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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Johannes Sokoll, A. Tschentscher | |||
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vom 22. Dezember 1952 i.S. Jost und Nydegger gegen Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland. | |
Regeste |
Art. 139 Ziff. 1 und 2 Abs. 3 StGB. |
a) Raub liegt auch vor, wenn der Täter nur zum Teil Gewalt anwendet, zum Teil dagegen das Opfer durch ein anderes Mittel, z.B. durch Hervorrufung von Verblüffung und Schrekken, zum Widerstand unfähig macht (Erw. 1). |
b) Eine Bande erfordert nicht mehr als zwei Beteiligte (Erw. 2 Abs. 2). |
c) Wann hat der Räuber die Tat "als Mitglied" der Bande ausgeführt? (Erw. 2 Abs. 3 und Erw. 3). |
d) Wer den Raub als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat, ist auch dann nach Art. 139 Ziff. 2 zu bestrafen, wenn keine weiteren Umstände der Tat seine besondere Gefährlichkeit dartun (Erw. 2 Abs. 4). | |
Sachverhalt | |
A. | |
Hans Jost und Karl Nydegger kamen im Frühling 1951 überein, nachts angetrunkenen Einzelgängern die Geldbeutel zu entreissen, wobei sie insbesondere auf die Schrecklähmung der Betroffenen rechneten. Sie vereinbarten, dass jeweilen nur der eine von ihnen angreifen, der andere dagegen in der Nähe bleiben sollte. Jost als der bessere Läufer sollte die Tat gegenüber Personen ![]() ![]() | 1 |
Sie handelten gemäss Plan. Welcher von beiden die Tat ausführen sollte, bestimmten sie im Einzelfalle nach dem vereinbarten Grundsatz, nachdem sie das Opfer ausgewählt und beobachtet hatten. Der Ausführende trat zum Angetrunkenen und bat ihn um Einwechslung von Kleingeld, damit er, der Ersuchende, telephonieren könne. Nahm der Angegangene zu diesem Zwecke den Geldbeutel hervor, so schlug der Täter ihm unversehens mit der Hand darauf und entriss dem vor Schreck völlig wehrlos Gewordenen den Beutel, worauf sich Jost und Nydegger getrennt davonmachten und sich an einem vorher vereinbarten Orte wieder trafen und die Beute teilten. Auf diese Weise verübten sie zwischen dem 23. Mai und dem 13. Juni 1951 in Bern fünf Überfälle, wobei dreimal Nydegger und zweimal Jost die Rolle des Ausführenden übernahm. Ausserdem verübte Nydegger in Abwesenheit des Jost und ohne Teilung der Beute in der Nacht vom 26./27. Mai und vom 11./12. Juni 1951 je einen gleichartigen Überfall. Jost seinerseits beging einen solchen ohne Beisein des Nydegger in der Nacht vom 1./2. Juli 1951.
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B. | |
Am 20. November 1951 erklärte die Kriminalkammer des Kantons Bern Jost in sechs und Nydegger in sieben Fällen des Raubes schuldig. Sie verurteilte Jost zu drei und Nydegger zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus und stellte ersteren für drei Jahre, letzteren für zwei Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
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Als Raub statt als Diebstahl würdigte die Kriminalkammer die Taten, weil die Angeklagten in der Form eines Schlages auf die Hand des Opfers Gewalt angewendet und das Opfer bewusst und gewollt durch die Schreckwirkung des plötzlichen Zuschlagens zum Widerstand wie gelähmt völlig unfähig gemacht hätten. Um in ihrer Be ![]() ![]() | 4 |
Entgegen dem Antrage der Staatsanwaltschaft nahm die Kriminalkammer an, der Raub sei nicht im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB ausgezeichnet. In der grundlegenden Besprechung der Angeklagten könne zwar sehr wohl ein Zusammenschluss zwecks fortgesetzter Verübung von Räubereien gesehen werden, wobei immerhin die Frage offen bleibe, ob zwei Täter genügten, um eine Bande im Rechtssinne zu bilden. Bandenraub bzw. Bandendiebstahl sei aber nicht regelmässig schon dann anzunehmen, wenn die gleiche Gruppe von Tätern das Verbrechen mehrfach verübt habe. Vielmehr sei vom Grundgedanken auszugehen, dass sich die strengen Strafbestimmungen in Art. 137 Ziff. 2 und 139 Ziff. 2 StGB ganz allgemein gegen besonders gefährliche Täter richteten, wobei die bandenmässige Verübung nur als ein Beispiel der besonderen Gefährlichkeit aufgeführt werde (BGE 72 IV 58). Nach Meinung des Gerichts dürfte nun ein bandenmässiger Zusammenschluss wohl nur dann als besonders gefährlich bezeichnet werden, wenn dadurch eine Organisation für Unternehmungen geschaffen werde, die für einen einzelnen kaum durchführbar wären. Eine solche Organisation hätten Jost und Nydegger nicht geschaffen. Für die Anwendung ihrer besonderen Methode seien sie nicht aufeinander angewiesen gewesen. Jeder von ihnen sei denn auch gelegentlich allein vorgegangen, wobei der finanzielle Erfolg von der Mitwirkung des Partners durchaus unabhängig gewesen sei.
