzte Berufsgattungen vom gleichen Arbeitgeber in Bezug auf ihre Entlöhnung nicht geschlechtsdiskriminierend behandelt werden, stellt keinen sachlichen Grund dar, der die -- in casu vom Arbeitgeber anerkannte -- Vermutung einer geschlechtsbedingten besoldungsmässigen Benachteiligung der klagenden Berufsgruppen umzustossen vermöchte (E. 11). | |
Sachverhalt | |
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B.a In der Folge erhoben der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK; Sektion St. Gallen/Thurgau/Appenzell), der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (vpod), der Schweizerische Hebammenverband (SHV; Sektion Ostschweiz), die Schweizerische Vereinigung der Fachleute für medizinisch-technische Radiologie (SVMTRA), der Schweizerische Berufsverband der technischen Operationsfachfrauen/-männer (SBVTOA), der Fachverband der diplomierten medizinischen Laborantinnen und Laboranten (labmed; Sektion Ostschweiz), die an kantonalen Spitälern im Kanton St. Gallen tätigen drei Krankenschwestern (DN2) B., G. und L. sowie die fünf Hebammen A., N., E., D. und P., eine medizinisch-technische Radiologieassistentin, zwei technische Operationsassistentinnen und zwei medizinische Laborantinnen im September und Oktober 2003 beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen Klagen auf Feststellung, dass die Einreihung und damit die Entlöhnung der genannten Berufsgruppen gegen Art. 8 Abs. 3 BV und Art. 3 GlG verstosse. Gleichzeitig ersuchten die Einzelklägerinnen für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis 31. August 2003 (Krankenschwestern, Hebammen), vom 1. November 1998 bis 30. September 2003 (medizinisch-technische Radiologieassistentinnen), vom 1. November 1998 bis 30. September/31. Oktober 2003 (technische Operationsassistentinnen) bzw. vom 1. November 1998 bis 31. Oktober 2003 (medizinische Laborantinnen) um Nachzahlung noch festzusetzender Beträge zuzüglich 5% Zins ab mittlerem Verfall sowie der AHV- und Pensionskassenbeiträge.
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B.b Das angerufene Gericht beauftragte PD Dr. H., Direktor des Forschungsinstituts für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität X., auf der Grundlage der Vereinfachten Funktionsanalyse ein ![]() ![]() | 3 |
B.c Gestützt auf das am 8. August 2007 erstattete Gutachten (nachstehend: Gutachten) und nach Beizug verschiedener Amtsberichte wies das kantonale Gericht die Klagen mit Entscheid vom 25. November 2008 ab. Als Begründung erwog es im Wesentlichen, dass die gutachtliche Bewertung der Berufsgruppen der Klagenden im Vergleich mit der Berufsgruppe der Polizisten sachgerecht und ohne Hinweise auf geschlechtsdiskriminierende Elemente vorgenommen worden sei. Da gestützt auf die Schlussfolgerungen des Gutachtens die medizinisch-technischen Radiologieassistentinnen, die technischen Operationsassistentinnen und die medizinischen Laborantinnen im Vergleich zur Berufsgattung der Polizisten nicht zu tief, sondern zu hoch eingestuft seien, erwiesen sich die betreffenden Feststellungs- und Leistungsbegehren von vornherein als unbegründet. Demgegenüber würden die Berufsgruppen der Hebamme mit Grundausbildung und Aufbau sowie der Krankenschwester (DN2) nicht nur verglichen mit männerdominierten, sondern auch mit verschiedenen weiblich besetzten und einem neutralen Beruf zu tief entlöhnt. Die Einreihung der entsprechenden Berufssparten sei vor diesem Hintergrund zwar eventuell in rechtsungleicher, nicht aber in -- im vorliegenden Verfahren einzig zu beurteilender -- geschlechtsdiskriminierender Weise erfolgt.
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C.a Der SBK, der vpod und der SHV lassen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und die Rechtsbegehren stellen, es sei in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids festzustellen, dass die Einstufung der Krankenschwestern/Krankenpfleger DN2, der Hebammen mit fachspezifischer Ausbildung und der Hebammen mit Krankenpflegediplom sowie Zusatzausbildung und damit deren Entlöhnung gemäss den Richtlinien über Einreihung und Beförderung des Staatspersonals gegen Art. 8 Abs. 3 BV und Art. 3 Abs. 1 und 2 GlG verstosse.
