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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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32. Urteil |
vom 17. Juli 1990 |
i.S. Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen gegen H. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 73bis IVV: Rechtliches Gehör; Heilung einer Verletzung des Gehörsanspruchs. Anwendung der Grundsätze über das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren bzw. über die Voraussetzungen für die Heilung einer Verletzung des Gehörsanspruchs im Beschwerdeverfahren, wie sie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt bezüglich des Verfahrens vor der Schweizerischen Ausgleichskasse bzw. vor der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen aufgestellt hat; hier in einem Fall, wo der Verfahrensfehler durch eine kantonale Behörde begangen wurde. | |
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A. | |
Max H. leitete selbständig eine Firma für Gebäudeunterhalt. Am 1. September 1982 erlitt er bei einem Sturz von einer Leiter eine Brustwirbelkörperfraktur, woraus ein chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom resultierte. Bis Ende Februar 1983 war Max H. vollständig arbeitsunfähig, danach begann er seine Tätigkeit auf die Restaurierung von Möbeln umzustellen. Die ![]() ![]() | 1 |
Am 10. März 1987 leitete die Verwaltung ein Revisionsverfahren ein. Die Invalidenversicherungs-Kommission holte u.a. einen Bericht der Regionalstelle in St. Gallen (vom 24. April 1987), ein Zeugnis des Hausarztes Dr. med. A. vom 25. September 1987 sowie die Buchhaltungsunterlagen der Jahre 1984 bis 1986 ein und klärte die Verhältnisse an Ort und Stelle ab (Bericht vom 4. März 1988). Gestützt darauf setzte sie mit Beschluss vom 22. März 1988 den Invaliditätsgrad neu auf 46% fest, was sie dem Versicherten mit Vorbescheid vom 19. April 1988 mitteilte. Gleichzeitig eröffnete sie ihm die Möglichkeit, sich innert 14 Tagen schriftlich oder mündlich zur Sache zu äussern. Mit Eingabe vom 25. April 1988 ersuchte der Vertreter des Versicherten um Aktenzustellung, damit er zur vorgesehenen Rentenkürzung Stellung nehmen könne. Ohne das Begehren beantwortet zu haben, setzte die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 26. Mai 1988 die Invalidenrente ab 1. Juli 1988 auf eine Viertelsrente herab. Einer allfälligen Beschwerde entzog sie die aufschiebende Wirkung. Am 3. Juni 1988 stellte sie die Akten dem Vertreter des Versicherten zu. Gleichzeitig teilte sie in Ergänzung der Verfügung vom 26. Mai 1988 mit, auf welchen Einkommenszahlen die Invaliditätsbemessung beruhe.
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B. | |
Max H. liess gegen die Verfügung vom 26. Mai 1988 Beschwerde führen. Nebst der Wiederherstellung der entzogenen aufschiebenden Wirkung, welches Begehren mit Zwischenentscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 29. Juli 1988 und Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 23. Februar 1989 gutgeheissen wurde, beantragte er die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Rückweisung der Sache zur Durchführung eines neuen Verfahrens und zu neuem Entscheid; insbesondere sei er "in die Lage zu versetzen, sich vor der Vorinstanz zum vollständigen Abklärungsresultat sowie zum Vorbescheid zu äussern". Zur Begründung liess er im wesentlichen vorbringen, die Verwaltung habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie ihm den Bericht über die Abklärungen an Ort und Stelle vom 4. März 1988 nur unvollständig unterbreitet habe, den Beschluss vom 22. März 1988 vor Eingang seiner diesbezüglichen Stellungnahme (vom 27. März 1988) formuliert und die ![]() ![]() | 3 |
Mit Entscheid vom 22. Juni 1989 bejahte das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen das Vorliegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, hob die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache an die Invalidenversicherungs-Kommission zurück, damit sie dem Versicherten Gelegenheit gebe, sich vor erneuter Beschlussfassung zur geplanten Erledigung des Verfahrens materiell zu äussern.
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C. | |
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei an das Versicherungsgericht zur materiellen Beurteilung zurückzuweisen.
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Während das Versicherungsgericht auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, äussert sich das Bundesamt für Sozialversicherung in gutheissendem Sinne, enthält sich jedoch eines formellen Antrags. Max H. lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen.
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Auf die einzelnen Vorbringen in den Rechtsschriften wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Diese Bestimmung bezweckt im wesentlichen, dem Versicherten den Anspruch auf rechtliches Gehör in dem von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung umschriebenen Sinne zu gewährleisten (BGE 116 V 33 Erw. 4a). Danach dient das rechtliche Gehör einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des einzelnen eingreift (BGE 112 Ia 3 mit Hinweisen). Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise ![]() ![]() | 10 |
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Laut ständiger Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts kann eine - nicht besonders schwerwiegende (BGE 116 V 32 Erw. 3, 115 V 305 Erw. 2h) - Verletzung des rechtlichen Gehörs dann als geheilt gelten, wenn der Betroffene die Möglichkeit erhält, sich vor einer ![]() ![]() | 12 |
Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
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b) Demgegenüber stellt sich die Ausgleichskasse in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf den Standpunkt, die Verletzung des rechtlichen Gehörs sei im kantonalen Verfahren geheilt worden, da der Beschwerdegegner Gelegenheit gehabt habe, die vollständigen ![]() ![]() | 16 |
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d) Das Eidg. Versicherungsgericht hat im unveröffentlichten Urteil M. vom 6. April 1990 festgehalten, dass von der Rückweisung der Sache zur Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Verwaltung nach dem Grundsatz der Verfahrensökonomie dann abzusehen ist, wenn dieses Vorgehen zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (gleichlaufenden und der Anhörung gleichgestellten) Interesse des Versicherten an einer möglichst beförderlichen Beurteilung seines Anspruchs nicht zu vereinbaren sind (vgl. COTTIER, a.a.O., S. 12). Diese Situation ist hier nicht gegeben. Gemäss dem in der vorliegenden Sache ergangenen Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 23. Februar 1989 hätte die Verwaltung die revisionsweise Herabsetzung auf eine Viertelsrente nicht verfügen dürfen, ohne vorher die Voraussetzungen für einen allfälligen ![]() ![]() | 18 |
Nach dem Gesagten ist der vorinstanzliche Rückweisungsentscheid vom 22. Juni 1989 zu bestätigen. Die Invalidenversicherungs-Kommission hat dem Beschwerdegegner entsprechend der vorinstanzlichen Anordnung das rechtliche Gehör zu gewähren, und die Ausgleichskasse wird anschliessend neu zu verfügen haben. ![]() | 19 |
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