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C. | |
Die Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragen, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung unter dem Gesichtspunkte des Diebstahls an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie machen ![]() ![]() | 6 |
Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland beantragt unter Verweisung auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils, die Beschwerde der Verurteilten sei abzuweisen. Die Beschwerdeführer übersähen, dass der Räuber den Widerstand ausschalten könne, bevor der Angegriffene überhaupt dazu komme, sich zu wehren.
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D. | |
Die Staatsanwaltschaft ihrerseits führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung unter dem Gesichtspunkt des Bandenraubes an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zwei Täter genügten, um eine Bande im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB zu bilden. Auch sei bewiesen, dass die von Jost und Nydegger begangenen Verbrechen auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhten, also fortgesetzt begangen worden seien; die Bezeichnung der Taten als wiederholten Raub im Dispositiv des Urteils beruhe auf einem Irrtum. Die Auffassung der Kriminalkammer sodann, dass Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 nur anwendbar sei auf Taten, die für den einzelnen allein undurchführbar wären, finde im Wortlaut des Gesetzes keine Handhabe. Auch bei Verbrechen, deren Begehung ![]() ![]() | 8 |
Die Verurteilten beantragen, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft sei abzuweisen. Sie machen geltend, schon aus der Strafdrohung von Art. 139 Ziff. 2 ergebe sich, dass nur schwere Fälle unter diese Bestimmung fielen. Sie verlange denn auch in Abs. 4 die besondere Gefährlichkeit des Täters, woraus zu schliessen sei, dass auch von Bandenraub nach Abs. 3 nur bei besonderer Gefährlichkeit gesprochen werden könne. Solche liege nur vor, wenn mehrere Täter sich so organisierten, dass sie gemeinsam mehrere Verbrechen begehen wollten. Nydegger und Jost hätten in keinem Falle ein Verbrechen gemeinsam ausgeführt. Letzterer hält das Merkmal der besonderen Gefährlichkeit nur bei organisierter Zusammenarbeit von mindestens drei Tätern für erfüllt, wogegen Nydegger eine bloss aus zwei Tätern bestehende Bande an sich als möglich ansieht, wenn ihre besondere Gefährlichkeit offensichtlich sei. Beide weisen ferner darauf hin, dass sie sich vor jeder Tat erneut besprochen und beschlossen hätten, das Verbrechen auszuüben; von einer einheitlichen Willensbildung könne deshalb keine Rede sein. Es sei auch nicht so, dass das Gefühl, auf die tatkräftige Unterstützung und Förderung eines Kumpanen zählen zu können, die Beschwerdegegner angetrieben habe. Jost habe nicht auf die Unterstützung durch Nydegger und dieser habe nicht auf die Unterstützung durch Jost rechnen können. Nydegger verneint die besondere Gefährlichkeit mit dem Hinweis darauf, dass jeder die Mitwirkung des anderen gar nicht nötig gehabt habe, dass sie ferner nicht bewaffnet gewesen seien und die Gewaltanwendung, wenn von einer solchen überhaupt gesprochen werden könnte, sich in einem Schlag auf den Geldbeutel erschöpft habe. ![]() | 9 |
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In BGE 71 IV 122 hat der Kassationshof aus den Worten "in anderer Weise" geschlossen, dass auch ein durch Verübung von Gewalt angestrebter Raub nur dann vollendet sei, wenn die Gewalt den Angegriffenen zum Widerstand unfähig mache, und in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 28. April 1950 i.S. Gautschi hat er an dieser Rechtsprechung festgehalten, obwohl er inzwischen am 24. Juni 1949 in BGE 75 IV 115 ff. ausgeführt hatte, dass die Worte des Art. 188 StGB "wer eine Person mit Gewalt oder durch schwere Drohung oder nachdem er sie auf andere Weise zum Widerstand unfähig gemacht hat" nicht dahin auszulegen seien, auch die mit Gewalt oder schwerer Drohung angestrebte Nötigung zu einer unzüchtigen Handlung müsse das Opfer zum Widerstand unfähig gemacht haben.
