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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes |
vom 18. September 1996 |
i.S. T. gegen Generalprokurator des Kantons Bern |
(Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 102 Ziff. 8 und 10 BV; Art. 1, 2 lit. b, Art. 5, 6, 11 Abs. 1 al. 4 und 5 der Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch jugoslawische Staatsangehörige. |
Die Verordnung genügt den Anforderungen an eine verfassungsunmittelbare Polizeiverordnung des Bundesrates nicht, soweit sie die Veräusserung von Schusswaffen an ausnahmslos alle Ausländer ohne Niederlassungsbewilligung beschränkt. Weder wegen der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien noch aus anderen wichtigen Gründen war und ist es zeitlich dringlich, notwendig und durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt, den Erwerb einer Schusswaffe beispielsweise durch einen in Deutschland wohnhaften deutschen Staatsangehörigen auf diesem Wege einer Bewilligungspflicht zu unterstellen (E. 2). | |
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A. | |
Mitte August 1993 erschienen die beiden in Süddeutschland (Kreis Ravensburg) wohnhaften deutschen Staatsangehörigen B. und K. in der Waffenhandlung "T.". Sie interessierten sich für zwei Survival-Kipplauf-Bockbüchsflinten, Springfield, Mod. M6 Scout. Da T. die gewünschten Waffen nicht am Lager hatte, wurde vereinbart, dass er sie bestelle und dann auf dem Postweg direkt an die Adresse von K. in Deutschland schicke. K. leistete eine Anzahlung von 50% auf den Kaufpreis.
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Am 3. September 1993 sandte T. die beiden Flinten in einem Postpaket mit aufgeklebter Zolldeklaration an die Adresse von K. in Süddeutschland.
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Die Waffen kamen aber nicht bei K. an, da sie von der Zollfahndung Stuttgart sichergestellt worden waren. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg zog die Flinten ein, weil es sich dabei um schnell zerlegbare und daher nach dem deutschen Waffengesetz verbotene Schusswaffen handelte. Die deutschen Behörden leiteten die Akten an die Berner Kantonspolizei weiter.
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B. | |
Der Gerichtspräsident von Niedersimmental sprach T. am 28. September 1995 von der Anschuldigung der Widerhandlung gegen die Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch jugoslawische Staatsangehörige frei.
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Dagegen erklärte der stellvertretende Prokurator 3 die Appellation, welche der Generalprokurator vollumfänglich aufrechterhielt.
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Das Obergericht des Kantons Bern sprach T. am 15. Februar 1996 der Widerhandlung gegen die Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch jugoslawische Staatsangehörige schuldig, vorsätzlich begangen im August/September 1993, und verurteilte ihn in Anwendung von Art. 2 lit. b, c und d, 5 und 11 Abs. 1 der Verordnung zu einer Busse von 500 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.
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C. | |
T. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei vollumfänglich aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. ![]() | 7 |
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Auszug aus den Erwägungen: | |
aus folgenden Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
1.- Die Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch jugoslawische Staatsangehörige vom 18. Dezember 1991 (SR 514.545), in Kraft seit 19. Dezember 1991, war ursprünglich bis längstens 31. Dezember 1994 befristet; ihre Geltungsdauer ist durch Verordnung vom 5. Dezember 1994 (AS 1994, 2996) bis zum 31. Dezember 1996 verlängert worden. Es handelt sich um eine selbständige Verordnung des Bundesrates, die sich gemäss Ingress auf Art. 102 Ziff. 8 BV stützt. Danach wahrt der Bundesrat die Interessen der Eidgenossenschaft nach aussen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, und besorgt er die auswärtigen Angelegenheiten überhaupt. Die Verordnung hat nach ihrem Art. 1 den Zweck, den Handel von Schusswaffen zwischen dem Schweizerischen Staatsgebiet und dem Staatsgebiet der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in den am 1. Januar 1990 gültigen Grenzen zu unterbinden (lit. a) und gewalttätige Handlungen zwischen jugoslawischen Staatsangehörigen in der Schweiz zu verhindern (lit. b). Gemäss Art. 3 der Verordnung ist es jugoslawischen Staatsangehörigen verboten, Schusswaffen in der Schweiz oder von der Schweiz aus zu erwerben (Abs. 1), und ist es verboten, jugoslawischen Staatsangehörigen Schusswaffen zu verkaufen oder sonstwie zu überlassen (Abs. 2). Die Verordnung beschränkt auch den Erwerb von Schusswaffen durch andere Ausländer, nämlich alle Ausländer, die keine Niederlassungsbewilligung (Bewilligung C) besitzen, sowie die Veräusserung von Schusswaffen an solche Ausländer. Gemäss Art. 5 der Verordnung ("Schusswaffenerwerbsschein") müssen Ausländer dem Veräusserer vorgängig zum Erwerb einer Schusswaffe in der Schweiz einen Schusswaffenerwerbsschein aushändigen (Abs. 1). Der Schusswaffenerwerbsschein kann nach Abs. 2 einem Ausländer nur ausgestellt werden, wenn der Gesuchsteller vorgängig eine offizielle Bestätigung des Staates vorlegt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, wonach er zum Erwerb einer Schusswaffe berechtigt ist (lit. a), und wenn die im Konkordat vom 27. März 1969 über den Handel mit Waffen und Munition (SR 514.542) vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind (lit. b). Der ![]() ![]() | 10 |
Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe den beiden in Deutschland wohnhaften deutschen Staatsangehörigen zwei - nicht unter das Kriegsmaterialgesetz fallende - Schusswaffen verkauft, obschon er gewusst habe bzw. habe annehmen müssen, dass die beiden Männer den gemäss Art. 5 der Verordnung erforderlichen Schusswaffenerwerbsschein nicht besessen hätten. Dadurch habe er den Tatbestand von Art. 11 Abs. 1 al. 5 der Verordnung (eventual)vorsätzlich erfüllt.