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C.b Die Pflegefachfrauen B., G. und L. sowie die Hebammen A., N., E., D. und P. lassen ebenfalls Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einreichen und beantragen, es sei in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids festzustellen, dass ihre ![]() ![]() | 6 |
Der Kanton St. Gallen lässt auf Abweisung der Beschwerden schliessen, soweit auf sie eingetreten werden könne, während die Vorinstanz deren Abweisung beantragt. Das zur Vernehmlassung eingeladene Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) ersucht um Beschwerdegutheissung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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11.1 Eine besoldungsmässige Diskriminierung im Sinne von Art. 8 Abs. 3 Satz 3 BV setzt voraus, dass zum Nachteil eines geschlechtstypisch identifizierten Berufs Lohnunterschiede bestehen, welche nicht sachbezogen in der Arbeit selbst begründet sind, sondern auf geschlechtsspezifische Umstände abstellen (vgl. nicht publ. E. 5.1 und nachstehend E. 11.3.1). Die Vorinstanz folgert daraus -- ohne sich bei diesem Schritt auf das Gutachten abzustützen --, dass nicht nur die Entlöhnung der klagenden weiblichen Berufsgruppen mit derjenigen männlich oder neutral besetzter Berufsgruppen verglichen werden müsse. Vielmehr sei auch das Verhältnis des Lohngefüges der klagenden Berufsgruppen untereinander zu berücksichtigen. Da der -- korrekt vorgenommene -- Vergleich der Berufsgruppen der technischen Operationsassistentinnen, der medizinischen Laborantinnen und der medizinisch-technischen Radiologieassistentinnen mit der Funktion der Polizei ergebe, dass die weiblich identifizierten Berufsgruppen zu hoch eingestuft seien, fehle es diesen bereits an der Tatbestandsvoraussetzung der Gleichwertigkeit, weshalb deren Klagen abzuweisen seien. Aus der Gegenüberstellung resultiere ![]() ![]() | 10 |
(...)
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Erwägung 11.3 | |
11.3 Wurde eine Lohndiskriminierung im Sinne des Art. 6 GlG glaubhaft gemacht, ist der Arbeitgeber zum Nachweis verpflichtet, dass die geringere Entlöhnung in Wirklichkeit nicht geschlechtsdiskriminierend, sondern durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist; misslingt ihm dies, gilt die geschlechtsspezifische Benachteiligung als erstellt (BGE 125 III 368 E. 4 S. 372; Urteil 2A.91/2007 vom 25. Februar 2008 E. 2 mit Hinweis). Eine Lohndiskriminierung entfällt mithin, wenn die Lohndifferenz durch die zu erbringende Arbeit oder die in Frage stehende Funktion sachlich begründet erscheint. Sachlich begründet ist ein Lohnunterschied im Einzelvergleich oder bei der Einstufung von Frauenberufen, wenn er sich auf sog. objektive Kriterien stützt oder nicht geschlechtsspezifisch motiviert ist (BGE 127 III 207 E. 3c S. 213 f.; Urteil 2A.730/2006 vom 3. September 2007 E. 6; SUSY STAUBER-MOSER, Gleichstellungsgesetz und bundesgerichtliche Rechtsprechung, in: Wirtschaftsrecht in Bewegung -- Festgabe zum 65. Geburtstag von Peter Forstmoser, 2008, S. 500; ELISABETH FREIVOGEL, in: Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, 2009, N. 144 f. zu Art. 3 GlG). Zu den objektiven Kriterien gehören Gründe, die den Wert der Arbeit beeinflussen, wie Ausbildung, Dienstalter, Qualifikation, Erfahrung, konkreter Aufgabenbereich, Leistung, soweit sie sich im Arbeitsergebnis niederschlägt, oder Risiken; darüber hinaus kann es sich um Gründe handeln, welche sich aus sozialen Rücksichten ergeben, wie familiäre Belastung und Alter, und schliesslich kommen auch äussere Faktoren wie die konjunkturelle Lage in Betracht, soweit ihre Berücksichtigung einem wirklichen ![]() ![]() | 12 |
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11.3.2 Es bleibt demnach festzustellen, dass es dem Kanton als Arbeitgeber nicht gelungen ist, mit dem im angefochtenen Entscheid vorgebrachten Argumentarium den Beweis für eine nicht im Geschlecht der Beschwerdeführerinnen begründete Schlechterstellung der Entlöhnung zu erbringen. Die Angelegenheit ist daher an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es auf Grund dieser Prämisse erneut über die Begehren der Klägerinnen befinde. (...) ![]() | 14 |
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