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Im vorliegenden Falle stellt sich indessen die Frage nicht, ob schon die blosse Verübung von Gewalt, auch wenn der Angegriffene zum Widerstand fähig bleibt, die Tat zum Raub mache. Art. 139 setzt nicht voraus, dass der Täter ausschliesslich Gewalt verübt oder sich ausschliesslich eines anderen Mittels bedient habe. Er kann teils mit Gewalt, teils auf andere Weise vorgehen (vgl. für den entsprechenden Fall der Nötigung zu einer unzüchtigen Handlung BGE 70 IV 207), und als ein Mittel zur Ausschaltung eines Widerstandes anerkennt die Rechtsprechung unter anderem die Hervorrufung von Verblüffung und Schrecken (BGE 70 IV 207, 78 IV 37). Dieses Mittel haben Jost und Nydegger neben der Gewalt, die im Schlag auf die Hand des Opfers bestanden hat, angewendet, und sie haben den Angegriffenen durch den ![]() ![]() | 12 |
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Verurteilten ist daher abzuweisen.
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Erwägung 2 | |
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Wie der Kassationshof in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 12. Oktober 1951 in Sachen Schnyder ausgeführt hat, verlangt der Begriff der Bande nicht, dass sie aus mehr als zwei Beteiligten bestehe. Das Gesetz zeichnet den bandenmässigen Diebstahl aus, weil der Zusammenschluss zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl die Täter psychisch und physisch stärkt, sie besonders gefährlich macht (vgl. BGE 72 IV 113). Dieser Gedanke ![]() ![]() | 15 |
Nach Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 ist nur zu bestrafen, wer den Raub "als Mitglied" (en qualité d'affilié, come associato) der Bande ausgeführt hat. Damit verlangt das Gesetz mehr als blosse Zugehörigkeit des Täters zu einer Bande. Aus den Vorbereitungen oder der Ausführung der Tat oder aus dem Verhalten nach der Tat, soweit es mit dieser zusammenhängt, muss sich ergeben, dass er den Raub in Erfüllung der ihm in der Bande zustehenden Aufgabe begangen hat. Deutlich trifft das zu, wenn sämtliche Bandengenossen bei der Ausführung mitwirken. Es genügt aber auch, dass bloss einzelne von ihnen den Täter bei der Ausführung unterstützen, ja sogar, dass sie ihm das Verbrechen bloss physisch oder psychisch vorbereiten helfen, ihm Werkzeuge liefern, ihm Rat erteilen, ihn auf der Flucht unterstützen, die Beute sichern helfen oder an ihr teilhaben usw. Die Rollen können auch vertauscht sein; als Mitglied der Bande handelt auch, wer die Ausführungshandlungen einem Bandengenossen überlässt und durch Erfüllung anderer Aufgaben Mittäter ist, z.B. indem er Wache steht. Unerheblich ist, ob der im Zusammenwirken mit Bandengenossen begangene Raub an sich auch von einem einzelnen und ohne Hilfe der anderen hätte ausgeführt werden können.
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Wer den Raub als Mitglied einer Bande verübt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat, ist auch dann nach Art. 139 Ziff. 2 zu bestrafen, wenn keine weiteren Umstände der Tat seine besondere Gefährlichkeit dartun. Dass Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4 StGB den Raub, der "auf andere Weise die besondere Gefährlichkeit des Täters offenbart", mit der ![]() ![]() | 17 |
Erwägung 3 | |
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Auch haben sie ihre Räubereien insoweit "als Mit ![]() ![]() | 19 |
Die Kriminalkammer hat sie wegen der fünf in Mittäterschaft begangenen Fälle, die zusammen ein einheitliches, fortgesetzten Verbrechen bilden, nach Art.139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB zu bestrafen und bei Bemessung der Strafen die von jedem allein verübten Raubüberfälle (Jost ein Fall, Nydegger zwei Fälle) nach Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen.
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Demnach erkennt der Kassationshof: | |
1. Die Nichtigkeitsbeschwerden des Hans Jost und des Karl Nydegger werden abgewiesen.
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