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Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verordnung sei durch Art. 102 Ziff. 8 und 10 BV nicht gedeckt und daher verfassungswidrig, soweit sie Fälle der hier zu beurteilenden Art erfasse. Zudem sei die Strafbestimmung mangels einer Grundlage in einem formellen Gesetz unbeachtlich, soweit darin Freiheitsstrafe angedroht werde. Schliesslich habe er den Tatbestand von Art. 11 Abs. 1 al. 5 der Verordnung nicht erfüllt, da in der Schweiz keine physische Übergabe der beiden Waffen an die deutschen Staatsangehörigen erfolgt sei und diese daher keine Bewilligung im Sinne von Art. 5 und 6 der Verordnung benötigt hätten.
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Erwägung 2 | |
2.- a) Der Bundesrat kann unmittelbar gestützt auf die Bundesverfassung, also ohne entsprechende Grundlage in einem formellen Gesetz, insbesondere ![]() ![]() | 13 |
b) Angesichts der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien war im Jahre 1991 ein Verbot des Handels mit Schusswaffen zwischen dem Schweizerischen Staatsgebiet und dem Staatsgebiet der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in den am 1. Januar 1990 gültigen Grenzen (siehe Art. 1 lit. a der Verordnung) notwendig und zeitlich dringlich. Auch das allgemeine Verbot der Veräusserung bzw. Überlassung von Schusswaffen an jugoslawische Staatsangehörige (vgl. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung) mag angesichts des Risikos eines Transports der Schusswaffen in die Konfliktgebiete oder eines Einsatzes im Rahmen von Auseinandersetzungen zwischen jugoslawischen Staatsangehörigen in der Schweiz (vgl. Art. 1 lit. b der Verordnung) gerechtfertigt gewesen sein. Es ist indessen nicht ersichtlich, weshalb es notwendig, zeitlich dringlich und durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt gewesen sein soll, wegen der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien oder aus andern gewichtigen Gründen die Veräusserung von Schusswaffen an sämtliche Ausländer ohne Niederlassungsbewilligung (siehe Art. 2 lit. b der Verordnung) auf dem Wege einer verfassungsunmittelbaren Polizeiverordnung durch das Erfordernis von Bewilligungen (im Sinne von ![]() ![]() | 14 |
Wohl mag die schweizerische Waffengesetzgebung in verschiedener Hinsicht und gerade auch in bezug auf die Veräusserung von Schusswaffen an Ausländer mangelhaft sein. Es kann beispielsweise unbefriedigend sein, dass ein in Deutschland wohnhafter Deutscher in der Schweiz ohne Bewilligung bestimmte Waffen erwerben kann, die er nach dem deutschen Recht, etwa weil sie rasch zerlegbar sind, nicht erwerben und nicht besitzen darf. Dieser allfällige Missstand hat indessen mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien nichts zu tun und kann daher nicht gewissermassen aus Anlass dieser Konflikte, auf die auch Art. 1 der Verordnung Bezug nimmt, auf dem Wege einer verfassungsunmittelbaren Polizeiverordnung behoben werden. Die allenfalls erforderlichen Vorschriften sind vielmehr im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu schaffen (siehe nun die Botschaft des Bundesrates vom 24. Januar 1996 zum Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition, BBl 1996 I 1053 ff., insbes. S. 1061 ff. zu Art. 8 ff. des bundesrätlichen Entwurfs; vgl. auch die Verhandlungen des Ständerates in der Sommersession 1996, Amtl.Bull. StR 1996 S. 506 ff., 517 ff.).
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Die Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch jugoslawische Staatsangehörige genügt demnach den vorstehend (E. 2a) umschriebenen Anforderungen an eine verfassungsunmittelbare Polizeiverordnung des Bundesrates nicht, soweit sie auch die Veräusserung von Schusswaffen an in Deutschland wohnhafte deutsche Staatsangehörige erfasst. Sie ist deshalb im vorliegenden Fall nicht anwendbar. ![]() | 16 |
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Erwägung 3 | |
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